91 Coachingplus _ Fachartikel ______________ Coaching-Tipps Aktuelle Seminare Alfred Adler – aktueller denn je! Erfolg durch Kompetenz „Jeder Mensch kann alles, solange er sich selbst keine Grenzen setzt.“ (Alfred Adler) „Der Mensch weiss viel mehr, als er versteht.“ (Alfred Adler) „Man könnte auch sagen, dass in einer Wissenschaft, die unmittelbar mit dem Leben verknüpft ist, Theorie und Praxis fast untrennbar werden.“ (Alfred Adler) Alfred Adler – aktueller denn je! Geschichte der Individualpsychologie Alfred Adler gehört zu den Pionieren der Psychologie. Die Tiefenpsychologie ist die zusammenfassende Bezeichnung für die psychologischen Schulen von Sigmund Freud, Alfred Adler und Carl Gustav Jung, die sich um die Erforschung des Unbewussten bemühten. Damals standen Freud, Adler und andere Personen im Kreuzfeuer der Kritik. Doch die Grundlagen der Psychoanalyse - wenn auch oftmals in modernisierter Form - sind heute in der Medizin fest verankert. Die Geburtsstunde der Psychologie 1902 wurde die „Mittwochs-Gesellschaft“ von Siegmund Freud ins Leben gerufen. Siegmund Freud war zum Zeitpunkt der Gründung dieses Diskussionszirkels 46 Jahre alt. In dieser Gruppe traf eine grosse Diskussionskultur, Kreativität und Pioniergeist aufeinander. Alfred Adler war vierzehn Jahre jünger als Freud und arbeitete als praktizierender Arzt. Die Zusammenkünfte von anfänglich fünf Männern fanden jeden Mittwochabend in Freuds Wohnung statt. Im dichten Zigarrennebel wurden Vorträge gehalten und ausgiebig diskutiert. Adler war in diesem Kreis einer der stets anwesenden, und als Vortragender sowie als Diskussionsteilnehmer einer der einflussreichsten und aktivsten. Die letzten Worte gehörten aber immer Sigmund Freud. Alle Wortbeiträge wurden vom Schriftführer protokolliert. Die Mitglieder waren zweifelsohne mit einem Entdecker- und Erfinderfieber infiziert. Die Grundlagen für die Psychoanalyse und Neurosentheorie wurden an diesen Mittwochabenden gelegt. In den Jahren bis 1907 wuchs der Kreis bis auf 20 Mitglieder an. Anschliessend setzte ein weiteres Wachstum ein, bis 1911 schliesslich 43 Personen dazugehörten. 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 3 Die drei Väter der Tiefenpsychologie Sigmund Freud, 1856 – 1939 Psychoanalyse Alfred Adler, 1870 – 1937 Individualpsychologie Carl Gustav Jung, 1875 – 1961 Analytische Psychologie Wien, anfänglich das ideale Umfeld Um 1870 war Wien eine stark expandierende Stadt. Anlässlich der Weltausstellung im 1873 entfaltete Wien eine rege Bautätigkeit und eine Hochphase der Stadtentwicklung. Wien war, als Hauptstadt der österreichisch-habsburgischen Monarchie, ein Ort des Prunkes. Vor allem in den Gründerjahren blühte und gedeihte die Stadt auch wirtschaftlich. Aus allen Teilen der Monarchie strömten Menschen nach Wien. Die nahe Donau ermöglichte den Handel mit Ungarn und den Balkanländern. Wien war sowohl Warenlieferant als auch Absatzmarkt für österreichische Produkte. Alte Landhandelswege führten ausserdem von Venedig über Wien in den Norden. Der „Orient-Express“ von Paris nach Konstantinopel führte ab 1883 durch die Monarchie mit Halt in Wien. Die Handelsstadt hatte damals Glanz wie Prag, Venedig und Mailand. Das Wien der Jahrhundertwende hatte auch ein grosses kulturelles Erbe. Der Vielvölkerstaat der Habsburger mit seiner glänzenden Metropole war ein grosses multikulturelles Gebilde, in dem sich Kunst, Wissenschaft und Moderne entwickeln konnten. Um 1900 hatte Wien mehr als eine Million Einwohner, um 1910 war sie mit mehr als zwei Millionen die fünf grösste Metropole der Welt. „Hier blühten die Wissenschaft und die Kunst, Musik, Dichtung, Theater. Wiens blendende Bälle und Feste bewunderte man in ganz Europa, wo Strauss die „schöne blaue Donau“ als Symbol freudigen Genusses bekannt gemacht hatte“1. Diese Gründerzeit fand jedoch kurz nach der Eröffnung der Weltausstellung mit einem verheerenden Börsenkrach ein jähes Ende. Durch die militärische Niederlage während des 1. Weltkrieges und den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie war eine katastrophale wirtschaftliche Situation eingetreten. Nach dem Ersten Weltkrieg war Wien von Not, Hunger und Elend geprägt. An diesem Punkt 1 Paul Rom, Alfred Adler und die wissenschaftliche Menschenkenntnis, S. 24 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 4 kam die Sozialdemokratische Partei an die Macht, nachdem Sie bei den Kommunalwahlen 1919 mit überwältigender Mehrheit gewählt wurde. In den Jahren 1923-33 realisierte das „Rote Wien“ ein gross angelegtes Reformprogramm (Sozialer Wohnbau, Gesundheits- und Bildungswesen). Die politische Radikalisierung und der aufkommende Faschismus setzte den Reformen ein Ende. 1934 kam es zu einem dreitägigen Bürgerkrieg. Österreich wurde ein autoritärer Ständestaat, der nun von der „Vaterländischen Front“ regiert wurde, die sozialdemokratische Partei und ihre Organisationen wurden verboten. Der Austrofaschismus war Wegbereiter des Anschlusses an das nationalsozialistische Deutschland im Jahr 1938. 1933 setzte die Emigration ein. Vor allem Juden wurden zur Ausreise gezwungen. Strebsame Mediziner Sigmund Freud wie Alfred Adler wollten als Forscher Karriere machen. 1885 habilitierte Freud mit sämtlichen seiner bisher veröffentlichten Aufsätze. Im selben Jahr wurde er zum Privatdozenten der Neuropathologie ernannt. Der Weg zum Professorentitel war für Freud weit. Aber Freud war unermüdlich. Am 5. März 1902 wurde er zum ausserordentlichen Universitätsprofessor ernannt. Diesen Titel verdankte Freud seinem diplomatischen Geschick. Bis zum Wintersemester 1918/19 las Freud an der Universität Wien. Vorerst referierte er über Anatomie und Neurologie, später über Themen wie die Psychologie des Traumes und schliesslich über die Psychoanalyse. Trotz einiger Freunde und Kollegen, die an seinen Vorlesungen teilnahmen, waren diese in der Regel schlecht besucht. Das kann auch an den ungewöhnlichen Vorlesungszeiten gelegen haben. Ab dem Sommersemester 1905 las Freud jeweils samstags zwischen 19 und 21 Uhr. Insgesamt 269 Personen sind in der Hörerliste aufgeführt, darunter nicht wenige, die in der Individualpsychologie eine Rolle spielten wie Rudolf Dreikurs, Erwin Wexberg u.a. Die Grundlagen der Psychoanalyse waren geschaffen. Das Unbewusste war entdeckt und treffend in diesem Satz ausgedrückt: Alle Bewegungen wie z. B. auch das Gehen vollziehen sich unbewusst. Deswegen sagt man wohl, dass es unbewusst geschieht. Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie Die Individualpsychologie wurde durch den Wiener Arzt Alfred Adler gegründet. Sie ist eine der drei klassischen Richtungen der Tiefenpsychologie. Adler wurde 1870 in Wien geboren. Als zweites von sechs Kindern wuchs er in einem Vorort von Wien auf. Im Alter von fünf Jahren erkrankte er an einer schweren Lungenentzündung. In dieser Zeit entschied er sich für den Arztberuf, sodass er fähig würde, den Tod zu überwinden. 1895 doktorierte er als Mediziner an der Universität Wien. Im Alter von 28 Jahren schrieb er sein erstes Buch, welches über die Gesundheit von Schneidern handelte. 1911 verliess Adler den Kreis um Freud und formte seine eigene Gruppe. Im Laufe der gemeinsamen Arbeit hatte Adler seine eigenen Ansichten entwickelt. Er publizierte auch verschiedene Bücher. Sigmund Freud konnte in inhaltlichen Auseinandersetzungen sehr verletzend werden. Er hielt es für die ihm anvertraute Aufgabe, „seine Lehre rein und frei von allen mindernden Zutaten zu bewahren“2. Die 2 Handlbauer Bernhard (1990): Die Freud-Adler-Kontroverse, S. 176 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 5 Charaktere von Freud und Adler waren zu unterschiedlich, als dass eine dauerhafte Zusammenarbeit der beiden Männer möglich gewesen wäre. Beide Männer waren starke Persönlichkeiten und zerstritten sich mit weiteren Gefolgsleuten. Bei Freud kam es zum Bruch mit C.G. Jung und Adler distanzierte sich mit von seinem bedeutendsten Schüler Manes Sperber. Zum anderen war die unterschiedliche soziale Herkunft der Patienten ein weiterer wichtiger Punkt. Freuds Patienten stammten zu drei Vierteln aus der Oberschicht. Die Patienten von Adler gehörten meist der Unter- oder Mittelschicht an. Auch hinsichtlich der Patienten trafen gegensätzliche Welten aufeinander. Alfred Adler gab seinem psychologischen System den Namen „Individualpsychologie“ und gründete 1912 mit sieben Gleichgesinnten die „Gesellschaft für Individualpsychologie“. Nach dem 1. Weltkrieg werden sein Einfluss und seine Bedeutsamkeit in Österreich durch die Erziehungsberatung an den Volksschulen sichtbar. Nach wenigen Jahren gab es in Wien nahezu 30 Erziehungsberatungsstellen. Alfred Adler hat „fast immer und von Beginn an sämtliche Familienmitglieder gleichzeitig zu seinen Gesprächspartnern gemacht; er hat auch die Aussprache mit den Eltern vor den Kindern bzw. das Gespräch mit den Kindern in Anwesenheit der Eltern durchgeführt“3. Adler hatte die Aussprachen aber nicht nur gemeinsam mit Eltern und Kindern geführt. Stets war auch ein interessierter Zuhörerkreis mit anwesend. Im Bereich des Schul- und Erziehungswesens wurde unter dem Präsidenten des Wiener Stadtschulrates Otto Göckel eine Reform des gesamten Erziehungs- und Bildungswesens eingeleitet. Zur besseren Lehrerausbildung wurde 1923 das Pädagogische Institut der Stadt Wien gegründet. 1924 wurde Alfred Adler Professor am obengenannten Institut. Ende 1920 entwickelte Alfred Adler ein Modell zur Einbeziehung ganzer Familien in die Familien- und Erziehungsberatung. Ein wesentlicher Teil der Schulreform bestand darin, die Sozialisationsfähigkeit der Kinder zu fördern, die Eltern in schulische Belange einzubinden und Chancengleichheit in der Bildung zu fördern. Die sogenannten „Klassenbesprechungen“ stellten eine wichtige pädagogische Technik dar. Diese Gruppenaussprachen hatten den Zweck, alle persönlichen, organisatorischen und didaktischen Anliegen der Schüler gemeinsam mit den Lehrern zu besprechen. Der individualpsychologische Zugang, der sich in wenigen Therapiesitzungen nur auf die Interaktion in der Familie und ihr soziales Umfeld konzentrierte, hatte mit grossen Widerständen aus dem psychoanalytischen Kollegenkreis zu kämpfen. Nach der Zerschlagung der Sozialdemokratie durch das austrofaschistische Regime im Jahr 1934 fanden die Schulversuche ein Ende und das alte autoritäre System wurde wieder eingeführt. Nach Kriegsende waren gerade mal noch drei „Adlerianer“ in Wien verblieben, und zwar Oskar Spiel, Ferdinand Birnbaum und Karl Nowotny. Im Jahre 1926 war Adler eingeladen, Gastvorlesungen an der Columbia University (USA) zu halten. 1932 erhielt er eine Professur für medizinische Psychologie an dem Long Island College of Medicine. Während den nächsten Jahren verbrachte er die 3 Riegel Erwin / Brandl Gerhard (1977): Ein Österreicher namens Alfred Adler, S. 203 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 6 Sommermonate in Wien, in den übrigen Monaten hielt er die Vorlesungen in den Staaten. 1935 liess er sich endgültig in Amerika nieder. 1937 wurde das Buch „Lebensprobleme“ veröffentlicht. Diese Publikation verdeutlicht, dass Alfred Adler eine aussergewöhnliche Intuition hatte. „Diese auf den ersten Blick voreilig erscheinenden Schlüsse wurden dann im Allgemeinen von dem, was in der Krankengeschichte folgte, in überraschender Weise bestätigt.“ 1937 weilte Adler in Aberdeen, Schottland, um einige Vorlesungen an der Universität zu halten, als er plötzlich und unerwartet verstarb. Der Wiener Kreis Nicht nur Adler diskutierte in den Kaffeehäusern. Im Jahre 1924 gründete der Philosoph Moritz Schlick den Wiener Kreis. Eine informelle Diskussionsrunde, welche öffentlich in Erscheinung trat durch die Publikation mehrerer Schriftenreihen. Der Wiener Kreis war eine aussergewöhnliche Gruppe von Philosophen, Mathematikern, Natur- und Geisteswissenschaftlern, die sich von 1924 bis 1936 regelmässig trafen, um eine wissenschaftliche Weltauffassung zu entwickeln und zu verbreiten.4 „Alle waren darauf aus, sich in ihren Fächern einen Namen zu machen, daneben teilten sie das Interesse an den gemeinsamen Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnisse, und studierten alles, was die Philosophie dazu beitragen konnte. Ausserdem waren sie sämtlich jüdischer Herkunft, aber das sollte erst Jahrzehnte später Auswirkungen haben.“5 Das politische Umfeld wurde zunehmend ungünstiger. Viele verliessen Wien vor dem 2. Weltkrieg. Die wissenschaftlichen Spitzenleistungen der Wiener Universität in den Zwischenkriegsjahren waren einzigartig. Nach dem Krieg konnte nicht mehr an diesen Erfolg angeknüpft werden. „Eine Rückberufung der 1938 entlassenen Professoren wurde von der österreichischen Bundesregierung nie ernsthaft angestrebt.“6 Die Nachkriegszeit geprägt von Rudolf Dreikurs Erst in den fünfziger Jahren wurden die pädagogischen Ansätze in Amerika systematisch durch Rudolf Dreikurs weiterentwickelt. Dreikurs war die Person, welcher die Individualpsychologie durch seine Erziehungsratgeber zurück nach Europa brachte. „Wahlmöglichkeiten geben, Verantwortung übertragen und um Hilfe bitten waren einige der Dreikurs-Techniken.“7 Erst in den 70er-Jahren wurden die Bücher von Alfred Adler durch den Fischer Verlag in Deutschland neu aufgelegt. Adler soll als erster mit ganzen Familien gearbeitet haben. Aber erst seit Beginn der 80er-Jahre wird von der systemischen Therapie gesprochen, die den Betrachtungsfokus vom Individuum auf die Familie erweitert. Die Individualpsychologie ist eine Beziehungspsychologie. Treffend sagte Adler: „Alles, Siehe auch: https://www.univie.ac.at/uploads/media/WK_A15_Info-Folder-D.pdf Zugegriffen: 24. August 2015 5 Karl Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis: Exaktes Denken am Rand des Untergangs Taschenbuch, Springer Spektrum, Wiesbaden 2015, S. 45 6 Ebd., S. 322 7 Sadie E. (Tee) Dreikurs, Kühe können lila sein, S. 34 4 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 7 was wir an einem Menschen beobachten, sind Beziehungen. Es sind Haltungen oder noch besser Bewegungen auf etwas zu oder von etwas weg.“8 Die Individualpsychologie als Basis im Coaching 1995 wurde ich auf das Buch „Mut tut tut“ von Theo Schoenaker aufmerksam. Das Encouraging-Konzept sprach mich sehr an. Die sofort anwendbaren und ermutigenden Übungen sind für den Beratungsalltag nützlich und gewinnbringend. Theo Schoenaker geht davon aus, dass man selbst eingefahrene Verhaltensweisen durch Üben ändern kann. Als Autor vieler Lebenshilfe- und Sachbücher (www.rdiverlag.de) trug er entscheidend zur Verbreitung der Individualpsychologie und der Idee der Ermutigung bei. Schoenaker gründete das Rudolf-Dreikurs-Institut (später Adler-Dreikurs-Institut), um die Individualpsychologie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Ich nutzte die Möglichkeit, am letzten Ausbildungsgang zum „Dipl. Individualpsychologischen Berater“ teilzunehmen, den Theo Schoenaker noch durchführte. So konnte ich wertvolle Kenntnisse aus seinem grossen Erfahrungsschatz gewinnen. Die ermutigende, einfühlende Beratungskompetenz, welche ich da kennen lernte, bewog mich, die Individualpsychologie zur Grundlage meines Coachings zu machen. Die Individualpsychologie ist ein Instrument, mit dem das Verhalten von Menschen verstanden werden kann. Sie ist eine Sozialpsychologie und eine verständliche Alltags- und Gebrauchspsychologie. Vor allem Adlers Deutung der einzelnen Persönlichkeit und seine Folgerungen bezüglich des Lebensstils bilden eine einfache, anwendbare psychologische Technik. Da der Lebensstil die grundsätzliche und alles andere umfassende Lebensanschauung des einzelnen Menschen darstellt, schafft die Erkenntnis der daraus entstehenden persönlichen Ziele und Haltungen die Basis für das Verständnis all seiner Handlungen, Gedanken und Gefühle. Der zweite Grund: Adlers Psychologie ist ein konstruktiver Optimismus, welcher die Selbstverantwortung des Menschen betont. Der dritte Vorteil, den die Individualpsychologie bietet, ist die Übereinstimmung ihrer Beobachtungen und Erkenntnisse mit dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand. 8 Alfred Adler (1966) Menschenkenntnis, S. 31 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 8 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 9 Soziale Gleichwertigkeit – nicht nur Lehre, sondern Leben Alfred Adler lehrte Mitmenschlichkeit, und er lebte sie auch. Er war ein Mann des Volkes und wollte eine praktische Psychologie, die von allen verstanden wurde. Auch minderbegüterte Personen wurden durch die pragmatischen Therapiesitzungen angesprochen. Die erste Form der Kurzeittherapie wurde wohl von Alfred Adler und seinen Schüler praktiziert. Die Erziehungsberatungsstellen und Ambulatorien waren hierfür das ideale Umfeld. In seinen Veröffentlichungen verwendete er durchgängig eine Sprache, die allgemein verständlich war. Als Arzt behandelte er körperlich kranke Patienten. Er zeichnete sich durch seine hohe Zuhör- und Analysefähigkeit aus. Folgerichtig konnte er aus wenigen Sätzen eine nachvollziehbare, verständliche Lösung hervorbringen. Zu Beginn seiner Tätigkeit entwickelte Adler die Theorie der Organminderwertigkeit. Er stellte fest, dass Organminderwertigkeit einen Einfluss auf das Verhalten hat und dass manche Menschen die Minderwertigkeit kompensieren können. Diese individuellen Unterschiede bezeichnete Adler als schöpferischen Vorgang sowie als Wahlfreiheit. Daraus folgte in einem weiteren Schritt weniger die Aufmerksamkeit auf die Organminderwertigkeit, sondern eher, wie der Mensch seine Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden sucht. Adler betonte in der Entwicklung seiner Theorie das Bestreben, Schwierigkeiten überwinden zu können. Im Streben nach Macht versucht der Mensch, seine Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden. In der letzten Phase betonte Adler das soziale Streben nach Gleichwertigkeit und Zugehörigkeit: Jeder Mensch möchte seinen Platz in der Gesellschaft haben und zum Wohl beitragen. Adler nannte sein System „die Lehre des unteilbaren Menschen“: Jeder Mensch ist ein Individuum und ganzheitlich zu sehen. Der Name „Individualpsychologie“ bezieht sich auf den Menschen als unteilbares Ganzes. Die Betonung des Holismus spiegelt ein Grundverständnis der Individualpsychologie wieder. Ein wesentlicher Unterschied zur Lehre Freuds besteht im Menschenbild. Während Freud die Aufspaltung der Persönlichkeit betonte und von der Vorstellung ausging, dass sich Teile des Menschen gegenseitig bekämpfen, betonte Adler das unteilbare Ganze. Im Weiteren ist das menschliche Verhalten immer zielgerichtet, d.h. der Mensch verfolgt aufgrund seines Lebensstils und der privaten Logik seine eigenen Ziele. Dieses Verhalten des einzelnen Menschen kann man nur verstehen, wenn man die privaten Ziele kennt und versteht. Diese können jedoch nur im jeweiligen systemischen Zusammenhang voll verstanden werden, weil der Mensch ein soziales Wesen ist. Das Menschenbild der Individualpsychologie kann mit folgenden Worten zusammengefasst werden: Der Mensch ist ein „einzigartiges, ganzheitliches und schöpferisches, in untrennbarer Beziehung zu anderen stehendes zielgerichtetes und Entscheidungen treffendes, selbst verantwortliches Einzelwesen“9 Es gilt festzuhalten, dass die Individualpsychologie ganzheitlich und zielgerichtet ist und die soziale Zugehörigkeit des Menschen betont. 9 Bayer Hermann (1995): Coaching – Kompetenz, S. 19 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 10 Alfred Adlers Einfluss auf die Psychologie Am treffendsten und klarsten hat es Prof. Dr. Dr. Wolfgang Metzger (1899-1972) ausgedrückt. Metzger war ein deutscher Psychologe. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Gestalttheorie in Deutschland. Er war erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (1962–1964) und seit 1970 deren Ehrenmitglied. Ebenso war er 1966 engagiert in der Gründung und erster Vorsitzender der Alfred Adler-Gesellschaft (ab 1970 Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP). „Alfred Adlers Gedanken über eine der bedeutsamsten Ursachen seelischer Störungen haben das eigenartige Schicksal gehabt, dass Name und Sache in alle heute geläufigen psychotherapeutischen Ansätze – auch in die Alltagssprache – eingegangen sind, dass aber nur in seltenen Ausnahmefällen der Name des Urhebers genannt wird. Dieser Zustand, der den selbstverständlichen Grundsätzen wissenschaftlicher Überlieferung widerspricht, ist umso bedauerlicher, als die von Adler gefundene Form der Neurose inzwischen bei uns an Häufigkeit alle anderen Formen übertrifft, ja zu einer Epidemie geworden ist, die das gesamte öffentliche Leben aufs empfindlichste stört.“10 Das beste Beispiel für den Einfluss auf die Alltagssprache ist das Wort „Minderwertigkeitsgefühl“. „Alfred Adler hat den bis dahin nur in der Kunst- und Literaturtheorie verwendeten Begriff für die Psychologie entdeckt und als zentralen Begriff der Individualpsychologie eingeführt.“11 Der Ausdruck „Minderwertigkeitsgefühl“ fand in der Alltagssprache eine grösser und schnellere Beachtung als in den Fachkreisen. 1907 schrieb Adler seine Schrift „Studie über Minderwertigkeit von Organen.“12 Im Buch „Der nervöse Charakter“ welches er 191213 veröffentlichte, schrieb Alder ausführlich über die Kompensationsbewegung. Alfred Adlers Reisetätigkeit „Alfred Adler war ein mitreissender Redner und geselliger Unterhalter.“14 Das Buch „Menschenkenntnis“ erschien 1927 und war eine Mitschrift von Vorträgen und wurde sein erfolgreichstes Buch. Die rege Vortragstätigkeit prägte das Leben und die Arbeitsweise von Alfred Adler. Er schrieb viele Bücher und Aufsätze, gab Interviews u.a. in der New York Times. „Seine Auffassungen stimmten mit den Werten der amerikanischen Bevölkerung überein.“15 Er hatte grossen Erfolg und galt als 10 Paul Rom: Alfred Adler und die wissenschaftliche Menschenkenntnis, Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt 1966, S. 9 11 Heinz Ludwig Ansbacher: Individualpsychologie, S. 245 & 246 12 https://de.wikisource.org/wiki/Studie_%C3%BCber_Minderwertigkeit_von_Organen Zugegriffen: 24. August 2015 13 Alfred Adler, Menschenkenntnis, Fischer Verlag, Frankfurt 1972, S. 29ff 14 Bernd Rieken (Hrsg.), Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie, Verlag: Waxmann Münster 2011, S. 148 15 Gisela Eife (Hrsg.), Persönlichkeitstheorie, Psychopathologie, Psychotherapie. Alfred Adler Studienausgabe, Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen 2010 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 11 populärer Psychologe, wie bereits in der Wiener Zeit interessierte Adler sich nicht für die intellektuelle Avantgarde. Adler prägte die einflussreichsten Psychologen Alfred Adler beeinflusste Carl Rogers und Abraham Maslow, welche 1962 zur Gründung der „American Association for Humanistic Psychology (AHP)“16 beitrugen. Carl Rogers (1902-1987) war Schüler von Alfred Adler. Die Überprüfung des Lebens von Rogers verdeutlicht, dass eine Reihe von wichtigen Menschen und Umstände sein Denken beeinflussten. Obwohl es nicht allgemein bekannt ist, studierte Carl Rogers bei Alfred Adler 1927-1928. Adler war Gastlehrer und Rogers war Praktikant am Institut für Child Guidance (mittlerweile aufgelöst) in New York City. Kurz vor seinem eigenen Tod, bot Rogers’s diesen Tribut: „I had the privilege of meeting, listening to, and observing Dr. Alfred Adler . . . . Accustomed as I was to the rather rigid Freudian approach of the Institute-seventy-five-page case histories, and exhaustive batteries of tests before even thinking of "treating" a child--I was shocked by Dr. Adler's very direct and deceptively simple manner of immediately relating to the child and the parent. It took me some time to realize how much I had learned from him.”17 Übersetzung: Ich hatte das Privileg, Dr. Alfred Adler zu treffen, zu hören und zu beobachten. Ich war den rigiden Freudianischen Ansatz gewohnt, eine Fülle von Tests und eine 75 seitenlange Fallgeschichte, bevor auch nur mit dem Behandeln eines Kindes gestartet werden konnte. Ich war schockiert, wie Dr. Adler direkt und in einer einfachen Art und Weise, mit dem Kind und den Eltern die Beratung führte. Unmittelbar im Zusammenhang mit dem Kind und den Eltern. Es dauerte einige Zeit, um zu realisieren, wie viel ich von ihm gelernt habe. Wikipedia fasst das Verständnis von Rogers folgendermassen zusammen: „Im Gegensatz zu Freud betonte Carl Rogers die Einzigartigkeit des Individuums. Er legte besonderen Wert auf Begegnung im menschlichen Sinn, d.h. unter Einschluss der emotionalen Ebene, der nonverbalen Äusserungen, des gegenseitigen prinzipiellen Wohlwollens… Besondere Anliegen Rogers waren: - Gute gegenseitige Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern, - und stabile, vertrauensvolle Beziehungen zwischen Ehepartnern, die auch an Konflikten weiter wachsen können. - Anders als viele andere Psychotherapeuten sah Rogers von Grund an das Gute im Menschen. Zitat: Der Mensch ist gut.“18 In diesen Worten wird der Einfluss Alfred Adlers deutlich, hundertprozentige Individualpsychologie. Alfred Adler hatte ebenso Begegnungen mit Abraham Maslow19 (1908-1970). Der Optimismus und Konstruktivismus von Adler findet sich bei Maslow wieder. Die 16 https://de.wikipedia.org/wiki/Humanistische_Psychologie#Entstehung Zugegriffen: 24. August 2015 Ansbacher, H. L. (1990). Alfred Adler’s influence on the three leading cofounders of humanistic psychology. Journal of Humanistic Psychology, S. 47 18 https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Rogers Zugegriffen: 24. August 2015 17 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 12 Überwindung der psychologischen Einschränkungen und der optimistischen Vision von dem, was jeder von uns werden kann.20 Der Begriff „Positive Psychologie“ wurde übrigens im Jahr 1954 von Abraham Maslow erstmals verwendet.21 Maslow sagte 1970: “For me Alfred Adler becomes more and more correct year be year. As the facts come in, the give stronger and stronger support to his image of humankind.”22 Übersetzung: Für mich wird Alfred Adler immer wichtiger und korrekter, Jahr für Jahr. Wie die Fakten kommen, diese bestärken und unterstützen sein Bild der Menschheit. Eine letzte Anmerkung Die humanistische Psychologie wurde der Grundstein für die seit 1970 populäre Positive Psychologie. „Die Positive Psychologie knüpft mit ihrer Sichtweise an Ideen der Humanistischen Psychologie. Viele ihrer Aspekte sind bereits in der ressourcenorientierten Psychotherapie zu finden.“23 Das Fachmagazin „Psychologie schreibt:“ „Zu Recht wird Alder häufig als der Grossvater jener Bewegung gesehen, … die heute die theoretische Basis für die positive Psychologie liefert.“24 Autor: Urs R. Bärtschi ist Gründer, Inhaber und Leiter der Coachingplus GmbH in Kloten/Schweiz. Er ist seit 20 Jahren als Coach und Berater tätig. Als Ausbildungsleiter unterrichtet er den 10-tägigen Studiengang für angewandtes Coaching, eine der meistbesuchten Coaching-Ausbildungen in der Schweiz. 19 http://alfredadler.edu/sites/default/files/Kajino_MP_2014.pdf, Autor: Makoto Kajino M.A., Adlerian Counselor & Psychotherapist. Sehr lesenswert sind die Seien. 10-38 Zugegriffen: 24. August 2015 Ebenso empfehlenswert ist der Artikel von Prof. Dr. Richard Watts: http://www.academia.edu/13289730/Something_Old_IS_Something_New_Adlers_Humanistic_and_Po stive_Psychology_Approach_to_Counseling Zugegriffen: 24. August 2015 20 vgl. auch http://www.adlerian.us/ Zugegriffen: 24. August 2015 21 Robert Biswas-Diener / Ben Dean, Positive Psychology Coaching: Putting the Science of Happiness to Work for Your Clients, New Jersey 2007 22 Maslow, A. H. (1970). Holistic emphasis. In the tributes to Alfred Adler on his 100th birthday. Journal of Individual Psychology, 21(1), 13 23 https://de.wikipedia.org/wiki/Positive_Psychologie Zugegriffen: 24. August 2015 24 http://www.vpip.de/pdf/Artikel_Adler-Alfred_%207_2011.pdf Zugegriffen: 24. August 2015 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 13 Seminarhinweise: Termine 10-tägiger Studiengang für angewandtes Coaching Winter 2015 (10x Mittwochnachmittag) Kurs 1525: 4., 11., 18., 25. Nov., 2., 9., 16. Dez. 2015; 13., 20., 27. Jan. 2016 jeweils 13.00-20.00 Uhr Hinweis: Dieser Kurs ist zur Hälfte ausgebucht! Winter 2016 (Montag / Dienstag) Kurs 1602: 11., 12., 25., 26. Jan., 7., 8., 21., 22. März, 4., 5. April 2016 jeweils 8.30-16.45 Uhr Preis: Fr. 3'095.Weitere Kursdaten, Informationen und Anmeldung unter http://coachingplus.ch/termine/ Termine Dipl. Coach SCA / Betrieblicher Mentor/-in mit eidg. Fachausweis Die auf den Studiengang aufbauende 12-tägige Diplomausbildung ermöglicht die Berufsprüfung. Die nächste Durchführung beginnt am 10. Dezember 2015 Weitere Informationen unter http://coachingplus.ch/termine-ausbildungfachausweis/ Wir bieten eine preiswerte Ausbildung und eine hohe und anwendbare Coaching-Kompetenz. Coachingplus GmbH Urs R. Bärtschi Ifangstr. 10 CH 8302 Kloten Tel. +41 (0) 44 865 37 73 [email protected] www.coachingplus.ch 02.09.2015 Coachingplus GmbH, Ifangstr.10, CH-8302 Kloten, www.coachingplus.ch, Tel. +41 (0) 44 865 37 73 S. 14
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