Wie ein Vertrieb aus einem Guss entstehen kann - KMU

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Marketing & Vertrieb
Vertriebsprozesse
Wie ein Vertrieb
aus einem Guss entstehen kann
Während in Herstellungsprozessen meist alle Schritte klar definiert und harmonisiert sind,
läuft es im Vertrieb oftmals eher nach Bauchgefühl. Dadurch wird viel Potenzial verschenkt.
Aus diesem Grund ist es ratsam, den Vertrieb ebenso klar zu strukturieren wie die Produktion und alle Mitarbeiter in klar definierte Prozesse einzubinden.
››Markus Milz
Eine mittelständische Produktionsstrasse
irgendwo in der Schweiz. Jeder Handgriff
sitzt. Alles läuft wie geschmiert. Jeder
Mitarbeiter weiss genau, welches Arbeitspaket er wann und wie abzuarbeiten und
in welchem Status er es an den nächsten
Kollegen zu übergeben hat. Das System
dokumentiert penibel, wie viele Pakete
erfolgreich fertiggestellt werden und wie
hoch der Ausschuss ist. Leider ist das, was
in der Herstellung lebenswichtig ist, in anderen Bereichen häufig unterentwickelt.
Während die Produktion wie am Schnürchen läuft, weil alle Schritte exakt definiert
und harmonisiert sind, gilt bei Neukundenakquisition, Anfragemanagement und
Kundenbetreuung immer noch das Pi-malDaumen-Prinzip: Die Verkäufer holen den
Auftrag herein und übergeben ihn an den
Innendienst, der schnellstens den Schreibkram erledigt und bald darauf die Produktion auslöst. Das klingt nach «bester Ordnung», ist es aber nicht.
Potenziale entdecken
Viele Unternehmen wissen nicht, wie
viel Potenzial in ihren Vertriebsaktivitäten ungenutzt bleibt oder welche Mass-
KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016
nahmen wirkungslos verpuffen, weil ihre
Vertriebsprozesse nicht exakt definiert
sind. Zu viele Vertriebsmitarbeiter arbeiten aus dem Bauch heraus, legen Terminvorgaben als Gummi-Paragrafen aus und
weisen die Schuld weit von sich, wenn ein
Auftrag verloren wird.
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kurz & bündig
Im Hinblick auf Aufwand und Erfolgswahrscheinlichkeit stellt das
Anfragemanagement als Teil des
Vertriebsprozesses den schnellsten und wirkungsvollsten Hebel
dar, Potenziale auszuschöpfen.
Viele Firmen erstellen überflüssige Angebote bei Alibianfragen
oder wenn nur ein Richtpreis eingeholt wird. Nicht jede Anfrage
hat also ein Angebot verdient.
Bei einer Optimierung geht es
nicht nur um eine perfekte Abwicklung. Im Zentrum steht auch
eine Typisierung des potenziellen
Kunden mit Blick auf die Erfolgsund Ertragschancen seines Ansinnens.
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Aus diesem Grund ist es ratsam, den Vertrieb ebenso klar zu strukturieren wie die
Produktion. Alle Mitarbeiter werden in
klar definierte Prozesse eingebunden. Sie
beurteilen, bearbeiten und übergeben
nach festen qualitativen und zeitlichen
Kriterien und dokumentieren jederzeit,
wann welcher Schritt mit welchem Ergebnis abgeschlossen wurde. Vom Vertrieb
über die Produktion bis zu Lieferung und
After-Sales-Service entstünde eine Organisation aus einem Guss.
Ein für alle verbindliches Vertriebshandbuch entsteht, das idealerweise durch
eine neue Sales-Software, die den Prozess
grafisch abbildet, flankiert werden kann.
Oft ist zwar vorher schon eine Vertriebsunterlage vorhanden, existiert aber nur
zu Zwecken einer ISO-Zertifizierung oder
wird im Tagesgeschäft weitestgehend ignoriert.
Das Anfragemanagement
Im ersten Schritt werden die Kernprozesse im Vertrieb identifiziert. Diese Prozesse können je Unternehmen durchaus
unterschiedlich sein, beinhalten aber in
aller Regel immer:
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››Neukundenakquisition
››Bestandskundenmanagement
››Anfragemanagement
In grösseren Unternehmen kommen meist
mit dem Innovationsmanagement und
dem Marketing zwei weitere Kernprozesse
mit Vertriebsrelevanz hinzu. Im Hinblick
auf Aufwand und Erfolgswahrscheinlichkeit stellt das Anfragemanagement den
schnellsten und wirkungsvollsten Hebel
dar. Bei seiner Optimierung geht es nicht
nur um eine perfekte Abwicklung für den
Nachfrager. Gleichberechtigt im Zentrum
steht eine Typisierung des potenziellen
Kunden im Hinblick auf die Erfolgs- und
Ertragschancen seines Ansinnens. Viele
Unternehmen erstellen überflüssige Angebote, weil das Gegenüber nur einen Richtpreis einholen möchte oder eine Alibianfrage startet, um ein anderes Angebot
gegenzuchecken. Hier gilt: Nicht jede Anfrage hat auch ein Angebot verdient.
Der Sollprozess
Zunächst wird die Anfrage in einen Sollprozess mit mehreren, sauber umrissenen
und nacheinander zu durchlaufenden Unterprozessen überführt. Jeder Unterprozess erhält eine konkrete Verantwortlichkeit durch einen festen Mitarbeiter. Ein
Laufzettel listet bindende interne Fristen
auf und dokumentiert, in welchem Stadium sich die Anfrage zu jeder Zeit befunden hat. Der jeweilige Fortschritt in der Bearbeitung kann grafisch, gegebenenfalls in
Prozentpunkten, erfasst werden. Besonders elegant wirkt hier eine allen relevanten Personen zugängliche, serverbasierte
Softwarelösung.
Nun werden den Unterprozessen Ziele und
Handlungsanweisungen zugeordnet. So
würden die Ziele des ersten Unterprozesses «Annahme» lauten, dass alle Anfragen
freundlich und professionell aufgenommen und innerhalb eines Arbeitstages bestätigt werden. Dazu müssen die Eingangsbestätigung formuliert und eine Prüfliste
erstellt werden, die ausser technischen
Hinweisen auch Erinnerungen an praktische Verhaltensregeln enthält. So wird
Abb. 1: Die Kernprozesse im Vertrieb
Aufwand
Innovationsprozess
Neukundenakquisition
Bestandskundenmanagement
Anfragemanagement
Erfolgswahrscheinlichkeit
etwa bei einer Telefonanfrage nicht nur
festgelegt, wann spätestens abgenommen
wird und wie lange ein Anruf in der Warteschleife bleiben darf. Ebenso wird erinnert, dass aufmerksames Zuhören in eine
Bestätigung der Hauptgesprächspunkte
am Ende des Telefonats zu münden hat.
Die Vorteile eines solchen Vorgehens sind
eindeutig. Nicht nur, dass der Vertriebsprozess im Unternehmen harmonisiert
wird – seine Transparenz macht ihn eindeutig messbar, und seine Messbarkeit erlaubt einen effektiven und kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP).
Eine Beispiel-Segmentierung im Vertriebsprozess Anfragemanagement kann folgendermassen aussehen (siehe Abb. 2): Jedes
Segment dient dabei spezifischen Zwecken und ist durch eigene Tools und Check-
listen unterfedert. Für jeden Übergabepunkt sind Kriterien definiert, die erfüllt
sein müssen, damit eine Weiterleitung an
der Schnittstelle erfolgen darf:
1. Anfrageannahme: Formale Kriterien, Regeln zur Erreichbarkeit, nötige
Tools und Checklisten, Bearbeiter und
Weiterleitungskriterien an die Fachabteilung beziehungsweise Verantwortlichen.
2. Klassifizierung: Eine Erstbewertung
nach A-, B- und C-Kriterien sowie der generellen Machbarkeit findet statt. Die dafür nötigen Kriterien werden individuell
festgelegt. So etwa kann ein Bestandskunde immer mindestens ein B erhalten,
der direkte Entscheiderzugang ein ursprüngliches B zum A machen oder der
kleine Neuauftrag eines bekannten Unternehmens ein C-Kriterium in ein B oder gar
Literatur
Vertriebspraxis Mittelstand
Leitfaden für systematisches Verkaufen
Markus Milz
Springer / Gabler Verlag 2013
275 Seiten, € (D) 39,99
ISBN: 978-3658011970
KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016
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Marketing & Vertrieb
Sollprozess
Anfragemanagement
i. w. S.
Abb. 2: Wie man einen Vertriebsprozess segmentiert
ein A verwandeln. Wichtig dabei: Jede
dieser Kategorisierungen hat Konsequenzen auf der Handlungsebene. Ein Kunde
im A-Feld beispielsweise erhält SofortFeedback und wird auf Vertriebsleiterebene persönlich besucht. Ein B-Kunde erhält eine 24-Stunden-Rückmeldung per
individueller E-Mail, erweiterten Support
und persönlichem Ansprechpartner. Anfragen in der C-Kategorie werden ausschliesslich vom Innendienst bedient.
Hier packt auch der erste Türsteher zu:
Wenn etwas nicht zum Unternehmen
passt, sei es im Bereich, Technik, Preis
oder Kompetenzspektrum, wird freundlich, aber bestimmt abgesagt. Als hilfreiches Tool in dieser Phase hat sich eine grafische Bewertungsspinne erwiesen, die
objektive, feste Faktoren wie etwa die Unternehmensgrösse des Interessenten und
beeinflussbare Elemente wie die Ertragsaussichten gemeinsam in eine bildhafte
Form bringt (siehe Abb. 3).
3. Vorangebotsgespräch: Dieser Kontakt ist besonders wichtig und soll grundsätzlich vor jedem Angebot stattfinden.
Meistens wird es sträflich vernachlässigt
KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016
%?
oder fällt ganz aus. Sinnvoll ist es deshalb,
weil ein persönlicher Draht zum Anfrager
die Chancen auf den Zuschlag erhöht und
die Investitionsentscheidung begünstigt.
Zusätzlich dient es der Informationsgewinnung und erlaubt, die Ernsthaftigkeit
und die Kompetenz des Ansprechpartners
auszuloten. Das Vorangebotsgespräch
wird anhand einer Checkliste kontrolliert,
die dem vierten Schritt zur Verfügung ste-
Kriterien der Klassifizierung
Objektive Faktoren:
Kundengrösse (von / bis)
Sparte des Kunden
Innovationsstärke und -status
Produktmatch
Strategiematch
gegebenenfalls D-A-CH-Region
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››
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Beeinflussbare Faktoren:
›› Grad der Kundenmitarbeit
›› Zugang zum Entscheider
›› Ertragsaussichten
›› Investitionshaltung
›› Innovationsfreude
hen muss. Zielfragen können unter anderem lauten:
››Wann wird das Projekt konkret, hat es
Priorität?
Wie hoch ist das Budget?
Wie läuft der Entscheidungsprozess,
wer hat das letzte Wort?
Was ist dem Interessenten besonders
wichtig?
Handelt es sich womöglich nur um
eine Richtpreisanfrage?
Wann wird das Angebot benötigt und
ab wann hat ein Nachfassen Sinn?
…
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››
››
4. Anfragepriorisierung: In dieser
Phase werden die Klassifizierungen aus
Phase 2 auf der Basis neuer Informationen aus der Vorangebots-Checkliste verifiziert oder revidiert. Bleibt es bei der
Machbarkeit und den entsprechenden Erfolgschancen, kommt es zu einer terminlich festgelegten Angebotszusage dem
Kunden gegenüber.
5. – 7. Die Schritte 5 – 7 dienen der
Angebotsfindung und Angebotserstellung: In ihnen werden die Zeit opti-
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Marketing & Vertrieb
des Vorgehen und jede Muss-Technik wie
etwa Opal erinnert und deren Anwendung
formell bestätigt.
Abb. 3: Die grafische Bewertungsspinne
Wie gut arbeitet der Kunde mit?
Zugang zum
Entscheider
…
Ertragschancen
Sparte
9. – 10. Projektumsetzung /After
Sales: Hier beginnt den Übergang zu
weiteren Phasen des Kundenkontaktes,
die nur noch indirekt dem Anfragemanagement zugeordnet werden können.
Wichtig sind sie deshalb, weil an ihrer
Demarkations­linie alle entscheidenden
Punkte nicht nur abgearbeitet, sondern
auch auf dem Laufblatt oder in der Software als erledigt abgehakt sein müssen.
Vertrieb im 21. Jahrhundert
Unternehmensgrösse
Investitionsbereitschaft
Innovationshaltung
miert und alle Folgeschritte terminiert.
A-Anfragen etwa werden um einen Termin
für eine Angebotspräsentation gebeten.
Ausserdem sollen komplexe Projekte zum
Festpreis verhindert werden. In einem solchen Fall ist die Konzeptphase herauszulösen und ein anderes Projektmodell muss
gewählt werden. Das abschliessende Angebot fasst die wichtigsten Punkte des Vorabgesprächs noch einmal zusammen und
spiegelt, was dem Interessenten wichtig ist
und dem Produzenten hilfreich sein kann.
Falls machbar, weist es drei verschiedene
Varianten der Art «Basic», «Erweitert» und
«Premium» mit entsprechenden Preisen
aus. Wichtig auch hier: Saubere Dokumentation anhand einer Checkliste, die an alle
Einzelschritte und verbindlichen Vorgaben
erinnert.
8. Angebotsverfolgung / Verhandlung: Hier sind konstante Durchführung
und konsequente Abwicklung Trumpf. Bei
der Behandlung von Einwänden sind Findigkeit und Fleiss gefragt. Eine einheit­liche
Argumentationskette zu jedem denkbaren
Einwand entsteht, damit fortan verschiedene Mitarbeiter nicht etwa unterschiedlich und damit verwirrend argumentieren.
Bestimmt durch das Anfrage-ABC wird
festgelegt, welcher Mitarbeiter wann und
wie aktiv wird und welche Entscheidungsfreiheit er hat. Eine vorgefertigte Nutzenargumentation, gegebenenfalls anhand
von Opal-Fragen (Orientierungsfragen,
Problemfragen, Auswirkungsfragen, Lösungsfragen), liegt vor und trifft auf die
besten Ansprechpartner im Buying Center
des Nachfragenden. Wiederum wird an je-
Nach einer solchen Strukturierung aller
Vertriebskernprozesse liegt ein verbindliches Vertriebshandbuch vor. Jeder Mitarbeiter verpflichtet sich, nach den Statuten
des Vertriebs zu handeln. Der befürchtete
Verlust an Individualität seitens der Mitarbeiter wird durch sichere Orientierung
und zunehmende gemeinsame Erfolgs­
erlebnisse kompensiert. Zusätzlich zum
Handbuch kann eine schlanke Standalone-Software die Prozesse begleiten,
ohne aufwendig ins CRM integriert zu
werden. Bei entsprechendem Engagement und angemessenen Investitionen ist
sogar eine individuelle Tablet-App denkbar, die jedem Mitarbeiter im Vertrieb zur
Verfügung gestellt wird. «
Porträt
Markus Milz
Berater, Autor
Markus Milz ist Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Milz & Comp. Für KMU hat Milz systematische Module entwickelt, die messbare und nachhaltige Steigerungsraten bewirken. Er ist Autor, Trainer und
Redner sowie Initiator eines Verbundprojektes für den
Mittelstand. Hier treffen sich führende Vertreter der «Hidden Champions» zu einem moderierten Erfahrungsaustausch zu Vertriebs- und Wachstumsstrategien.
Kontakt
[email protected], www.milz-comp.de
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