Jost Grünastel

Freiwilliger: Jost Grünastel
Ort: Costa Rica, San José
Freiwilligenbetreuerin: Rosalba Alfaro
Einsatzstelle: Educación Plus
Vertragszeiten: August 2014 – September 2015
Rundbrief Nr.1: August 2014 – Oktober 2014
Liebe Unterstützer*innen, Freunde und Verwandte,
Die Zeit verfliegt, seit 3 Monaten befinde ich mich in Costa Rica (autsch Standardsatz) :)
In diesem Bericht erzähle ich von einigen Erfahrungen, Gefühlen und Begegnungen. Das
ganze soll möglichst chronologisch abgehandelt werden, seid mir für Ausschweifungen
bitte nicht böse, das kann man hier in diesem Teil der Welt einfach nicht verhindern.
Ich habe nicht alles beschrieben, was ich erlebt habe, was zum einen am Charakter
dieses Rundbriefes liegt, zum anderen an der Persönlichkeit und Nähe einzelner
Momente.
Anfangen möchte ich bei dem wunderschönen Gefühl der Zusage.
Wow, das war einfach richtig schön, ohne zu wissen, was kommt :)
Dieses Gefühl, ein schwammiger Blick nach vorne, so ganz ohne Ahnung, voller Euphorie
und ohne Blick aufs „Jetzt“ auf die Ausreise hin leben.
Da hat man alles hinter sich, nicht ganz einfache Bewerbungsgespräche und seine
Auswahl aus den wenigen Einsatzstellen.
Vor einem steht aber bis zur Ausreise noch einiges. Neben dem Besorgen aller
Dokumente fürs Visum, tausend Arztbesuchen, Blutentnahme und Untersuchungen,
Beratungsgesprächen, Impfungen, einer „sozialen Hektik“ steht das Ausreiseseminar an.
Das war eine super Sache.
Vor einem Freiwilligendienst mit Eirene bestreitet man 2 Wochen eine Zeit der
Einstimmung und intensiven Planung des kommenden Jahres. Mit den Freiwilligen für
Nicaragua und Costa Rica verbringt man eine Woche in der Geschäftsstelle in Neuwied
und eine Woche an einem anderen Ort. Bei uns wählte Martin (unser Betreuer) Odernheim
aus, ein wunderschöner Ort um sich auf die Gruppe einzulassen und dort über Wünsche,
Erwartungen, Gefahren und der Friedensarbeit zu reden. Auch unsere beiden
Betreuerinnen haben uns super begleitet und waren in dieser Zeit einfach perfekt
(Grüße an euch <3 ).
Außerdem wurde über das Verhalten in der zukünftigen Einsatzstelle, im Land und in
Krisensituationen gesprochen. Und auch kritische Gedanken, Zweifel und Ängste wurden
behandelt.
Wir tauschten uns aus und mit vielen Spielen, Diskussionen und gemeinsamen Aktivitäten
entstand eine wahnsinnig tolle Gruppendynamik mit wichtigen Freundschaften.
<3
Ich fühlte mich gut aufgehoben für den Start ins Neue, ich freute mich auf meine
zwangsläufige Selbstständigkeit und freute mich auch auf die „Zwischenwoche“, die jetzt
bis zur Ausreise auf mich wartete.
Schließlich, am 10. August ging es los, nach einem intensiven Abschied, an dem ich
Tränen im Terminal nicht zurück halten konnte, tröstete mich Vanessa und anschließend
Diego und so konnte ich mich auf den langen Flug einstellen. Wie gut, dass man Freunde
hat :)
Der Flug verlief oberflächlich unspektakulär, jedoch kam er innerlich einer emotionalen
Hoch- und Tieffahrt gleich. Da konnte auch der einfühlsame Jura-Professor aus
Guatemala neben mir nichts ändern. Ich entfernte mich von all dem Vertrauten und kam
schließlich müde in San José an.
Dort angekommen überforderte mich die „Großstadt-Hektik“. Zum Glück wurden wir, trotz
früherer Landung als geplant – mitten in der Nacht 4 Uhr Ortszeit - von einer Betreuerin
bzw. unserer zukünftigen Sprachlehrerin abgeholt. Hier prallte die gesamte Vorbereitung,
alles Wissen über „Schwellenländer“, über Mentalitäten und meinen eigenen Erwartungen
mit der Realität San José – Großstadt zusammen.
Hinzu kam dann auch noch eine große Angst: Spanisch. Das war bei mir nämlich sehr
bescheiden..
Für die erste Zeit in Costa Rica wurden wir unweit von Alejandras Sprachschule in
Gastfamilien in Guadalupe untergebracht. Ich lebte mit Lea, eine andere Freiwillige, bei
unserer „Ersatz-Mutter“ Nydia, mit Leas Spanischsupport lebte es sich wunderbar. Durch
sie konnte ich den „Einstieg“ in die neue Lebenskultur vollziehen. Beispielsweise gibt es
keine richtigen Straßenbezeichnungen und Lea konnte sich durchfragen.
Nydia wohnt zusammen mit ihrem Ehemann in Guadalupe einem Vorort von San José.
San José hat zwar, neben dem täglichen Regenschauer, ein angenehme klimatische
Lage, eingerahmt von Bergen in einem „Tal“, wo es nie zu kalt und nie zu warm ist jedoch
liegt das Haus direkt an einer der meist befahrensten Straßen Guadalupes, da ist an
Schlaf nach 6 Uhr morgens nicht mehr zu denken, das ist wirklich hart mit einem Jet-Lack
im Gepäck.
Langsam konnte ich mich auch ans Spanisch anschleichen, Nydia war und ist geduldig
und kann wunderbar bestimmte Vokabeln umschreiben, das klappt sogar bei mir :)
Mittlerweile haben wir schon einige sprachliche Zweikämpfe hinter uns, und ein paar mal
habe ich das Spanisch schon besiegt :)
Im Haushalt von Nydia und Juan Carlos, einem freiberuflichen Fleischer, bekommt man
jeden Morgen ein warmes Gallio Pinto, frische Früchte vom Markt und auf Wunsch ein Ei.
Selbstverständlich fehlt nie der selbstgemachte Fresco, ein nach Saison und Laune
wechselnder selbstgemachter Fruchtsaft. Auch beim Mittagessen und Abendbrot wird
stets ein Teilaspekt kulinarische Vielfalt gereicht. Immer mit Absprache auf die
Essgewohnheiten von Lea und mir, wir sind beide Vegetarier.
In der Sprachschule wurden wir nach einem kleinen Gespräch direkt in Leistungsgruppen
eingeteilt, ich kam mit Diego in die 1. Klasse, wo wir uns wunderbar zurecht fanden, auch
wenn wir mehr „Konversation übten“ anstatt uns mit einem neuem grammatikalischen
Thema auseinanderzusetzen.
Der Unterricht war abwechslungsreich gestaltet, wir besuchten eine Buchmesse, kochten
zusammen und hatten sogar 2 Tanzstunden. Nicht fehlen durfte außerdem ein Besuch am
nächstliegenden Pazifikstrand. Insgesamt eine wunderbare Zeit, die nur von der
„Schnupperwoche“ in der zukünftigen Einsatzstelle unterbrochen wurde.
Die startete mit Juan Carlos, meinem Chef, im Geländewagen.
Meine Einsatzstelle heißt Educación Plus. Das ist eine Organisation, gegründet 1994 von
einem englischem Missionar, die in drei „Orten“ mit Jugendlichen zwischen 7 und 18
Jahren arbeitet. Neben Bibelclubs gibt es eine Fußballschule, die den Kindern zweimal
wöchentlich die Möglichkeit gibt, auf einem Kunstrasengelände mit Trainern Fußball zu
spielen. Eine weitere „Akademie Fußball“ ist in Planung und wird nächstes Jahr starten.
Ich bin der erste Freiwillige, der ein Jahr mit Daniel, Oscar und Andres (die jeweils
zuständigen für ein „Barrio“) „mitläuft“. Die Organisation ist extrem religiös eingestellt und
jegliche Aktionen und Hilfestellungen sind verknüpft mit einem missionarischen und
christlichen Hintergrund.
Dazu später mehr.
Die Arbeit, die sie leisten ist jedoch bemerkenswert. Alajuelita, Pavas und Los Guidos sind
sehr arme Stadtteile, die geprägt sind von schlechter bis zu keiner Infrastruktur, marode
Wellblechhütten, Müllbergen und Abwasserflüssen. Kurz gesagt für einen Europäer ist es
eine unvorstellbare sichtbare Armut. Neben dieser Ausgangslage gehen die meisten
Kinder nicht zur Schule, Familien hungern und ein riesiges Drogennetzwerk hat sich durch
Banden organisiert.
Mein erster Arbeitstag startete mit einer Tour durch Alajuelita. Mit Juan Carlos am Steuer
wurden wir herzlich empfangen und konnten nicht 10 Meter zurück legen, ohne dass sich
nicht eine neue Gesprächssituation bildete. Ich wurde immer wieder als „un nuevo amigo“
vorgestellt. („ein neuer Freund“) Durch die lange Arbeit in den „barrios“ ist Educación Plus
von den Einwohnern weitestgehend akzeptiert und als Geldgeber für die Familien
willkommen. Eine wichtige Rolle spielt auch, dass die Mitarbeiter die Lebenssituation vieler
Jugendlichen aus erster Hand kennen.
Obwohl Rosalba, meine Koordinatorin, mich vorher gewarnt hatte, dass die Eindrücke
sehr extrem sein werden, war ich absolut überwältigt vom Anblick der vielen Straßenhunde
und dem Gesamtbild von Alajuelita. Ich brachte nur ein „radikal“ über die Lippen.
Es ist einfach unglaublich, dass neben dem reichen, amerikanisierten Zentrum rund um
die „Avenida Central“ und „Escazu“ (Zitat Niko: „Das könnte so auch Amerika sein“) solche
Plätze existieren.
Geändert hat sich an den Unterschieden noch nichts und ich habe damit zu kämpfen.
Die ersten 4 Wochen waren um und ich musste mir langsam ein neues zu Hause suchen,
welches näher an meiner Arbeitsstelle lag.
Einen richtigen „Start“ legte das Leben hier hin mit dieser Wohnungssuche.
Das war ein Chaos. Mit Johanna, einer anderen Freiwilligen besichtige ich verschiedenste
Wohnungen, mal im Studentenviertel San Pedro, mal in San Francisco de dos Rios (dort
liegt das Büro von Educación Plus)... Was soll ich sagen, mit einem eingeschränkten
Budget gab es in den verschiedenen Orten wirklich unterschiedliche Wohnsituationen.
Das musste sehr gut überlegt sein.
Da gab es Wohnungen, in denen ein Wohnzimmer mit Pappe aufgeteilt wurde in
Schlafräume und auf der anderen Seite gab es ein Hotel im Zentrum mit einer
„Einraumwohung“ mit einer Fläche für ein Bett und Koffer, zusätzlich durfte man sich das
Bad mit wechselnden Hotelgästen teilen. (war aber klar, dass ich das nicht nehmen
wollte :D ) …
Letztendlich kam ich über „Kontakte“, Daniela, die Tochter von Nydia, zu meiner jetzigen
Wohnung.
Ich lebe mit Paolo und Danelia zusammen. Hier fühle ich mich „Zu Hause“ und sehr, sehr
wohl aufgehoben :)
Mit dieser Ausgangslage konnte ich schnell einen Arbeitsalltag finden.
Es gibt tägliche Bibelclubs, sie sind nach Altersgruppen aufgeteilt und ich begleite
entweder Andres (in Pavas), Daniel (in Alajuelita) oder Oscar ( in Los Guidos) zu ihren
Clubs und unterstütze sie dort so gut ich kann. Die Arbeit ist vielfältig, ich spiele mit den
Kindern, schlichte Streit und kann sogar einfachen Theaterspielen integrieren.
Dies findet alles im Rahmen der Clubs statt und werden begleitet von Einheiten der Bibel.
Im nächsten Jahr werde ich (hoffentlich, gewiss ist hier leider nichts) eine kleine
Theatergruppe leiten, die sich einmal wöchentlich treffen soll.
Neben diesen Clubs gib es 2 mal jährlich zwei Campamentos, in denen ein Großteil der
Jugendlichen teilnimmt und ein Wochenende damit verbringt neben vielen Spielen, Filmen
auch über ihre Situation und Glauben zu sprechen, da das ganze nie die Tätigkeit des
Missionierens verliert.
So blieben auch Probleme mit meiner atheistischen Grundhaltung nicht aus.
Es gab schon zwei Gespräche über meinen nicht vorhandenen Glauben und meine
folgenden Tätigkeiten innerhalb der Clubs, da ich sie nicht gut repräsentieren könnte, so
„Juanca“. So wurde ich auch wegen „Geldmangels“ 6 Stunden vorher ausgeladen und
konnte nicht am Camp teilnehmen.
Neben dem muss ich auch plötzlich lernen, alleine (bzw. in einer WG) zu leben. Das
bedeutet, dass ich planen muss, was ich einkaufe, Wäsche waschen, aufräumen, kochen
(zu müssen)...
Das bereitet viel Spaß, denn die neuen Möglichkeiten sind sehr vielfältig. Und selbst
Schattenseiten, wie Cornflakes mit Wasser genieße ich :)
Der Arbeitsalltag ist nicht mit dem Alltag hier zu verwechseln... Ich weiß, wo ich arbeiten
werde, an welchem Tag und mit wem. Die Situationen, die sich aus dieser
Grundkonstellation ergeben, sind jedoch oft ziemlich hart. Neben 14 Jährigen
schwangeren Mädchen treffen mich Einzelschicksale der Kinder und Jugendlichen sehr,
auch wenn man als „Gringo“ beschimpft wird, nicht akzeptiert wird, weil man eine andere
Ausgangslage hat, oder nach Geld und Kleidung gefragt wird, ist das nicht immer sehr
einfach.
Nichtsdestotrotz sind die Strategien und der Frohsinn der Jugendlichen unfassbar
eindrucksvoll und ich begegne so starken Persönlichkeiten.
Es geht nicht darum Armut zu begaffen, wie das immer wieder mit „englischen Spendern“,
die sich eine Woche das Projekt anschauen wollen und danach entscheiden, ob sie
spenden wollen oder es lassen und den Urlaub danach weiter genießen, passiert.
Es geht darum, auf Augenhöhe zu verstehen und etwas kleines zu schaffen, was Freude
bereitet und einen neuen gedanklichen Horizont schafft :)
Persönlich stehe ich grade in einem kleinen Tief, habe wohl noch nicht gelernt mich
aufzuraffen und San José weiter zu erleben, ich gehe wenig raus und war auch krank, das
wird sich hoffentlich bald ändern :)
Auch, wenn das ganze nur ein kleiner Eindruck meines Lebens hier in San José ist, so
konnte ich -hoffentlich- wenigstens den ermöglichen.
Danke, dass ich dieses Jahr hier verbringen darf! Wer weitere Fragen hat, kann mich
gerne kontaktieren und ich will auch gerne antworten.
Ganz liebe Grüße an euch alle :)
Jost