c/o Steffen Tänzer, Bahnhofstraße 1, 04435 Schkeuditz BSG Chemie Leipzig BSC Rapid Chemnitz Sächsischer Fußballverband e.V. Ihr Ansprechpartner Steffen Tänzer Telefon +49 (0)34204-14136 Email [email protected] Datum 09.02.2016 VGV 27/15-2016 Urteil In der Sportrechtssache der BSG Chemie Leipzig e.V. vertreten durch RA Andreas Richter beteiligt BSC Rapid Chemnitz e.V. Sächsischer Fußballverband e.V. wegen Vorwurf schuldhafter Nichtantritt u.a. hat das Verbandsgericht des Sächsischen Fußballverbandes e.V. nach Beratung im schriftlichen Verfahren am 05.02.2016 in der Besetzung Steffen Tänzer (Vorsitzender) Knut Mager (Beisitzer) Claudia Reich (Beisitzerin) für R e c h t erkannt: 1. Das Urteil des Sportgerichts des Sächsischen Fußballverbandes e.V. vom 23.12.2015 (betreffend die Aktenzeichen 62/AS/2015-16 und 63AS/2015-16) wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sportgericht des Sächsischen Fußballverbandes e.V. zurückverwiesen. 2. Die Kosten des Fußballverband. Berufungsverfahrens trägt der Sächsische Gründe: I. Mit Schreiben vom 29.12.2015 legte die BSG Chemie Leipzig e.V. (nachfolgend: Berufungsführer) gegen die Entscheidung des Sportgerichts des Sächsischen Fußballverbandes e.V. vom 23.12.2015 Berufung ein. Mit dem eingelegten Rechtsmittel wird im vorliegenden Verfahren die Aufhebung des Urteils und die Wertung des Spiels zu Gunsten des Berufungsführers, hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung an das erstinstanzlich erkennende Sportgericht erstrebt. Dem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Berufungsführer ist als ein den Fußballsport ausübender Mehrspartenverein Mitglied des Fußballverbandes der Stadt Leipzig e.V. und über diesen auch Mitglied im Sächsischen Fußballverband (SFV). Er nimmt als solcher mit seiner 1. Herrenmannschaft am laufenden Spielbetrieb der WERNESGRÜNER Sachsenliga in der Saison 2015/2016 teil. Am 14.11.2015 war im Rahmen des Spielbetriebes um 14.00 Uhr im AlfredKunze- Sportpark Leipzig das Meisterschaftsspiel Nr. 96 gegen den BSC Rapid Chemnitz angesetzt. Die Partie gelangte am Spieltag nicht zur Austragung, nachdem der BSC Rapid Chemnitz aus Sicherheitsbedenken den Antritt zum Spiel verweigerte. So soll vor dem Nichtantritt im Innenbereich des Stadions ein tätlicher Angriff gegen den Physiotherapeuten der Mannschaft, Sportfreund Tim Herold, erfolgt sein, der von hinten am Hals gepackt und anschließend zu Boden gerissen worden sein soll. Sportfreund Herold soll zuvor eine ihm zugeworfene Kamera, mit der Ereignisse vor dem Stadion gefilmt worden sein sollen, gesichert haben. Im Anschluss an diese Auseinandersetzung hätten Spieler der Gastmannschaft diese Kamera in ihre Spielerkabine verbracht. Hierbei sollen sie von Fans des Heimvereins bis in ihre Kabine verfolgt worden sein. Ein Eindringen der Fans des gastgebenden Vereins in die Kabine des BSC Rapid sei nur dadurch verhindert worden, dass sich mehrere Spieler in den Türrahmen der offenen Tür stellten. Auch sollen wiederum tätliche Angriffe stattgefunden haben. So seien diese Spieler an ihren Kleidungsstücken gepackt, gegen den Türrahmen gedrückt und Seite 2 unter der Androhung von Schlägen erneut zur Herausgabe der Kamera bzw. des Speichersticks sowie des Handys mit den Videoaufnahmen aufgefordert worden. Dem Schiedsrichterteam wurde nach Gesprächen mit Trainern, Kapitänen und weiteren Mannschaftsverantwortlichen am Spieltag gegen 14.30 Uhr der Nichtantritt vom BSC Rapid Chemnitz mitgeteilt. Der Berufungsführer ist bereits im sportgerichtlichen Verfahren dem Vortrag des BSC Rapid Chemnitz entgegengetreten und hat eine Gefährdungslage bestritten. Auf die insoweit gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen. Das Sportgericht des Sächsischen Fußballverbandes entschied am 23.12.2015, dass die Begegnung der beiden Vereine zu wiederholen sei. Das Spiel sei ab März 2016 auf Weisung des Staffelleiters in der Spielstätte des FC Grimma auszutragen, dem hierfür die Einnahmen zuständen. Die Kosten von Sicherheitsauflagen hätten beide Vereine jeweils zu Hälfte zu tragen, die Reisekosten verbleiben bei den jeweiligen Mannschaften. Überdies hätten beide Vereine die Kosten für das jeweils gegen sie eingeleitete sportgerichtliche Verfahren in Höhe von € 25,00 zu tragen. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Vereine im Verfahren jeweils widersprechende Stellungnahmen abgegeben hätten. Sie bestritten beide jeweils die ihnen zur Last gelegten Sachverhalte. Das Sportgericht sei nach Würdigung der Einlassungen zu dem Ergebnis gekommen, dass auch mit einer möglichen mündlichen Verhandlung eine Aufklärung des Sachverhalts nicht mit letzter Sicherheit zu erwarten sei. Zwar hätten die Vereine für ihre Einlassungen entsprechende Beweismittel angeboten. Indes stünde zu erwarten, dass jeweils zu Lasten des anderen Vereins Zweifel verbleiben, weshalb das Meisterschaftsspiel zur Wiederholung anzusetzen mit den sich aus dem Tenor ergebenden Folgen anzusetzen sei. II. Gegen das dem Berufungsführer am 23.12.2015 im elektronischen Postfach zugegangene Urteil wurde am 29.12.2015 Berufung eingelegt und begründet. Nach Ansicht des Berufungsführers sei das Sportgericht auf Grund einer nicht durchgeführten Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung fehlerhafter rechtlicher Erwägungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Aufklärung nicht mit letzter Wahrscheinlichkeit möglich sein soll. Seite 3 Das Sportgericht habe das von den Parteien getätigte Vorbringen weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zutreffend und ausreichend gewürdigt. Zudem mache es sich das Sportgericht zu leicht, wenn es im Wege einer antizipierten Beweiswürdigung vollständig auf eine Beweisaufnahme verzichtet habe. . Angesichts des jetzigen Verfahrensstandes sei aus der Sicht des Berufungsführers nicht erwiesen, dass der Neuaustragung des Spiels auf dem Platz des Berufungsführers eine Bedrohungslage entgegengestanden hätte. Das angegriffene Urteil lasse schließlich auch keine Sanktionierung des BSC Rapid Chemnitz erkennen, der durch seinen Nichtantritt die Ursache für die Nichtdurchführung des Spiels gesetzt habe. Die BSG Chemie Leipzig habe ihrerseits unverzüglich im Zusammenhang mit den Vorkommnissen durch den Einsatz von gewerblichen und Fanordnern reagiert. Die beabsichtigte Neuansetzung des Spiels auf dem Platz in Grimma führe für den Berufungsführer zu Folgeschäden von ca. € 10.000,00, was unverhältnismäßig sei. Zudem sei eine Wiederholung auf neutralem Platz in der Spielordnung weder vorgesehen noch im vorliegenden Fall geboten. Der Berufungsführer stellt daher die Entscheidung des Sportgerichtes in vollem Umfang zur Überprüfung. Er beantragt sinngemäß, das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich aufzuheben und die Begegnung der WERNESGRÜNER Sachsenliga Nr. 96 mit 2:0 Toren und 3 Punkten für die BSG Chemie Leipzig zu werten, hilfsweise, das Verfahren zur erneuten Verhandlung an das Sportgericht des SFV zurückzuverweisen. III. Mit Verfügung des Verbandsgerichtes vom 29.12.2015 wurden sowohl der BSC Rapid Chemnitz als auch der Sächsische Fußballverband zum Verfahren beigeladen. Von beiden sind im Verfahren Stellungnahmen nicht abgegeben worden. Im Gegensatz zu anderslautenden Presseberichten hat der BSC Rapid Chemnitz auch zu keinem Zeitpunkt eine eigene Berufung eingelegt. Seite 4 IV. Die Berufung des Berufungsführers ist zulässig. Sie richtet sich gegen eine rechtsbehelfsfähige Entscheidung des Sportgerichts, für deren Überprüfung das Verbandsgericht gemäß § 14 Abs. 1 RVO i.V.m. § 7 Abs. 2 RVO als Rechtsmittelinstanz zuständig ist. V. Die Berufung des Berufungsführers ist auch im Hilfsantrag begründet. Das Urteil des Sportgerichtes weist nach Ansicht des Verbandsgerichts erhebliche Mängel auf, weshalb es keinen Bestand haben kann. Im Einzelnen: 1. Das Verbandsgericht sieht sich bereits ausweislich des angegriffenen Urteilstextes nicht in der Lage, Tatbestand und Entscheidungsgründe des Sportgerichts im vorliegenden Einzelfall nachzuvollziehen und einzuschätzen, ob die ausgesprochene Rechtsfolge zulässig ist. a.) Zwar enthält das Urteil gemäß § 27 Absatz 1 RVO das Element der Entscheidungsgründe. Diese sind jedoch im vorliegenden Fall lediglich allgemein und im Widerspruch zur gängigen Praxis der im Geltungsbereich des SFV zuständigen Gerichtsbarkeit wiedergegeben. b.) Das Urteil lässt insbesondere weitergehende notwendige Ausführungen zu § 27 Ziffer 1 lit. h) RVO vermissen. Erkennbar ist in keiner Weise, von welchen Kriterien sich das Gericht beim Rechtsfolgenausspruch hat leiten lassen. Im Sinne der vorgenannten Kriterien fehlt es vorliegend an einer klaren Darstellung der der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen. Basis für solche der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen kann nach ständiger Rechtsprechung des Verbandsgerichtes nur eine entsprechende Tatsachenermittlung des Gerichts sein (vgl. hierzu u.a VGV 21/10-2011). Hieran fehlt es in der angegriffenen Entscheidung. Seite 5 Schon nach dem Urteilstext wurde eine abschließende Tatsachenermittlung des Gerichts nicht vorgenommen. Es ist dabei nicht ausreichend, wenn die dem Verbandsgericht letztlich zur Verfügung gestellten Unterlagen aufzeigen, dass das Sportgericht eigene Nachforschungen angestellt hat. Die darin durch den Richter gewonnenen Erkenntnisse und die durch diesen hieraus gezogenen Schlüsse müssen vielmehr weit möglichst transparent in der dann getroffenen Entscheidung aufzufinden und gedanklich nachvollziehbar sein. c.) Das Sportgericht hat vorliegend zwar eigene Ermittlungen angestellt und den Beteiligten durchaus aufgegeben, zu einzelnen Positionen Stellung zu nehmen. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen ist jedoch, und hieran krankt die Entscheidung, dass die vom Gericht getroffenen Feststellungen auch in diese Entscheidung bildlich Eingang zu finden haben (vgl. u.a VGV 21/10-2011). Die für das Verfahren in der Sportgerichtsbarkeit gebotene rechtsstaatliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gebietet es, dass die Entscheidung aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar ist. Das vorliegende Urteil des Sportgerichtes ist dies nicht. Den neu zu treffenden richterlichen Entscheidungen muss zu entnehmen sein, welche Tatsachen die zu treffende Entscheidung tragen und welche rechtlichen Wertungen, insbesondere unter Berücksichtigung des Verdachtes des unsportlichen Verhaltens von Fans bzw. des Verhaltens von dem Verein nach § 39 RVO zuzurechnenden Personen bezüglich des Berufungsführers sowie des Verdachtes des schuldhaften Herbeiführens eines Nichtantritts nach § 34 Absatz 1 lit. e) RVO bezüglich des BSC Rapid Chemnitz, das Sportgericht hieraus gezogen hat. Zu klären ist in jedem Fall, ob die Absage des Meisterschaftsspiels nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen vom BSC Rapid Chemnitz schuldhaft verursacht wurde oder nicht. d.) Da diese Erkenntnisse auch aus dem Akteneinhalt nicht zu entnehmen sind, kann der Berufungsführer mit seinem Hauptantrag, das Spiel zu seinen Gunsten gewertet zu sehen, nicht durchdringen. 2. Das Sportgericht wird im weiteren Verlauf eine mündliche Verhandlung durchzuführen haben. Seite 6 a.) Der wechselseitige Vortrag der beteiligten Vereine sowie die vorliegende Stellungnahme des Schiedsrichterassistenten Lukas Taugerbeck zeigen, dass keine Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch das Sportgericht ergehen kann, sondern eine mündliche Verhandlung unter Ladung der Beteiligten durchzuführen ist, § 18 Absatz 1 RVO. Das Sportgericht hat sich sodann im Rahmen der Beweiswürdigung die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer (behaupteten) Tatsache zu bilden. Hierbei hat es unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine Tatsache bewiesen oder nicht bewiesen ist. Nur soweit gesetzliche Vermutungen und Beweisregeln in der zu entscheidenden Angelegenheit eingreifen, ist das Gericht daran gebunden. b.) Nur vorsorglich: Der Berufungsführer hat im vorliegenden Verfahren zutreffend gerügt, dass die Ablehnung einer Beweisaufnahme durch das Sportgericht einen Verstoß gegen das Verbot der unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung darstellt. Dieser Grundsatz aus dem Zivilrecht gilt nach ständiger Rechtsprechung auch im Bereich der Sportrechtsprechung. Eine Beweisaufnahme über eine beweiserhebliche Behauptung darf somit nur dann abgelehnt werden, wenn sie so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie "ins Blaue hinein" aufgestellt und deshalb rechtsmissbräuchlich ist (vgl. BGH Urteil vom 08.11.1995 = NJW 1996, 394 m. w. N.). Weder das eine noch das andere ist hier der Fall. 3. Dem Berufungsführer ist schließlich auch zuzugeben, dass die vom Sportgericht getroffene Folgerung der Neuansetzung auf neutralem Boden mit den weitergehenden tatsächlichen und finanziellen Folgen ohne entsprechende richterliche Überzeugung von der Zurechenbarkeit des Berufungsführers bezüglich der Nichtdurchführung des Spiels rechtswidrig ist. Das Sportgericht wird – selbst wenn der Nachweis der Verantwortlichkeit des Berufungsführers für die Nichtdurchführung geführt werden kann – darzustellen haben, weshalb ein Spiel oder mehrere Spiele auf neutralem Boden, ggf. auch unter Berücksichtigung früherer Vergehen, eine verhältnismäßige Sanktion darstellen. 4. Weiter vorsorglich: Soweit das Sportgericht die Einnahmen einer eventuellen Wiederholung einem unbeteiligten Drittverein zugesprochen hat, entspricht Seite 7 dieses weder der in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen geübten Praxis noch ist eine derartige Sanktion durch sportrechtliche Vorschriften gedeckt. VI. Aufgrund der festgestellten Mängel war die Sache nach § 14 Abs. 4 RVO an das Sportgericht zurückzuweisen. VII. Nachdem das Rechtsmittel des Berufungsführers im Hilfsantrag vorliegend vollumfänglich zum angestrebten Erfolg führt und durchgreift, sind die Kosten des Berufungsverfahrens gem. § 26 Abs. 2 RVO des SFV dem SFV aufzugeben. Die einzahlte Berufungsgebühr von € 250,00 ist dem Berufungsführer zurück zu erstatten. gez. Steffen Tänzer gez. Knut Mager gez. Claudia Reich Seite 8
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