An die Staats- und Regierungschef/-innen der EU-Mitgliedsstaaten 16. März 2016 EU-Gipfeltreffen am 17./18. März 2016 Sehr geehrte […], als Organisationen, die Geflüchtete und Migrant/innen in Europa unterstützen, fordern wir von den EU-Mitgliedstaaten, die beim Treffen des Europäischen Rates am 17. und 18. März 2016 zusammenkommen, solidarisch zu handeln und entschlossene und einheitliche politische Strategien zu entwickeln, um die anhaltende humanitäre Krise in Europa zu beenden. Die Bewältigung dieser Krise muss auf der Arbeit des letzten Jahres aufbauen und die nach wie vor bestehenden, offensichtlichen Lücken in der aktuellen Politik schließen. Wegweisend dafür müssen sowohl die Bestimmungen als auch der Geist der Europäischen Verträge und der Flüchtlingskonvention von 1951 sein. Das Jahr 2015 hat alle Beteiligten – Behörden der EU-Mitgliedsstaaten, humanitäre und andere Nichtregierungsorganisationen, lokale Bevölkerung und Freiwillige – vor große Herausforderungen gestellt. Zudem hat sich gezeigt, dass wichtige Lehren gezogen werden müssen. Eine dieser Lehren ist, dass eine Migrationspolitik, die auf Abschottung setzt, Menschenleben kostet. Seit 2014 sind 7.4931 Menschen im Mittelmeer ertrunken, ein 1 Missing Migrants Project, http://missingmigrants.iom.int/mediterranean großer Anteil davon waren Kinder. Grenzschließungen und fehlende legale Einreisemöglichkeiten zwingen Migranten und Flüchtlinge, sich an Schmuggler zu wenden und gefährliche Wege auf sich zu nehmen, um nach Europa zu gelangen. Einseitige und willkürliche Grenzschließungen verschlimmern die humanitäre Krise. Die in den letzten Wochen vorgenommen Schließungen haben dazu geführt, dass zehntausende Menschen in Gebieten festsitzen, wo sie kaum Zugang zu grundlegender Versorgung wie Obdach, Nahrung, Wasser und Gesundheitsdienstleistungen haben. Humanitäre Organisationen haben enorme Schwierigkeiten, die Menschen dort zu erreichen und adäquat zu versorgen. Die am 7. März 2016 im Europäischen Rat getroffenen Beschlüsse haben die prekäre Situation dieser Menschen und ihre Diskriminierung verfestigt. Grenzkontrollen sind notwendig, aber sie dürfen nicht dem Ziel dienen, Migration komplett zu stoppen. Dies ist weder empfehlenswert noch machbar. Grenzschließungen sowie das Verweigern von legalen Einreisemöglichkeiten sind völlig ungeeignet, mit dem Ankommen von Geflüchteten und Migrant/innen in Europa umzugehen. Es sind die Menschen, die Schutz benötigen, nicht die Grenzen. Zahlreiche institutionelle Mängel bezüglich Finanzierung und Zuständigkeiten haben die aktuelle Situation verschärft. Wir begrüßen die Bestrebungen des Rats und der Kommission, in Zeiten von großem öffentlichem Druck und humanitärem Bedarf den beschriebenen Mängeln mit der Schaffung neuer und innovativer Instrumente zu begegnen. Wir bitten Sie, dies nach Kräften politisch zu unterstützen. Die Mobilisierung von Geld allein reicht dabei nicht aus, es braucht ebenso politischen Mut und Willen. Europa besitzt die Kapazitäten, um die Situation effektiv und menschlich in den Griff zu bekommen. Wir fordern deshalb, dass beim kommenden Europarat-Treffen folgende Maßnahmen ergriffen werden: Schaffung sicherer und legaler Wege. Für einen humanen und verantwortungsvollen Umgang mit Migration ist eine Politik erforderlich, die es Menschen ermöglicht, auf sicheren und legalen Wegen nach Europa zu gelangen. Wir rufen daher alle europäischen Regierungen auf, sowohl temporäre als auch dauerhafte Optionen zu entwickeln und transparent zu machen. Höchste Priorität muss darauf gelegt werden, Menschen internationalen Schutz zukommen zu lassen, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung sind. Nötig sind insbesondere: 2 Schaffung von sicheren und legalen Wegen für grenzüberschreitende Migration, einschließlich flexiblerer Verfahren zur Familienzusammenführung. Kinder dürfen niemals von ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten getrennt werden, es sei denn, es dient ihrem Schutz und liegt in ihrem eigenen Interesse. Neue Zusagen zur humanitären Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge. Angesichts der weltweit höchsten Zahl von Flüchtlingen seit 19952 müssen die EUMitgliedsstaaten dringend ihren jeweils gerechten Anteil bei der Aufnahme der laut UNHCR am meisten schutzbedürftigen Flüchtlinge erfüllen. UNHCR Global Trends 2014 Sicherheit auf dem Meer und an den Grenzen herstellen. Europa muss alle laufenden Such- und Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer aufrechterhalten. Dabei muss Lebensrettung muss höchste Priorität haben. Es muss außerdem gewährleistet werden, dass diese Einsätze adäquat ausgestattet und mandatiert sind, um weitere Todesfälle auf See zu verhindern. Dabei muss auch sichergestellt sein, dass die Rechte und die Würde aller Menschen gewahrt werden, die in europäische Obhut kommen. Sämtliche aktuellen und zukünftigen Einsätze an europäischen Grenzen müssen transparent und im Einklang mit internationalen Standards sowie Europäischen Menschenrechtsnormen durchgeführt werden. Die Aufnahmebedingungen für alle nach Europa kommenden Menschen müssen adäquat und menschlich sein. Gegenwärtig sind vielerorts in Europa die Aufnahmebedingungen unzulänglich. Häufig können die Grundbedürfnisse der Menschen kaum gedeckt, ihre Sicherheit nicht gewährleistet und ihre Rechte nicht garantiert werden. Zentrale Erfordernisse wie sichere Unterbringung und individuelle Betreuung, werden häufig nicht erfüllt. Dies betrifft besonders die Bedürfnisse schutzbedürftiger Menschen, wie zum Beispiel der Kinder. Die Regierungen der Europäischen Union sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass alle Menschen, die an den Grenzen der EU ankommen, Zugang zu sozialen Grunddiensten haben und Schutz erhalten. Insbesondere müssen die Menschenrechte respektiert werden, einschließlich des Rechts auf Asyl. Dies muss unverzüglich umgesetzt werden. Schutzbedürftige Menschen in den Fokus rücken. Bis zu 58 Prozent der nach und durch Europa Reisenden sind Frauen und Kinder. Kinder, die alleine oder mit ihren Familien reisen, sind großen Risiken ausgesetzt, welches einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Frauen und Mädchen haben ebenfalls erhöhte Sicherheitsbedürfnisse, da sie geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt und oft Ziel von Raub, Belästigung, sexueller Ausbeutung und Misshandlung sind. In allen politischen Lösungsansätzen müssen spezifische Schutzmaßnahmen enthalten und bestehende Konzepte überprüft und entsprechend angepasst werden. Sicherstellen, dass alle Menschen an EU-Grenzen Zugang zu Asylverfahren haben. Gemäß geltenden Rechts3 muss jede/r Migrant/in über seine/ihre Rechte informiert werden, einschließlich des Rechts auf internationalen Schutz. Dies muss in einer einfach verständlichen Form und Sprache geschehen. Die EU muss dringend die Verfahren in den Mitgliedsstaaten und in den „Hotspots“ untersuchen und bestehende Lücken schließen4. Die Einteilung von Flüchtlingen aufgrund ihrer Nationalität und auch jegliche Art der kollektiven Rückführung widerspricht dem Recht auf Prüfung der individuellen Schutzbedürftigkeit und stellt einen Verstoß gegen internationales und europäisches Recht dar. Menschen aus Irak, Afghanistan und aus anderen Ländern werden von den Plänen zur humanitären Aufnahme, die beim letzten EU-Ratstreffen beschlossen wurden, nicht erfasst und besitzen auch keinen Anspruch auf internationalen oder nationalen Schutz in der Türkei. 3 4 u.a. die EU-Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) u.a. Consiglio Italiano, Per I Rifugiati, Asylinformationsdatenbank: Länderbericht Italien, Dezember 2015 Wahrung der Menschenrechte und der Würde aller in Europa ankommenden Menschen, ungeachtet ihres Status. Für jene Menschen, die sich dazu entschließen, keinen Antrag auf Asyl zu stellen oder für diejenigen, deren Anträge auf Asyl oder auf andere Formen der legalen Einreise abgelehnt wurden, muss die Rückführung so gestaltet werden, dass ihre Menschenrechte uneingeschränkt gewahrt bleiben. Menschen dürfen außerdem nur in Länder zurückgeführt werden, in denen ihre Sicherheit gewährleistet werden kann. Niemand darf in einen unregistrierten Status fallen, da betroffene Personen damit weitgehend schutzlos Ausbeutung und Misshandlung vor allem durch kriminelle Netzwerke ausgeliefert sind. So sind zum Beispiel 10.000 Kinder seit ihrer Ankunft in Europa verschwunden. Die EU muss dringend tätig werden, damit diese Zahl nicht weiterhin ansteigt. Die EU besitzt die Mittel und Möglichkeiten, die in Europa ankommenden Menschen human und im Einklang mit internationalem bzw. europäischem Recht zu behandeln. Wir fordern alle europäischen Regierungen dazu auf, ihre selbst gesetzten moralischen und rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen und die EU wieder zu jener Vorkämpferin für weltweite Humanität und Menschenrechte zu machen, die sie einmal gewesen ist. Es steht zu viel auf dem Spiel: Der zuletzt eingeschlagene Weg würde eine weitere Verschärfung der humanitären Situation riskieren. Wir benötigen jetzt stattdessen entschiedenes politisches Vorangehen, um zu kollektiven und solidarischen Lösungen innerhalb der EU zu kommen. Die Mitgliedsstaaten müssen hierzu untereinander die Verantwortlichkeiten gerecht verteilen und den politischen Schwerpunkt wieder auf den Schutz des Lebens und der Würde jener Menschen legen, Tag für Tag an den europäischen Küsten ankommen. Wir und die anderen unterzeichnenden internationalen Nichtregierungsorganisationen sind weiterhin bereit, ihren Teil zu einer solchen Lösung beitragen. Mit freundlichen Grüßen Unterzeichner/innen: Lorenzo Trucco, President, Associazione per gli Studi Giuridici sull'Immigrazione (ASGI) Naim Osmani, Executive Director, Civil Rights Program Kosovo Agata Račan, President, Croatian Law Centre Ann Mary Olsen, International Director, Danish Refugee Council Leigh Daynes, Executive Director, Doctors of the World UK Yonous Muhammadi, President, Greek Forum of Refugees Vladimir Petronijević, Executive Director, Group 484 Jane Waterman, Executive Director and Senior Vice President Europe, International Rescue Committee UK Emir Prcanović, Executive director, Association Vasa prava BiH – Legal Aid Network Katarina Bervar Sternad, Director, Legal-Informational Centre for NGOs in Slovenia Jasmina Mujezinović, Executive Director, Local Democracy Foundation Martina Smilevska-Kcheva, President, Macedonian Young Lawyers Association Martin Bandzak, Executive Director, Magna Marie Aude Tavoso, President, Medici per i Diritti Umani Onlus Evgenia Thanou, Director, Medicines du Monde - Greece Jan Egeland, Secretary General, Norwegian Refugee Council Winnie Byanyima, Executive Director, Oxfam International Branislav Tichy, Director, People in Peril Association Janti Soeripto, Chief Executive Officer, Save the Children International Epaminondas Farmakis, Managing Director, Solidarity Now Deirdre de Burca, Director, Advocacy and Justice for Children, World Vision EUREP
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