Hallesches Mediengespräch 2015: Flüchtlingsdebatte

Hallesches Mediengespräch 2015: Flüchtlingsdebatte, PEGIDA
und Ukrainekonflikt – verlieren die Leitmedien mehr und mehr an
Glaubwürdigkeit?
01.10.2015
Vertreter von Leitmedien, Internetblogger und Psychoanalytiker beginnen konstruktive
Debatte über die Rolle der Medien in der aktuellen Flüchtlingsthematik
Angesichts der aktuellen Flüchtlingsdebatte, aber auch nach der Medienberichterstattung um
den Ukrainekonflikt über PEGIDA, stellen sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger und auch
Medienexperten die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Leitmedien. Eine kritische und
konstruktive Debatte darüber hat die Medienanstalt Sachsen-Anhalt (MSA) eröffnet. Zum
Auftakt der Debatte stellt die MSA Ende September auf ihrem "Halleschen Mediengespräch"
die Frage, in welchen Mediengattungen die Menschen heute "seriöse" und "wahrhaftige"
Nachrichteninformationen erhalten. Und sie stellte die Frage, warum soziale Netzwerke, wie
Facebook oder der Kurznachrichtendienst twitter, mehr und mehr als Konkurrenz zu den
klassischen Leitmedien zu sehen sind. Das Hallesche Mediengespräch, auf dessen Podium
ein Zeitungsmanager, ein renommierter Rundfunkjournalist, ein Internet-Blogger und ein
Psychoanalytiker diskutierten, ist ab sofort auf youtube unter nachstehendem Link abrufbar:
https://www.youtube.com/watch?v=W_X80wR07yo&feature=youtu.be
In der Podiumsdiskussion wirft Dr. Hans-Joachim Maaz, Psychoanalytiker, Publizist und
Autor, den etablierten Medien vor, dass sie in der Flüchtlingsdebatte zu einer Spaltung der
Bevölkerung beitrügen "indem vor allem einerseits über Fremden- und Ausländerfeindlichkeit
mit kriminellen Taten und andererseits sehr breit und ausführlich über ´Willkommenskultur´
berichtet wird". Weiter sagt er: „Die ´Helfer´ und die ´Hetzer´ sind wahrscheinlich Minderheiten
der Bevölkerung, die Mehrheit kommt jedoch kaum zu Wort und wird schnell als ´besorgte
Bürger´ abqualifiziert. So bleiben wichtige Fragen und reale Probleme aus dem öffentlichen
Diskurs weitgehend ausgeschlossen." Zu anderen warnte Dr. Maaz die Medien davor, sich
auf bloße Feststellung in der Berichterstattung zu beschränken. Als Beispiel führte er an: "Das
schaffen wir!" (Merkel). Diese Bemerkung bleibe eine beunruhigende Behauptung, wenn nicht
auch die konkreten Bedingungen und Folgen (neben Chancen auch Kosten und Risiken)
mitkommuniziert würden. Auch würden die Medien viel zu wenig über Ursachen von
Ereignissen berichten.
Hartmut Augustin, Chefredakteur der Mitteldeutschen Zeitung gibt Herrn Dr. Maaz in der
Sache zwar recht, verweist aber darauf, dass seine Zeitung eine Tageszeitung und kein
"Jahresjournal" sei. "Wir machen ein tagesaktuelles Printangebot und ein digitales Angebot,
da muss man schnelle Entscheidungen treffen. Wenn dann bei den aktuellen Ereignissen, wie
Flüchtlingswelle oder VW-Skandal irgendwann auch mal Ruhe einzieht, dann kann man auch
wieder mehr in die Analyse gehen."
Ähnlich sieht das Stefan Raue, Trimedialer Chefredakteur und Leiter des
Programmbereiches Aktuelles/Zeitgeschehen beim MDR FERNSEHEN, der ebenfalls die
"tagesaktuelle Berichterstattung" als Beispiel anführt. "Wir reagieren – wie jetzt zum Beispiel
im Fall VW - sehr schnell auf aktuelle Geschehnisse. Wir haben in einem ersten Schritt
geschaut, was der VW-Fall für personelle Konsequenzen mit sich führt, inwieweit Europa
davon betroffen ist und wie so etwas möglich sein kann. Aber dann muss auch bei uns der
zweite Schritt folgen." Man müsse dann auch Geschichten erzählen, für die Journalisten
investigativ recherchieren und für die Zeit und Geld investiert werden müsse. Er fügt hinzu:
"Wir können natürlich nicht in der nächsten und der übernächsten Woche nach so einem
Ereignis wie das von VW noch genauso berichten wie in den letzten Tagen."
Bei alldem kritisiert Heiko Hilker, MDR-Rundfunkrat und Direktor DIMBB (Dresdner Institut
Medien Bildung und Beratung), dass die Leitmedien insbesondere in der politischen
Medienberichterstattung zu sehr ein Abbild von der Politik schaffen. Auch er kritisiert die zu
verkürzte Berichterstattung insbesondere in den aktuellen Nachrichtenformaten: "Sehen Sie
sich die Tagesschau an, sie ist im Wesentlichen ein Abbild von Politik. Es wird dargestellt,
was die Politik macht, manchmal in 10 bis 30 Sekunden, manchmal auch in etwas längeren
Beiträgen. Aber wenn man den Vergleich zieht mit sozialen Netzwerken und mit Blogs, über
die sich zunehmend die Menschen informieren, dann stelle ich die unterschiedlichsten Tiefen
der Berichterstattung fest und merke, dass die etablierten Medien zu sehr verkürzen und zu
sehr zuspitzen."
Auch der politische Blogger Caspar Clemens Mierau, stellt fest, dass zwischen
Informationen im Netz und Informationen der etablierten Medien eine große Diskrepanz
herrscht. Aktuelles Beispiel: die Bild-Aktion "Wir helfen", im Zuge dessen Chefredakteur
Diekmann dem FC St. Pauli, der sich an der Aktion nicht beteiligte, fehlendes
Flüchtlingsengagement vorwarf. "Das Internet und Twitter waren daraufhin voll von
Kommentaren und das Netz brannte fast komplett ab", sagte Mierau. Ihn wunderte es dann,
dass in der "Sportschau" darüber aber überhaupt nicht gesprochen wurde. "Was sich dann
beim Rezipient festsetzt ist die Wahrnehmung, dass das Internet voll von einem Sachverhalt
oder Thema ist, die etablieren Medien aber nichts dazu zu sagen haben. Da hilft es auch
nicht, wenn diese dann später oder nur in ganz bestimmten Sendungen darüber berichten."
Die Medienanstalt Sachsen-Anhalt wird auch in Zukunft die Debatte um dieses Thema
fortführen.
Über die Medienanstalt Sachsen-Anhalt (MSA)
Die MSA ist in Sachsen-Anhalt die allein zuständige Behörde für die Zulassung, Lizenzierung
und Beaufsichtigung privater Hörfunk- und Fernsehveranstalter. Sie entscheidet als
staatsferne Institution durch eine aus 25 Mitgliedern plural besetzte Versammlung und wird
aus einem ca. zweiprozentigen Anteil der in Sachsen-Anhalt anfallenden Rundfunkgebühren
finanziert. Die MSA ist eine unabhängige Anstalt des öffentlichen Rechts mit Sitz in
Halle/Saale, errichtet durch das Landesrundfunkgesetz vom 22.05.1991.
Ihr Ansprechpartner
Medienanstalt Sachsen-Anhalt
Martin Heine, Direktor
Telefon: 0345/52550
E-Mail: [email protected]
Web: www.msa-online.de
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