Kretschmanns Dissertation 1914 und seine Arbeiten zu Einsteins

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Wolfgang Gebhardt, Regensburg:
Kretschmanns Dissertation 1914 und seine Arbeiten zu
Einsteins Spezieller (SRT) und Allgemeiner Relativitätstheorie
(ART) von 1915 und 1917.
!. Die Dissertation. Berlin 1914
Kretschmanns Dissertation, die im Mai 1914 in Berlin vorgelegt wurde, trägt den
Titel „Eine Theorie der Schwerkraft im Rahmen der ursprünglichen Einsteinschen
Relativitätstheorie“. Es wird ein komplexes Modell entwickelt, was für heutige
Leser umständlich und schwer verdaulich erscheint. Der Grund liegt weniger bei
dem vorsichtigen Kretschmann als mehr in der Unsicherheit, die damals noch
gegenüber grundsätzlichen Fragen herrschte. In der Einleitung diskutiert der
Autor auf 23 Seiten alle damaligen Versuche zur Aufstellung einer
entsprechenden Theorie. Zitiert werden H. Poincaré, H.A. Lorentz (1900), A.
Sommerfeld, H. Minkowski (1909), M. Abraham (1912), G. Nordström (1912), G.
Mie und A. Einstein. Einige der zitierten Physiker, wie H.A. Lorenz und M.
Abraham, hatten in ihren Arbeiten den ruhenden Äther noch nicht aufgegeben.
Grundsätzliche Fragen konnten aufgrund der experimentellen Befunde nur
unsicher oder garnicht beantwortet werden. War wirklich schwere gleich träger
Masse, wie Einstein (und M. Grossmann) mutig voraussetzten? Wie sollte aber
danni der Massenverlust durch radioaktiven Zerfall berücksichtigt werden?
Kommt der Hohlraumstrahlung Masse zu? Offensichtlich ist die Materie aus
positiver und negativer Ladung aufgebaut, aber die Gravitation scheint nur mit
der positiven Ladung verbunden zu sein. Da das Neutron noch lange unbekannt
blieb, war es schwer die Gravitation sicher von der viel größeren
elektromagnetischen Wechselwirkung (Faktor 1036) zu trennen. Diese
Unsicherheiten führten auf langwierige, aus heutiger Sicht völlig überflüssige
Diskussionen. Es war offensichtlich noch nicht klar, daß man den
Gravitationsdruck im Innern eines Himmels-Körpers nicht zu kennen braucht,
wenn man die Gravitation im Außenraum bestimmen will.
Kretschmann setzt sich auch mit der Einstein-Grossmann-Arbeit (1913)
auseinander, die den Entwurf einer geometrischen Deutung der Gravitation
enthältt und bereits die Gleichheit von träger und schwerer Masse als
Grundvoraussetzung ebenso wie das Äquivalenzprinzip enthält. Es taucht darin
auch schon der differentielle Abstand ds2 und der (gkl)-Tensor auf, sowie die
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Forderung, daß für eine Weltlinie das Integral über ds ein Minimum werden soll,
was auf die Geodätengleichung führt. Kretschmann kritisiert, dass diese
Beziehung inhaltsleer, d.h. ohne physikalischen Gehalt sei. Der (gkl)-Tensor steht
zwar für das alte skalaren Gravitationspotentials, aber es fehlt noch der
Zusammenhang mit den Quellen des Feldes, also mit dem Energie-Impuls-Tensor
(Tkl).
Kretschmann geht zwar in seiner Dissertation ausführlich auf Einsteins Arbeiten
ein, folgt selbst aber den anderen genannten Autoren, die bei einem skalaren
Gravitationspotential geblieben sind. Liest man in Kretschmanns Dissertation
die Skizzierung der alternativen Gravitationstheorien, welche bis 1914 publiziert
wordeb waren und berücksichtigt, daß die Abweichung von der Newtonschen
Gravitation nur in dem winzigen Effekt der Perihel-Bewegung des Merkurs
bestand, dann wird klar, dass alle diese Versuche ziemlich beliebig waren. Das
gilt mit einer Ausnahme: der Ansatz von Einstein und Grossmann. Offensichtlich
setzte sich Einstein einem erheblichen Risiko aus, da weder die Gleichheit von
schwerer und träger Masse, noch die Unabhängigkeit des Gravitationsfeldes von
elektromagnetischen Kräften experimentell hinreichend gut bestätigt waren.
Instinktsicher steuerte er von der Annahme der Gleichheit von träger und
schwerer Masse auf die Einsicht zu, daß es der Raum selbst sein muss, der die
Bahnen von Testmassen im Schwerefeld bestimmt und daß in einem frei
fallendes System keine äußeren Gravitationskräfte mehr auftreten. Der Nachteil
von Einsteins kühnem Ansatz war allerdings, daß man sich eine schwierige
Mathematik dabei einhandelte, welche einen pseudo-Riemannschen Raum und
ein System nichtlinarer Differentialgleichungen erfordert. Diese Probleme, wird
Kretschmann nach dem Erscheinen von Einsteins vollständig ausgeführter
Theorie (1915) wenig später in den Annalen ausführlich erörtern.
2. Die Arbeit 1915 in den Annalen der Physik zur speziellen Relativitätstheorie:
Über die prinzipielle Bestimmbarkeit berechtigter Bezugssysteme
beliebiger Relativitätstheorien. Annalen der Physik (1915) 48,Teil I, S.
907 – 942 und Teil II, S. 943 – 993.
In dem ersten Teil der zweiteiligen Arbeit beschäftigt sich Kretschmann mit
Einsteins Spezieller Relativitätstheorie (SRT) sowie mit damals diskutierten
Alternativen. Vor Einsteins Arbeiten, bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war
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Kants Auffassung von Raum und Zeit als Anschauungsformen noch weitgehend
unumstritten. Diese Auffassung konsequent vertreten, verhinderte zunächst,
daß Raum und Zeit überhaupt Objekte theoretischer und empirischer Forschung
werden konnten, da sie immer schon vorgegeben gedacht werden müssen.
Deshalb nimmt sich Kretschmann in der Arbeit von 1915 im 1. Teil viel Platz, um
darzulegen, wie wir Raum erfahren und wie räumliche Ausdehnungen und
Entfernungen gemessen werden können. Man spürt hier noch den Einfluss der
physiologischen Forschungen des 19. Jahrhunderts, in welchen es vor allem
darum ging, wie Sinneswahrnehmungen von Sinnestäuschungen zu
unterscheiden seien und wie quantitative und nachprüfbare Messwerte aus
ihnen gewonnen werden können. Kretschmann führt die Messungen der
Lichtintensität aus den experimentell problematischen Anfängen einer
objektiven Photometrie als Beispiel an.
In diesem 1. Teil der Arbeit wird häufig E. Mach, „Erkenntnis und Irrtum“ Leipzig
1906 zitiert. Ebenso werden Autoren in W. Wundt Hrsg. „Philosophische
Studien“ Leipzig 1885 zitiert, außerdem H. Poincaré, „Wissenschaft und
Hypothese“, Leipzig 1906. Neben Einsteins Arbeiten seit 1905 finden sich unter
anderem auch E. Mach, „Die Mechanik in ihrer Entwicklung“, H. Minkowski,
„Raum und Zeit“ Leipzig 1909, sowie M. Abraham, „Neuere
Gravitationstheorien“, Leipzig 1915.
Im zweiten Teil der Arbeit von 1915 werden vor allem die Bedeutung von
Symmetrien, also Bewegungsgruppen, hervorgehoben. In der SRT Ist es die
Lorentz-Gruppe, mit welcher gleichförmige Bewegungen ineinander übergeführt
werden können. Man fragt sich insbesondere, was er nun präzis unter
„berechtigten Bezugssystemen“ versteht. Dazu findet man folgende
Formulierung: Durch Idealinstrumente der Raum- und Zeitmessung werden
Messungen ausgeführt, welche nach Festsetzung der frei bestimmbaren
Koordinaten ein berechtigtes Bezugssystem definieren (Wortlaut von mir
gekürzt). Bei den Idealinstrumenten sind offensichtlich Messverfahren unter
Ausblendung aller realen Probleme der Instrumente gemeint, wobei ebenso alle
jene Bereiche der Physik ausgeblendet werden, die zur Konstruktion der
Instrumente unverzichtbar sind.
Die Wahl eines Bezugssystems wird sich nach dem Experiment oder
(astronomisch) der Beobachtung richten. „Berechtigt“ bedeutet in diesem
Zusammenhang eine Einschränkung nach einer theoretischen Vorgabe. Im
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Rahmen der SRT kann es sich dabei nur um Systeme handeln, die sich
gleichförmig (mitkonstanter Geschwindigkeit) gegeneinander bewegen, d.h.
aber berechtigte Bezugssysteme sind so definiert, dass sie das Gleichungssystem
im Rahmen der SRT erfüllen. Die Erfahrung d.h. Beobachtungen können zur
Festlegung eines Bezugssystems im Wesentlichen nur topologische Beziehungen
liefern. Deshalb kann die Hervorhebung einzelner Bezugssysteme demnach nur
durch über die Erfahrung hinausgehende theoretische Maßbeziehungen und
Konventionen geschehen.
Der sprachlich leicht missverständliche Begriff der „Relativität“ bedeutet letzten
Endes eine Invarianz der physikalischen Größen und ihrer Gesetze gegenüber der
Gruppe der Lorentz-Transformationen, die Kretschmann noch durch die Gruppe
der räumlichen Translationen und der räumlichen Dilatationen ergänzt. Anstatt
Weltllinien und „berechtigte Bezugssystemen“ zu untersuchen, empfiehlt
Kretschmann deshalb, sich bei der Überprüfung von Relativitätstheorien
vorzugsweise an die Invarianten zu halten. Bei endlichen Gruppen sind so viele
(willkürliche) Koordinaten-Festsetzungen notwendig, wie es freie Parameter der
Gruppe gibt. Ais Beispiel gibt Kretschmann die Lorentz-Transformation an. Es
werden 2 Raum-Zeit-Punkte (t1, x1) und (t2 , x2) gewählt. Damit ist x = 0 und t =
0 willkürlich festgelegt ebenso wie die Relativgeschwindigkeit
v = (x2 – x1)/(t2 – t2).
Wenn der Begriff „kinematisch“ auftritt, so werden damit alle Raum-und
Zeitgrößen sowie die Beziehungen zwischen ihnen bezeichnet.
Die Schwierigkeiten beim Lesen von Kretschmanns Arbeiten liegen einerseits in
der Tatsache, dass inzwischen in der Mathematik und insbesondere in der
Differentialgeometrie Begriffe präzisiert und Formulierungen entwickelt
wurden, die unabhängig vom Gebrauch spezieller Bezugssysteme sind.
Andererseits vermeidet es Kretschmann, am Anfang eines Kapitels Definitionen
und Sprachgebrauch festzulegen. Stattdessen baut er die Voraussetzungen in
Nebensätzen ein oder unterbricht einen langen Satz mit Gedankenstrichen, um
sich nochmals zu versichern, auch richtig verstanden zu werden. Das führt nicht
nur zu Endlossätzen sondern auch zu abweichenden Formulierungen von
Begriffen und Voraussetzungen. Das sind Schwierigkeiten, mit denen auch
andere Autoren konfrontiert waren (s. dazu auch Robert Rynasiewicz
„Kretschmann’s Analysis of Covariance and Relativity Principle“).
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3. Die Arbeit zur Allgemeinen Relativitätstheorie.
Über den physikalischen Sinn der Relativitätspostulate Albert Einsteins
neue und seine ursprüngliche Relativitätstheorie. Annalen der Physik
(1917) 53, S. 575 – 614.
Diese Arbeit von 1917, in welcher Kretschmann die ART kritisch untersucht,
beginnt mit einer
Einleitung,
in welcher Gegenstand und Ergebnisse der Untersuchung wie folgt
beschrieben werden: Die Formen, in denen verschiedene Autoren das
Postulat der Lorentz-Einsteinschen Relativitätstheorie und insbesondere
neuerdings Einstein sein neues Relativitätspostulat ausgedrückt haben,
lassen die Auffassung zu oder fordern sie – bei Einstein – geradezu, dass
ein System physikalischer Gesetze einem Relatiyitätspostulat dann genügt,
wenn die Gleichungen, durch die es dargestellt ist, der dem Postulat
zugeordneten Transformationsgruppe der Raum- und Zeitkoordinaten
gegenüber invariant sind. Erkennt man diese Auffassung an und
vergegenwärtigt sich, dass alle physikalischen Beobachtungen letzten
Endes in der Feststellung rein topolischer Beziehungen [„Koinzidenzen“]
zwischen räumlichen Wahrnehmungsgegenständen besteht und daher
durch sie unmittelbar kein Koordinatensystem vor irgendeinem anderen
bevorzugt ist, so wird man zu dem Schlusse gezwungen, dass jede
physikalische Theorie ohne Änderung ihres - beliebigen - durch
Beobachtungen prüfbaren Inhalts mittels einer rein mathematischen und
mit höchstens mathematischen Schwierigkeiten verbundenen ‚Umformung
der sie darstellenden Gleichungen mit jedem beliebigen - auch dem
allgemeinsten – Relativitätspostulat in Einklang gebracht werden kann.
Indessen muss es doch möglich sein, den Relativitätspostulaten noch einen
anderen nicht nur mathematisch formalen Sinn beizulegen………………
Wie schon aus dem Gesagten hervorgeht, beruht der Gegensatz, in dem die
Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zu den von Einstein in seinen
gravitationstheoretischen Untersuchungen ausgesprochenen Ansichten
stehen, allein auf der meines Erachtens allerdings bedeutungsvollen
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Auffassung und begrifflichen Bestimmung der Relativitätspostulate. Dieser
Gegensatz betrifft nur die Einordnung Einsteins „allgemeiner“ und seiner
ursprünglichen Relativitätstheorie in die Reihe der überhaupt denkbaren
Relativitätstheorien. Dagegen bleibt die Frage nach der sachlichen
Gültigkeit der von Einstein aufgestellten neuen Naturgesetze vollständig
unberührt.
Dann folgt der
I.Teil : Über den physikalischen ‚Sinn der Relativitätspostulate.
Es geht, wie schon oben festgestellt, um die allgemeine Relativitätstheorie und
ihre Einordnung in die Reihe der überhaupt denkbaren Relativitätstheorien.
Kretschmann merkt dazu an: „Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass Hr.
Einstein unter einem Relativitätspostulat etwas ganz anderes versteht als ich“.
Bei Einstein sind (die ART betreffend) die allgemeinen Naturgesetze durch
Gleichungen auszudrücken, die für alle Koordinatensysteme gelten, d.h.
beliebigen Substitutionen gegenüber kovariant sind. Nach Kretschmann ist
aber das Relativitätspostulat nur dann erfüllt, wenn die von ihm geforderte
Relativität des Bezugssystems notwendig und durch keine (mathematische)
Ausdrucksform zu vermeiden ist. In Kretschmanns Worten ausgedrückt:
„Hiernach ist die Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Relativitätspostulats für ein
System physikalischer Gesetze von ihrer mathematischen Ausdrucksform
vollständig unabhängig und allein durch ihren physikalischen Inhalt bestimmt.
Es wird noch einmal darauf hingewiesent, dass physikalische Messungen nur
topologische Beziehungen betreffen. Alles andere wird durch Wahl der
Bezugssysteme und theoretische Voraussetzungen (s. oben) festgelegt.
Topologische Beziehungen betreffen die räumlichen und strukturellen
Eigenschaften von Objekten unabhängig von Ausdehnung und geometrischer
Form (z.B. Anzahl der Dimensionen und ihre Beziehungen untereinander). Bei
Kretschmann wie auch bei Einstein werden topologische Beziehungen oft auch
„Koinzidenzen“ genannt.
II. Teil. Über die prinzipielle Messbarkeit der gkl .
Es wird untersucht, „welche Angaben über die gkl in einem empirischen
Bezugsysteme nach der Einsteinschen Theorie durch Beobachtungen nachgeprüft
werden können“ Als Beispiele dienen die Ausbreitung des Lichts und die
Bewegung eines Massepunktes im Schwerefeld. Die „idealen Messwerte“ der
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Metrik kl welche den gkl zugeschrieben werden, lassen sich mit denen, welche
nach der ART für die gkl zu erwarten wären, vergleichen. (Kretschmann schreibt
x4 = ict , weshalb !gkl! > 0 anstatt < 0 wie bei Einstein wird).
Als Ergebnis wird festgehalten, dass alle den gkl auferlegten Bedingungen durch
Beobachtung geprüft werden können, sodass die gkl bis auf eine (für alle gültige)
λ Konstante festgelegt sind.
Und weiter „eine von der Identischen verschiedene Koordinatentransformation,
welche die Funktionen gkl in der angegebenen Weise ändert……….gibt es im
Allgemeinen nicht“.
Das bedeutet, es gibt im allgeminen Fall nur die identische Transformation.
III. Teil. Beschränkung der Kovarianz der Einsteinschen Gleichungen.
Dies soll geschehen (ohne den physikalischen Gehalt zu ändern) allein durch
geeignete Wahl des Bezugssystems. Ziel ist es, eine möglichst enge Schar von
Bezugssystemen auszuzeichnen. Dabei soll das Koordinatensystem möglichst
eng an die vorhandene natürliche Struktur des betrachteten Raum-Zeit-Gebiets
anschließen und von Weltpunkt zu Weltpunkt (mit wechselnder Krümmung)
fortschreiten. Benutzt werden die von Kretschmann so genannter
„Achsenrichtungen“ des Krümmungstensors. Davon sind 20 algebraisch
unabhängig. Die 36 nicht verschwindenden Elemente des Krümmungstensors
lassen sich in Form einer 6 x 6 – Matrix schreiben. Die Diagonalelemente bilden
6 Hauptkomponenten, dazu kommen (in einer Nebendiagonale) noch 3 weitere
Komponenten, die man in jedem beliebigen Weltpunkt durch geeignete Wahl
der Achsenrichtungen des Bezugswstems zum Verschwinden bringen kann.
Kretschmann legt nun die x4-Richtung so, dass sie in eine Achsenrichtung des
Krümmungstensors fällt. Aber da die „Achsenrichtungen“ sich selbst stetig von
Punkt zu Punkt ändern, ändert sich auch die x4-Richtung. Deshalb so schließt er,
genügt die ART keinem Relativitätspostulat der Geschwindigkeiten.
Nach Abzählung der Invarianten.
Koordinatenachsen gemacht.
werden
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ausgewählt
und
zu
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IV. Geometrische Bestimmung des von der ART erfüllten Relativitätspostulats.
Aus der Mannigfaltigkeit ∑(x1…..x4 ) läßt sich für jedes System gegebener
Koordinatenfunktionen gkl = fkl (x1…..x4 ) eine unendliche Schar von Weltlinien
(Extremalen oder Geodäten) gewinnen, die der Bedingung
genügen. Diese Menge zerfällt in unendlich viele Teilmengen. Jede enthält alle
Weltlinienscharen, die durch stetige Deformationen auseinander entstehen
können oder in Kretschmanns Worten: „Die absolute mathematische ‚Invarianz
der Bewegungsgesetze erfordert es und beruht offensiochtlich auf dem
Umstande, dass jede der genannten Untermengen alle Weltlinienscharen
enthält, die durch stetige Deformationen aus Ihnen entstehen können; denn
nach dem Angeführten ist ein Übergang einer Weltlinienschar von einer
Untermenge zur anderen bei keiner stetigen Transformation möglich“. Und
etwas weiter: „Die Einsteinsche Theorie erfüllt daher physikalisch kein
Relativitätspostulat, bezüglich dessen invarianter Transformationsgruppe nicht
jede einzelne der genannten Extremalenscharen für sich invariant ist; denn da die
Scharen durchweg topologisch verschieden oder …….höchstens durch einen
konstanten Parameter vers chieden sind, so ist eine Transformation der einen in
eine andere im Allgemeinen unmöglich. In sich selbst kann aber eine vollständige
Extremalenschar der Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit nur bei einer Transformation
übergehen, die das zugehörige Funktionensystem gkl = fkl (x1…..x4 ) bis auf einen
konstanten Faktor ungeändert lässt; und außer der Identischen gibt es keine
Koordinatentransformation, die das allgemein leistet. Dagegen ist von einer
Teilmenge zu einer anderen kein stetiger Übergang möglich. Der physikalische
Inhalt ist in jeder Teilmenge derselbe. Damit gibt Kretschmann eine anschaulich
geometrische Bedeutung der Kovarianz und ihrer Konsequenz, nämlich dass zu
jeder bestimmten Metrik gkl(xi), die als Lösung der Einsteinschen Gleichungen
aufgefunden wird, jede ander gkl(x‘ki), äquivlent ist , die durch eine Abbildung
aus ihr hervorgeht,. Voraussetzung ist dafür, dass die Abbilding differenzierbar
ist (und damit auchein Inverses besitzt).
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Schluss.
Über den Grund der Unerfüllbarkeit des allgemeinen Relativitätspostulats
Es ist die in den kinematischen Gesetzen enthaltenen „Beschränkungne und
Verneinung von Koinzidenzmöglichkeiten“, welche die Erfüllung des allgemeinen
Relativitätspostulats unmöglich machen. Bei den betrachteten Gesetzen der
Licht- und Massenbewegung werden die Weltlinien der Licht- und
Massenpunkte mit Extremalen der Raum-Zeit-Mannigfaltigkeit identifiziert. Die
Beschränkung besteht hier offensichtlich darin, dass durch zwei verschiedene
Weltpunkte niemals zwei verschiedene Weltlinien gehen können. In der Tat ist es
gerade dieser Satz, der in jeder Koordinatenmannigfaltigkeit die Schar der
miteinander verträglichen Weltlinien und damit zugleich die Gruppe der
Transformationen, die sie in sich überführen - im Allgemeinen ist es nur die
identische Transformation - begrenzt, da er durch jede weitere der Schar
zugefügte Weltlinie verletzt würde
In dieser Arbeit finden sich unter den zitierten Autoren W. Killing, Math. Ann. 34
S. 423, A. Einstein und M. Grossmann, „Entwurf einer verallgemeinerten
Relativitätstheorie“ Leipzig 1913, sowie S. Christoffel und G. Ricci et T. LeviCività. Daraus geht leider nicht klar hervor, wo und wann Kretschmann seine
guten Kenntnisse der Gruppentheorie, die für einen Physiker damals durchaus
ungewöhnlich sind, erworben hat.
Einstein hat 1918 in den Annalen der Physik, Band 55, S. 578 unter dem Titel
Prinzipielles zur allgemeinen Relativitätstheorie
auch zu Kretschmanns Arbeit Stellung genommen. Zunächst stellt er fest, dass
seine Theorie (die ART) auf drei Hauptgesichtspunkten beruht:
a) Relativitätsprinzip: Die Naturgesetze sind nur Aussagen über
zeiträumliche Koinzidenzen; sie finden deshalb ihren einzig natürlichen
Ausdruck in allgemein kovarianten Gleichungen.
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b)
Äquivalenzprinzip: Trägheit und Schwere sind wesensgleich.
Hieraus und aus den Ergebnissen der SRT folgt notwendig, dass der
metrische Fundamentaltensor (gkl) die metrischen Eigenschaften des
Raumes, das Trägheitsverhalten der Körper in ihm, sowie die
Gravitationswirkungen bestimmt. Den durch den Fundamentaltensor
beschriebenen Raumzustand wollen wir als G-Feld bezeichnen
c)
Machsches Prinzip: Das G-Feld ist restlos durch die Massen der
Körper bestimmt. Da Masse und Energie nach den Ergebnissen der SRT
das Gleiche sind und die Energie formal durch den symmetrischen
Energietensor (Tkl) beschrieben wird, so besagt dies, dass das G-Feld
durch den Energietensor der Materie bedingt und bestimmt sei.
Einstein kommt dann auf die Einwände Kretschmanns zu sprechen, der es
für notwendig hält, noch einen anderen (physikalischen) Sinn mit der
Relativitätsforderung zu verbinden. Einstein schreibt dazu: Ich halte Hrn.
Kretschmanns Argument für richtig, jedoch die von ihm vorgeschlagene
Neuerung nicht für empfehlenswert. Es sei nicht sinnvoll jedes
‚Naturgesetz in kovariante Form zu bringen (ein Vorschlag, der eher als
eine polemische Übertreibung Kretschmanns anzusehen ist).
Andererseits habe Prinzip a) sich bereits beim Gravitationsproblem
glänzend bewährt.
Kritische Anmerkungen
Meine Bemerkung dazu wäre, dass wohl weder Einstein noch
Kretschmann der tiefe physikalische Sinn der Kovarianz gegenüber
bestimmten vorgegebenen Symmetrien schon klar gewesen war. Etwa
zu gleicher Zeit (1918) zeigte Emmy Noether in Göttingen, dass zu jeder
infinitesimalen Operation einer Bewegungsgruppe ein physikalischer
Erhaltungssatz gehört, dass also Kovarianzen einer Theorie gegenüber
einer Bewegungsgruppe sofort auch die Erhaltungssätze definieren.
Damit ist eine Trennung von mathematisch formaler Formulierung und
physikalischem Sinn nicht mehr möglich.
Einsteins Argument, dass sich ja seine „Kovariante Theorie“ bereits
glänzend bewährt habe, verfehlt Kretschmanns kritische Diskussion der
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Kovarianz. Vermutlich hat Einstein bei der „Bewährung“ an die
Periheldrehung des Merkurs gedacht. Aber dieser Effekt wäre auch schon
durch eine weniger radikale Theorie im Außenraum einer Masse bei Tik =
0 abzuleiten gewesen (siehe dazu Gönner „ Einführung in die spezielle
und allgemeine Relativitätstheorie § 7.3). Aber genau solche Fälle
verwirft Einstein in seiner Entgegnung ebenso wie übrigens
Kretschmann. Zur Ironie der Geschichte gehört nun aber auch die
Tatsache, dass gerade die hoch symmetrischen Lösungen der
Einsteinschen Gleichungen für die Astrophysik heute unverzichtbar sind.
Solche Fälle hoher Symmetrie sind die Schwarzschild-, Kerr-, RobertsonWalker und die deSitter-Metrik.
Einstein verteidigt in c) sein Festhalten am Machschen Prinzip, das
einerseits bei ihm eine wichtige heuristische Rolle gespielt hat,
anderseits aber auch Anlass zu Verwirrungen gab, wie Einsteins
Behandlung rotierender Körper zeigt (s. dazu M. Janssen „Einstein’s first
systematic Exposition of General Relativity“). So richtig es ist nach Mach,
dass die gesamte Materie des Kosmos zum „G-Feld“ beiträgt, so wenig
trägt nach unseren heutigen Erfahrungen der kosmologische Einfluss auf
das lokale Feld bei. Der „Hubble-Fluss“ spielt weder im Sonnensystem
noch in unserer Galaxis eine merkliche Rolle. Es sind offensichtlich in
erster Linie die lokalen Massen und ihre Verteilung in der unmittelbaren
Umgebung, die zum „G-Feld“ beitragen. Einstein weist dabei auch auf
seine kosmologische Arbeit von 1917 hin. Hier nimmt er eine andere
strenge Lösung seiner Gleichungen vorweg, die später von Alexander
Friedmann zur Ableitung der kosmischen Expansion benutzt wurde, die
Einstein bis 1932 nicht akzeptieren wollte. Die betreffende Metrik wurde
von Robertson und Walker in den 30er Jahren abgeleitet und ihre
Gültigkeit für alle 3-dimensionalen Räume mit konstanter Krümmung
bewiesen.
Bei Kretschmann findet sich ein gewisser Widerspruch zwischen der
Feststellung, dass Beobachtungen immer nur zu topologischen Aussagen
führen können und der häufigen Auseinandersetzung mit dem, was er
„berechtigte Bezugssysteme“ nennt Zur historischen Erinnerung: Am
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Vektoren in der Physik eingeführt.
Damit konnten physikalische Gleichungen unabhängig von
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Bezugssystemen geschrieben werden. Eine ähnliche Entwicklung gab es
in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der
Differentialgeometrie, insbesondere durch die Arbeiten Cartans und
anderer, die zu Kretschmanns Zeiten noch nicht verfügbar waren (s. dazu
z. B. Sexl / Urbanke und Wald).
Bei einer beliebig verlaufenden Weltlinie ist es vorteilhaft, ein
mitbewegtes Bezugssystem zu haben, das etwa durch den
Tangentialraum in einem Punkt der Weltlinie definiert ist und den
räumlichen Teil als orthogonales Dreibein enthält. Kretschmann kennt
das Verfahren nicht, entwickelt aber ein analoges, indem er die x4Richtung in die Richtung von ds fallen läßt.
Der häufige Hinweis auf die Bedeutung von Invarianten schwächt
ebenfalls die Bedeutung „berechtigter Bezugssysteme“ ab. In der
Vektoranalysis ist die Invariante das Betragsquadrat eines Vektors. In der
Riemannschen Geometrie übernimmt ds2, die lokale Metrik, die Rolle
einer Invarianten. Wird ̅ in die Richtung des Tangentenvektors gelegt,
so ist ds2 das Betragsquadrat des Tangentenvektors.
Übrigens kann die allgemeine Kovarianz auch ein Vorteil sein, weil man
mit beliebigen „erlaubten Transformationen“ (sie müssen nur stetig, und
differenzierbar sein) auch Koordinaten-Singularitäten wie in der
Schwarzschild-Metrik vermeiden kann. Zu denken ist dabei an KruskalKoordinaten, aber auch an die häufig bei Anwendungen der ART
benutzten Penrose-Diagramme. Letztgenannte enthalten Nullgeodäten
und nutzen eine konforme Abbildung, welche die unendlich fernen
Punkte ins Endliche verlegt.
Literatur
E. Kretschmann: Über den physikalischen Sinn der Relativitätspostulate Albert
Einsteins neue und seine ursprüngliche Relativitätstheorie. Annalen der Physik
(1917) 53, S. 575 – 614
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E. Kretschmann: Über den physikalischen Sinn der Relativitätspostulate Albert
Einsteins neue und seine ursprüngliche Relativitätstheorie. Annalen der Physik
(1917) 53, S. 575 – 614.
A. Einstein: Kosmologische Betrachtungen zur allgemeinen Relativitätstheorie.
Sitzungsberichte der Preuß. Akad. D. Wiss. S. 142 – 152 (1917)
A. Einstein: Prinzipielles zur allgemeinen Relativitätstheorie Annalen der
Physik, (1918) Band 55, S. 578
R. Rynasiewicz (1999) „Kretschmann’s Analysis of Covariance and Relativity
Principles“ Pp. 431 – 462 in Goenner et al. 1999.
H. Gönner „ Einführung in die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie.
Heidelberg, Berlin, Oxford 1996.
M. Janssen „Einstein’s first systematic Exposition of General Relativity“).
R.U. Sexl, H.K. Urbanke: Gravitation und Kosmologie. Eine Einführund in die
Allgemeine Relativitätstheorie.3.Aufl. 1992
R.M. Wald, General Relativity. Chicago, London 1984
Noether, E.: Invarianten beliebiger Differentialausdrücke. Gött. Nachr. 1918,
37-44 (1918).
Noether, E.: Invariante Variationsprobleme. Gött. Nachr. 1918, 235-257 (1918).