Coachingplus _ Fachartikel Alfred Adler – aktueller denn je!

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Alfred Adler – aktueller denn je!
Erfolg durch Kompetenz
„Jeder Mensch kann alles, solange er sich selbst keine Grenzen setzt.“ (Alfred Adler)
„Der Mensch weiss viel mehr, als er versteht.“ (Alfred Adler)
„Man könnte auch sagen, dass in einer Wissenschaft, die unmittelbar mit dem Leben
verknüpft ist, Theorie und Praxis fast untrennbar werden.“ (Alfred Adler)
Alfred Adler – aktueller denn je!
Geschichte der Individualpsychologie
Alfred Adler gehört zu den Pionieren der Psychologie. Die Tiefenpsychologie ist die
zusammenfassende Bezeichnung für die psychologischen Schulen von Sigmund
Freud, Alfred Adler und Carl Gustav Jung, die sich um die Erforschung des
Unbewussten bemühten. Damals standen Freud, Adler und andere Personen im
Kreuzfeuer der Kritik. Doch die Grundlagen der Psychoanalyse - wenn auch oftmals
in modernisierter Form - sind heute in der Medizin fest verankert.
Die Geburtsstunde der Psychologie
1902 wurde die „Mittwochs-Gesellschaft“ von Siegmund Freud ins Leben gerufen.
Siegmund Freud war zum Zeitpunkt der Gründung dieses Diskussionszirkels 46 Jahre
alt. In dieser Gruppe traf eine grosse Diskussionskultur, Kreativität und Pioniergeist
aufeinander. Alfred Adler war vierzehn Jahre jünger als Freud und arbeitete als
praktizierender Arzt. Die Zusammenkünfte von anfänglich fünf Männern fanden jeden
Mittwochabend in Freuds Wohnung statt. Im dichten Zigarrennebel wurden Vorträge
gehalten und ausgiebig diskutiert. Adler war in diesem Kreis einer der stets
anwesenden, und als Vortragender sowie als Diskussionsteilnehmer einer der
einflussreichsten und aktivsten.
Die letzten Worte gehörten aber immer Sigmund Freud. Alle Wortbeiträge wurden
vom Schriftführer protokolliert. Die Mitglieder waren zweifelsohne mit einem
Entdecker- und Erfinderfieber infiziert. Die Grundlagen für die Psychoanalyse und
Neurosentheorie wurden an diesen Mittwochabenden gelegt. In den Jahren bis 1907
wuchs der Kreis bis auf 20 Mitglieder an. Anschliessend setzte ein weiteres
Wachstum ein, bis 1911 schliesslich 43 Personen dazugehörten.
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Die drei Väter der Tiefenpsychologie
Sigmund Freud, 1856 – 1939
Psychoanalyse
Alfred Adler, 1870 – 1937
Individualpsychologie
Carl Gustav Jung, 1875 – 1961
Analytische Psychologie
Wien, anfänglich das ideale Umfeld
Um 1870 war Wien eine stark expandierende Stadt. Anlässlich der Weltausstellung
im 1873 entfaltete Wien eine rege Bautätigkeit und eine Hochphase der
Stadtentwicklung. Wien war, als Hauptstadt der österreichisch-habsburgischen
Monarchie, ein Ort des Prunkes. Vor allem in den Gründerjahren blühte und gedeihte
die Stadt auch wirtschaftlich. Aus allen Teilen der Monarchie strömten Menschen
nach Wien. Die nahe Donau ermöglichte den Handel mit Ungarn und den
Balkanländern. Wien war sowohl Warenlieferant als auch Absatzmarkt für
österreichische Produkte. Alte Landhandelswege führten ausserdem von Venedig
über Wien in den Norden. Der „Orient-Express“ von Paris nach Konstantinopel führte
ab 1883 durch die Monarchie mit Halt in Wien. Die Handelsstadt hatte damals Glanz
wie Prag, Venedig und Mailand.
Das Wien der Jahrhundertwende hatte auch ein grosses kulturelles Erbe. Der
Vielvölkerstaat der Habsburger mit seiner glänzenden Metropole war ein grosses
multikulturelles Gebilde, in dem sich Kunst, Wissenschaft und Moderne entwickeln
konnten. Um 1900 hatte Wien mehr als eine Million Einwohner, um 1910 war sie mit
mehr als zwei Millionen die fünf grösste Metropole der Welt.
„Hier blühten die Wissenschaft und die Kunst, Musik, Dichtung, Theater. Wiens
blendende Bälle und Feste bewunderte man in ganz Europa, wo Strauss die „schöne
blaue Donau“ als Symbol freudigen Genusses bekannt gemacht hatte“1. Diese
Gründerzeit fand jedoch kurz nach der Eröffnung der Weltausstellung mit einem
verheerenden Börsenkrach ein jähes Ende. Durch die militärische Niederlage
während des 1. Weltkrieges und den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen
Monarchie war eine katastrophale wirtschaftliche Situation eingetreten. Nach dem
Ersten Weltkrieg war Wien von Not, Hunger und Elend geprägt. An diesem Punkt
1
Paul Rom, Alfred Adler und die wissenschaftliche Menschenkenntnis, S. 24
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kam die Sozialdemokratische Partei an die Macht, nachdem Sie bei den
Kommunalwahlen 1919 mit überwältigender Mehrheit gewählt wurde. In den Jahren
1923-33 realisierte das „Rote Wien“ ein gross angelegtes Reformprogramm (Sozialer
Wohnbau, Gesundheits- und Bildungswesen). Die politische Radikalisierung und der
aufkommende Faschismus setzte den Reformen ein Ende. 1934 kam es zu einem
dreitägigen Bürgerkrieg. Österreich wurde ein autoritärer Ständestaat, der nun von
der „Vaterländischen Front“ regiert wurde, die sozialdemokratische Partei und ihre
Organisationen wurden verboten. Der Austrofaschismus war Wegbereiter des
Anschlusses an das nationalsozialistische Deutschland im Jahr 1938.
1933 setzte die Emigration ein. Vor allem Juden wurden zur Ausreise gezwungen.
Strebsame Mediziner
Sigmund Freud wie Alfred Adler wollten als Forscher Karriere machen. 1885
habilitierte Freud mit sämtlichen seiner bisher veröffentlichten Aufsätze. Im selben
Jahr wurde er zum Privatdozenten der Neuropathologie ernannt.
Der Weg zum Professorentitel war für Freud weit. Aber Freud war unermüdlich. Am
5. März 1902 wurde er zum ausserordentlichen Universitätsprofessor ernannt. Diesen
Titel verdankte Freud seinem diplomatischen Geschick. Bis zum Wintersemester
1918/19 las Freud an der Universität Wien. Vorerst referierte er über Anatomie und
Neurologie, später über Themen wie die Psychologie des Traumes und schliesslich
über die Psychoanalyse. Trotz einiger Freunde und Kollegen, die an seinen
Vorlesungen teilnahmen, waren diese in der Regel schlecht besucht. Das kann auch
an den ungewöhnlichen Vorlesungszeiten gelegen haben. Ab dem Sommersemester
1905 las Freud jeweils samstags zwischen 19 und 21 Uhr. Insgesamt 269 Personen
sind in der Hörerliste aufgeführt, darunter nicht wenige, die in der
Individualpsychologie eine Rolle spielten wie Rudolf Dreikurs, Erwin Wexberg u.a.
Die Grundlagen der Psychoanalyse waren geschaffen. Das Unbewusste war entdeckt
und treffend in diesem Satz ausgedrückt: Alle Bewegungen wie z. B. auch das Gehen
vollziehen sich unbewusst. Deswegen sagt man wohl, dass es unbewusst geschieht.
Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie
Die Individualpsychologie wurde durch den Wiener Arzt Alfred Adler gegründet. Sie
ist eine der drei klassischen Richtungen der Tiefenpsychologie. Adler wurde 1870 in
Wien geboren. Als zweites von sechs Kindern wuchs er in einem Vorort von Wien
auf. Im Alter von fünf Jahren erkrankte er an einer schweren Lungenentzündung. In
dieser Zeit entschied er sich für den Arztberuf, sodass er fähig würde, den Tod zu
überwinden. 1895 doktorierte er als Mediziner an der Universität Wien. Im Alter von
28 Jahren schrieb er sein erstes Buch, welches über die Gesundheit von Schneidern
handelte.
1911 verliess Adler den Kreis um Freud und formte seine eigene Gruppe. Im Laufe
der gemeinsamen Arbeit hatte Adler seine eigenen Ansichten entwickelt. Er
publizierte auch verschiedene Bücher. Sigmund Freud konnte in inhaltlichen
Auseinandersetzungen sehr verletzend werden. Er hielt es für die ihm anvertraute
Aufgabe, „seine Lehre rein und frei von allen mindernden Zutaten zu bewahren“2. Die
2
Handlbauer Bernhard (1990): Die Freud-Adler-Kontroverse, S. 176
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Charaktere von Freud und Adler waren zu unterschiedlich, als dass eine dauerhafte
Zusammenarbeit der beiden Männer möglich gewesen wäre. Beide Männer waren
starke Persönlichkeiten und zerstritten sich mit weiteren Gefolgsleuten. Bei Freud
kam es zum Bruch mit C.G. Jung und Adler distanzierte sich mit von seinem
bedeutendsten Schüler Manes Sperber.
Zum anderen war die unterschiedliche soziale Herkunft der Patienten ein weiterer
wichtiger Punkt. Freuds Patienten stammten zu drei Vierteln aus der Oberschicht. Die
Patienten von Adler gehörten meist der Unter- oder Mittelschicht an. Auch
hinsichtlich der Patienten trafen gegensätzliche Welten aufeinander.
Alfred Adler gab seinem psychologischen System den Namen „Individualpsychologie“
und gründete 1912 mit sieben Gleichgesinnten die „Gesellschaft für
Individualpsychologie“. Nach dem 1. Weltkrieg werden sein Einfluss und seine
Bedeutsamkeit in Österreich durch die Erziehungsberatung an den Volksschulen
sichtbar. Nach wenigen Jahren gab es in Wien nahezu 30
Erziehungsberatungsstellen. Alfred Adler hat „fast immer und von Beginn an
sämtliche Familienmitglieder gleichzeitig zu seinen Gesprächspartnern gemacht; er
hat auch die Aussprache mit den Eltern vor den Kindern bzw. das Gespräch mit den
Kindern in Anwesenheit der Eltern durchgeführt“3. Adler hatte die Aussprachen aber
nicht nur gemeinsam mit Eltern und Kindern geführt. Stets war auch ein
interessierter Zuhörerkreis mit anwesend.
Im Bereich des Schul- und Erziehungswesens wurde unter dem Präsidenten des
Wiener Stadtschulrates Otto Göckel eine Reform des gesamten Erziehungs- und
Bildungswesens eingeleitet. Zur besseren Lehrerausbildung wurde 1923 das
Pädagogische Institut der Stadt Wien gegründet. 1924 wurde Alfred Adler Professor
am obengenannten Institut. Ende 1920 entwickelte Alfred Adler ein Modell zur
Einbeziehung ganzer Familien in die Familien- und Erziehungsberatung. Ein
wesentlicher Teil der Schulreform bestand darin, die Sozialisationsfähigkeit der
Kinder zu fördern, die Eltern in schulische Belange einzubinden und
Chancengleichheit in der Bildung zu fördern. Die sogenannten
„Klassenbesprechungen“ stellten eine wichtige pädagogische Technik dar. Diese
Gruppenaussprachen hatten den Zweck, alle persönlichen, organisatorischen und
didaktischen Anliegen der Schüler gemeinsam mit den Lehrern zu besprechen.
Der individualpsychologische Zugang, der sich in wenigen Therapiesitzungen nur auf
die Interaktion in der Familie und ihr soziales Umfeld konzentrierte, hatte mit grossen
Widerständen aus dem psychoanalytischen Kollegenkreis zu kämpfen.
Nach der Zerschlagung der Sozialdemokratie durch das austrofaschistische Regime
im Jahr 1934 fanden die Schulversuche ein Ende und das alte autoritäre System
wurde wieder eingeführt. Nach Kriegsende waren gerade mal noch drei „Adlerianer“
in Wien verblieben, und zwar Oskar Spiel, Ferdinand Birnbaum und Karl Nowotny.
Im Jahre 1926 war Adler eingeladen, Gastvorlesungen an der Columbia University
(USA) zu halten. 1932 erhielt er eine Professur für medizinische Psychologie an dem
Long Island College of Medicine. Während den nächsten Jahren verbrachte er die
3
Riegel Erwin / Brandl Gerhard (1977): Ein Österreicher namens Alfred Adler, S. 203
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Sommermonate in Wien, in den übrigen Monaten hielt er die Vorlesungen in den
Staaten. 1935 liess er sich endgültig in Amerika nieder.
1937 wurde das Buch „Lebensprobleme“ veröffentlicht. Diese Publikation
verdeutlicht, dass Alfred Adler eine aussergewöhnliche Intuition hatte. „Diese auf den
ersten Blick voreilig erscheinenden Schlüsse wurden dann im Allgemeinen von dem,
was in der Krankengeschichte folgte, in überraschender Weise bestätigt.“
1937 weilte Adler in Aberdeen, Schottland, um einige Vorlesungen an der Universität
zu halten, als er plötzlich und unerwartet verstarb.
Der Wiener Kreis
Nicht nur Adler diskutierte in den Kaffeehäusern. Im Jahre 1924 gründete der
Philosoph Moritz Schlick den Wiener Kreis. Eine informelle Diskussionsrunde, welche
öffentlich in Erscheinung trat durch die Publikation mehrerer Schriftenreihen.
Der Wiener Kreis war eine aussergewöhnliche Gruppe von Philosophen,
Mathematikern, Natur- und Geisteswissenschaftlern, die sich von 1924 bis 1936
regelmässig trafen, um eine wissenschaftliche Weltauffassung zu entwickeln und zu
verbreiten.4
„Alle waren darauf aus, sich in ihren Fächern einen Namen zu machen, daneben
teilten sie das Interesse an den gemeinsamen Grundlagen wissenschaftlicher
Erkenntnisse, und studierten alles, was die Philosophie dazu beitragen konnte.
Ausserdem waren sie sämtlich jüdischer Herkunft, aber das sollte erst Jahrzehnte
später Auswirkungen haben.“5 Das politische Umfeld wurde zunehmend ungünstiger.
Viele verliessen Wien vor dem 2. Weltkrieg. Die wissenschaftlichen Spitzenleistungen
der Wiener Universität in den Zwischenkriegsjahren waren einzigartig. Nach dem
Krieg konnte nicht mehr an diesen Erfolg angeknüpft werden. „Eine Rückberufung
der 1938 entlassenen Professoren wurde von der österreichischen Bundesregierung
nie ernsthaft angestrebt.“6
Die Nachkriegszeit geprägt von Rudolf Dreikurs
Erst in den fünfziger Jahren wurden die pädagogischen Ansätze in Amerika
systematisch durch Rudolf Dreikurs weiterentwickelt. Dreikurs war die Person,
welcher die Individualpsychologie durch seine Erziehungsratgeber zurück nach
Europa brachte. „Wahlmöglichkeiten geben, Verantwortung übertragen und um Hilfe
bitten waren einige der Dreikurs-Techniken.“7 Erst in den 70er-Jahren wurden die
Bücher von Alfred Adler durch den Fischer Verlag in Deutschland neu aufgelegt.
Adler soll als erster mit ganzen Familien gearbeitet haben. Aber erst seit Beginn der
80er-Jahre wird von der systemischen Therapie gesprochen, die den
Betrachtungsfokus vom Individuum auf die Familie erweitert. Die
Individualpsychologie ist eine Beziehungspsychologie. Treffend sagte Adler: „Alles,
Siehe auch: https://www.univie.ac.at/uploads/media/WK_A15_Info-Folder-D.pdf Zugegriffen: 24.
August 2015
5
Karl Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis: Exaktes Denken am Rand des Untergangs
Taschenbuch, Springer Spektrum, Wiesbaden 2015, S. 45
6
Ebd., S. 322
7
Sadie E. (Tee) Dreikurs, Kühe können lila sein, S. 34
4
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was wir an einem Menschen beobachten, sind Beziehungen. Es sind Haltungen oder
noch besser Bewegungen auf etwas zu oder von etwas weg.“8
Die Individualpsychologie als Basis im Coaching
1995 wurde ich auf das Buch „Mut tut tut“ von Theo Schoenaker aufmerksam. Das
Encouraging-Konzept sprach mich sehr an. Die sofort anwendbaren und
ermutigenden Übungen sind für den Beratungsalltag nützlich und gewinnbringend.
Theo Schoenaker geht davon aus, dass man selbst eingefahrene Verhaltensweisen
durch Üben ändern kann. Als Autor vieler Lebenshilfe- und Sachbücher (www.rdiverlag.de) trug er entscheidend zur Verbreitung der Individualpsychologie und der
Idee der Ermutigung bei. Schoenaker gründete das Rudolf-Dreikurs-Institut (später
Adler-Dreikurs-Institut), um die Individualpsychologie möglichst vielen Menschen
zugänglich zu machen. Ich nutzte die Möglichkeit, am letzten Ausbildungsgang zum
„Dipl. Individualpsychologischen Berater“ teilzunehmen, den Theo Schoenaker noch
durchführte. So konnte ich wertvolle Kenntnisse aus seinem grossen
Erfahrungsschatz gewinnen. Die ermutigende, einfühlende Beratungskompetenz,
welche ich da kennen lernte, bewog mich, die Individualpsychologie zur Grundlage
meines Coachings zu machen.
Die Individualpsychologie ist ein Instrument, mit dem das Verhalten von Menschen
verstanden werden kann. Sie ist eine Sozialpsychologie und eine verständliche
Alltags- und Gebrauchspsychologie. Vor allem Adlers Deutung der einzelnen
Persönlichkeit und seine Folgerungen bezüglich des Lebensstils bilden eine einfache,
anwendbare psychologische Technik. Da der Lebensstil die grundsätzliche und alles
andere umfassende Lebensanschauung des einzelnen Menschen darstellt, schafft die
Erkenntnis der daraus entstehenden persönlichen Ziele und Haltungen die Basis für
das Verständnis all seiner Handlungen, Gedanken und Gefühle. Der zweite Grund:
Adlers Psychologie ist ein konstruktiver Optimismus, welcher die Selbstverantwortung
des Menschen betont. Der dritte Vorteil, den die Individualpsychologie bietet, ist die
Übereinstimmung ihrer Beobachtungen und Erkenntnisse mit dem gegenwärtigen
wissenschaftlichen Stand.
8
Alfred Adler (1966) Menschenkenntnis, S. 31
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Soziale Gleichwertigkeit – nicht nur Lehre, sondern Leben
Alfred Adler lehrte Mitmenschlichkeit, und er lebte sie auch. Er war ein Mann des
Volkes und wollte eine praktische Psychologie, die von allen verstanden wurde. Auch
minderbegüterte Personen wurden durch die pragmatischen Therapiesitzungen
angesprochen. Die erste Form der Kurzeittherapie wurde wohl von Alfred Adler und
seinen Schüler praktiziert. Die Erziehungsberatungsstellen und Ambulatorien waren
hierfür das ideale Umfeld.
In seinen Veröffentlichungen verwendete er durchgängig eine Sprache, die allgemein
verständlich war. Als Arzt behandelte er körperlich kranke Patienten. Er zeichnete
sich durch seine hohe Zuhör- und Analysefähigkeit aus. Folgerichtig konnte er aus
wenigen Sätzen eine nachvollziehbare, verständliche Lösung hervorbringen.
Zu Beginn seiner Tätigkeit entwickelte Adler die Theorie der Organminderwertigkeit.
Er stellte fest, dass Organminderwertigkeit einen Einfluss auf das Verhalten hat und
dass manche Menschen die Minderwertigkeit kompensieren können. Diese
individuellen Unterschiede bezeichnete Adler als schöpferischen Vorgang sowie als
Wahlfreiheit. Daraus folgte in einem weiteren Schritt weniger die Aufmerksamkeit auf
die Organminderwertigkeit, sondern eher, wie der Mensch seine
Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden sucht. Adler betonte in der Entwicklung
seiner Theorie das Bestreben, Schwierigkeiten überwinden zu können. Im Streben
nach Macht versucht der Mensch, seine Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden. In
der letzten Phase betonte Adler das soziale Streben nach Gleichwertigkeit und
Zugehörigkeit: Jeder Mensch möchte seinen Platz in der Gesellschaft haben und zum
Wohl beitragen.
Adler nannte sein System „die Lehre des unteilbaren Menschen“: Jeder Mensch ist
ein Individuum und ganzheitlich zu sehen. Der Name „Individualpsychologie“ bezieht
sich auf den Menschen als unteilbares Ganzes. Die Betonung des Holismus spiegelt
ein Grundverständnis der Individualpsychologie wieder. Ein wesentlicher Unterschied
zur Lehre Freuds besteht im Menschenbild. Während Freud die Aufspaltung der
Persönlichkeit betonte und von der Vorstellung ausging, dass sich Teile des
Menschen gegenseitig bekämpfen, betonte Adler das unteilbare Ganze. Im Weiteren
ist das menschliche Verhalten immer zielgerichtet, d.h. der Mensch verfolgt aufgrund
seines Lebensstils und der privaten Logik seine eigenen Ziele. Dieses Verhalten des
einzelnen Menschen kann man nur verstehen, wenn man die privaten Ziele kennt
und versteht. Diese können jedoch nur im jeweiligen systemischen Zusammenhang
voll verstanden werden, weil der Mensch ein soziales Wesen ist. Das Menschenbild
der Individualpsychologie kann mit folgenden Worten zusammengefasst werden:
Der Mensch ist ein
„einzigartiges, ganzheitliches und schöpferisches,
in untrennbarer Beziehung zu anderen stehendes
zielgerichtetes und Entscheidungen treffendes,
selbst verantwortliches Einzelwesen“9
Es gilt festzuhalten, dass die Individualpsychologie ganzheitlich und zielgerichtet ist
und die soziale Zugehörigkeit des Menschen betont.
9
Bayer Hermann (1995): Coaching – Kompetenz, S. 19
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S. 10
Alfred Adlers Einfluss auf die Psychologie
Am treffendsten und klarsten hat es Prof. Dr. Dr. Wolfgang Metzger (1899-1972)
ausgedrückt. Metzger war ein deutscher Psychologe. Er gilt als einer der
bedeutendsten Vertreter der Gestalttheorie in Deutschland. Er war erster
Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (1962–1964) und seit 1970
deren Ehrenmitglied. Ebenso war er 1966 engagiert in der Gründung und erster
Vorsitzender der Alfred Adler-Gesellschaft (ab 1970 Deutsche Gesellschaft für
Individualpsychologie e.V. (DGIP).
„Alfred Adlers Gedanken über eine der bedeutsamsten Ursachen seelischer
Störungen haben das eigenartige Schicksal gehabt, dass Name und Sache in alle
heute geläufigen psychotherapeutischen Ansätze – auch in die Alltagssprache –
eingegangen sind, dass aber nur in seltenen Ausnahmefällen der Name des
Urhebers genannt wird. Dieser Zustand, der den selbstverständlichen
Grundsätzen wissenschaftlicher Überlieferung widerspricht, ist umso bedauerlicher,
als die von Adler gefundene Form der Neurose inzwischen bei uns an Häufigkeit alle
anderen Formen übertrifft, ja zu einer Epidemie geworden ist, die das gesamte
öffentliche Leben aufs empfindlichste stört.“10
Das beste Beispiel für den Einfluss auf die Alltagssprache ist das Wort
„Minderwertigkeitsgefühl“. „Alfred Adler hat den bis dahin nur in der Kunst- und
Literaturtheorie verwendeten Begriff für die Psychologie entdeckt und als zentralen
Begriff der Individualpsychologie eingeführt.“11 Der Ausdruck
„Minderwertigkeitsgefühl“ fand in der Alltagssprache eine grösser und schnellere
Beachtung als in den Fachkreisen. 1907 schrieb Adler seine Schrift „Studie über
Minderwertigkeit von Organen.“12 Im Buch „Der nervöse Charakter“ welches er
191213 veröffentlichte, schrieb Alder ausführlich über die Kompensationsbewegung.
Alfred Adlers Reisetätigkeit
„Alfred Adler war ein mitreissender Redner und geselliger Unterhalter.“14 Das
Buch „Menschenkenntnis“ erschien 1927 und war eine Mitschrift von Vorträgen und
wurde sein erfolgreichstes Buch. Die rege Vortragstätigkeit prägte das Leben und die
Arbeitsweise von Alfred Adler. Er schrieb viele Bücher und Aufsätze, gab Interviews
u.a. in der New York Times. „Seine Auffassungen stimmten mit den Werten der
amerikanischen Bevölkerung überein.“15 Er hatte grossen Erfolg und galt als
10
Paul Rom: Alfred Adler und die wissenschaftliche Menschenkenntnis, Verlag Waldemar Kramer,
Frankfurt 1966, S. 9
11
Heinz Ludwig Ansbacher: Individualpsychologie, S. 245 & 246
12
https://de.wikisource.org/wiki/Studie_%C3%BCber_Minderwertigkeit_von_Organen Zugegriffen:
24. August 2015
13
Alfred Adler, Menschenkenntnis, Fischer Verlag, Frankfurt 1972, S. 29ff
14
Bernd Rieken (Hrsg.), Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie, Verlag:
Waxmann Münster 2011, S. 148
15
Gisela Eife (Hrsg.), Persönlichkeitstheorie, Psychopathologie, Psychotherapie. Alfred Adler
Studienausgabe, Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen 2010
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S. 11
populärer Psychologe, wie bereits in der Wiener Zeit interessierte Adler sich nicht für
die intellektuelle Avantgarde.
Adler prägte die einflussreichsten Psychologen
Alfred Adler beeinflusste Carl Rogers und Abraham Maslow, welche 1962 zur
Gründung der „American Association for Humanistic Psychology (AHP)“16 beitrugen.
Carl Rogers (1902-1987) war Schüler von Alfred Adler. Die Überprüfung des Lebens
von Rogers verdeutlicht, dass eine Reihe von wichtigen Menschen und Umstände
sein Denken beeinflussten. Obwohl es nicht allgemein bekannt ist, studierte Carl
Rogers bei Alfred Adler 1927-1928. Adler war Gastlehrer und Rogers war Praktikant
am Institut für Child Guidance (mittlerweile aufgelöst) in New York City.
Kurz vor seinem eigenen Tod, bot Rogers’s diesen Tribut: „I had the privilege of
meeting, listening to, and observing Dr. Alfred Adler . . . . Accustomed as I was to
the rather rigid Freudian approach of the Institute-seventy-five-page case histories,
and exhaustive batteries of tests before even thinking of "treating" a child--I was
shocked by Dr. Adler's very direct and deceptively simple manner of immediately
relating to the child and the parent. It took me some time to realize how much I had
learned from him.”17
Übersetzung: Ich hatte das Privileg, Dr. Alfred Adler zu treffen, zu hören und zu
beobachten. Ich war den rigiden Freudianischen Ansatz gewohnt, eine Fülle von
Tests und eine 75 seitenlange Fallgeschichte, bevor auch nur mit dem Behandeln
eines Kindes gestartet werden konnte. Ich war schockiert, wie Dr. Adler direkt und in
einer einfachen Art und Weise, mit dem Kind und den Eltern die Beratung führte.
Unmittelbar im Zusammenhang mit dem Kind und den Eltern. Es dauerte einige Zeit,
um zu realisieren, wie viel ich von ihm gelernt habe.
Wikipedia fasst das Verständnis von Rogers folgendermassen zusammen:
„Im Gegensatz zu Freud betonte Carl Rogers die Einzigartigkeit des Individuums. Er
legte besonderen Wert auf Begegnung im menschlichen Sinn, d.h. unter Einschluss
der emotionalen Ebene, der nonverbalen Äusserungen, des gegenseitigen
prinzipiellen Wohlwollens…
Besondere Anliegen Rogers waren:
- Gute gegenseitige Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern,
- und stabile, vertrauensvolle Beziehungen zwischen Ehepartnern, die auch an
Konflikten weiter wachsen können.
- Anders als viele andere Psychotherapeuten sah Rogers von Grund an das Gute
im Menschen. Zitat: Der Mensch ist gut.“18
In diesen Worten wird der Einfluss Alfred Adlers deutlich,
hundertprozentige Individualpsychologie.
Alfred Adler hatte ebenso Begegnungen mit Abraham Maslow19 (1908-1970). Der
Optimismus und Konstruktivismus von Adler findet sich bei Maslow wieder. Die
16
https://de.wikipedia.org/wiki/Humanistische_Psychologie#Entstehung Zugegriffen: 24. August 2015
Ansbacher, H. L. (1990). Alfred Adler’s influence on the three leading cofounders of humanistic
psychology. Journal of Humanistic Psychology, S. 47
18
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Rogers Zugegriffen: 24. August 2015
17
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S. 12
Überwindung der psychologischen Einschränkungen und der optimistischen Vision
von dem, was jeder von uns werden kann.20 Der Begriff „Positive Psychologie“ wurde
übrigens im Jahr 1954 von Abraham Maslow erstmals verwendet.21
Maslow sagte 1970: “For me Alfred Adler becomes more and more correct year be
year. As the facts come in, the give stronger and stronger support to his image of
humankind.”22
Übersetzung: Für mich wird Alfred Adler immer wichtiger und korrekter, Jahr für
Jahr. Wie die Fakten kommen, diese bestärken und unterstützen sein Bild der
Menschheit.
Eine letzte Anmerkung
Die humanistische Psychologie wurde der Grundstein für die seit 1970 populäre
Positive Psychologie. „Die Positive Psychologie knüpft mit ihrer Sichtweise an Ideen
der Humanistischen Psychologie. Viele ihrer Aspekte sind bereits in der
ressourcenorientierten Psychotherapie zu finden.“23 Das Fachmagazin „Psychologie
schreibt:“ „Zu Recht wird Alder häufig als der Grossvater jener Bewegung gesehen,
… die heute die theoretische Basis für die positive Psychologie liefert.“24
Autor: Urs R. Bärtschi ist Gründer, Inhaber und Leiter der Coachingplus GmbH in
Kloten/Schweiz. Er ist seit 20 Jahren als Coach und Berater tätig. Als
Ausbildungsleiter unterrichtet er den 10-tägigen Studiengang für angewandtes
Coaching, eine der meistbesuchten Coaching-Ausbildungen in der Schweiz.
19
http://alfredadler.edu/sites/default/files/Kajino_MP_2014.pdf, Autor: Makoto Kajino M.A., Adlerian
Counselor & Psychotherapist. Sehr lesenswert sind die Seien. 10-38 Zugegriffen: 24. August 2015
Ebenso empfehlenswert ist der Artikel von Prof. Dr. Richard Watts:
http://www.academia.edu/13289730/Something_Old_IS_Something_New_Adlers_Humanistic_and_Po
stive_Psychology_Approach_to_Counseling Zugegriffen: 24. August 2015
20
vgl. auch http://www.adlerian.us/ Zugegriffen: 24. August 2015
21
Robert Biswas-Diener / Ben Dean, Positive Psychology Coaching: Putting the Science of Happiness
to Work for Your Clients, New Jersey 2007
22
Maslow, A. H. (1970). Holistic emphasis. In the tributes to Alfred Adler on his 100th birthday.
Journal of Individual Psychology, 21(1), 13
23
https://de.wikipedia.org/wiki/Positive_Psychologie Zugegriffen: 24. August 2015
24
http://www.vpip.de/pdf/Artikel_Adler-Alfred_%207_2011.pdf Zugegriffen: 24. August 2015
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S. 13
Seminarhinweise:
Termine 10-tägiger Studiengang für angewandtes Coaching
Winter 2015 (10x Mittwochnachmittag)
Kurs 1525:
4., 11., 18., 25. Nov., 2., 9., 16. Dez. 2015;
13., 20., 27. Jan. 2016
jeweils 13.00-20.00 Uhr
Hinweis:
Dieser Kurs ist zur Hälfte ausgebucht!
Winter 2016 (Montag / Dienstag)
Kurs 1602:
11., 12., 25., 26. Jan., 7., 8., 21., 22. März, 4., 5. April 2016
jeweils 8.30-16.45 Uhr
Preis:
Fr. 3'095.Weitere Kursdaten, Informationen und Anmeldung unter
http://coachingplus.ch/termine/
Termine Dipl. Coach SCA / Betrieblicher Mentor/-in mit eidg. Fachausweis
Die auf den Studiengang aufbauende 12-tägige Diplomausbildung ermöglicht die
Berufsprüfung. Die nächste Durchführung beginnt am 10. Dezember 2015
Weitere Informationen unter http://coachingplus.ch/termine-ausbildungfachausweis/
Wir bieten eine preiswerte Ausbildung und eine hohe und anwendbare
Coaching-Kompetenz.
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