Jesu Vermächtnis: Wach sein!

Predigten von
Pilgerpastor Bernd Lohse
„Jesu Vermächtnis: Wach sein!“
Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 15. November 2015
Predigttext: Mt. 25, 31-46
„Nous sommes Paris!“ Aufgewühlt durch die Attentate von Paris, in tiefer Trauer und auch
Angst, hören wir die strengen Abschiedsworte Jesu; ungemein kraftvolle Worte, die Jesus nach
Matthäus seinen Jüngern/innen zum Abschied mit auf den Weg gibt.
Ja, Apokalyptische Worte, Endzeitstimmung – so muss es sich für Jesu Gemeinschaft angefühlt
haben. Es ging um Alles!
Mir kommen in diesen Tagen, auch schon vor den Anschlägen, ganz sonderbare Gedanken: Ob
wir wohl auch gerade in solch einer „Endzeit“ leben; kurz vor dem Jüngsten Gericht?
Die Bilder und Nachrichten dieser Tage sind ja apokalyptisch, gewaltig:
Die Anschläge mit vielen Toten und Verletzten, Paris verharrt in Trauer
Dazu der scheinbar endlose Menschenstrom auf dem Weg zu uns
Deutschland als Sehnsuchtsland voll Frieden und Hoffnung – eine Völkerwallfahrt nach Europa?
Kontrast: Kleinkariertes Geplänkel um Worte; Kaffeesatzlesereien von Medien und Politikern –
kapieren die denn überhaupt nichts?
Noch ein Kontrast: Hunderte Ertrinkender im Mittelmeer
Geschäftemacher, die Menschen mit Verlockungen nach Europa ziehen
Dagegen aber die unendlich vielen tapferen, freundlichen Helfer/innen an vielen Orten, die sehr
deutlich machen, was „Nächstenliebe“ ist.
Ein Land, das Fremde im Wesentlichen offen aufnimmt
Mehr der schlechten Nachrichten: die „Lichtgestalt“ des Deutschen Fußballs wird als Schattenmann enttarnt; so ergeht es „Kaisern“ – sie werden gestürzt, entmythologisiert, erkannt.
Das „Sommermärchen“ – nichts als ein großer Schwindel?
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Russische Spitzensportler - Dopingbetrüger, unsportliche Bande
Und dann die hoch gelobte deutsche Auto-Industrie: auch nur Betrüger?
Und gerade jetzt stirbt, der immer eine Orientierungshilfe war, ein integrer Ratgeber und Weltbeobachter; der sich nie verbiegen ließ: Helmut Schmidt.
Sind wir nun von allen guten Geistern verlassen?
Was ist das für eine Zeit, in der wir leben? Gerichtszeit, wie unser Predigttext sie ankündigt?
Ich weiß es nicht! Aber eins weiß ich: wann immer ENDZEIT sein sollte, dann ist das allein Gottes Entscheidung und nicht Ergebnis menschlichen Tuns.
Wir sollten uns davor hüten, Unheilspropheten und Schwarz-Weiß-Malern auf den Leim zu gehen.
Ich setze dagegen auf das tiefe Vertrauen eines Martin Luthers: Und wenn morgen die Welt
unterginge, ich würde heute noch einen Apfelbaum pflanzen. Oder auf Dietrich Bonhoeffer:
„Mag sein, dass morgen der Jüngste Tag anbricht, so will ich bis dahin nicht aufhören, für eine
bessere Welt zu arbeiten.“
Ihnen folge ich, wenn ich glaube, dass der JÜNGSTE TAG sogar immer ist: jeder Tag ist Pflanztag, jeder Tag ist Arbeit an einer besseren Welt.
Denn das Ziel aller Endzeitpredigten ist nicht die Ansage von Verdammnis, sondern Gottes Ringen um die Werke der Barmherzigkeit. Gott ist nicht an Strafe interessiert, sondern daran, dass
Menschen sich verändern zur Liebe.
Hungrige und Durstige zu sättigen
Fremde aufnehmen und Nackte/Schutzlose bekleiden
Kranke und Gefangene besuchen
Jeden Tag stehen die, die Gottes Wort folgen wollen, wo diesen Herausforderungen: wach zu
sein für die Nöte Hilfsbedürftiger.
Bereit, zu tun, was Not wendet, vom Lächeln bis zur tatkräftigen Unterstützung.
Da zu sein für die, die uns brauchen – bekannte und fremde Nächste, Menschen in Not, Hunger, Kälte und auch die Menschen in Sorge und Angst.
Sorge und Angst – können wie Krankheiten, wie ein Gefängnis sein.
Terroristen können gar nicht im Namen Gottes unterwegs sein, weil ihr Treiben nur Gottes heiligem Willen zu tiefst widerspricht. Sie sind Ungläubige.
Die Herausforderungen dieser Zeit, die unübersehbare Not, aber erzeugen einen Druck und eine
Rastlosigkeit auch bei den Helfenden.
Nicht alles, was jetzt getan und gesagt wird, ist wohl überlegt und klug. Deshalb braucht es
auch immer den wachen Blick von außen, die nötige Distanz.
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Damit die Menschen guten Willens sich nicht in die Noch-Besseren, noch-Engagierteren und
Am-Richtigsten aufspalten lassen. Der moralische Zeigefinger und das kleinliche Verurteilen
passen jetzt nicht.
Selbstgerechtigkeit ist nicht im Sinne Gottes und auch nicht das dauerhaft schlechte Gewissen,
denke ich. Alles zu geben ist etwas Großes, aber es erhebt nicht über andere.
Vielmehr müssen wir achtsam sein, dass die Helfenden nicht völlig erschöpfen und ihre Liebe in
Hass umschlägt. Es braucht Maß und Pausen und Grenzen.
Derjenige aber, der jetzt Hass verbreitet und Streit sucht, hat ganz gewiss Christus nicht auf
seiner Seite; soviel muss klar sein.
Und hier sind deutliche Worte zu sagen und Grenzen zu ziehen.
Die Menschen in Deutschland leisten unglaublich viel in dieser Zeit; es macht mich ehrfürchtig,
mitzuerleben, wie aus Evangelium handfestes Tun wird.
Wie selbstverständlich offenbar für viele Menschen die Werke der Barmherzigkeit sind! Sie haben Christi Botschaft längst intus: Hungrige speisen, Schutzlose bekleiden, Kranke, Gefangene
besuchen und Liebe üben untereinander.
Und das, obwohl wir immer gedacht haben, Deutschland sei so säkular.
Mir ist nicht wirklich bange: wenn also morgen der jüngste Tag anbräche, dann würde Gott viele von uns bei der Arbeit antreffen – beim Apfelbaumpflanzen, Hoffnungs-Arbeit für eine
menschliche und friedliche Welt.
Die zynischen Geschäftemacher und Kriegstreiber haben sich ihr Urteil längst selbst gesprochen. Ihr wahres Treiben wird sichtbar, ihr Unglück ist abgemachte Sache und Gott wird ihnen
ihren Platz zuweisen. Gewiss!
Was ich nun vor allem sehe, ist die Fähigkeit zur Liebe, die uns steckt. Und dafür dürfen wir den
Flüchtenden sogar dankbar sein. Sie locken es heraus.
Wir hatten uns vielleicht nicht mehr soviel Barmherzigkeit zugetraut. Ich staune und bin auch
ein bisschen stolz auf die Menschen in unserm Land.
Nun müssen wir nur noch lernen, miteinander barmherzig zu sein und aufhören, kleinlich Fehler, Versäumnisse und falsche Worte aufzurechnen.
Wir sind nicht Gott – Und der? Ist bestimmt nicht interessiert an Petzereien.
„Wir sind Paris!“
Amen