zum Heftthema D a s verhüllte K r e u z Der Kapuziner Otto Hophan O c a p hat 1927 am Ende des franziskanischen Jubeljahres als Todkranker für die vielen Kranken im Buch Der Kreuzweg des Kranken zeitlose Trostgedanken niedergeschrieben. GOTT, welches Schicksal! Karfreitag M n den katholischen Kirchen der Welt wird das Kreuz am Karfreitag in einer liturgischen Zeremonie enthüllt. Der Priester begibt sich auf die Epistelseite (rechts vom Hauptaltar). Das verhüllte Kreuz wird ihm gereicht. Er hält es gegen das Volk, w ä h r e n d ein Levit oder Ministrant das Seidenband losknüpft, das oben a m L ä n g s b a l k e n das verhüllende T u c h z u s a m m e n h ä l t . Das d o r n e n g e k r ö n t e Haupt wird sichtbar. Der Priester singt in die lautlose Stille der Kirche hinaus: «Ecce lignum crucis, in quo salus mundi pependit» «Seht das Holz des Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen.» Die kleine Gruppe a m Altar bewegt sich ein paar Schritte gegen das Volk hin, damit dieses die K r e u z e n t h ü l l u n g besser sehe und verstehe. Mun fallen die zwei B ä n d e r an den Querbalken. M a n sieht die zwei durchbohrten H ä n d e . Der Priester singt erneut, diesmal etwas h ö h e r : «Ecce lignum crucis, in quo salus mundi p e p e n d i t . » Die violette U m h ü l l u n g h ä n g t nur noch lose ü b e r dem Kreuz. Vor d e m Altar wird das letzte B a n d unten a m L ä n g s b a l k e n des Kreuzes l o s g e l ö s t . Das T u c h fällt v o m Kreuze und der Priester singt noch h ö h e r und ergreifender: «Ecce lignum crucis, in quo salus mundi p e p e n d i t . » Jetzt ist das Kreuz ganz enthüllt und das Volk sieht, dass es Christus ist, der a m Kreuze h ä n g t . E s sollte a m Karfreitag, wenn der Schleier v o m Kreuze fällt, ein Schrei durch unsere Kirchen gellen, in dem die B e s t ü r z u n g und das grenzenlose Erstaunen der Menschheit l ä g e . Es ist doch unfasslich, dass Christus, der Heiland, a m Kreuz h ä n g t . A m Holz der S c h m a c h , des Schimpfes, der Schande! Bis zu Christus hingen nur Ehrlose a m Kreuze. Bis zu Christus hatte es geheissen: «Verfluchtsei, wer am Holze hängt» (Dtn 21,23). Clnd nun diese u n e r h ö r t e Melodie: «Seht an das Holz des Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen.» D a r u m ist die K r e u z e n t h ü l l u n g eine Offenbarung, wie wir sie unfasslicher uns nicht denken k ö n n e n . Christus und Kreuz. Kreuz und Heil der Welt! W e l c h unbegreifliche Verbindung! Ich erinnere m i c h nicht, a m Karfreitag bei der K r e u z e n t h ü l l u n g je einen Schrei in unseren Kirchen g e h ö r t zu haben. Wohl waren wir ergriffen, aber nicht ü b e r r a s c h t . Das wussten wir schon, es war keine u n e r h ö r t e Neuigkeit mehr... Trotzdem gibt es Karfreitage, wo die K r e u z e n t h ü l l u n g zur Offenbarung wird, dann, wenn die Schleier von unserem eigenen Kreuze fallen. Bis jetzt war das Kreuz ein V e r h ä n g n i s , ein Rätsel, ein S c h i c k s a l . E s war verhüllt. N u n fallen die Schleier. Das Kreuz wird in seiner Gnade, in seinem Segen und Leben erkannt. E s ist etwas Feierliches u m die grossen Augenblicke solcher K r e u z e n t h ü l l u n g e n . Sie k ö n n e n nur geschehen, weil die U m h ü l l u n g v o m Kreuze Christi weggefallen ist... ls der Apostel J o h a n n e s im Schmerz weinte, weil n i e m a n d jenes versiegelte B u c h öffnen konnte, sagte einer der Ä l t e s t e n zu ihm: «Weine nicht!Siehe, gesiegt hat der Löwe aus dem Stamme Juda, der Spross Davids, um das Buch mit seinen sieben Siegeln zu öffnen. Und es kam das Lamm und nahm das Buch... und ich hörte rufen: 'Komm und sieh!'» (Offb 5+6) it dem verhüllten Kreuz fängt es immer an. S c h o n die Liturgie der Kirche leitet die Leidenswoche unseres Heilandes mit dem verhüllten Kreuz ein. A m Passionssonntag (Red.: heute 5. Fastensonntag), der die Leidenswoche einleitet, sind alle Kreuze mit einem violetten T u c h bedeckt. Wir wurden i m Unterricht ü b e r den Sinn dieser Zeremonie belehrt. E s hiess, das Kreuz werde verhüllt, weil das Sonntagsevangelium von den J u d e n erzähle, die Jesus steinigen wollten. J e s u s habe sich vor dieser Bosheit geflüchtet und verborgen. Z u m A n d e n k e n an dieses Verbergen J e s u i m Land der Israeliten w ü r d e n in unseren Kirchen die Kreuze verhüllt. Das schien mir damals g e n ü g e n d g e k l ä r t zu sein. Ich w ü s s t e nicht, warum ich in sorgloser Jugendzeit mir andere G e d a n k e n ü b e r das verhüllte Kreuz h ä t t e m a c h e n sollen. Das liegt nicht in der Art jener Jahre. A ls ich aber auf m e i n e m Lebensweg mein erstes wirkliches Kreuz antraf, fiel es mir auf, dass es verhüllt war. A u c h die anderen Kreuzträger, mit denen ich w ä h r e n d meiner vielen kranken Jahre ein S t ü c k Weges gegangen bin, haben mir gestanden, auch ihr Kreuz sei zu Beginn verhüllt gewesen. So bin ich zur Einsicht g e k o m m e n , dass a m A n fang jeder Leidenszeit das verhüllte Kreuz stehe, in der Liturgie wie i m Leben, und dass überall, wo das Kreuz verhüllt ist, m a n erst a m Anfang sei. Denn das verhüllte Kreuz ist das unverstandene und missverstandene Kreuz. Sein Sinn und Segen ist noch unerschlossen, ein Rätsel, ein Problem, eine Plage, vielleicht auch eine Torheit und ein Ärgernis. M eine lieben kranken Brüder und leidenden Schwestern! Geschah dies nicht auch, als wir krank wurden? Wir konnten es nicht verstehen, dass wir krank sein sollten. Wir waren v o m W u n s c h beseelt, gesund zu sein und dem Leben Stirn und A r m zu bieten, unser Kopf war voller Pläne, das Herz voller Feuer. Clnd wir wurden krank. Wir mussten still und einsam und u n t ä t i g daliegen. G O T T , welches Schicksal! Welches V e r h ä n g n i s ! Welch unerträgliche, grausame Last! Was haben wir denn v o m Leben, wenn wir krank sind? Was haben die anderen von uns Kranken? Was hat unser ganzes Dasein für einen Sinn, wenn uns die Krankheit unfähig und überflüssig macht? Du siehst, das Kreuz war uns a m Anfang verhüllt. E s war unseren Augen verborgen, was uns zum Frieden diente. Wir erkannten den Tag der Heimsuchung noch nicht. W enn ich an all meine kranken Freunde denke, die zu dieser Stunde in so vielen Spitälern und einsamen Krankenstuben in q u ä l e n d e m Grübeln oder schreiender Verzweiflung ihr verhülltes Kreuz anstarren, dann m ö c h t e ich weinen, wie Johannes weinte, als er das B u c h sah, das mit sieben Siegeln verschlossen war, und niemand i m Himmel und auf der Erde das B u c h zu öffnen und einzusehen vermochte. Clnd ich m ö c h t e es klagend in die Welt hinausrufen wie der Engel: «Wer ist würdig, das B u c h zu öffnen und seine Siegel zu lösen?» (Offb 5,2). Wer vermag uns armen Menschen das Kreuz zu enthüllen und ihm einen Sinn zu geben? I A «EWIG» 3+4/1998 zum Heftthema «Komm und sieh!» «Venite, adoremus!» K o m m und sieh, mein i^ranl^er Freund! Wir dürfen nicht mehr weinen. Seit Christus ist das Kreuz enthüllt. Durch IHN erhält jedes Kreuz einen tiefen Sinn u n d eine klare Deutung. «Er hat uns oom Fluch erlöst dadurch, dass er unsertwegen zum Fluche wurde» (Gal3.i3). D u r c h sein Leiden hat E R uns und unser Leiden erlöst. Seither kann jedes Leid Segen, jedes Kreuz G O T T E S Kraft und Weisheit sein. Vielleicht bist Du, mein Freund, noch nicht so weit zur Einsicht Deines Kreuzes vorgedrungen. Verzage nicht! Das Kreuz wird nur nach und nach enthüllt, a m Karfreitag der Liturgie wie des Lebens. Oft sehen wir es erst nach Monaten oder Jahren in seiner ganzen E n t h ü l l u n g . Der zarteste Schleier wird erst in der Ewigkeit v o n unserem Kreuz genommen, ü b e r d e m Kreuz Christi lagern trotz seiner Enthüllung immer noch geheimnisvolle Nebel. E s g e n ü g t , wenn das Leid allmählich seinen widersinnigen, qualvollen Charakter für uns verliert, wenn wir in unserer Krankheit nicht mehr nur schwarzes U n g l ü c k und harte F ü g u n g schauen. Das ist die erste Kreuzenthüllung. Es folgt die zweite, dritte. Wer kann schon wie der Verfasser der «Nachfolge Christi» (Th. v. Kempis, 2. Buch, 12. Kap.) aufrichtig beteuern: «Im Kreuz ist Heil. Im Kreuz ist Leben. Im Kreuz ist Schutz vor den Feinden. Im Kreuz ist Stärke des Gemütes. Im Kreuz ist Geistesfreude. Im Kreuz ist höchste Gunst. Im Kreuz ist vollendete Heilung zu finden. Es ist kein Heil der Seele, keine Hoffnung des ewigen Lebens ausser im Kreuz.» Kreuzverehrung Wenn der Priester bei der K r e u z e n t h ü l l u n g gesungen hat: «Ecce lignum crucis, in quo salus mundi p e p e n d i t . » , antwortet der Chor: «Venite, adoremus - K o m m t , lasset uns a n b e t e n ! » Alle machen hierauf eine Kniebeuge gegen das Kreuz, unmittelbar nach der Kreuzenthüllung folgt die Adoratio crucis, die Verehrung des h l . Kreuzes. In schweigender Prozession ziehen Priester und Ministranten v o m C h o r hinunter in das Schiff der Kirche. Dort knien sie nieder, erheben sich und n ä h e r n sich d e m auf den Stufen liegenden Kreuz und knien dann wieder. D a s wiederholt sich wohl deshalb dreimal, weil die G l ä u b i g e n nur z ö g e r n d z u m Kreuz hintreten, u m es zu umfangen und zu k ü s s e n (am Schluss dieser Zeremonie küsst man das Kreuz). ei uns daheim k ü s s t e m a n das Kreuz so: Zuerst die rechte, dann die linke Hand des Heilandes, hierauf die F ü s s e und zuletzt die hl. Seitenwunde. V o n den Kindern k ü s s t e n die Kleinsten den Heiland nur auf den M u n d . V o n den M ä n n e r n habe ich manche gesehen, die nur die F ü s s e des Gekreuzigten k ü s s t e n und IHM einen A u g e n b l i c k ernst in die gebrochenen A u g e n schauten (Red.: heute werden die B Wunden da und dort wenigstens noch berührt). Ich fand früher nichts Besonderes daran, dass m a n das Kreuz k ü s s t . Heute weiss ich, dass m a n v o n allen Kreuzen nur ein einziges k ü s s e n kann, das Kreuz, an dem Christus h ä n g t . . . u n d wo immer Menschen ein Kreuz k ü s s e n , lieben und umarmen sollen, daran muss Christus sein... «EWIG» 3+4/1998 E s wurden viele schon vor Christus gekreuzigt. Die Kirche singt von keinem jener Kreuze: «Ecce lignum crucis, i n quo salus mundi p e p e n d i t . » Das gilt nur v o m Kreuze Christi. E s gibt heute viel Leid u n d Schmerz. Wir m ü s s e n leider gestehen, dass es z u m grossen Teil unfruchtbares Leid, unseliges Kreuz ist. W a r u m ? E s fehlt d e m Kreuz Christus u n d d e m Leid die christliche Auffassung. Wir dürfen nie vergessen: Leiden und Krankheiten bleiben für sich betrachtet nur ein Übel. Übel flieht, fürchtet und hasst m a n . D a r u m hasst, fürchtet, flieht die u n g l ä u bige Welt das Kreuz, das Kreuz v o n Kaivaria u n d das Kreuz i m eigenen Leben. E s ist nur ein Übel, denn sie erkennt u n d findet Christus in beiden Kreuzen nicht. E i n Kreuz ohne Christus aber ist Unheil, ein F l u c h trotz der s c h ö n s t e n Theorien und tiefsten Leidensphilosophien, welche die Weisen dieser Welt für leidgeprüfte M e n s c h e n ausgedacht haben. Nur einer ist imstande, uns mit dem Leiden zu v e r s ö h n e n : Christus, der ü b e r das Leiden nicht philosophierte, sondern das Leiden litt. Seit IHM, mit IHM u n d durch IHN haben die M e n s c h e n Kraft, das Kreuz zu k ü s s e n . . . Die armen Menschen, die wohl i £ sco fD 5* n> 1 ein Kreuz haben, aber ohne Christus a m Kreuz, m ü s s e n wir tief bedauern... Mein kranker Freund! D u willst, dass sich das Kreuz in seinem Segen nach und n a c h für D i c h e n t h ü l l e . D a n n muss Christus an D e i n e m Kreuz sein! D u musst das Leidensbild und Leidensvorbild Christi stets vor D e i n e n A u g e n u n d Deiner Seele behalten. Als ich beim Ausbruch meiner Krankheit schwerkrank in einem fremden Spital lag, mochte ich weder reden, lesen noch beten. Ich schaute i m m e r auf das Kreuz an der W a n d . V o n dort fielen die ersten Strahlen in die Nacht meiner traurigen Seele. Das ist darum meine erste Bitte an D i c h , mein lieber L e i d e n s g e f ä h r t e : dass D u ein Kruzifix in D e i n e m Krankenzimmer habest und den Gekreuzigten oft anschauest, damit neben D e i n e m Kreuze das Kreuz Christi aufgerichtet sei und E R zu Dir h i n ü b e r r e d e u n d - k o m m e . Mit Christus bist D u dann ans Kreuz geheftet. Nicht mehr D u lebst und leidest, sondern Christus lebt u n d leidet in Dir. D u t r ä g s t seine Kreuzigung an D e i n e m sterblichen Leibe (Qal 2,19; 2 Kor 4,10). Diese Zeilen bezwecken nur das eine: Dir Christus den Gekreuzigten vor A u g e n zu stellen. Ich glaube, m a n kann Leidenden keinen besseren Dienst tun. M ein kranker Freund, nun knien wir mit einem kurzen Gebet vor dem enthüllten Kreuze Christi nieder, bevor wir seinen und unseren Kreuzweg begehen: Gekreuzigter Heiland und König der Schmerzen, erleuchte unseren Verstand, damit wir den Segen Deines und unseres Kreuzes erkennen. Erschliesse uns den tiefen Sinn der Worte: «Seht das Holz des Kreuzes, an dem das Heil der Welt g e h a n g e n . » Dann gib unserem Willen Kraft, den Kreuzweg zu gehen, entfache in unserem Herzen das heilige Feuer, Dein und unser Kreuz zu lieben, damit wir auszurufen v e r m ö g e n : 'Venite, adoremus-Kommt, leisst uns das Kreuz anbeten!'
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