REHABILITATION Foto: Kadmy – Fotolia MBOR kann mehr als Arbeitsplatztraining Medizinisch-beruflich orientierte Reha in der Praxis D ie berufliche Leistungsfähigkeit eines Patienten wird als Rehabilitationsziel immer wichtiger – insbesondere vor dem Hintergrund einer verlängerten Lebensarbeitszeit und ständig wachsenden Anforderungen in der Arbeitswelt. Laut einer Statistik der Deutschen Rentenversicherung (DRV) wurden 2013 rund 360.000 Rentenneuanträge wegen verminderter Erwerbstätigkeit gestellt. Bei 25 bis 50 Prozent aller RehaPatienten sieht die DRV potenziell einen Bedarf an einer Reha, die medizinisch-beruflich orientiert ist. Für die klinische Praxis sind Konzepte gefragt, die neben Katrin Arndt Chefärztin Orthopädie MediClin Klinik am Rennsteig, Tabarz der medizinischen Therapie sozial-berufliche Zielsetzungen in den Vordergrund rücken. Wie kann ich mich in meinem Arbeitsalltag rückenschonender bewegen? Wie lerne ich, auch bei Stress gelassen zu bleiben? Welche Unterstützung bekomme ich, um trotz Krankheit weiter beruflich aktiv zu bleiben? Die Teilhabe am Berufsleben kann aus unterschiedlichen Gründen beeinträchtigt sein, die oft zusammenspielen: Neben gesundheitlichen Problemen können soziodemografische Faktoren wie Alter oder Bildung eine Rolle spielen, sowie psychosoziale Faktoren, etwa seelische Er- Dr. med. Peggy Reinl Oberärztin Innere Abteilung MediClin Klinik am Rennsteig, Tabarz Die MediClin Klinik am Rennsteig hat ein spezialisiertes Angebot für Patienten mit beruflichen Problemlagen entwickelt. Die Besonderheit: Die Berufsreha in der Klinik stellt nicht nur das praktische Arbeitsplatztraining für Patienten mit orthopädischen Beschwerden in den Mittelpunkt, wie das bei der MBOR meist der Fall ist. Eine starke Gewichtung hat auch die soziale und psychologische Unterstützung. So profitieren auch frisch operierte Patienten, aber ebenso Herzpatienten, Diabetiker und Menschen nach einem Schlaganfall für ihren beruflichen Wiedereinstieg. Marco Rudolf Kaufmännischer Direktor MediClin Klinik am Rennsteig, Tabarz KU Gesundheitsmanagement 7/2015 I 59 Sozialberatung und den Austausch zwischen Betriebs- und Rehabilitationsarzt. Arbeitsplatztraining plus soziale und psychologische Unterstützung REHABILITATION Wie eine Klinik die Rehabilitation für Patienten mit berufsbezogenen Problemlagen optimieren kann, zeigt das Beispiel der MediClin Klinik am Rennsteig im thüringischen Tabarz. Seit Mitte 2013 setzt die Klinik ein MBORKonzept nach den Vorgaben der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland um. Abb. 1: Auch psychologische und soziale Problemlagen können im Rahmen einer MBOR bearbeitet werden. krankungen oder Probleme im sozialen Umfeld. Als Reaktion auf diesen Bedarf hat die DRV in den vergangen Jahren Konzepte für eine medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation, kurz MBOR, entwickelt. MBOR steht für eine Therapie, die sich an den Bedingungen am vorhandenen oder möglichen Arbeitsplatz des jeweiligen Patienten orientiert. Eine solche Behandlungsform verfolgt konsequent den Ansatz, wonach eine Rehabilitationsbehandlung nicht nur auf die jeweilige Krankheit, sondern auch auf deren Auswirkungen im Alltag und im Berufsleben fokussiert. Kliniken, die eine medizinischberuflich orientierte Rehabilitation für DRV-Versicherte anbieten, müssen verschiedene Anforderungen erfüllen. Dazu gehört beispielsweise die Erstellung einer spezifischen berufsbezogenen Diagnose im interdisziplinären Team: Wodurch wird die Arbeitsfähigkeit eingeschränkt? Wie ist der Arbeitsplatz gestaltet? Was sollte ein Patient leisten können - was kann er tatsächlich leisten? Das Angebot muss geeignete berufsorientierte Maßnahmen beinhalten, wie ein arbeitsplatzbezogenes Leistungstraining oder verhaltenstherapeutische Ange- „Während sich MBOR in der Regel an weitgehend mobile Patienten mit orthopädischen Beschwerden richtet, wurde in Tabarz ein eigener Ansatz erarbeitet, um die „Berufsreha“ auch für kürzlich operierte Patienten, Herzpatienten, Diabetiker und Menschen nach einem Schlaganfall zu ermöglichen.“ Konkret: Eine endgültige Heilung hat keine alleinige Priorität, sondern, dass jeder Patient auch mit gesundheitlichen Einschränkungen seinen Alltag bewältigen und am Sozial- und Berufsleben teilnehmen kann. Der Patient soll also wieder fit für eine Erwerbstätigkeit gemacht werden. 60 I KU Gesundheitsmanagement 7/2015 bote, die den Patienten unterstützen, seinen beruflichen Alltag zu bewältigen. Eine MBOR soll außerdem Angebote berücksichtigen, die eine Rückkehr zur Arbeit vorbereiten und unterstützen, etwa eine stufenweise Wiedereingliederung, Während sich MBOR in der Regel an weitgehend mobile Patienten mit orthopädischen Beschwerden richtet, wurde in Tabarz ein eigener Ansatz erarbeitet, um die „Berufsreha“ auch für kürzlich operierte Patienten, Herzpatienten, Diabetiker und Menschen nach einem Schlaganfall zu ermöglichen. Funktionelle sowie berufsbezogene soziale und psychologische Probleme werden dabei gleichermaßen berücksichtigt. Ausschlaggebend für diese Herangehensweise war, dass in der MediClin Klinik am Rennsteig bis zu 75 Prozent der Patienten eine Anschlussheilbehandlung wahrnehmen, darunter viele kürzlich operierte orthopädische Patienten sowie Patienten nach Herzoder Gefäßoperationen, für die eine klassische praktisch-orientierte MBOR nicht durchführbar ist. Deshalb sollte MBOR auch für Patienten jenseits der somatischen Ausrichtung geöffnet werden, gerade auch vor dem Hintergrund, dass bei vielen Rehabilitanden neben körperlichen Einschränkungen auch eine soziale und psychische Schieflage besteht. Ärzte der Inneren und Orthopädischen Medizin, zwei Sozialarbeiter und ein Psychologe aus der Klinik haben dazu gemeinsam mit Experten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf Schulungszyklen erarbeitet, die auch für frisch operierte Patienten in Frage kommen: In diesen Schulungen werden die Zu- Damit kann MBOR für drei Patientengruppen ermöglicht werden: Für Patienten, die arbeitslos sind, für berufstätige Patienten, die unter psychischen Problemen leiden, und für Patienten, bei denen die arbeitsplatzbezogene Diagnostik und Arbeitsplatztraining im Vordergrund stehen (Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit, EFL). Umsetzung in der Praxis Im MBOR-Team arbeiten Orthopäden, Internisten, Neurologen, Sozialarbeiter, Psychologen, Ergo-, Sport- und Physiotherapeuten zusammen. Um die Zusammenarbeit zu unterstützen, wurden alle beteiligten Mitarbeiter im Rahmen des verbundeigenen Fortbildungsangebots („MediClin-Akademie“) dazu qualifiziert, Kleingruppen führen zu können. Außerdem wurde ein spezieller Dokumentationsbogen ausgearbeitet, um die Ergebnisse auswerten und das Konzept weiterentwickeln zu können. In der Praxis sieht die MBOR in der MediClin Klinik am Rennsteig zum Beispiel folgendermaßen aus: Ein Patient, der wegen chronischer Durchblutungsstö- ter nachgehen kann, lernt er in der Klinik, wie er typische Bewegungsabläufe bei seiner Tätigkeit so ausführen kann, dass gesundheitliche Belastungen minimiert werden. Er trainiert dort unter therapeutischer Anleitung in einem speziell ausgestatteten Übungsraum: zum Beispiel Überkopfarbeiten, das Bewegen von Lasten oder das Anheben von Gegenständen. Stufenweise Wiedereingliederung Das MBOR-Team entscheidet im Verlauf über gegebenenfalls notwendige Anpassungen des Arbeitsplatzes beziehungsweise über die Einleitung einer stufenweisen Wiedereingliederung in diesen. Begleitend nimmt er an Schulungen über sozialrechtliche Fragen teil und erhält bei Bedarf psychologische Unterstützung und Hilfestellung etwa wenn Konflikte am Arbeitsplatz bestehen. Für Patienten, deren körperliche Verfassung kein praktisches Training zulässt, hat dieser Teil eine höhere Gewichtung, so dass auch für diese Patienten beruflich-soziale Problemlagen neben der medizinischen Rehabilitation intensiv bearbeitet werden können. Vorteil für alle Patienten ist, dass eine Begutachtung ihrer Problemlagen meist über drei Wochen erfolgt. Am Ende kann dann sehr genau gesagt werden, wo Leistungsdefizite bestehen und ob „Am Ende kann dann sehr genau gesagt werden, wo Leistungsdefizite bestehen und ob und in welcher Form eine berufliche Wiedereingliederung möglich ist.“ rungen seinen handwerklichen Beruf nicht mehr ausüben kann, wird zu Möglichkeiten für Qualifikationsmaßnahmen beziehungsweise Umschulungen beraten und einem Rehabilitationsfachberater der Deutschen Rentenversicherung vorgestellt. Wenn er aus medizinischer Sicht seiner beruflichen Tätigkeit wei- REHABILITATION sammenhänge zwischen Arbeitswelt und Gesundheitszustand vermittelt. Das Spektrum reicht dabei von Fragestellungen zur berufsbezogenen Motivation über Übungen zum Umgang mit Stress und Konflikten bis zum Bewerbungstraining. und in welcher Form eine berufliche Wiedereingliederung möglich ist. Abb. 2: Beim Arbeitsplatztraining übt der Rehabilitand typische Bewegungsabläufe. tion. Die interdisziplinäre Ausrichtung erlaubt es dabei, sehr genau auf die individuellen Probleme der Patienten einzugehen. Das Projekt fördert die Zusammenarbeit von allen an der Rehabilitation beteiligten Therapeuten und insgesamt die Kommunikation im Team. Das Bewusstsein aller Mitarbeiter für sozialmedizinische Belange wird gestärkt. Indem jeder seinen Blick einbringt, entsteht eine Gesamtperspektive, wovon gleichermaßen Patienten und Mitarbeiter profitieren. 2014 erhielt die MediClin Klinik am Rennsteig für ihr MBOR-Konzept den „Asklepios Award“ des Klinikbetreibers Asklepios in der Kategorie „Innovation“. L Katrin Arndt Chefärztin Orthopädie Dr. med. Peggy Reinl Oberärztin Innere Abteilung, Marco Rudolf Kaufmännischer Direktor Fazit Der Ansatz in der Klinik am Rennsteig ermöglicht neben orthopädischen auch internistischen und neurologischen Patientengruppen eine medizinischberuflich orientierte Rehabilita- MediClin Klinik am Rennsteig Zimmerbergstr. 34 99891 Tabarz KU Gesundheitsmanagement 7/2015 I 61
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