Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation

Rehabilitation
Medizinisch-beruflich
orientierte Rehabilitation
> Anforderungsprofil zur Durchführung der
Medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR)
im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung
> Stand: 2015
Ein gemeinsames Papier
der Deutschen Rentenversicherung
An der Erstellung des Anforderungsprofils war eine Vielzahl von Experten der Rentenversicherung sowie
von Seiten der Reha-Einrichtungen und der Reha-Wissenschaft beteiligt. Ihnen allen sei an dieser Stelle
herzlich für Ihre kompetente und konstruktive Unterstützung gedankt.
2
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
4
2
Zielgruppen
6
3
3.1
3.2
3.3
3.4
3.4.1
7
9
10
11
12
3.4.2
3.4.3
3.5
3.5.1
3.5.2
3.5.3
3.5.4
3.6
Die MBOR und ihr Leistungsspektrum
MBOR: Ablauf und Rehabilitationsprozess
Motivierung in der MBOR
Zusammenarbeit mit externen Institutionen in der MBOR
MBOR-Basisangebote
Identifikation von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden
mit BBPL
Sozialrechtliche Informationen
Weitere Basisangebote
MBOR-Kernangebote
Berufsbezogene Diagnostik
Psychosoziale Arbeit in der MBOR
Berufsbezogene Gruppen
Arbeitsplatztraining
Spezifische MBOR-Angebote
4
Schlussbemerkung
24
Zusammenfassende Darstellung der Anforderungen
an die MBOR-Angebote für Rehabilitanden mit besonderer
beruflicher Problemlage
13
13
14
14
15
17
19
20
22
25
1 Einleitung
Die Deutsche Rentenversicherung erbringt Leistungen zur Teilhabe, um den
Auswirkungen einer Krankheit oder Behinderung entgegenzuwirken oder
sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit
der Versicherten, ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu
verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder ein­
zugliedern.
Das SGB IX hat im Jahr 2001 den Anspruch behinderter und von Behinde­
rung bedrohter Menschen auf selbstbestimmte Teilhabe neu formuliert und
gestärkt. Eine stärkere Ausrichtung auf den nahtlosen Übergang zwischen
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben (LTA) ist hierbei eine der zentralen Forderungen (§ 11
SGB IX).
Parallel dazu konnte weltweit ein Paradigmenwechsel weg von der rein an
Krankheiten orientierten Therapie hin zur Bearbeitung von Beeinträch­
tigungen der funktionalen Gesundheit, insbesondere der (beruflichen)
Aktivitäten und Teilhabe beobachtet werden, der in der Veröffentlichung
der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung
und Gesundheit (ICF) durch die WHO mündete. Hieraus ergibt sich für die
Deutsche Rentenversicherung der Auftrag, den Versicherten effektive, auf
die Teilhabe am Erwerbsleben besonders zentrierte und möglichst eng ver­
knüpfte Leistungen anzubieten.
Aktive berufliche Integration ist hierbei sowohl aus Sicht der Rehabilitan­
dinnen und Rehabilitanden als auch aus ökonomischen Gründen der Ansatz
mit den größten Erfolgsaussichten, langfristig und effektiv die Auswirkun­
gen von Krankheit und Behinderung auf die Teilhabe am Erwerbsleben und
am Leben in der Gemeinschaft positiv zu beeinflussen. Oft kann dieses Ziel
erreicht werden durch geringfügige Veränderungen am Arbeitsplatz, durch
Modifikation von Arbeitsabläufen, durch Verwendung geeigneter Hilfsmittel
oder durch Veränderung der persönlichen Einstellungen, insbesondere zu
Arbeit und Beruf. Voraussetzung ist allerdings eine Strategie im Rahmen
der medizinischen Rehabilitation, die den hohen Stellenwert der Erwerbs­
fähigkeit berücksichtigt. Die bewusste Fokussierung auf Fragestellungen der
Berufs­ und Arbeitsrealität, die entsprechende Ausrichtung vorhandener
Strategien sowie die zielgerichtete Weiterentwicklung erwerbsbezogener
diagnostischer und therapeutischer Module müssen deshalb im Konzept
jeder Einrichtung verankert sein, die Leistungen zur medizinischen Reha­
bilitation für die gesetzliche Rentenversicherung durchführt.
Die medizinische Rehabilitation ist durch ein hoch differenziertes Spektrum
diagnostischer und therapeutischer Strategien und Konzepte gekennzeich­
net, das sowohl der Vielfalt der Erkrankungen unter Einschluss psychischer
Aspekte als auch der Individualität der Rehabilitanden und ihrer Lebens­
und Arbeitssituation Rechnung trägt.
Im Ergebnis muss also jede Einrichtung der medizinischen Rehabilitation
diagnostische und therapeutische Kompetenz auf dem Feld der beruflichen
Integration entwickeln und vorhalten. Bei besonderen beruflichen Prob­
lemlagen (BBPL) legt die medizinisch­beruflich orientierte Rehabilitation
(MBOR) einen in der Intensität noch darüber hinausgehenden besonde­
ren Schwerpunkt auf die spezifischen Problemlagen des – bisherigen oder
angestrebten – Arbeitsplatzes. Hervorzuheben ist hier, dass die Leistungen
4
der MBOR im Rahmen der medizinischen Rehabilitation erbracht werden
und klar von Leistungen der Phase II (Medizinisch­berufliche Rehabilitation)
bzw. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) abgrenzbar sind.
Analog zur stationären medizinischen Rehabilitation haben grundsätzlich
auch alle ambulanten Reha­Einrichtungen diagnostische und therapeutische
Kompetenz auf dem Feld der beruflichen Integration zu entwickeln und
vorzuhalten. Die Nähe zum beruflichen Umfeld und die Möglichkeit einer
direkten Vernetzung damit bieten in der ambulanten Rehabilitation beson­
ders geeignete Rahmenbedingungen zur Stärkung des Berufs­ und Arbeits­
platzbezugs.
Die Anforderungen gelten – zum Teil an die spezifischen Bedingungen von
Verfahren und Rehabilitationsablauf angepasst – auch für die Anschluss­
rehabilitation, nicht jedoch für die Rehabilitation bei Abhängigkeitserkran­
kungen. Die Suchtrehabilitation erfolgt unter anderen Rahmenbedingungen
(zum Beispiel längere Behandlungsdauer, höherer Anteil arbeitsloser Reha­
bilitanden) und realisiert bereits eine ausgeprägte berufliche Orientierung.
Es können zwei Grundfunktionen der MBOR definiert werden: Die primäre
Zielstellung der MBOR besteht in der wesentlichen Besserung oder Wieder­
herstellung der erheblich gefährdeten oder bereits geminderten Erwerbs­
fähigkeit, um den Anforderungen am (alten oder angestrebten) Arbeitsplatz
nachhaltig gerecht werden zu können. Dies geschieht durch die Verbesse­
rung der personalen Ressourcen der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden
bzw. den Abbau von Barrieren im beruflichen Verhalten und Erleben. Falls
dies nicht gelingt, also frühzeitig absehbar wird, dass der Arbeitsplatz in
der bisherigen Form trotzdem nicht wieder eingenommen werden kann,
steht das Ziel der möglichst nahtlosen Überleitung in eventuell erforderliche
nachfolgende Leistungen im Mittelpunkt, um die Bedingungen des Arbeits­
platzes und ­verhältnisses an die dauerhaft geminderte Erwerbsfähigkeit
anzupassen. Ggf. sind Qualifizierungen anzuregen, zum Beispiel im Rahmen
von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
5
2 Zielgruppen
Die MBOR ist ein Angebot für alle Versicherten der Deutschen Renten­
versicherung, die die persönlichen und versicherungsrechtlichen Vor­
aussetzungen für eine stationäre oder ganztägig ambulante medizinische
Rehabilitation erfüllen. Sie ist besonders wichtig für Rehabilitandinnen und
Rehabilitanden mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) und/oder
mit einer deutlichen Diskrepanz zwischen beruflicher Leistungsfähigkeit
und den Arbeitsanforderungen im bisherigen Berufsfeld. Dabei handelt es
sich um Personen, die spezifischer Angebote bedürfen, um den bisherigen
oder einen angestrebten Arbeitsplatz wieder einnehmen zu können.
Versicherte mit BBPL können dabei die folgenden Merkmale aufweisen:
a) problematische sozialmedizinische Verläufe zum Beispiel mit langen
oder häufigen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und oder Arbeitslosigkeit,
b) negative subjektive berufliche Prognose, verbunden mit der Sorge,
den Anforderungen des Arbeitsplatzes nicht gerecht werden zu können
(auch bei Vorliegen eines Rentenantrags),
c)
aus sozialmedizinischer Sicht erforderliche berufliche Veränderung.
Die Aufzählung möglicher Kriterien ist nicht als vollständige und erschöp­
fende Beschreibung zu betrachten. Sie soll als Orientierung und grobe
Umschreibung der Zielgruppen dienen, die von MBOR profitieren können.
Die genannten Aspekte treten in der Regel kumulativ auf. Das singuläre
Auftreten eines Kriteriums ist nicht zwangsläufig mit BBPL gleichzusetzen,
sondern deutet eine höhere Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von BBPL an.
Bisherige Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der Reha­
bilitandinnen und Rehabilitanden besondere berufliche Problemlagen
(BBPL) aufweisen und damit potenzielle Zielpersonen für die MBOR darstel­
len. Dieser Anteil variiert je nach Indikationsbereich. In der Neurologie und
der Psychosomatik weist fast jeder Zweite besondere berufliche Problem­
lagen auf. Geringer fällt die Quote in der Orthopädie mit ca. 30 % und in der
Kardiologie mit ca. 25 % aus1. Auch in der Anschlussrehabilitation können
besondere berufliche Problemlagen vorliegen. Bei der Bedarfsprüfung sind
jedoch akute postoperative Beeinträchtigungen und mittelfristige Teilhabe­
störungen zu unterscheiden.
1
6
Müller-Fahrnow W., Radoschewski F.M. (2009): Gesundheitsbedingte berufliche Problemlagen. In: Hillert A., Müller-Fahrnow W., Radoschewski F.M.: Medizinisch-beruflich orientierte
Rehabilitation. Dt. Ärzteverlag, Köln, S. 9–13.
3 Die MBOR und ihr Leistungsspektrum
Leitgedanke der „Medizinisch­beruflich orientierten Rehabilitation“ (MBOR)
ist die Ausrichtung der medizinischen Rehabilitation an den Anforderungen
der Arbeitswelt und insbesondere dem aktuellen bzw. angestrebten Arbeits­
platz. Die Medizinisch­beruflich orientierte Rehabilitation stellt eine konzep­
tionelle Weiterentwicklung von Reha­Diagnostik und Reha­Therapie dar, die
so gezielt an den gesundheitlich bedingten beruflichen Problemlagen und
der gestörten oder gefährdeten Teilhabe am Erwerbsleben ansetzen. Vor
dem Hintergrund der ICF – in deren Mittelpunkt der Gedanke der Teilhabe
steht – ist die medizinische Rehabilitation der Rentenversicherung „als Teil
eines berufsorientierten Partizipationsmanagements“ zu verstehen2.
Die MBOR erweitert die medizinische Rehabilitation um eine Sichtweise, die
berufliche Aspekte in alle Phasen der Rehabilitation einbezieht.
Das kann in der Praxis durch die Einführung zusätzlicher diagnostischer
oder therapeutischer Leistungen oder auch durch eine substanzielle Verän­
derung vorhandener Angebote im Sinne von Umwandlung oder Substitution
umgesetzt werden.
Folgende Abstufungen von beruflich orientierter medizinischer Rehabilita­
tion können unterschieden werden:
(A) Alle medizinischen Rehabilitationseinrichtungen richten ihre Rehabili­
tationsleistungen nach § 15 SGB VI am Ziel der dauerhaften beruflichen
Wiedereingliederung aus und bieten für ihre Rehabilitandinnen und
Rehabilitanden beruflich orientierte Basisangebote an.
Beispiele: Diagnostikbausteine (Feststellung erwerbsbezogener Prob­
lemlagen und Umsetzung in konkrete Therapieziele); Therapiebausteine
(Arbeitsplatzberatung, Informationen oder niederschwellige Gruppen­
angebote zu sozialmedizinischen, sozial­rechtlichen und anderen
Themen mit Berufsbezug).
(B) Medizinische Rehabilitationseinrichtungen mit einem entsprechenden
Schwerpunkt bieten für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit
besonderen beruflichen Problemlagen über die beruflich orientierten
Basisangebote hinausgehende Rehabilitationselemente (MBOR-Kernangebote) an. Diese Zielgruppe wird über Screening (ggf. schon vor der
Rehabilitation) und Assessment identifiziert. Es können – unterschied­
lich je nach Indikation – insgesamt rund 1/3 der Rehabilitanden sein.
Beispiele: Psychoedukative Gruppenangebote (zum Beispiel Stress­
bewältigung am Arbeitsplatz), Arbeitsplatztraining.
(C) Spezifische MBOR­Angebote richten sich an die Rehabilitandinnen und
Rehabilitanden, bei denen trotz einer intensivierten berufsbezogenen
medizinischen Rehabilitation mit den MBOR­Kernangeboten nicht
absehbar ist, dass sie ihren alten oder einen entsprechenden Arbeits­
platz wieder erfolgreich einnehmen können. Möglicherweise werden
deshalb Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) erforderlich.
Die spezifischen MBOR­Angebote zielen auf die Identifikation des weiter­
führenden Reha­Bedarfs dieser Rehabilitandinnen und Rehabilitanden,
2
7
Müller-Fahrnow W. et al. (2005): Berufliche Orientierung in der medizinischen Rehabilitation
und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. In: Die Rehabilitation 44, S. 287–296.
die Erarbeitung einer neuen beruflichen Perspektive sowie die Unterstüt­
zung der Einleitung ggf. folgender Leistungen zur Teilhabe am Arbeits­
leben. Damit ist die Zielgruppe für spezifische MBOR­Angebote begrenzt
auf Einzelfälle innerhalb der Gruppe der Personen mit BBPL.
Beispiel: Belastungserprobung MBOR.
Dementsprechend kann die erwerbsbezogene medizinische Rehabilitation,
wie sie im Auftrag der Rentenversicherung gemäß dieser Abstufung durch­
zuführen ist, in (A) Basisangebote sowie (B) MBOR­Kernangebote und (C)
spezifische MBOR­Angebote differenziert werden. MBOR­Kernangebote sind
für die Mehrzahl der Versicherten mit BBPL vorgesehen. Die spezifischen
MBOR­Angebote sind dagegen auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittene,
spezielle berufsbezogene und teilweise intensive diagnostische und thera­
peutische Leistungen. Welche der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden
mit BBPL von diesen spezifischen Angeboten profitieren, ist dabei abhängig
von der jeweiligen konzeptionellen Ausgestaltung der Angebote und damit
ein Thema der MBOR­Therapieplanung und ­Therapiesteuerung.
Leistungen der Stufe A werden mit der bisherigen strukturellen und per­
sonellen Ausstattung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation bereits
abgedeckt. In den Stufen B und C sind die personellen und strukturellen
Voraussetzungen für die „MBOR­Kompetenz“ in ihren einrichtungsindi­
viduellen Konzepten zu operationalisieren. Die nachfolgend dargestellten
Behandlungsprozesse und Therapieangebote stellen eine nicht abschlie­
ßende Liste möglicher therapeutischer Ansätze im Bereich der beruflichen
Orientierung dar, über die hinaus weitere spezielle und hier nicht klassi­
fizierbare Angebote bestehen können. In der Praxis hat sich gezeigt, dass
der anzulegende MBOR­Leistungsumfang – je nach individueller Schwere
der beruflichen Problematik – einen wesentlichen Anteil der Rehabilitation
umfassen kann.
Der Großteil der in dem folgenden Abschnitt beschriebenen MBOR­Angebo­
te basiert auf dem an der Universität Würzburg durchgeführten und durch
die Deutsche Rentenversicherung sowie das Bundesministerium für Bildung
und Forschung geförderten Umsetzungsprojekt „Systematische Sammlung
und wissenschaftliche Bewertung von Interventionsbausteinen zur geziel­
ten Bearbeitung beruflicher Problemlagen während der medizinischen
Rehabilitation“, aus dem ein Praxishandbuch „Arbeits­ und berufsbezoge­
ne Orientierung in der medizinischen Rehabilitation“ hervorgegangen ist3.
Wertvolle Anregungen und Hinweise zur konzeptionellen Schärfung des An­
forderungsprofils gingen aus dem Forschungsprojekt „MBOR­Management:
Projekt zur formativen Evaluation einer Steuerung von PatientInnen mit
besonderer beruflicher Problemlage in berufsbezogene Therapiekonzepte“
hervor4.
Eine Manualisierung des einrichtungsspezifischen MBOR­Konzeptes ist
wünschenswert. Darüber hinaus sollten Reha­Einrichtungen belegen kön­
nen, dass ihre MBOR­Angebote dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnis entsprechen.
3
Löffler S.; Gerlich C.; Lukasczik M.; Wolf, H.D.; Neuderth S. (2012): Praxishandbuch: Arbeitsund berufsbezogene Orientierung in der medizinischen Rehabilitation, Deutsche Rentenversicherung Bund, 3. Auflage, 374 Seiten und www.medizinisch-berufliche-orientierung.de
4
Bethge M., Brandes I., Kleine-Budde K., Löffler S., Neuderth S., Schwarz B., Schwarze M.,
Vogel H. (2012): Abschlussbericht zum Projekt „MBOR-Management – Formative Evaluation
der Medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR)“ im Auftrag der Deutschen
Rentenversicherung
8
Im Folgenden werden diagnostische und therapeutische Angebote als
Bestandteil einer MBOR beschrieben, die Mindestanforderungen an eine
erfolgreiche gestufte MBOR darstellen. Beruflich orientierte Basisangebote,
MBOR­Kernangebote und spezifische MBOR­Angebote sind dabei separat
dargestellt.
3.1 MBOR: Ablauf und Rehabilitationsprozess
Die arbeits­ und berufsbezogene Orientierung ist konzeptioneller Bestand­
teil der medizinischen Rehabilitation und betrifft den gesamten Rehabilita­
tionsprozess von der Antragstellung bis zur Nachsorge.
Bereits im Vorfeld der medizinischen Rehabilitation kann durch den Sozial­
medizinischen Dienst der Rentenversicherung eine besondere berufsbezo­
gene Problemlage erkannt und die gezielte Zuweisung in eine Einrichtung,
die ein entsprechendes Behandlungsangebot bereit hält, empfohlen werden.
Das Erkennen besonderer beruflicher Problemlagen (zum Beispiel beruf­
liche Belastungen, Arbeitsplatzprobleme) kann aufgrund der Aktenlage,
ggf. einschließlich des Einsatzes eines Screening­Fragebogens (vgl. Kapitel
3.4.1) erfolgen.
Unabhängig von einer gezielten Empfehlung durch den Sozialmedizinischen
Dienst der Rentenversicherung ist es Aufgabe der Reha­Einrichtung syste­
matisch Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit besonderer beruflicher
Problemlage zu identifizieren. Hierzu dienen zum einen die klinische Unter­
suchung und die arbeits­ und berufsbezogene Anamnese, zum anderen der
Einsatz von Screening­Fragebögen (vgl. Kapitel 3.4.1).
Im Anschluss an die Feststellung einer besonderen beruflichen Problemlage
muss eine differenzierte, anforderungsorientierte Diagnostik erfolgen, um
einen individuellen Behandlungsplan ableiten zu können (vgl. Kapitel 3.5.1).
Die intensivierte berufsbezogene Diagnostik erfordert neben der differen­
zierten Exploration einen Abgleich des Anforderungs­ und Fähigkeitsprofils
der Rehabilitandin oder des Rehabilitanden. Ergänzend zu Arbeitsplatzbe­
schreibungen können auch Informationen aus dem „Berufenet“ der Bundes­
agentur für Arbeit oder anderen Quellen herangezogen werden. Die Erfas­
sung des anforderungsbezogenen Fähigkeitsprofils erfolgt möglichst unter
Verwendung standardisierter Verfahren, beispielsweise einer Testung mit
ausgewählten Elementen von Verfahren zur Evaluation funktioneller Leis­
tungsfähigkeit (vgl. Kapitel 3.5.1). Auch die arbeits­ und berufsbezogenen
Behandlungserwartungen und die Motivation, sich mit diesen Fragestel­
lungen auseinander zu setzen, müssen zu Beginn der Rehabilitation erfasst
werden. Die Förderung dieser Motivation während der gesamten Rehabili­
tation ist Aufgabe des Behandlungsteams (vgl. Kapitel 3.2).
Die Vereinbarung von Therapiezielen erfolgt gemeinsam mit der Rehabi­
litandin bzw. dem Rehabilitanden und dem Behandlungsteam. Besondere
berufliche Problemlagen sind im Allgemeinen multifaktoriell bedingt und
werden durch das Zusammenspiel verschiedenster biopsychosozialer Fak­
toren determiniert und aufrechterhalten. MBOR­Behandlungsansätze sind
daher multimodal gestaltet und machen ein multiprofessionelles Reha­Team
erforderlich. Das Team trägt zunächst die Ergebnisse der multiprofessionel­
len anforderungsorientierten Diagnostik zusammen und entwickelt daraus
einen gemeinsamen Therapieplan. Während der Behandlung werden Ziele
und Zielerreichung regelmäßig überprüft und die Ziele gegebenenfalls
modifiziert.
9
In der MBOR ist über den gesamten Behandlungsprozess hinweg eine gute
Verzahnung zwischen allen am Rehabilitationsprozess Beteiligten erforder­
lich: Rehabilitandin bzw. Rehabilitand, Reha­Einrichtung, Sozialleistungs­
träger (zum Beispiel Rentenversicherung, Agentur für Arbeit), Arbeitgeber
(zum Beispiel bei stufenweiser Wiedereingliederung oder innerbetrieblicher
Umsetzung) usw. Vor allem wenn eine zeitnahe Einleitung von Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich wird, ist der frühzeitige Einbezug
der Reha­Fachberatung der DRV wichtig. Bei schwerbehinderten Menschen
kann auch die Beteiligung der Integrationsämter oder Integrationsfach­
dienste hilfreich sein.
Am Ende einer MBOR wird unter ärztlicher Leitung im Team eine abschlie­
ßende sozialmedizinische Leistungsbeurteilung vorgenommen (ggf. mit Hilfe
standardisierter Selbst­ und Fremdbeurteilungsverfahren). Diese wird mit
der Rehabilitandin bzw. dem Rehabilitanden besprochen.
3.2 Motivierung in der MBOR
Die berufsbezogene Motivationsförderung ist Bestandteil aller berufsorien­
tierten Interventionen. Ziel ist es, die Bereitschaft zu fördern, berufsbezoge­
ne Fragestellungen aufzugreifen und sich mit den individuellen Bedingun­
gen der eingeschränkten Gesundheit und deren Auswirkungen auf das
Erwerbsleben auseinanderzusetzen. Vor diesem Hintergrund soll insbe­
sondere das Interesse gefördert werden, an arbeits­ und berufsbezogenen
Perspektiven zu arbeiten. Rehabilitandinnen und Rehabilitanden können so
auf geplante arbeits­ und berufsbezogene Leistungen (zum Beispiel auf eine
Belastungserprobung) vorbereitet werden.
Die Motivation, sich während der medizinischen Rehabilitation mit dem
Thema Beruf auseinanderzusetzen, kann nicht immer vorausgesetzt wer­
den, sondern muss ggf. durch gezielte Motivationsförderung geschaffen
werden. Die wichtigste Methode zur Motivationsförderung ist das persön­
liche Gespräch. Darüber hinaus können aber auch schriftliche Materiali­
en (zum Beispiel Informationen im Einladungsschreiben, Fragebogen zu
Therapiezielen, Fragebogen zur berufsbezogenen Behandlungsmotivation,
Informationsbroschüren), Vorträge, Psychoedukation und Gruppengesprä­
che zum Einsatz kommen.
Möglichkeiten, die arbeits­ und berufsbezogene Behandlungsmotivation zu
fördern, sind beispielsweise die folgenden:
Einladungsschreiben vor Beginn der Rehabilitation: Das Einladungsschrei­
ben für die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden vor Beginn der Rehabili­
tationsbehandlung ist so gestaltet, dass keine falschen Erwartungen an die
Behandlung generiert oder unterstützt werden.
Informationen zum arbeits- und berufsbezogenen Angebot der Reha-Einrichtung: Informationsbroschüren zum arbeits­ und berufsbezogenen Angebot
der Reha­Einrichtung bieten der Rehabilitandin bzw. dem Rehabilitanden
die Möglichkeit, sich einen Überblick über die angebotenen Interventionen
und deren Ziele zu verschaffen.
Thematisierung berufsbezogener Inhalte im Aufnahmegespräch/Vortrag: Im
Rahmen des Aufnahmegesprächs oder eines Vortrags zu Beginn der Rehabi­
litation soll der Auftrag der medizinischen Rehabilitation erläutert werden,
um „Kurerwartungen“ vorzubeugen.
10
Konkrete arbeits- und berufsbezogene Zielformulierungen: Die Rehabilitan­
din bzw. der Rehabilitand soll frühzeitig dazu angeregt werden, sich mit der
individuellen Erwerbsperspektive auseinanderzusetzen, Rehabilitationsziele
für arbeits­ und berufsbezogene Problemlagen zu definieren und dafür kon­
krete Zielformulierungen zu erarbeiten („Was möchte ich in der Reha be­
zogen auf mein Erwerbsleben erreichen?“). Eine solche Zielklärung erfolgt
– unterstützt ggf. mit Hilfe von bereits vorab versendeten Fragebögen – im
Gespräch mit den Ärzten oder Therapeuten. Auch im Rahmen von Vorstel­
lungsrunden (zum Beispiel auf Station) können arbeits­ und berufsbezogene
Ziele thematisiert werden. Des Weiteren ist im Rahmen der Gespräche des
Sozialdienstes oder dem Psychologischen Dienst eine Motivationsförderung
möglich, wenn mit den Rehabilitandinnen und Rehabilitanden beispielswei­
se besprochen wird, welche (u. a. beruflichen) Ziele angestrebt werden und
welche Hilfen sie dabei erhalten können.
Thematisierung von Motivation im Rahmen von psychotherapeutischen
Gruppen: Auch im gruppentherapeutischen Setting wird, vor allem in der
Psychosomatik, die Motivation (auch arbeits­ und berufsbezogen) thema­
tisiert.
Partizipative Entscheidungsfindung: Alle Entscheidungen zu berufsbezo­
genen Angeboten werden gemeinsam getroffen. Im Gespräch sollen die
Vorstellungen und Erwartungen der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden
soweit wie irgend möglich mit dem Rehabilitationsauftrag der Einrichtun­
gen in Einklang gebracht werden.
Thematisierung berufsbezogener Inhalte im Rahmen von nicht speziell
berufsbezogenen Trainings/Schulungen und in allen therapeutischen Disziplinen: Eine Motivationsförderung kann auch über Angebote erfolgen, die
nicht ausdrücklich als MBOR­Angebote gekennzeichnet sind. So erlauben
beispielsweise Trainings zur Stressbewältigung, Kommunikation und so­
zialen Kompetenz eine inhaltliche Ausgestaltung mit Berufsbezug; zum
anderen ist ein Transfer der erworbenen Fertigkeiten auf den beruflichen
Kontext zu erwarten.
In allen therapeutischen Disziplinen sollen Kompetenzen und Ressourcen
der Rehabilitandin/des Rehabilitanden immer auch mit Blick auf den beruf­
lichen Kontext betrachtet werden, um die Auseinandersetzung mit berufs­
bezogenen Fragestellungen zu fördern.
3.3 Zusammenarbeit mit externen Institutionen in der MBOR
Die Zusammenarbeit mit externen Institutionen hat zum Ziel,
> die beruflichen Hintergründe der Rehabilitanden zu klären,
> Anpassungen am (bisherigen oder zukünftigen) Arbeitsplatz anzusto­
ßen,
> Informationen über den Rehabilitationsverlauf und das Ergebnis zeitnah
an relevante Akteure weiterzugeben.
Solche Institutionen oder Akteure können sein: Arbeitgeber, behandelnde
Ärzte, Betriebsärzte, Rehabilitationsfachberater, Einrichtungen beruflicher
Rehabilitation, Integrationsfachdienste oder auch Leistungsträger.
Insbesondere die Rehabilitationsfachberater können eine zentrale Rolle für
die erfolgreiche Durchführung der MBOR spielen. Allerdings ist aufgrund
der jeweils spezifischen Organisationsstrukturen bei den einzelnen Renten­
versicherungsträgern die konkrete Ausgestaltung der Reha­Fachberatung
nicht Gegenstand dieses Papiers.
11
Die Inhalte externer Zusammenarbeit variieren je nach konkreter Zielstel­
lung. Dazu können folgende Elemente gehören:
> Abgleich der betrieblichen Arbeitsplatzanforderungen mit dem Leis­
tungsbild des Rehabilitanden (einschließlich Einholung oder Erstellung
einer detaillierten Arbeitsplatz­ oder Tätigkeitsbeschreibung),
> praktische Erprobungen (zum Beispiel in Berufsförderungswerken und
externen Betrieben), ggf. auch berufsbezogene Diagnostik,
> Abklärung zu beruflicher Um­ oder Neuorientierung,
> Planung und Einleitung der berufsbezogenen Nachsorge und Eingliede­
rung einschließlich der stufenweisen Wiedereingliederung.
Externe Zusammenarbeit erfordert die Herstellung und Pflege von geeig­
neten Kontakten und eine angemessen intensive Kooperation mit diesen
Stellen und Personen sowie gute Kommunikationsstrukturen mit kurzen
Informationswegen zu den Rehabilitanden und innerhalb des Reha­Teams.
Die Kontaktaufnahme zu externen Personen und Institutionen setzt das
Einverständnis der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden voraus. Eine
erfolgreiche Durchführung gelingt nur bei ausreichender Motivation und
Kooperation.
Bei regelmäßiger Zusammenarbeit sollten für die wesentlichen Inhalte der
Zusammenarbeit zwischen der Einrichtung und den externen Partnern
Kooperationsvereinbarungen getroffen werden. Aus diesen sollten hervor­
gehen, in welchen Fällen und auf welche Art und Weise ein Kontakt zu wel­
chen Einrichtungen oder Akteuren innerhalb welcher Zeitfenster stattfindet
und welche Daten dabei ausgetauscht werden.
Konkrete Inhalte solcher Zusammenarbeit können sein:
> Ergänzung der berufsbezogenen Diagnostik um Informationen zum Ar­
beitsplatz (Arbeitsplatzbeschreibung)
> Planung und Einleitung weiterer, zur Eingliederung erforderlicher Leis­
tungen
> Regelung des notwendigen Informationsaustauschs.
Der Informations­ und Datenaustausch zwischen Reha­Einrichtungen und
externen Partnern erfolgt unter Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht
und des Datenschutzes.
Der zuständige Leistungsträger ist bei sämtlichen Aktivitäten vor, während
und nach einer externen Leistung ausreichend zu informieren.
Ein entsprechendes System der Qualitätssicherung sollte sicherstellen, dass
die Durchführung der Zusammenarbeit auch tatsächlich entsprechend der
getroffenen Vereinbarungen abläuft.
3.4 MBOR-Basisangebote
MBOR­Basisangebote werden von allen Rehabilitationseinrichtungen vor­
gehalten, die im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Leistungen
zur medizinischen Rehabilitation erbringen. Dementsprechend wird die
Zielgruppe dieser MBOR­Basisangebote nicht durch das Vorliegen einer
besonderen beruflichen Problemlage (BBPL) definiert; vielmehr werden
diese niedrigschwelligen Leistungen allen Versicherten angeboten, die eine
medizinische Rehabilitationsleistung nach § 15 SGB VI durch die Deutsche
Rentenversicherung erhalten.
12
3.4.1 Identifikation von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit BBPL
Im Rahmen jeder medizinischen Rehabilitation erfolgt eine allgemeine be­
rufsbezogene Diagnostik. Ihr primäres Ziel ist das Erkennen einer BBPL,
und damit der Notwendigkeit, berufliche Fragestellungen innerhalb der
folgenden Rehabilitationsleistung zu thematisieren und bei Bedarf in den
Fokus der Therapie zu rücken.
BBPL lassen sich – wie bereits im Kapitel 2 „Zielgruppen“ ausgeführt – an­
hand der negativen (subjektiven) Erwerbsprognose, eines problematischen
sozialmedizinischen Verlaufs oder einer aus sozialmedizinischer Sicht even­
tuell erforderlichen beruflichen Veränderung bestimmen. Arbeitsplatzpro­
bleme können sowohl im funktionalen als auch im psychosozialen Bereich
auftreten.
Das Erkennen ausgeprägter funktionaler und psychosozialer beruflicher
Problemlagen steht im Zentrum der berufsorientierten Diagnostik. Um ent­
sprechende Befunde für die therapeutische Ausgestaltung der Rehabilitation
nutzen zu können, sollte sie zu einem möglichst frühen Zeitpunkt stattfin­
den. Bereits vor Reha­Beginn kann eine Vorauswahl der Versicherten statt­
finden, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine BBPL auszeichnen.
Eine solche Vorauswahl sollte durch ein Screening­Instrument5 unterstützt
werden (zum Beispiel SIBAR, SIMBO oder Würzburger Screening). So kön­
nen Rehabilitanden mit BBPL gezielt zugewiesen, separat eingeladen wie
auch im Vorfeld der Rehabilitation über die besondere berufsbezogene Aus­
gestaltung der Rehabilitationsleistung informiert werden.
Die endgültige Feststellung der BBPL und ihrer Bestimmungsfaktoren
geschieht jedoch erst im Rahmen der Aufnahmeuntersuchung durch den
untersuchenden Arzt oder die untersuchende Ärztin. Dem Erkennen von
Rehabilitanden mit BBPL muss eine multiprofessionelle berufsbezogene
Diagnostik folgen, um die Art und das Ausmaß der BBPL beschreiben und
darauf abgestimmte Therapien anbieten zu können (vgl. Kapitel 3.5.1).
3.4.2 Sozialrechtliche Informationen
Aufgrund ihrer Erkrankung und möglichen Veränderung ihrer beruflichen,
sozialen und finanziellen Lage besteht bei den meisten Rehabilitandinnen
und Rehabilitanden Informationsbedarf zu den sozialrechtlichen Rahmen­
bedingungen. Mit der Vermittlung von allgemeinen sozialrechtlichen Infor­
mationen soll die sozialrechtliche Orientierung und die Motivation zur Aus­
einandersetzung mit sozialrechtlichen Rahmenbedingungen und Angeboten
verbessert werden. Die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sollen in die
Lage versetzt werden, weiterführenden Informations­ und Beratungsbedarf
einzuschätzen.
5
Bürger W., Deck R. (2009): SIBAR – Ein kurzes Screening-Instrument zur Messung des Bedarfs an berufsbezogenen Behandlungsangeboten in der medizinischen Rehabilitation. Die
Rehabilitation 48(4), S. 211–221
Mittag O., Raspe H. (2003): Eine kurze Skala zur Messung der subjektiven Prognose der Erwerbstätigkeit: Ergebnisse einer Untersuchung an 4279 Mitgliedern der gesetzlichen Arbeiterrentenversicherung zu Reliabilität (Guttman-Skalierung) und Validität der Skala. Die Rehabilitation, 42(3), S. 169–174 und www.medizinisch-berufliche-orientierung.de
Löffler S., Wolf H.D., Vogel H. (2008): Das Würzburger Screening zur Identifikation von beruflichen Problemlagen – Entwicklung und Validierung. Das Gesundheitswesen, 70, S. 461–462
und www.medizinisch-berufliche-orientierung.de
13
-
Inhalte allgemeiner sozial­rechtlicher Informationen können sein:
> Rechtliche Grundlagen der Leistungsbeurteilung,
> weiterführenden Angebote und Hilfen (zum Beispiel stufenweise
Wiedereingliederung),
> Erhalt des Arbeitsplatzes (zum Beispiel Kündigungsschutz),
> wirtschaftliche Sicherung und Rentenfragen,
> Schwerbehinderung und Pflege,
> Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Die Vermittlung grundlegender sozialrechtlicher Themen durch die klini­
sche Sozialarbeit erfolgt meist im Rahmen von Informationsvorträgen. Die
Informationsvermittlung kann auch mit psychoedukativen oder sozialen
Gruppenangeboten kombiniert werden. Sie sollte im Hinblick auf die Mo­
tivation der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden und weiterführenden
Beratungsbedarf schon frühzeitig im Verlauf der medizinischen Rehabilita­
tion erfolgen.
Das Angebot der sozialrechtlichen Information richtet sich ohne indikati­
onsspezifische Einschränkung an alle Rehabilitandinnen und Rehabilitan­
den. Empfohlen wird ein 45­minütiger Vortrag, der von Sozialarbeitern/
Sozialpädagogen oder anderen geeigneten Berufsgruppen mit fundierten
Kenntnissen des Sozialrechts mindestens einmal pro Rehabilitation angebo­
ten wird.
3.4.3 Weitere Basisangebote
Neben der Identifikation von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit
BBPL und den sozial­rechtlichen Informationen halten die Rehabilitations­
einrichtungen als Basisangebote für alle Versicherten die berufsorientieren
therapeutischen Leistungen vor, die auch ohne Vorliegen einer BBPL für die
Erreichung des Reha­Ziels der Rentenversicherung erforderlich sind. Dies
geschieht zum Beispiel dadurch, dass Gruppenangebote zur Stressbewälti­
gung und Entspannungstrainings ebenso wie die Ergotherapie auf die An­
wendbarkeit des Gelernten im Arbeitsalltag achten.
3.5 MBOR-Kernangebote
Die MBOR­Kernangebote stellen den eigentlichen „Kern“ der MBOR im
Verständnis der Deutschen Rentenversicherung dar. Sie wirken zentral er­
heblichen Einschränkungen der beruflichen Teilhabe entgegen, die durch
funktionale Beeinträchtigungen einerseits und/oder problematische be­
rufsbezogene Verhaltens­ und Erlebensmuster andererseits hervorgerufen
werden.
Im ersten Fall steht das Trainieren komplexer, am aktuellen oder angestreb­
ten Arbeitsplatz geforderter Bewegungsmuster im Vordergrund, die zum
Zeitpunkt der Rehabilitation nicht in der erforderlichen Dauer oder Schwere
ausgeführt werden können und damit die zukünftige erfolgreiche Ausübung
der Arbeit behindern.
Psychosoziale berufsbezogene Beeinträchtigungen sind sehr vielfältig und
durch Probleme im Verhalten und Erleben am Arbeitsplatz gekennzeichnet.
Zu den Faktoren, die die (subjektive) Leistungsfähigkeit teilweise erheblich
beeinträchtigen, zählen beispielsweise:
> eine unrealistische subjektive Beurteilung der eigenen Belastbarkeit,
> erhöhtes bzw. maladaptives Stresserleben,
> Konflikte am Arbeitsplatz (auch: Mobbing),
> arbeitsplatzbezogene Ängste.
14
Die therapeutischen Konzepte sind aus diesem Grund auf die positive Ver­
änderung von Kognition und Verhalten sowie die Stärkung von Selbstma­
nagement und Selbstwirksamkeit im Kontext von Arbeitsausführung und
­bedingungen ausgerichtet.
Die im Folgenden aufgeführten diagnostischen und therapeutischen Leis­
tungen richten sich nicht mehr an alle Rehabilitandinnen und Rehabilitan­
den in der medizinischen Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung,
sondern sind begrenzt auf die Gruppe mit besonderen beruflichen Problem­
lagen.
Die Darstellung der diagnostischen und therapeutischen Kernangebote und
im Weiteren der spezifischen MBOR­Angebote orientiert sich an folgender
Struktur:
1. Ziele, Inhalte, Durchführung
2. Hinweise zur Indikation
3. Dauer pro Termin und Häufigkeit pro Aufenthalt
4. Strukturelle Voraussetzungen
5. Betroffener Rehabilitandenanteil
6. Abbildung in der KTL (Version: 2015 – mit der Einschränkung, dass die
Abbildung der MBOR­Angebote durch KTL­Codes nicht immer eindeutig
und vollständig möglich ist).
Die Angaben enthalten jeweils grundsätzliche Vorgehensweisen, die je nach
Spezifik der Fragestellung und Indikation variieren können. Allerdings wer­
den prinzipielle Standards explizit in den Beschreibungen aufgeführt. So
erfolgt die Definition personeller und struktureller Voraussetzungen genau­
so wie die Angabe von Mindesttherapiezeit und ­häufigkeit. Des Weiteren
ist zur Orientierung der Anteil von Rehabilitanden angegeben, bei dem ein
Bedarf in Bezug auf das jeweilige Angebot vermutet wird. Es handelt sich
hierbei nicht um den Anteil mindestens zu behandelnder Rehabilitanden
im Sinne der Reha­Therapiestandards, sondern um eine Schätzung des Be­
darfs.
3.5.1 Berufsbezogene Diagnostik
> Detaillierte Beschreibung
Ziele: Die berufsbezogene, anforderungsorientierte Diagnostik dient dazu,
die physische und psychische Belastungsfähigkeit von Rehabilitanden einzu­
schätzen; d. h. zu klären, inwieweit das Fähigkeitsprofil dem Anforderungs­
profil der Tätigkeit bzw. einem konkret in Aussicht stehenden Arbeitsplatz
entspricht. Anforderungsorientiert heißt in diesem Zusammenhang, dass
die individuelle Belastungssituation anhand eines Fähigkeits­ und Anfor­
derungsprofils sichtbar gemacht und analysiert wird. Die identifizierten
Überforderungen, Engpässe oder Defizite sind dann Grundlage für die Fest­
legung der konkreten Rehabilitationsziele und damit für die Ausgestaltung
der Rehabilitation.
Die auf die beruflichen Anforderungen ausgerichtete Diagnostik wird durch­
geführt, um:
> die therapeutischen Leistungen individuell anforderungsorientiert
planen und gestalten zu können und
> Grundlagen für die Beurteilung notwendiger Konsequenzen in Bezug auf
das weitere Arbeitsleben der Rehabilitanden zu schaffen.
15
Inhalte: Im Kern steht die Ermittlung der beruflich­anforderungsbezogenen
körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit. Diese wird möglichst mit
standardisierten Assessments sowie Instrumenten der Functional Capacity
Evaluation (FCE) erfasst. Hierbei ist die Auswahl der zu testenden Aktivitä­
ten der individuellen Beanspruchungssituation anzupassen. Standardisierte
Bewertungsmodule, zum Beispiel das Profilvergleichsverfahren IMBA oder
selbsterarbeitete, in der Qualität vergleichbare, valide Instrumente sollten
dabei zur Anwendung kommen.
Durchführung: Im Allgemeinen wird die anforderungsorientierte Diagnostik
als Einzelleistung zu Beginn der Rehabilitation erbracht. Das Eingangs­
Assessment beginnt mit der beschäftigungsspezifischen Anforderungs­
analyse (zum Beispiel in Form eines strukturierten Patienten­Interviews).
Hierbei wird eine genaue Beschreibung der beruflichen Tätigkeiten vorge­
nommen und daraufhin ein komplettes Anforderungsprofil erstellt. Hilfreich
sind an dieser Stelle vom Patienten mitgebrachte Dokumente über seinen
Arbeitsplatz. Der direkte Kontakt zum Arbeitgeber oder dem zuständigen
Werks­ oder Betriebsarzt kann an dieser Stelle die Anforderungsanalyse op­
timieren, da eventuelle Unklarheiten über die tatsächliche Arbeitsbelastung
ausgeräumt werden können.
Anschließend wird ein jeweils partielles Fähigkeitsprofil aus medizinischer,
psychologischer, bewegungstherapeutischer und sozialpädagogischer Sicht
erstellt. Die medizinischen Informationen werden im Aufnahmegespräch
und anhand der Untersuchungsergebnisse erhoben. Im bewegungsthera­
peutischen Bereich erfolgt eine Erhebung der Fähigkeiten zum Beispiel
durch ausgewählte Testsituationen auf der Basis von Functional Capacity
Evaluation (FCE) Systemen.
Durch die Psychologie und Sozialarbeit erfolgt eine an die Bedürfnisse des
Patienten angepasste Analyse auf der Basis strukturierter, valider Assess­
ments. Ergänzende kurze Explorationen und Untersuchungen dienen der
Ermittlung der notwendigen Informationen im bewegungs­ bzw. ergothera­
peutischen Bereich.
Die Befunde aus den verschiedenen Disziplinen werden in interdisziplinä­
ren Teamkonferenzen im Sinne eines Profilvergleichs (Diskrepanz zwischen
Anforderungen und Fähigkeiten) zusammengetragen. Bei dem Profilver­
gleich geht es darum, sowohl Überforderungen als auch Unterforderungen
zu identifizieren. Mit den Rehabilitandinnen und Rehabilitanden werden die
Therapieziele sowie individuelle Therapiepläne vereinbart.
Während der Behandlung werden die Ziele bzw. die Zielerreichung regel­
mäßig überprüft und ggf. modifiziert. Im Gespräch mit den Rehabilitandin­
nen und Rehabilitanden müssen die objektivierten Ergebnisse besprochen
werden.
Hinweise zur Indikation
Rehabilitanden mit BBPL
Dauer: 90 min (ohne Teamsitzungen)
Häufigkeit: 1–2 Termine (in der Regel zu Beginn; z. T. am Ende des Aufent­
halts)
16
> Formale Charakterisierung
Strukturelle Voraussetzungen
Personelle Voraussetzungen: Ergotherapeuten, Sporttherapeuten oder
Physiotherapeuten mit entsprechender Qualifikation, Psychologen, Sozial­
arbeiter, Ärzte, weitere qualifizierte Berufsgruppen
Sonstige Voraussetzungen: Raum mit entsprechenden Arbeitsmaterialien
zur Testung tätigkeitsspezifischer Bewegungsmuster (zum Beispiel Heben,
Schieben/Ziehen, Tragen, Schrauben, langes Sitzen) oder für psychosoziale
Diagnostik.
Betroffener Rehabilitandenanteil in Einrichtungen
100 % aller Rehabilitanden mit BBPL
Abbildung in der KTL 2015
C580 Gespräche mit Rehabilitand und Betriebsangehörigen
E60 Verhaltensbeobachtung zur arbeitsbezogenen Leistungsbeurteilung einzeln
E61 Verhaltensbeobachtung zur arbeitsbezogenen Leistungsbeurteilung in der Kleingruppe
3.5.2 Psychosoziale Arbeit in der MBOR
> Detaillierte Beschreibung
Ziele: Ziele sind die Erarbeitung von Lösungsansätzen für die individuel­
le berufsbezogene und sozialrechtliche Problemsituation, die Motivierung,
Begleitung und Anleitung bzw. Unterstützung der Rehabilitandinnen und
Rehabilitanden bei ihrer Eingliederung in das Erwerbsleben und ggf. die
Vermittlung und Anbahnung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Der Übergang zu berufsbezogenen Nachsorgeleistungen oder Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben wird unterstützt.
Inhalte: Wesentliche Merkmale der erwerbsorientierten psychosozialen Be­
ratung sind:
> Arbeits­ und sozialrechtliche Beratung
> Beratung zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Reha­
bilitation)
> Vorbereitung und Anbahnung weiterführender Leistungen zur Einglie­
derung in den Beruf (beispielsweise über eine stufenweise Wiederein­
gliederung) und das soziale Umfeld.
Durchführung: Die berufsbezogene Beratung durch die klinische Sozialar­
beit erfolgt meist im Rahmen von mehreren Beratungsgesprächen im Re­
habilitationsverlauf. Die Beratungsleistungen können mit psychoedukativen
oder sozialen Gruppenangeboten kombiniert werden. Informationen aus
der Anamnese und Diagnostik (u. a. zur sozialen und beruflichen Situation)
sowie aus anderen berufsbezogenen Angeboten (zum Beispiel der berufso­
rientierten Diagnostik oder einer Belastungserprobung MBOR) werden im
Team zusammengeführt und hinsichtlich möglicher Konsequenzen für die
berufliche Zukunft der MBOR­Rehabilitanden bewertet. Im Zuge der Anre­
gung oder Einleitung von nachgehenden Leistungen kooperiert die klinische
Sozialarbeit eng mit Personen und Institutionen innerhalb und außerhalb
der Reha­Einrichtung.
17
Hinweise zur Indikation
Die Leistung richtet sich an Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, die auf­
grund ihrer beruflichen Lage Beratungsbedarf haben. Eine Indikationsspe­
zifität besteht nicht.
Dauer: einzelfallabhängig (in der Regel à 15–45 Minuten) oder im Rahmen
eines MBOR­Gruppenangebots.
Häufigkeit: einzelfallabhängig (in der Regel zwei bis fünf Termine pro Auf­
enthalt)
> Formale Charakterisierung
Strukturelle Voraussetzungen
Personelle Voraussetzungen: Sozialarbeiter/Sozialpädagogen und weitere
Berufsgruppen lt. KTL­2015
Sonstige Voraussetzungen: ggf. Informationsmaterialien; bei Kombination
mit einer psychoedukativen Gruppe müssen entsprechende Räumlichkeiten
und Präsentationsmöglichkeiten vorgehalten werden.
Betroffener Rehabilitandenanteil in Einrichtungen
100 % aller Rehabilitanden mit BBPL
Abbildung in der KTL 2015
Einzel
C580 Gespräche mit Rehabilitand und Betriebsangehörigen
D561 Beratung zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben einzeln
D562 Beratung zur stufenweise Wiedereingliederung einzeln
D563 Beratung zu beruflichen Perspektiven und Berufsklärung einzeln
D569 Sonstige Beratung zur beruflichen Integration einzeln
E672 Arbeitsplatzbesuch einzeln
F552 Psychologische Beratung bei berufsbezogenen Problemlagen
einzeln
Gruppe
D581 Soziale Arbeit in der Kleingruppe: Umgang mit beruflichen
Belastungen und Konflikten am Arbeitsplatz
D583 Soziale Arbeit in der Kleingruppe: Berufliche Orientierung und
berufliche Teilhabe
D585 Soziale Arbeit in der Kleingruppe: Sozialrechtliche Fragen
D586 Soziale Arbeit in der Kleingruppe: Training der sozialen Kompetenz
D591 Soziale Arbeit in der Gruppe: Umgang mit beruflichen Belastungen
und Konflikten am Arbeitsplatz
D593 Soziale Arbeit in der Gruppe: Berufliche Orientierung und
berufliche Integration
D595 Soziale Arbeit in der Gruppe: Sozialrechtliche Fragen
D596 Soziale Arbeit in der Gruppe: Training der sozialen Kompetenz
18
3.5.3 Berufsbezogene Gruppen
> Detaillierte Beschreibung
Ziele: Arbeits­ und berufsbezogene Gruppen sind Therapiegruppen und/
oder edukative Gruppen, die ausgerichtet sind auf die Bewältigung von be­
lastenden Situationen im Erwerbsleben, die Auswirkungen auf den Gesund­
heitszustand der Teilnehmenden haben. Sie thematisieren umgekehrt auch
die Auswirkungen der chronischen Erkrankung oder Behinderung auf das
Erwerbsleben.
Damit werden folgende Therapieziele verfolgt:
> die realistische Einschätzung und Entwicklung der eigenen Kompeten­
zen und Ressourcen
> eine zielgerichtete Verhaltens­ und Einstellungsänderung sowie
> die Vermittlung von Strategien zur Verarbeitung belastender Situationen
am Arbeitsplatz.
Inhalte: Wesentliche Inhalte können auf theoretische Konzepte zu Motivie­
rung, Wissensvermittlung und Erarbeitung von Kompetenz zurückgeführt
werden. Damit sollen die Teilnehmenden zur Hilfe durch Selbsthilfe befähigt
werden. Ausgangspunkt der gruppentherapeutischen Arbeit ist die Reflexi­
on der individuellen Arbeitssituation aller Teilnehmenden. Die therapeuti­
schen Einheiten basieren auf bewährten Verhaltens­ und Problemanalysen.
Es können verschiedene berufliche Themen wie soziale Konflikte am Ar­
beitsplatz, Arbeitsmotivation, Stressbewältigung im Erwerbsleben, Arbeits­
losigkeit, Sozialrecht/Sozialmedizin oder auch Probleme bei der Rückkehr
an den Arbeitsplatz bearbeitet werden.
Durchführung: Berufsbezogene Gruppen werden – je nach spezifischer
Fragestellung – in Kleingruppen mit bis zu 5 Teilnehmenden oder in
Gruppen mit bis zu 15 Teilnehmenden durchgeführt. Dabei sind themen­
spezifische Gruppenangebote vorstellbar, die je nach Indikationsstellung
angeboten werden. Sinnvoll erscheint eine Differenzierung in ein Motiva­
tionsmodul, ein Modul zur Erlangung spezifischen Wissens bezüglich der
Zusammenhänge und Erklärungsmuster von Arbeit und Gesundheit und ein
Bearbeitungsmodul zum Erlernen neuer Bewertungs­ und Verarbeitungs­
muster. Wichtig sind die aktive Beteiligung der Rehabilitandinnen und Re­
habilitanden sowie die Verwendung verschiedener Methoden und Medien.
Die Erwartungen der Teilnehmenden sollten ebenso Bestandteil der Grup­
penarbeit sein wie Zielvereinbarungen und die Überprüfung der gestellten
Ziele.
Die Ziele, Inhalte und Durchführung berufsbezogener Gruppen sollten in
einem entsprechenden Manual standardisiert dargestellt werden.
Hinweise zur Indikation
Besonders geeignet für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit in der
Regel selbst geäußerten Problemen am Arbeitsplatz bzw. mit der Arbeits­
situation. Relevante Indikatoren sind: Konflikte mit Kollegen/Vorgesetzten,
Über­/Unterforderungssituationen, Arbeitsunzufriedenheit, erhöhtes Stres­
serleben, berufliche Ängste, erhebliche Veränderungen der Arbeitssituation.
Dauer: mind. 45 min
Häufigkeit: 4–10 Termine
19
> Formale Charakterisierung
Strukturelle Voraussetzungen
Personelle Voraussetzungen: Psychologen/Psychotherapeuten, Sozialarbei­
ter/Sozialpädagogen, Ärzte, Ergotherapeuten
Sonstige Voraussetzungen: übliche Ausstattung für Gruppenarbeit und
Moderation
Betroffener Rehabilitandenanteil in Einrichtungen
abhängig von der Indikation; ca. 25–75 % aller Rehabilitanden mit BBPL
Abbildung in der KTL 2015
D581 Soziale Arbeit in der Kleingruppe: Umgang mit beruflichen
Belastungen und Konflikten am Arbeitsplatz
D583 Soziale Arbeit in der Kleingruppe: Berufliche Orientierung und
berufliche Teilhabe
D586 Soziale Arbeit in der Kleingruppe: Training der sozialen Kompetenz
D591 Soziale Arbeit in der Gruppe: Umgang mit beruflichen Belastungen
und Konflikten am Arbeitsplatz
D593 Soziale Arbeit in der Gruppe: Berufliche Orientierung und
berufliche Integration
D596 Soziale Arbeit in der Gruppe: Training der sozialen Kompetenz
F571 Psychologische Gruppenarbeit problemorientiert:
Stressbewältigung
G576 Psychotherapie psychodynamisch in der Gruppe: Arbeitsweltbezogene Gruppe (nur in Psychosomatik/ Psychotherapie/Psychiatrie)
G602 Psychotherapie verhaltenstherapeutisch in der Gruppe:
Training sozialer Kompetenzen und Fertigkeiten (nur in Psychosomatik/Psychotherapie/ Psychiatrie)
G605 Psychotherapie verhaltenstherapeutisch in der Gruppe:
Arbeitsweltbezogene Gruppe (nur in Psychosomatik/
Psychotherapie/Psychiatrie)
H84 Förderung zur beruflichen Reintegration in der Gruppe
3.5.4 Arbeitsplatztraining
> Detaillierte Beschreibung
Ziele: Das Arbeitsplatztraining beinhaltet das Training typischer, arbeits­
üblicher Bewegungsabläufe, die für die Bewältigung der Arbeitsanforderun­
gen notwendig sind. Übergeordnetes Ziel ist eine Steigerung der Leistungs­
fähigkeit hinsichtlich der physischen Anforderungen am Arbeitsplatz.
Zielstellungen sind:
> Neubewertung der eigenen Leistungsfähigkeit
> Verbesserung der Bewegungssicherheit
> Automatisierung von Bewegungshandlungen unter ergonomischen
Gesichtspunkten
> Kräftigung der für die berufliche Tätigkeit relevanten Muskelgruppen.
20
Inhalte: Im Arbeitsplatztraining werden arbeitsplatzrelevante, komplexe
Bewegungsabläufe trainiert (zum Beispiel Heben, Tragen, Schieben, vor­
geneigtes Stehen). Die einzelnen Trainingselemente bilden tatsächliche
Arbeitsaufgaben in Ausführung und körperlicher Beanspruchung möglichst
realitätsnah ab. Trainiert werden Bewegungsaufgaben, für die Diskrepan­
zen zwischen Arbeitsanforderungen und aktueller Leistungsfähigkeit der
Rehabilitandinnen und Rehabilitanden bestehen. Die Grundlage für die
Auswahl der zu trainierenden Bewegungsabläufe bildet daher die anforde­
rungsorientierte Diagnostik (vgl. Kapitel 3.5.1).
Das Arbeitsplatztraining wird mittels standardisierter Materialien etablier­
ter Verfahren zur Evaluation funktioneller Leistungsfähigkeit durchgeführt.
Durch den Einsatz zusätzlicher Arbeitsmaterialien und Modellarbeitsplätze
kann die Realitätsnähe noch erhöht werden.
Durchführung: Das Arbeitsplatztraining basiert in der Regel auf der ein­
gangs durchgeführten Diagnostik. Eingangsbelastung und Trainingsplan
werden auf Grundlage der aktuellen körperlichen Leistungsfähigkeit und
der kritischen Arbeitsanforderungen festgelegt. Die Eingangsbelastung
orientiert sich an den Anforderungen, die ergonomisch noch korrekt aus­
geführt werden konnten.
Das Training wird grundsätzlich in Kleingruppen durchgeführt, kann jedoch
auch als Einzeltherapie konzipiert sein. Innerhalb des Trainings werden der
Schwierigkeitsgrad, die Intensität und die Belastung sukzessive gesteigert.
Eine Ausrichtung des Trainings an individuellen Trainingsquoten („working­
to­quota plan“) soll vermeiden, dass die Rehabilitandinnen und Rehabilitan­
den ihre Belastung weiter durch Schmerzvermeidung steuern („working­
to­tolerance plan“). Während des Arbeitsplatztrainings sollten regelmäßige
Gespräche mit den Rehabilitandinnen und Rehabilitanden geführt werden,
in denen die individuellen Trainingspläne abgestimmt und die Ziele bzw. die
Zielerreichung überprüft und ggf. modifiziert werden.
Hinweise zur Indikation
Besonders geeignet für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden mit berufs­
oder tätigkeitsspezifischen körperlichen Leistungs­ und Funktionseinschrän­
kungen bei gleichzeitig positiver Erwerbsprognose; primär für somatische
Indikationen
Dauer: mind. 120 min pro Woche
> Formale Charakterisierung
Strukturelle Voraussetzungen
Personelle Voraussetzungen: Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Arbeits­
erzieher, Berufspädagogen, Sportlehrer, Sportwissenschaftler und weitere
lt. KTL­2015. Für die Durchführung des Arbeitsplatztrainings ist eine ent­
sprechende Fortbildung erforderlich (zum Beispiel Evaluation funktioneller
Leistungsfähigkeit nach Isernhagen).
Sonstige Voraussetzungen: Raum mit entsprechenden Arbeitsmaterialien
zur Testung und zum Training tätigkeitsspezifischer Bewegungsmuster (zum
Beispiel Heben, Schieben/Ziehen, Tragen, Schrauben, langes Sitzen) bzw.
geeignet ausgestattete Modellarbeitsplätze
21
Betroffener Rehabilitandenanteil in Einrichtungen
abhängig von der Berufsgruppe; ca. 50–80% aller Rehabilitanden mit
somatischer Indikation und BBPL
Abbildung in der KTL 2015
A570 Arbeitsplatzbezogenes Muskelkrafttraining in der Kleingruppe
A602 Spezifisch ausgerichtete Sport- und Bewegungstherapie
orientiert anden Anforderungen des Arbeitsplatzes in der Gruppe
A654 Arbeitsplatzorientierte Sport- und Bewegungstherapie einzeln
E55 Arbeitstherapie einzeln
E56 Arbeitstherapie in der Kleingruppe
E57 Arbeitstherapie in der Gruppe
E58 Arbeitsplatztraining einzeln
E59 Arbeitsplatztraining in der Kleingruppe
3.6 Spezifische MBOR-Angebote
Wie unter Zf. 3 ausgeführt richten sich spezifische MBOR­Angebote an die
Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, bei denen trotz einer intensivierten
berufsbezogenen medizinischen Rehabilitation mit den MBOR­Kernange­
boten nicht absehbar ist, dass sie ihren alten oder einen entsprechenden
Arbeitsplatz wieder erfolgreich einnehmen können und ggf. Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) erforderlich werden. Die spezifischen
MBOR­Angebote in Gestalt der Belastungserprobung MBOR zielen auf die
Identifikation des konkreten Reha­Bedarfs dieser Rehabilitandinnen und
Rehabilitanden, die Erarbeitung einer neuen beruflichen Perspektive sowie
die Unterstützung der Einleitung ggf. folgender Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben. Damit ist die Zielgruppe für spezifische MBOR­Angebote
begrenzt auf Einzelfälle innerhalb der Gruppe der Personen mit BBPL.
Belastungserprobung MBOR
Bei der Belastungserprobung MBOR handelt es sich um eine primär diag­
nostische Leistung, die dazu dient, die persönliche psychische und phy­
sische Belastungsfähigkeit von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden
einzuschätzen. Dafür sollten möglichst realitätsnahe Arbeitsbedingungen
bereitgestellt werden. Dies kann sowohl innerhalb der Reha­Einrichtung
als auch in Zusammenarbeit mit externen Stellen (zum Beispiel Einrichtun­
gen zur beruflichen Rehabilitation und/oder Phase II­Einrichtungen) gesche­
hen. In der Belastungserprobung MBOR werden die Anforderungen eines
vorhandenen oder zu erwartenden Arbeitsplatzes möglichst realitätsnah
abgebildet und mit dem individuellen Leistungsprofil abgeglichen. Dadurch
wird unter anderem eine Grundlage für die sozialmedizinische Leistungs­
beurteilung geschaffen. Weitere Ziele können sein:
Diagnostische Ziele
> Möglichkeit einer Wiedereingliederung des Rehabilitanden prüfen
> Ausgangspunkt für die Einleitung von Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben
Therapeutische Ziele
> Förderung einer realitätsgerechten Selbsteinschätzung des
Rehabilitanden
> Erprobung der in der Therapie erarbeiteten adäquaten Verhaltens­
muster (zum Beispiel Umgang mit Leistungsanforderungen und inter­
aktionellen Konflikten)
22
MBOR­Belastungserprobungen sind besonders geeignet für:
> Rehabilitanden mit ausgeprägten berufs­ bzw. tätigkeitsspezifischen
physischen und psychischen Leistungs­ und Funktionseinschränkungen
bei gleichzeitig positiver Erwerbsprognose,
> bei Unklarheiten bzgl. der sozialmedizinischen Beurteilung,
> Rentenantragsteller,
> Versicherte mit abgelehntem Rentenantrag.
Die Überprüfung beruflicher und sozialer Kernkompetenzen kann je nach
beruflicher Ausgangssituation in verschiedenen Arbeitsbereichen erfolgen.
Je nach Fragestellung werden die Dauerbelastbarkeit, das Verhalten bei
Mehrfachanforderungen, Arbeitsverhalten und Arbeitsleistung, Sozialver­
halten sowie die psychische und körperliche Belastbarkeit getestet. Es geht
auch um die Förderung sozialer Kompetenzen im Beruf, das Bearbeiten
berufsrelevanter problematischer Verhaltensmuster, das Üben eines Ar­
beitstages unter Alltagsbedingungen, das Knüpfen beruflich förderlicher
Kontakte sowie die Steigerung der Motivation zu einer Bewerbung. Bei der
abschließenden Beurteilung sollten standardisierte Bewertungsmodule, zum
Beispiel das diagnostische Instrumentarium MELBA oder selbsterarbeitete,
in der Qualität vergleichbare, valide Instrumente eingesetzt werden.
Die Belastungserprobung MBOR wird von der Reha­Einrichtung organi­
siert, gesteuert und supervidiert. Sie kann in einer Kleingruppe (zum Bei­
spiel projektorientierte Gruppe) oder im Einzelfall auch als Einzeltherapie
durchgeführt werden. Dauer und Häufigkeit der Belastungserprobung sind
variabel auf den Einzelfall abzustimmen. Die Vorbereitung auf die Belas­
tungserprobung MBOR erfolgt je nach Konzeption und Aufgabenverteilung
in der Einrichtung im Rahmen der Ergotherapie, der Psychotherapie oder
im Arbeitsplatztraining. Eine externe Belastungserprobung MBOR kann
auch in Form eines Praktikums oder einer Hospitation in einem Betrieb
durchgeführt werden. Hierbei kann zunächst mit reduzierter Arbeitszeit
und einer systematischen Steigerung des Stundenumfangs bis hin zu einem
8­Stunden­Arbeitstag begonnen werden. Ebenso ist die Erprobung auch
tageweise möglich. Die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sollen im
Erprobungsfeld durch geeignete Therapeuten begleitet und ihre Leistungs­
fähigkeit beobachtet werden. Gegebenenfalls werden begleitend Gruppen
zum Thema Arbeitsleben und Sozialmedizin sowie Einzelberatungsgesprä­
che angeboten.
Formale Charakterisierung
> Strukturelle Voraussetzungen
Personelle Voraussetzungen: Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Arbeits­
erzieher, Berufspädagogen und weitere lt. KTL­2015.
Betroffener Rehabilitandenanteil in Einrichtungen
abhängig von Indikation und Berufsgruppe
Abbildung in der KTL 2015
E60 Verhaltensbeobachtung zur arbeitsbezogenen Leistungs-
beurteilung einzeln
E61 Verhaltensbeobachtung zur arbeitsbezogenen Leistungsbeurteilung in der Kleingruppe
E62 Belastungserprobung einzeln
E63 Bilanzierungsgespräch bei externem Arbeitsplatzpraktikum
einzeln
23
4 Schlussbemerkung
In der Übersicht im Anhang sind die zentralen Bausteine der Medizinisch­
beruflich orientierten Rehabilitation im Auftrag der Deutschen Rentenver­
sicherung zusammengefasst. Darüber hinaus kann jeder Leistungsträger
spezifische, etwa regionale Besonderheiten beachtende Merkmale definie­
ren. Insofern stellt dieses Anforderungsprofil einen orientierenden Rahmen
dar, der ausreichenden Spielraum zur weiteren Ausgestaltung, Präzisierung
und Weiterentwicklung – sowohl durch Leistungsträger als auch durch
Rehabilitationseinrichtungen – belässt.
24
Zusammenfassende Darstellung der Anforderungen an die MBOR-Angebote für Rehabilitanden mit besonderer beruflicher Problemlage
MBOR-Angebote
Dauer/
Häufigkeit
Anzahl
Teilnehmer
Sonstige
Voraussetzungen
Rehabilitandenanteil
Abbildung in der KTL
1) Berufsbezogene Diagnostik
90 min
1 oder Kleingruppe bis 5
Raum zur Testung und Diagnostik
100 %
C580, E60, E61
100 %
C580, D561, D562, D563,
1–2 x
2) Psychosoziale Arbeit in der MBOR
15–45 min
1 oder Kleingruppe bis 5,
2–5 x
Gruppe bis 15
D569, D581, D583, D585,
D586, D591, D593, D595,
D596, E672, F552
3) Berufsbezogene Gruppen
45/60 min
Kleingruppe bis 5, Gruppe
4–10 x
bis 15
25–75%
D581, D583, D586, D591,
D593, D596, F571, G5762,
G6022, G6052, H84
4) Arbeitsplatztraining
120 min
1 oder Kleingruppe bis 5,
Vorliegen einer detaillierten Arbeits-
pro Woche
Gruppe bis 15
platz- oder Tätigkeitsbeschreibung,
50–80%
A570, A602, A654, E55, E56,
E57, E58, E59
Raum zur Testung / zum Training
tätigkeitsspezifischer Bewegungsmuster bzw. Modellarbeitsplätze
5) Belastungserprobung MBOR
variabel
1 oder Kleingruppe bis 5
Vorliegen einer detaillierten Arbeits-
Abhängig von
platz- oder Tätigkeitsbeschreibung,
Indikation und
Raum zur Testung und / zum Training
Berufsgruppe
E60, E61, E62, E63
tätigkeitsspezifischer Bewegungsmuster, Modellarbeitsplätze oder in
Kooperation mit Einrichtungen zur
beruflichen Rehabilitation und/oder
Betrieben verschiedener Fachrichtung
Summe (ohne 5)
11–25 h pro Reha1
Anmerkungen: Dauer und Häufigkeit stellen Mindestangaben dar;
1
Berechnung auf Basis von Dauer und Häufigkeit bei tatsächlichem Bedarf im Rahmen einer dreiwöchigen Rehabilitation, die Spannbreite ist bedingt durch die individuellen Problemlagen;
2
nur Psychosomatik/Psychotherapie
25
Notizen
Impressum
Herausgeber: Deutsche Rentenversicherung Bund
Geschäftsbereich Sozialmedizin und Rehabilitation
Bereich Reha-Wissenschaften
10709 Berlin, Ruhrstraße 2
Postanschrift: 10704 Berlin
Telefon: 030 865–0
Telefax: 030 865–27240
www.deutsche-rentenversicherung-bund.de
E-Mail: [email protected]
4. Auflage (11/2015)
Ansprechpartner: Dr. Rolf Buschmann-Steinhage
E-Mail: [email protected]
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BND_BR_609509_00