Wissenswert - Hessischer Rundfunk

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Hessischer Rundfunk
hr-iNFO
Redaktion: Dr. Karl-Heiz Wellmann
Wissenswert
"Der wertvollste Fund meines Lebens" Vor 100 Jahren schuf Einstein
die Allgemeine Relativitätstheorie
von Frank Grotelüschen
Sprecher: Frank Grotelüschen
Sendung: 22.11.15, hr-iNFO
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„Mein wertvollster Fund“ – am 25. November 1915 präsentierte Albert Einstein in
Berlin die Allgemeine Relativitätstheorie
Von Frank Grotelüschen
Moderation:
Albert Einstein gilt als das Forschergenie schlechthin; und sein
bedeutendstes Meisterwerk ist den Aussagen aller Experten zufolge
die Allgemeinen Relativitätstheorie. Die stellte Einstein vor genau 100
Jahren erstmals seinen Fachkollegen vor: am 25. November 1915 in
der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Was daraus erwuchs,
das gehört zu den größten Erfolgen der Forschungsgeschichte, denn
erst dank der Allgemeinen Relativitätstheorie konnten zumindest ein
paar Physiker genau verstehen, was unsere Welt, nun ja, im Innersten
zusammenhält – die Gravitation. Inzwischen haben zahlreiche
Experimente und astronomische Beobachtungen Einsteins Theorie
bestätigt.
In dieser Ausgabe von hr-iNFO-Wissenswert blicken wir zurück auf 100
Jahre Forschungsgeschichte und – Obacht! - unser Autor erläutert die
Kernaussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Mein Name ist khw.
1
Akzent
3
Moderation:
Albert Einstein war nicht nur geistig rege, sondern auch sehr mobil,
was seine Wohnsitze anging. In Ulm geboren, ging er zunächst in
München zur Schule, das Abitur machte er in der Schweiz, und als er
1922 den Nobelpreis überreicht bekam, da forschte er schon eine Weile
in Berlin. Zu einer Art Popstar aber wurde Einstein erst, nachdem er
1933 aus Protest gegen die Verfolgung der Juden einen Antrag auf
Entlassung aus der deutschen Staatsbürgerschaft gestellt hatte und
auf Dauer in die USA übergesiedelt war. Hören Sie Rainer Sütfeld über
die Nebenwirkungen der Popularität für Einstein.
1.40
AUDIO:
khw Verehrt und verfolgt: Albert Einstein
2.55
Autor:
Albert Einstein war der Popstar der Wissenschaft in der Neuen Welt.
Warum nur mag mich jeder, obwohl mich jeder niemand versteht,
fragte er halb scherzend. Als er etwa im Vorbeifahren neugierig auf den
Flughafen von New Oak wurde, sprach sich, kaum war er in das
Gelände abgebogen, seine Anwesenheit herum wie ein Lauffeuer. Und
nur wenige Minuten später traf auch der Bürgermeister ein, um
Einstein zu begrüßen. Alltagsszenen für den Physiker: ob beim
Krankenbesuch in der Bronx oder bei einem Fest im Plaza-Hotel:
Einstein wurde erkannt, umjubelt und um Autogramme gebeten. Ein
Grund, warum er sich in das verschlafene Universitätsdorf Princeton
zurückgezogen hatte. Die fast religiöse Verehrung schreckte ihn ab:
4
O-Ton Einstein:
We should take care, not to make the intellect our God. It cannot lead, it
can only serve.
Autor:
Der Geist, die Wissenschaft ist kein Gott. Sie könne nicht führen,
sondern nur dienen, so Einsteins Credo. Zurückgezogen hatte sich der
Nobelpreisträger aber auch, weil er sich nicht ausnutzen lassen wollte,
besonders nicht von Prominenten oder gar Politikern, so sein Freund
Gillett Griffin:
O-Ton Griffin:
He always was hesitant to meet political people or important people,
because he thought, they might be stuffy or usy in one way or another.
Autor:
Trotzdem engagierte sich der amerikanische Neubürger laut und
deutlich. So wurde Einstein, der 1940 die amerikanische
Staatsbürgerschaft erhielt, Vorsitzender eines Komitees, das sich nach
den Atombombeneinsätzen in Japan für strikte Rüstungskontrolle und
eine friedliche Nutzung der Atomkraft einsetzte. Der überzeugte
Sozialist, der sich für eine moderate Planwirtschaft und gegen den
Kapitalismus aussprach, musste mit seiner Umtriebigkeit den Verdacht
jener „kalten Krieger“ um den amerikanischen Kommunistenjäger
McCarthy regelrecht auf sich gezogen haben.
5
O-Ton Griffin:
McCarthy would come in with, waving a sheet of paper…
Over-Voice Autor:
McCarthy wedelte mit einer Liste von hundert angeblichen
Kommunisten. Es war eine schreckliche, dunkle Zeit.
O-Ton Griffin:
… It was a very very harsh situation, dark dark situation.
Autor:
Einstein stand seit den 30er Jahren unter Beobachtung des FBI,
nachzulesen auf 1.427 Seiten seiner Ermittlungsakte. Er wurde aber
trotzdem nicht vor den Ausschuss für unamerikanische Umtriebe
geladen. Dort hätte der Pazifist geschwiegen, hatte er doch alle
Wissenschaftler zum zivilen Ungehorsam à la Gandhi bei dieser
Hexenjagd aufgerufen. „Sie schmeicheln mir, solange ich nicht
unbequem bin“, hatte er früh eingesehen. Doch an den Sieg des
Humors über den Kommunistenfresser soll er nie gezweifelt haben,
wenn er gefragt wurde, was denn aus Amerika werden würde:
O-Ton Griffin:
What do you think is going to happen to this country? And Einstein…
Over-Voice Autor:
Er sagte, ich kam auch in dieses Land, weil es einen nationalen Sinn für
Humor hat. Und irgendwann wird man McCarthy einfach auslachen.
O-Ton Griffin:
He said, I think in time this man will be laughed out.
Autor:
So geschah es: Sein Verfolger wurde 1954 verjagt und verhöhnt.
6
Ab-Mod.
Rainer Sütfeld. – Es folgt ein Beitrag von Frank Grotelüschen. In
historischen Aufnahmen kommt darin Albert Einstein selbst zu Wort,
und der Physiker Frank Grotelüschen erläutert die Kernthesen von
Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, allgemeinverständlich, wie
ich Ihnen versprechen kann. Aber hören Sie selbst….
WW khw Grotelüschen Einstein lang 11.15
Collage:
(über Sound)
O-Ton 1:
(Einstein)
„Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das
Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt allem tieferen Streben in Kunst
und Wissenschaft zu Grunde.“
Zitator:
Ich komme nicht zum Schreiben, weil ich mit wirklich großen Dingen
beschäftigt bin. Tag und Nacht grüble ich an der Vertiefung der Dinge,
die einen unerhörten Fortschritt in den Grundproblemen der Physik
bedeuten.
Collage:
(endet)
7
O-Ton 2:
(Renn)
„Man dachte Ende des 19. Jahrhunderts, dass die Physik als Gebäude
im Wesentlichen feststeht und man hier und da noch ein paar
Renovierungsarbeiten zu verrichten hat, aber dass die Fundamente
bestehen bleiben würden.“
Sprecher:
Jürgen Renn, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin.
O-Ton 3:
(Renn)
„Das hat sich als falsch herausgestellt.“
Akzent
Sprecher:
1905. Ein junger Angestellter des Schweizer Patentamts verblüfft die
Welt der Physiker mit einer epochalen Arbeit.
Zitator 2:
Zur Elektrodynamik bewegter Körper; von A. Einstein.
Sprecher:
Das Werk, veröffentlicht 1905, geht als die spezielle Relativitätstheorie
in die Geschichte ein. Das Licht, so Einsteins Ausgangspunkt, eilt mit
konstant 300.000 Kilometern pro Sekunde durchs All. Daraus zieht der
geniale Denker eine revolutionäre Erkenntnis: Raum und Zeit sind nicht
absolut, sondern relativ. Unter Umständen kann der Raum gestaucht
erscheinen und die Zeit gedehnt. Doch bald ist klar: Die Theorie besitzt
einen Makel.
8
O-Ton 4:
(Sauer)
„Das Problem war, dass die spezielle Relativitätstheorie begründet
hatte, dass es keine Wechselwirkung gibt, die sich schneller als mit
Lichtgeschwindigkeit fortpflanzt.“
Sprecher:
Tilmann Sauer, Wissenschaftshistoriker, Universität Bern.
O-Ton 5:
(Sauer)
„Während die Gravitationstheorie Newtons besagte, dass die
Gravitationskraft eine Fernwirkungskraft ist, die sich unendlich schnell
fortpflanzt. Diese beiden Eigenschaften passten nicht zusammen.“
Sprecher:
Um die Schwerkraft zu beschreiben, ist damals das Gravitationsgesetz
von Isaac Newton das Maß aller Dinge. Doch sein Schwerkraftgesetz
widerspricht der speziellen Relativitätstheorie, und zwar grundlegend.
Um diesen Widerspruch aufzulösen, macht sich Albert Einstein an die
Arbeit. Eine Arbeit, die fast zehn Jahre dauern soll.
Collage:
(über Sound)
O-Ton 6:
(Einstein)
„Zu den Menschen zu gehören, die ihre besten Kräfte der Betrachtung
und Erforschung objektiver Dinge widmen dürfen und können, bedeutet
eine besondere Gnade.“
9
Zitator:
Ich saß im Berner Patentamt in einem Sessel, als mir plötzlich der
Gedanke kam: Wenn sich ein Mensch im freien Fall befindet, wird er
seine eigene Schwere nicht empfinden können. Mir ging ein Licht auf.
Dieser einfache Gedanke beeindruckte mich nachhaltig. Die
Begeisterung, die ich da empfand, trieb mich zur Gravitationstheorie.
Collage:
(endet)
Sprecher:
1907. Einstein, damals 28 Jahre alt, nimmt die Spur auf. Er sinnt
darüber nach, wie er seine spezielle Relativitätstheorie auf eine
fundamentale Naturkraft anwenden kann, die Gravitation.
O-Ton 7:
(Lehmkuhl)
„Wie ganz häufig bei Einstein war der Ausgangspunkt ein
Gedankenexperiment – das sog. Fahrstuhl-Gedankenexperiment.“
Sprecher:
Dennis Lehmkuhl, Wissenschaftshistoriker, California Institute of
Technology, USA.
O-Ton 8:
(Lehmkuhl)
„Man stelle sich vor, man befindet sich in einem Fahrstuhl. Man kann
nicht aus dem Fenster gucken, man sieht nichts draußen. Man fühlt
aber: Okay, ich stehe hier in einem Fahrstuhl.“
10
Sprecher:
Steht ein Fahrstuhl auf der Erde, verspürt ein Fahrgast in ihm die
Schwere seines Körpers. Doch was passiert, wenn der Fahrstuhl in der
Schwerelosigkeit des Weltraums aufwärts beschleunigt wird, und zwar
mit einer Kraft, die dem Körpergewicht des Insassen entspricht? In
beiden Fällen, so Einstein, sollte der Fahrgast dieselbe Wirkung
verspüren.
O-Ton 9:
(Lehmkuhl)
„Einsteins Idee war, dass ein solcher Beobachter nicht entscheiden
kann, ob das eine der Fall ist oder das andere. Befindet sich der
Beobachter unter dem Einfluss eines Gravitationsfeldes? Oder befindet
er sich unter dem Einfluss einer Beschleunigung?“
O-Ton 10:
(Renn)
„Das hat ihn auf die Idee gebracht, dass Beschleunigungskräfte und die
Schwerkraft wesensgleich sind, von der gleichen Natur sind.“
Sprecher:
Äquivalenzprinzip, so nennt sich diese einfache wie fundamentale
Annahme. Bereits die ersten Berechnungen deuten an, welches
Potenzial hinter dem neuen Ansatz schlummert. So sollten massive
Himmelskörper Lichtstrahlen ablenken, die an ihnen vorbeifliegen. Und
das von der Sonne abgestrahlte Licht sollte in deren gewaltigem
Schwerefeld Energie verlieren und seine Farbe ändern. Doch das
Wichtigste fehlt noch, das Kernstück der neuen Theorie – die
mathematischen Gleichungen.
Collage:
(über Sound)
11
O-Ton 11:
(Einstein)
„All elementary concepts are reducible to space-time-concepts...
Zitator 2:
Die elementaren Begriffe sind sämtlich von raum-zeitlichem Charakter.
Solche Begriffe allein kommen in den Naturgesetzen vor; in diesem
Sinn ist alles naturwissenschaftliche Denken geometrisch.
... all scientific thought is geometric.“
Zitator:
Grossmann, du musst mir helfen, sonst werde ich verrückt.
Collage:
(endet)
Sprecher:
Zunächst widmet sich Einstein seiner Karriere. 1909 kündigt er beim
Berner Patentamt, geht als Professor nach Prag und Zürich. Erst 1911
wendet er sich wieder dem Problem der Gravitation zu.
O-Ton 12:
(Renn)
„Und der erste Schritt, den er machte: Er kam nach einer Weile darauf,
dass er sagte: Am besten kann ich diese vereinheitlichten Kräfte
beschreiben, wenn ich mir vorstelle, dass diese vierdimensionale
Raumzeit – drei Raumdimensionen, eine Zeitdimension – gekrümmt
sind. Auf diese Weise hat er den ersten Hinweis auf die mathematische
Formulierung der Theorie gefunden. Nämlich die Theorie gekrümmter
Flächen.“
12
Sprecher:
Das Problem aber ist: Als Physiker weiß Einstein nicht, wie man mit
gekrümmten Flächen rechnen muss, wie die Mathematik dafür
aussieht.
O-Ton 13:
(Renn)
„Einstein musste sich das erst mal alles beibringen. Er hat diese
Theorie immer weiter ausgearbeitet, obwohl eigentlich keiner außer
ihm selber so richtig dran geglaubt hat, muss man sagen.“
Sprecher:
Gemeinsam mit seinem Studienfreund, dem Mathematiker Marcel
Grossmann, sucht Einstein nach den Feldgleichungen – nach jenem
Satz mathematischer Formeln, der die Gravitationstheorie kurz und
bündig auf den Punkt bringt.
O-Ton 14:
(Sauer)
„Das war ein verschlungener Weg. Insbesondere hat die
Zusammenarbeit zwischen Einstein und Grossmann sehr viel
versprechend angefangen, indem sie die richtige Mathematik schon
identifiziert hatten. Aber es ist ihnen noch nicht gelungen, die
endgültigen Gleichungen als solche zu identifizieren, obwohl sie sehr
nah dran waren. Es gibt ein interessantes Notizbuch Einsteins aus
dieser Phase. Und wir haben festgestellt, dass Einstein in diesem
Notizbuch Gleichungen hingeschrieben hat, die äquivalent sind zu den
Feldgleichungen, die er drei Jahre später publiziert hat und die sein
größter Erfolg geworden sind.“
Sprecher:
Die entscheidenden Feldgleichungen. Bereits 1912 hat sie Einstein
notiert, aber nicht als Lösung erkannt.
13
Collage:
(über Sound)
O-Ton 15:
(Einstein)
„Ich bin zwar im täglichen Leben ein typischer Einspänner. Aber das
Bewusstsein, der unsichtbaren Gemeinschaft derjenigen anzugehören,
die nach Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit streben, hat das Gefühl
der Vereinsamung nicht aufkommen lassen.“
Zitator:
Ich beschäftige mich jetzt ausschließlich mit dem Gravitationsproblem.
Das eine ist sicher, dass ich mich im Leben noch nicht annähernd so
geplagt habe. Rauchen wie ein Schlot, arbeiten wie ein Ross, Essen
ohne Überlegung und Auswahl, Spazierengehen leider selten, schlafen
unregelmäßig.
Collage:
(endet)
Sprecher:
1915 kommt Einstein, inzwischen am Kaiser-Wilhelm-Institut für
Physik in Berlin, seinem Ziel näher. Immer weiter engt er den Kreis der
in Frage kommenden Gleichungen ein. Doch auch andere sind an der
Sache dran, allen voran David Hilbert in Göttingen, einer der genialsten
Mathematiker seiner Zeit.
O-Ton 16:
(Lehmkuhl)
„Einstein hat sich keine Illusionen darüber gemacht, dass Hilbert ihm in
der Mathematik weit überlegen war. Und dass Hilbert jetzt womöglich
auf der Zielgeraden an ihm vorbeizieht und die finalen Feldgleichungen
vor Einstein publiziert.“
14
O-Ton 17:
(Sauer)
„In diesen hektischen Wochen standen sie in einem gewissen
Wettbewerb.“
O-Ton 18:
(Lehmkuhl)
„Das hat eine große Rolle gespielt, dass er wie besessen in den letzten
Monaten gearbeitet hat.“
Sprecher:
Bis heute ist nicht restlos geklärt, wer die Gleichungen als erster hatte
– Einstein oder Hilbert. Später jedenfalls wird sich der Mathematiker
als fairer Fachkollege erweisen.
O-Ton 19:
(Sauer)
„Hilbert hat die Einsteinsche Theorie als Mathematiker interpretiert
und weiterentwickelt. Und hat zu keinem Zeitpunkt verleugnet, dass er
sich auf Einsteins Arbeiten bezieht.“
Musikakzent
Sprecher:
Im November 1915, nach Monaten fieberhafter Arbeit, der Durchbruch.
Einstein hat die komplexe Mathematik der gekrümmten Flächen
durchdrungen und kann die Feldgleichungen hinschreiben.
15
O-Ton 20:
(Renn)
„Dann gab’s vier Arbeiten, die er jeweils der Akademie eine Woche nach
der anderen in Berlin vorgestellt hat. Und hat sich dann Schritt für
Schritt der richtigen Lösung angenähert. Am 25. November 1915 hatte
er sie dann schließlich gehabt. Das war die offizielle Geburtsstunde der
Theorie.“
Sprecher:
Die Geburtsstunde der Allgemeinen Relativitätstheorie. Diese Theorie
zeichnet ein völlig neues Bild der Gravitation: Laut Einstein entsteht die
Gravitation dadurch, dass schwere Massen den Raum um sich herum
krümmen und dass andere Massen dieser Krümmung dann folgen. Ein
Problem kann die neue Theorie sofort lösen – gewisse Abweichungen in
der Umlaufbahn des Planeten Merkur. Das klassische Gesetz von
Newton vermag diese Schwankungen nicht zu erklären. Erst Einstein
ist dazu in der Lage. Die Fachwelt aber reagiert verhalten.
O-Ton 21:
(Renn)
„Diese allgemeine Relativitätstheorie schien vielen doch eine seltsame
Geschichte zu sein.“
Sprecher:
Einstein ist enttäuscht. Auf die breite Anerkennung seines Werkes
muss er noch Jahre warten. Erst 1919 liefert der britische Astronom
Arthur Eddington den Beweis.
16
O-Ton 22:
(Lehmkuhl)
„Das war eine sehr aufregende Geschichte. Gerade zu der Zeit, 1919,
ein Jahr nach dem ersten Weltkrieg: Ein englischer Wissenschaftler
schlägt sich auf die Seite eines deutschen Wissenschaftlers, um
Newton vom Thron zu stoßen. Und dann auch noch mithilf e einer Safari
nach Afrika, um eine Sonnenfinsternis zu beobachten. Es war einfach
eine sehr gute Story.“
Sprecher:
Im Mai 1919 reist Arthur Eddington nach Westafrika, um bei einer
totalen Sonnenfinsternis zu beobachten, wie die Sonne das Licht ferner
Sterne ablenkt. Die Aufnahmen widerlegen alle Zweifler. Einsteins
allgemeine Relativitätstheorie gilt als bestätigt.
O-Ton 23:
(Renn)
„Das hat Einstein zum Superstar gemacht.“
Sprecher:
Über die Sensation berichten Zeitungen in aller Welt. Albert Einstein
wird zur Legende.
Collage:
(über Sound)
O-Ton 24:
(Einstein)
„Es ist mir genug, diese Geheimnisse staunend zu ahnen und zu
versuchen, von der erhabenen Struktur des Seienden in Demut ein
mattes Abbild geistig zu erfassen.“
Zitator:
Es ist der wertvollste Fund, den ich in meinem Leben gemacht habe.
17
Collage:
(endet)
Sprecher:
Ohne diesen wertvollsten Fund, wie Einstein ihn selber bezeichnete,
sind viele Phänomene nicht zu erklären: schwarze Löcher etwa oder
der Urknall. Auch auf unseren Alltag wirkt sich die Theorie aus:
Atomuhren würden deutlich ungenauer sein, und damit die Navis in
Handys und Autos. Nicht nur deshalb gilt die Allgemeine
Relativitätstheorie als einer der Grundpfeiler der Physik – und als
Einsteins größtes Meisterwerk.
O-Ton 25:
(Renn)
„Was mich wirklich fasziniert, dass diese Theorie aufgrund so weniger
intuitiver Hinweise entstanden ist.“
O-Ton 26:
(Sauer)
„Es ist sicherlich eine der Leistungen Einsteins, die am meisten die
Physik beeinflusst haben.“
O-Ton 27:
(Lehmkuhl)
„Die allgemeine Relativitätstheorie geht ganz auf Einsteins Ideen
zurück. Das war so originell, dass es überhaupt nicht klar ist, wenn
Einstein das nicht getan hätte, ob es nicht 100 Jahre länger gedauert
hätte, bis jemand anderes auf diese Idee gekommen wäre.“
Mod.
Ein Beitrag von Frank Grotelüschen. Sie hören hr-iNFO-Wissenswert.
Als Albert Einstein 1915 seine Allgemeine Relativitätstheorie vorstellte,
da war das noch reine Hypothese – es fehlten die experimentellen
Belege. Viele Forscher suchten aber alsbald nach einem Beweis –
darunter auch Einstein selber. In Potsdam initiierte er den Bau eines
turmartigen Sonnenteleskops, mit dessen Hilfe seine Theorie bestätigt
werden sollte. Der Einstein-Turm hat den Krieg überdauert, Frank
Grotelüschen hat ihn besucht.
+50 mod
WW khw Grotelüschen Einsteinturm 3.40
Atmo 1:
Schlüssel
Sprecher:
Der Telegraphenberg in Potsdam. Ein Areal voller historischer
Laborgebäude und Observatorien. Carsten Denker vom Leibniz-Institut
für Astrophysik steht vor dem markantesten Bau: vor einem Turm, weiß
gekalkt, 15 Meter hoch. Der Einsteinturm.
O-Ton 1:
(Denker)
„Wenn man ihn sich genauer anschaut, sieht man viele geschwungene
Formen. Man sieht, wie die Treppenläufe geschwungen sind, wie die
Dächer geschwungen sind.“
Sprecher:
Der Turm wurde zu einem bestimmten Zweck gebaut – er sollte helfen,
die allgemeine Relativitätstheorie zu beweisen. Einstein selbst hatte ihn
mit konzipiert, gemeinsam mit dem Astronomen Erwin Freundlich.
19
Freundlich war Anfang des 20 Jahrhunderts angestellt am Berliner
Observatorium.
O-Ton 2:
(Denker)
„Seine Anstellung am Berliner Observatorium war eher langweilig. Das
hat ihn veranlasst, Briefe an Einstein zu schreiben. In diesen Briefen
hat er versucht, mit Einstein zu besprechen: Wie kann man die
allgemeine Relativitätstheorie experimentell nachweisen?“
Sprecher:
Freundlich war von Einsteins Theorie fasziniert. Denn diese Theorie
macht eine bemerkenswerte Voraussage: Das Licht von der Sonne
sollte von deren gewaltigen Masse beeinflusst werden, es sollte in
ihrem Schwerefeld Energie verlieren und dadurch ein wenig röter
werden. Könnte man diese Rotverschiebung messen, wäre Einsteins
Theorie bewiesen. Doch dafür brauchte man ein neues Teleskop – den
Einsteinturm.
Atmo 2:
Aufgang
O-Ton 3:
(Denker)
„Wir stehen jetzt direkt von den zwei Spiegeln. Über uns befindet sich
eine Holzkuppel. Die muss man durch Muskelkraft aufmachen, damit
man nach draußen schauen kann.“
Sprecher:
Carsten Denker greift sich ein Seil und zieht mit einiger Kraft daran.
Atmo 3:
Öffnen Kuppel
20
O-Ton 4:
(Denker)
„Jetzt habe ich gerade den Spalt der Kuppel geöffnet. Die Sonne steht
jetzt westlich, würde dann auf den ersten Spiegel fallen. Vom ersten
Spiegel fällt es auf den zweiten Spiegel. Dann geht es senkrecht nach
unten.“
Atmo 4:
Tür
Sprecher:
Jetzt geht Carsten Denker die Treppe hinab und folgt dem Weg des
Sonnenlichts nach unten, in den Keller.
O-Ton 5:
(Denker)
„Jetzt sind wir im Herzen des Einsteinturms. Das optische Labor.“
Sprecher:
Das Sonnenlicht trifft auf das Messinstrument, den Spektrographen.
Wie ein Prisma spaltet er das Sonnenlicht in seine Regenbogenfarben
auf. Damit müsste sich, spekulierten seinerzeit Einstein und
Freundlich, die Rotverschiebung eigentlich nachweisen lassen. Die
Allgemeine Relativitätstheorie wäre bewiesen. Aber:
O-Ton 6:
(Denker)
„Man hat nichts gemessen!“
Sprecher:
Einstein und Freundlich waren enttäuscht, sie konnten sich das
Resultat nicht erklären. Steckte ein Mess-Fehler dahinter, oder war
was faul an der Theorie? Doch der Grund für diesen Misserfolg lag, was
erst später herauskam, an etwas ganz anderem. An der Sonne, nicht
am Teleskop. Auf der Sonne herrschen nämlich Turbulenzen, ständig
21
steigen heiße Gasblasen auf. Und die heben die gesuchte
Rotverschiebung gerade auf. Einstein und Freundlich hatten also gar
keine Chance, den Effekt zu messen. Das gelang erst 1959 in den USA.
Dennoch: Vergebens war der Bau des Einsteinturms nicht, sagt Carsten
Denker.
O-Ton 7:
(Denker)
„Dieses Teleskop ist sehr gut gewesen – eines der besten Teleskope in
der Welt, um Sonnenforschung zu betreiben. Man hat sich
Sonnenflecken angeschaut und was sonst auf der Sonne passiert.“
Sprecher:
Und auch heute noch nutzen die Forscher den Turm ab und zu – als
Teststand für moderne Sonnenteleskope.
zusammen 20:20
Mod.
Frank Grotelüschen. – Den Zweiten Weltkrieg überdauert hat nicht nur
der Berliner Einstein-Turm, sondern auch eine Schallplatte aus dem
Jahr 1928, aufgenommen in Berlin für die Deutsche Liga für
Menschenrechte. Sie trägt den Titel: "Mein Glaubensbekenntnis".
Autor und Sprecher war Albert Einstein.
Einsteins Glaubensbekenntnis
O-Ton Einstein:
Zu den Menschen zu gehören, die ihre besten Kräfte der Betrachtung
und Erforschung objektiver, nicht zeitgebundener Dinge widmen dürfen
und können, bedeutet eine besondere Gnade. Wie froh und dankbar bin
ich, dass ich dieser Gnade teilhaftig geworden bin, die weitgehend vom
persönlichen Schicksal und vom Verhalten der Nebenmenschen
unabhängig macht. Aber diese Unabhängigkeit darf uns nicht blind
machen gegen die Erkenntnis der Pflichten, die uns unaufhörlich an die
frühere, gegenwärtige und zukünftige Menschheit binden. Seltsam
erscheint unsere Lage auf dieser Erde: Jeder von uns erscheint da
unfreiwillig und ungebeten zu kurzem Aufenthalt, ohne zu wissen
warum und wozu. Im täglichen Leben fühlen wir nur, dass der Mensch
um anderer willen da ist. Solcher, die wir lieben, und zahlreicher
anderer im Schicksal verbundener Wesen. Oft bedrückt mich der
Gedanke, in welchem Maße mein Leben auf der Arbeit meiner
Mitmenschen aufgebaut ist, und ich weiß, wie viel ich ihnen schulde. Ich
glaube nicht an die Freiheit des Willens. Schopenhauers Wort „Der
Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er
will“, begleitet mich in allen Lebenslagen und versöhnt mich mit den
Handlungen der Menschen, auch wenn sie mir recht schmerzlich sind.
Diese Erkenntnis von der Unfreiheit des Willens schützt mich davor,
mich selbst und die Mitmenschen als handelnde und urteilende
Individuen allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren.
Nach Wohlleben und Luxus strebte ich nie und habe sogar ein Gutteil
Verachtung dafür. Meine Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit hat
mich oft in Konflikt mit den Menschen gebracht. Ebenso meine
23
Abneigung gegen jede Bindung und Abhängigkeit, die mir nicht absolut
notwendig erschien.
Ich achte stets das Individuum und hege eine unüberwindliche
Abneigung gegen Gewalt und gegen Vereinsmeierei. Aus allen diesen
Motiven bin ich leidenschaftlicher Pazifist und Anti-Militarist, lehne
jeden Nationalismus ab, auch wenn er sich nur als Patriotismus
gebärdet. Aus Stellung und Besitz entspringende Vorrechte sind mir
immer ungerecht und verderblich erschienen. Ebenso ein
übertriebener Personenkultus. Ich bekenne mich zum Ideal der
Demokratie, trotz dem mir die Nachteile demokratischer Staatsformen
wohl bekannt sind. Sozialer Ausgleich und wirtschaftlicher Schutz des
Individuums erschienen mir stets als wichtige Ziele der staatlichen
Gemeinschaft. Ich bin zwar im täglichen Leben ein typischer
Einspänner, aber das Bewusstsein der unsichtbaren Gemeinschaft
derjenigen anzugehören, die nach Wahrheit, Schönheit und
Gerechtigkeit streben, hat das Gefühl der Vereinsamung nicht
aufkommen lassen. Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben
kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie
allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies
nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein
Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren
Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit
uns nur mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist
Religiosität. In diesem Sinne bin ich religiös. Es ist mir genug, diese
Geheimnisse staunend zu ahnen und zu versuchen, von der erhabenen
Struktur des Seienden in Demut ein mattes Abbild geistig zu erfassen.
24
Mod.
Albert Einsteins "Glaubensbekenntnis" aus dem Jahr 1928. Wenn wir
Sie neugierig gemacht haben auf weitere Beiträge der Reihe
Wissenswert, dann schauen Sie einfach mal in unser Podcast-Angebot
auf hr-inforadio.de, unter der Rubrik Wissenswert. Mein Name ist khw.