SA N I - W E LT SA N I - I N F O Steht in Sachen Korruption nur der Gesundheitsmarkt am Pranger? Verkehrte Welt Peter Hartmann, Kanzlei Hartmann Rechtsanwälte (Lünen) aum ein Tag vergeht, an dem man sich nicht verwundert die Augen reiben muss, weil Banker wie der Ex-Vorstand der Deutschen Bank Anshu Jain trotz nachgewiesener illegaler Kursmanipulationen, aufgrund derer gegen die Deutsche Bank bereits ein Bußgeld in Höhe von 2,3 Mrd. Euro (!) verhängt worden ist, auch noch mit Millionen abgefunden werden. Auch die politische Klasse bietet gerade in jüngster Zeit immer wieder Anlass zur Frage, ob sie noch einen Funken Moral und Anstand besitzt oder in Gänze nur noch von monetärer Gier getrieben wird. Anders lässt es sich kaum erklären, wenn – wie der „Spiegel“ jüngst aufgedeckt hat – Altkanzler Schröder, Altbundespräsident Köhler und Ex-Innenminister Otto Schily sich für sechsstellige Beträge vor den Karren diktatorischer Regime, wie in Kasachstan, spannen lassen. Immerhin handelt es sich bei Kasachstan um ein Land, das – so der Spiegel – von der Human Rights Foundation zum Paradebeispiel einer postmodernen Diktatur erklärt wird, in dem laut Amnesty International gefoltert wird und das laut OSZE noch keine einzige faire und freie Wahl gesehen hat. Auch die Frage, ob der Umgang mit Steuergeldern im Fall des Desaster-Flughafens Berlin Brandenburg – der nach Planungen aus dem Jahr 2005 etwa 2 Mrd. Euro kosten sollte und dessen Kosten aktuell auf ca. 5,4 Mrd. geschätzt werden – nicht eigentlich strafrechtliche Konsequenzen haben müsste, da Millionen an Steuergeldern durch Inkompetenz und Schlimmeres „aus dem Fenster geworfen“ werden, lässt die meisten Bürger eher ratlos zurück. Da all diese Bereiche eng mit der Politik verwoben sind, konnte in den letzten Monaten der ach so häufig gehörte Ruf nach schärferen Strafgesetzen jedoch nicht vernommen werden. K 6 MTD 8/2015 Gesundheitsmarkt in Sippenhaft Leistungserbringer werden pauschal vorverurteilt Ganz im Gegensatz dazu steht der Gesundheitsmarkt offensichtlich nicht nur unter einem Generalverdacht. Vielmehr scheint der gesamte Markt mittlerweile in Sippenhaft genommen zu werden, da das ach so „korruptive Verhalten“ der Marktteilnehmer nicht nur lauthals beklagt wird, sondern sowohl Rechtsprechung als auch Gesetzgebung veranlasst, regulierend in den Markt einzugreifen. Besonders hervorgetan hat sich jüngst Prof. Dr. Thomas Fischer, Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof, der sich in der juristischen Fachzeitschrift „Medstra“ dazu hinreißen ließ, „die weitgehende Straffreiheit der Korruption im Gesundheitssystem“ global anzuprangern und in einer unglaublichen Pauschalierung eine Korruption zu beklagen, die in „besonders skrupelloser Weise auf Kosten der Solidargemeinschaft und unter Ausnutzung des berechtigten Anliegens jedes Einzelnen funktioniert“. Von welcher „Sachkenntnis“ diese Ausführungen geprägt sind, belegen die späteren Ausführungen von Prof. Dr. Fischer, in denen es heißt: „Orthopädie-Hilfsmittel-Vertreiber mieten Lagerräume besonders gern in den Kellern von Fachärzten für Orthopädie an. Ganz zufällig hat das den Vorteil, dass der Herr Doktor die allerbeste der guten Gehhilfen dann gleich bei der Hand hat.“ Würde es sich bei Prof. Dr. Fischer nicht um den Vorsitzenden Richter eines Strafsenats unseres höchsten deutschen Strafgerichtes handeln, könnte man derartige Aussagen sicher als „Stammtischgeschwätz“ abtun. Unter Beachtung seiner Funktion stellt sich allerdings die Frage, ob derartig populistische Plattitüden irgendeinen anderen Zweck haben, als einen kompletten Markt zu diskreditieren. Welche praktischen Konsequenzen sich aus dem Blick von Gesetzgeber, Rechtsprechung und vielen Presseorganen auf den Gesundheitsmarkt und der daraus folgenden ständigen Vorverurteilung aller Leistungserbringer im Gesundheitsmarkt ergeben, lässt sich gut an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ablesen. Schon seit einigen Jahren erklärt dieses trotz der auch im Krankenversicherungsrecht geltenden Regelungen zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (der im Prinzip den zivilrechtlichen Regeln des Bereicherungsrechts folgt) die Regelungen zur ungerechtfertigten Bereicherung nach §§ 812 ff. BGB für nicht anwendbar. Damit werden eigentlich geltende gesetzliche Regelungen willkürlich ausgehebelt, wenn das BSG den Leistungserbringern auch bei im Übrigen ordnungsgemäß erbrachter Leistung nicht einmal den Aufwand für den Wareneinsatz zuspricht, sondern auf Null retaxiert. Unfaire Nullretaxation Diese unter den Begriffen „Sozialrechtlicher Schadensbegriff“ bzw. „Nullretaxation“ diskutierte Rechtsprechung – wonach der Leistungserbringer im Fall vertragswidrigen Verhaltens verpflichtet ist, die gesamte insoweit von der Krankenkasse vereinnahmte Vergütung an diese zurückzuzahlen – ignoriert, dass der Versicherte in der Regel ordnungsgemäß mit Arzneimitteln oder Medizinprodukten versorgt und der Krankenkasse in entsprechender Höhe mithin Aufwand erspart worden ist. Begründet wird dies seitens des BSG lapidar mit der Feststellung, dass bei einer Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze zugunsten der © MTD-Verlag GmbH, Amtzell 2015, www.mtd.de SA N I - I N F O Leistungserbringer „gesetzliche und (normen)vertragliche Regelungen, die das Leistungs- und Leistungserbringungsgeschehen in der GKV steuern, zu unterlaufen drohen. […] Auf die Schwere des Verstoßes kommt es dabei nicht an.“ Eine mehr als oberflächliche Begründung, wenn man berücksichtigt, dass die Anwendbarkeit der Regelungen zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auch vom Bundessozialgericht „eigentlich“ anerkannt wird und dass diese Rechtsprechung und eine daraus resultierende Erstattungspflicht des Leistungserbringers, bei dem nicht einmal der konkrete Wareneinsatz als Abzugsposition berücksichtigt wird, einen massiven Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt. Die Krankenkassen haben das Stichwort „Nullretaxation“ auf jeden Fall aufgenommen, und in vielen Vertragsentwürfen finden sich bereits unzählige Regelungen, wonach etwaige Mängel im Rahmen der Leistungserbringung die Krankenkasse zur Nullretaxation berechtigen soll. Bei welchen – ggf. z. B. formalen – Vertragsverstößen sich eine „Nullretaxation“ verbietet, hat die Rechtsprechung bisher noch nicht geklärt, und es steht zu befürchten, dass vonseiten der Krankenkassen das Instrument „Nullretaxation“ in den nächsten Jahren noch intensiv ausgenutzt werden dürfte. Strafrechtliche Dimension als Abrechnungsbetrug Aber nicht genug damit: Die Rechtsprechung zur „Nullretaxation“ hat auch neue strafrechtliche Dimensionen eröffnet. Verliert der Leistungserbringer bei vertragswidrigem Verhalten seinen Vergütungsanspruch, so kann dieses Verhalten ggf. auch als (Abrechnungs-)Betrug im Sinne des § 263 StGB qualifiziert werden, wie einige strafgerichtliche Entscheidungen der jüngsten Zeit belegen. In Anbetracht der Tatsache, dass Grenzen und Umfang einer zulässigen „Null- retaxation“ in dem hoch komplexen und damit auch fehleranfälligen Hilfsmittelmarkt nicht geklärt sind, besteht die sicherlich nicht ganz unbegründete Befürchtung, dass vertragswidriges Verhalten auf direktem Weg auch zu einer Strafbarkeit führen könnte. Insoweit sei nur daran erinnert, dass gerade die unzähligen Rahmenvertragsversionen der einzelnen Krankenkassen zu den unterschiedlichsten Produktbereichen mit immer neuen Modifikationen aufwarten und auch die Regelungen zur Präqualifizierung sicherlich nicht geeignet sind, für den Leistungserbringer Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen. Mithilfe von Branchensoftware-Lösungen lassen sich viele Klippen umschiffen, im Zweifelsfalle aber wohl nicht alle. Wie dies durch die Sachbearbeitung der einzelnen Leistungserbringer erfolgen soll, wird ein Rätsel bleiben. Strafbare Bestechung Da dies noch nicht genug ist, macht der Gesetzgeber nunmehr auch ernst mit seinem bereits im Koalitionsvertrag verankerten Vorhaben, „Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen […] unter Strafe“ zu stellen. Hierzu soll ein neuer § 299 a „Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen“ im Strafgesetzbuch aufgenommen werden, mit dem jede Form korruptiven Verhaltens im Gesundheitsmarkt unter Strafe gestellt wird. Demgemäß umfasst die geplante Neuregelung des § 299 a StGB-E auch nicht nur Ärzte als potenzielle Empfänger unzulässiger Zuwendungen, sondern sämtliche „Angehörige akademischer Heilberufe“ sowie die „Angehörigen von Gesundheitsfachberufen“. Damit sind neben den Ärzten auch psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und Apotheker, Gesundheitsund Krankenpfleger, Ergotherapeuten, Logopäden, Altenpfleger, Hebammen, Seminar von MTD-Verlag und Kanzlei Hartmann „Erhöhte Strafbarkeit im Gesundheitswesen“ Aus aktuellem Anlass haben sich der MTD-Verlag und die Kanzlei Hartmann Rechtsanwälte entschlossen, im Rahmen von ganztägigen Schulungsveranstaltungen alle Marktteilnehmer über die Neuerungen im Bereich Compliance zu infor- © MTD-Verlag GmbH, Amtzell 2015, www.mtd.de mieren. Erfahren Sie aus erster Hand von Unternehmensjuristen, Staatsanwälten und Rechtsanwälten alles über die aktuellen Neuerungen und wie Sie sich auch in Zukunft vor unliebsamen Überraschungen schützen können. SA N I - W E LT Masseure, Medizinisch-technische Assistenten etc. erfasst. Nach der geplanten Neuregelung des § 299 a StGB-E macht sich jeder der vorgenannten Berufsträger strafbar, soweit er „im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug, der Verordnung oder der Abgabe von Arznei, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten oder bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial 1. einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge oder 2. in sonstiger Weise seine Berufsausübungspflichten verletze.“ In entsprechender Weise macht sich strafbar, wer als Geber auftritt, das heißt, einem der vorgenannten Berufsträger derartige Vorteile gewährt oder auch nur verspricht. Firmen sollten auf verschärfte Spielregeln reagieren Dass diese Norm, die gerade durch ihre Anbindung an das Berufsrecht und die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe eine Vielzahl von Fragen aufwirft, den Markt in den nächsten Jahren noch erheblich beschäftigen wird, dürfte sich von selbst verstehen. Umso wichtiger erscheint es, dass sich alle Marktteilnehmer dieser Entwicklung bewusst werden und der Beachtung der einschlägigen straf- und sozialrechtlichen Normen, der Kodizes (wie dem Kodex Medizinprodukte) und der Einhaltung der allgemeinen Compliance-Grundsätze besondere Beachtung schenken. Soweit noch nicht geschehen, sollten darüber hinaus auch unternehmensweite eigenständige Compliance-Strukturen eingeführt werden, um auf die sich immer weiter verschärfenden „Spielregeln“ rechtzeitig zu reagieren. ‹ Die Seminare finden statt: ■ 2. September – Lünen ■ 15. September – Leipzig ■ 30. September – Hannover ■ 12. November – Augsburg i Ausführliche Infos über Veranstaltungsinhalte, Referenten, Veranstaltungsorte und Anmeldung unter: www.hartmann-rechtsanwaelte.de MTD 8/2015 7
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