Gewalt unter Flüchtlingen | Manuskript Gewalt unter Flüchtlingen - Tod eines Afghanen Bericht: Alexander Ihme Es ist ein blutiger Samstagabend in der Ringstraße. In Wutha-Farnroda, 5 Kilometer von Eisenach entfernt, hat sich das Drama, Mitte Oktober, abgespielt. Sonst ist es ruhig hier im Plattenbauviertel. Nun hat sich der Ort verändert. Was war im zweiten Stock dieses Hauses geschehen? Nino Lange ein Nachbar erinnert sich. Nino Lange, Anwohner Es hat sich halt so angehört, als wären da Möbel runtergefallen, es war schon ungewöhnlich laut. Da habe mich nichts weiter dabei gedacht. Na und dann haben wir das Blaulicht vor der Haustür gesehen. Etwas Unfassbares war hinter dieser Tür geschehen. Tamim, ein afghanischer Asylbewerber, sticht ohne Vorwarnung auf seinen Mitbewohner Osman, einen Landsmann, ein. Danach rennt er mit dem Messer in der Hand auf die Straße und verletzt den Fahrer eines parkenden Autos schwer. Ein Zufallsopfer aus der Nachbarschaft. Wir treffen Manuel S. Er ist der Bruder des zweiten Opfers. Er will nicht erkannt werden. Auch aus Angst um seinen kleinen Sohnes. Manuel macht sich an diesem Samstagabend gerade fertig, das Haus zu verlassen. Er weiß, draußen wartet sein Bruder auf ihn. Manuel S. Weil wir noch mal loswollten. Ich und mein kleiner Bruder. Und naja war halt drinne, bin halt so schnellst wie möglich raus. Hier draußen hab ich halt nur meinen Bruder brüllen und schreien hören. Hab ihn hier am Eingang neben uns liegen sehen. Bin halt hin. Sein Bruder hat Glück und überlebt den Angriff schwer verletzt. Oman, das Opfer aus der Wohnung, stirbt noch am Tatort. Jetzt will Manuel S. lieber heute als morgen hier wegziehen. Manuel S. So schnell wie möglich. Man weiß nie wann der Nächste irgendwie am Rad dreht wegen irgendwas. Das nächste Mal bin ich es oder jemand von meinen Leuten oder von meiner Familie wieder. Was steckt hinter dieser brutalen Tat? Von anderen Flüchtlingen erfahren wir, dass Täter, Opfer und ein dritter Afghane eine Wohnung teilten. Tamim, der 18jährige Messerstecher, war erst im August zu ihnen gestoßen. Soll regelmäßig getrunken haben und galt als Einzelgänger. Hätte Reza Akrami in der Tatnacht nicht eingegriffen, wäre vielleicht noch schlimmeres passiert. Reza Akrami, Anwohner Ich habe gesagt, ich muss ihm irgendwie das Messer aus der Hand nehmen. Ich bin näher an ihn rangegangen, während er ständig sagte „komm nicht näher, komm nicht näher“, Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 Gewalt unter Flüchtlingen | Manuskript habe ihn so an der Hand gepackt, dass das Messer runtergefallen ist. Ich nahm ihm das Messer weg. Ich habe das Messer an mich genommen und gesagt, dass er jetzt entwaffnet ist und keine Gefahr mehr für die anderen darstellt. Hier steckt allen der Schreck in den Knochen, auch wenn der Täter noch in der Nacht in Untersuchungshaft gekommen ist. Zu spät für sein Opfer, Osman Ahmadi, ein Mann mit einem großen Lebensplan, wie uns ein Freund erzählt. Mohsen Azadbakht, Anwohner Immer sagt er ich will Schule fertig machen und dann studieren. Dann hat er gesagt ich suche Arbeit. Wieviel muss ich gehen? Wieviel krieg ich Geld? Zum Beispiel wie viele Stunden kann ich arbeiten und auch in die Schule gehen? Immer reden auf diese Sache, andere habe ich nicht gesehen. Wer war Osman Ahmadi? Wir fahren zur Berufsschule in Eisenach. Hier hatte er gerade begonnen seinen Realschulabschluss nachzuholen. Wir versuchen mit der Schulleitung ins Gespräch zu kommen. Doch vor der Kamera will niemand etwas sagen. Begründung: Es gäbe hier viele rechtsorientierte Schüler und da will man nicht über den toten Afghanen reden. Auch im Jugendclub in Gerstungen hat Osman gern vorbeigeschaut, doch auch hier Schweigen. Man wolle keinen Ärger mit Asylgegnern. Unser nächster Versuch bei einer Schleiftechnik Firma. Hier hat Osman ein Praktikum gemacht. Der Chef, Tom Reinhardt, musste eine Weile überlegen, ob er mit uns über den 20jährigen Afghanen sprechen will. Denn auch er hat eigentlich das Gefühl, besser nicht darüber zu reden. Er befürchtet Nachteile, weil er einen Flüchtling beschäftigt hat. Doch Kollegen und Freunde haben ihn überzeugt. Tom Reinhardt Ganz einfach ist das nicht. Freilich. Man macht sich Gedanken, ob das Konsequenzen hat, aber man muss seine Stellung beziehen. Ob man jetzt Angst haben muss. Ob die Stimmung in der Gesellschaft kippt. Und ob man vielleicht dann Nachteile, irgendwann mal hat. Aber jetzt ist es so, ich bin stolz drauf, dass er hier war. Tom Reinhardt erzählt uns von Osmans handwerklichem Geschick und seinem Wunsch ihn einzustellen. Obwohl dessen deutsch nicht so gut war. Tom Reinhardt, Schleiftechnik GbR Wutha-Farnroda Er wollte und er hat das Wissen umgesetzt. Wir haben ihn schon fast in die Familie aufgenommen. Wir haben zusammen gegessen, getrunken… Er hat auch mit unseren Kindern gespielt. Ganz toll. Die haben auch geweint, als sie das erfahren haben. (fängt an zu weinen) Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 Gewalt unter Flüchtlingen | Manuskript Seit einem Jahr steigt die Zahl der Asylbewerber in Wutha-Farnroda immer weiter an. Den neuen Nachbarn trauen die Deutschen nicht über den Weg. Und nach dem Mord erst recht nicht. Auch wenn der Täter längst in Haft sitzt. Umfrage, Anwohner Wutha-Farnroda Halt immer vorsichtig machen und aufpassen. Zum Beispiel, ich lasse die Beiden abends im Dunkeln nicht mehr raus. Ich geh im Dunkeln nur noch raus mit den Hunden, aber die beiden nicht mehr. Das ist mir ein bisschen zu unsicher. Wir alle denken jetzt, dass es halt wieder vorkommen kann, weil... weiß nicht, die Flüchtlinge sind halt aggressiv. Das versteht man ja auch, die kommen hier her, haben nichts. Von diesem negativen Bild sind die Asylbewerber in Wutha-Farnroda frustriert. Reza Akrami, Anwohner Wir sind vor dem Krieg und Blutverließen geflüchtet und nach Deutschland gekommen, um genau solche Sachen nicht zu erleben. Dann kommt einer und tut sowas, dadurch entstehen Vorurteile gegen alle Ausländer. Man denkt, dass wir vielleicht alle so sind. Osmans Leichnam ist nach Afghanistan überführt worden. Tamim, der Täter, sitzt in Untersuchungshaft. Hier in der Ringstraße ist das Zusammenleben von Flüchtlingen und Deutschen nicht einfacher geworden. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 3
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