Die Welt des Orients 44-2

Vorwort
Doris Prechel und Giulia Torri
Sprache und religiöser Glauben sind in der menschlichen Kulturgeschichte
aufs engste miteinander verknüpft. Auch in der keilschriftlichen Überlieferung
Vorderasiens gibt es zahlreiche Anhaltspunkte für den Gebrauch von Kultbzw. Sakralsprachen, d.h. überwiegend oder ausschließlich im religiösen Kontext gebrauchter Sprachen, die dem Ausdruck eines Glaubens dienen können.
Damit bieten die schriftlichen Quellen des Alten Orients die frühesten und,
neben dem Latein der klassischen Antike, auch die wesentlichen Zeugnisse
dieser zweckgebundenen Verwendung von Sprache in der Alten Welt. Forschungsgeschichtlich wurden bislang insbesondere die sprachfamiliär isolierten Sprachen Sumerisch und Hattisch als „Kultsprachen“ rezipiert, wobei diese
Zuschreibung vor allem damit begründet scheint, dass sie erstens (zumindest
auch) in religiösen Texten erscheinen, und zweitens zu einem Zeitpunkt, zu
dem sie nachweislich bereits nicht mehr als Alltags- und Verkehrssprache bzw.
gesprochene Sprache verwendet wurden.
Im Rahmen des Fachkonferenzenprogramms „Deutsch-Italienische Dialoge“ des DAAD fand an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom
9.–11. Oktober 2012 die Tagung „Reden an die Götter? Sakralsprachen im
Alten Orient und benachbarten Gebieten – Parlare agli Dei? Linguaggi sacri
nel Vicino Oriente antico e nelle aree limitrofe“ statt. Ziel der Veranstaltung war es, das Thema „Sakralsprachen“ fachübergreifend aus literatur- und
sprachwissenschaftlicher und – erstmals – altorientalistischer Perspektive zu
erörtern. Da die keilschriftliche Überlieferung nicht nur von sprachlicher
Vielfalt geprägt ist, sondern auch einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren
umfasst, aus denen die unterschiedlichsten Textgattungen zu Tage getreten
sind, muss ein solch erster Zugang natürlicher Weise ausschnitthaft bleiben. Es
darf ebenso nicht verwundern, dass im Rahmen einer Annäherung an die Thematik das christlich-sakralsprachliche Latein gleichsam als Modell und Vergleichsobjekt dient, auch wenn sehr schnell deutlich wird, dass insbesondere die bislang vornehmlich von der christlichen Glaubensvorstellung geprägte
Definition von Sakralsprache nur bedingt auf die Kulturen des Alten Orients
übertragbar und in vielerlei Hinsicht modifikationsbedürftig ist. Dies liegt
zuvörderst in der polytheistischen Struktur der jeweiligen altorientalischen
Gesellschaften begründet, die ein gegenüber dem Christentum abweichendes
Kommunikationssystem mit den Göttern voraussetzt, was sich u. a. in sozialen Instanzen wie Kirche, Gottesdienst, Liturgie gegenüber Tempel, Ritual,
Beschwörung widerspiegelt. Die Verifizierung einer solchen Annahme erweist
sich freilich als schwierig. Denn bislang lässt sich für den Alten Orient der
Die Welt des Orients, 44. Jahrgang, S. 148–150, ISSN (Printausgabe): 0043-2547, ISSN (online): 2196-9019
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Vorwort
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konkrete Verlauf von kultischen Handlungen mit sprachlichen Bezügen kaum
rekonstruieren, auch wenn für den Sitz im Leben einer Sakralsprache der liturgische Gebrauch im Götterkult gern in Anspruch genommen wird. Gänzlich
unmöglich ist es schließlich, die Wirkung auf die Ritualteilnehmer und das
Publikum zu ermitteln.
Der in vereinzelten Perioden der altorientalischen Geschichte nachweisbare
Gebrauch unterschiedlichster Sprachen im Kult, wie er uns etwa in den hethitischen Ritualtexten oder den Beschwörungen der altbabylonischen Zeit begegnet, lässt die einem Wort zugemessene Kraft erahnen. Die Verwendung
hattischer Ausrufe oder Wörter, denen die Wissenschaft bis heute keinen Sinn
abzuringen vermag, geben einen Hinweis darauf, dass zumindest zeitweilig
tatsächlich im Kult in besonderem Maße Sprachen gesprochen wurden, die
von der Alltagssprache abwichen oder bereits ausgestorben waren und gar
nicht verstanden werden mussten. Dies kann damit einhergehen, dass die
Fähigkeiten des Lesens oder Schreibens weitgehend einem beschränkten Personenkreis zugänglich waren und das gesprochene Wort nicht notwendigerweise auf ein Verstehen abzielt, sondern eher einer Rückbesinnung auf Älteres diente bzw. seine Kraft erst aus der Unverständlichkeit entwickeln konnte.
Letzteres wird man zunächst für den – aus moderner Sicht – Bereich der Magie
veranschlagen wollen. Das, was wir als Sakralsprache im Alten Orient wahrzunehmen glauben, ist, wie in anderen antiken Kulturen, wohl immer außergewöhnlich – nicht zuletzt, da sie eine Brücke zwischen Menschen und seinen
Göttern herstellen soll.
Legt man dieses Verhältnis einer Minimaldefinition des Begriffes Sakralsprache zu Grunde, so wäre Sakralsprache in den Quellen des Alten Orients
nur in der direkten Rede zwischen Göttern und Menschen greifbar. Dies
impliziert, dass z.B. die hethitischen Festritualbeschreibungen nicht in ihrem
deskriptiven Teil, sondern lediglich in den Beschwörungen und Gebeten sakrale Sprache aufweisen. Die sprachlichen Besonderheiten des deskriptiven Teils
der Rituale ließen sich unter dem Terminus Fachsprache subsumieren. Doch
die Frage, ob Sakralsprache nicht ebenfalls eine Fachsprache ist, bleibt, wie
die Beiträge des vorliegenden Heftes zeigen, durchaus offen. Als Indizien sind
anzuführen, dass die religiösen Texte durch die Benutzung bestimmter Ausdrücke, eine besondere Syntax und eine systematische Verwendung bestimmter, oftmals ausgefallener, Begriffe charakterisiert sind, allesamt Merkmale, die
vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen, um von einer Profansprache zu
einer liturgischen (Fach-)Sprache zu werden.
Aus all diesen Aspekten ergibt sich ein altorientalistisches Desiderat nach,
um in der Terminologie von Albrecht Greule zu sprechen, theolinguistischen
Forschungen. So gilt unser Dank den Autoren, die sich der Problematik angenommen haben und deren Ergebnisse sich auf den nachfolgenden Seiten wieder finden. Die große Bandbreite möglicher Zugangsweisen zur Thematik wie
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Doris Prechel und Giulia Torri
auch Fragen einer transdisziplinären Methodik lassen sich cum grano salis
in drei Sektionen untergliedern. Am Beginn stehen die Studien, deren Fokus
darauf liegt, den Begriff der „Sakralsprache“ in Abgrenzung zu ähnlich gelagerten Konzepten wie Kultur- oder Liturgiesprache zu definieren bzw. Merkmale, die eine Sakralität von Sprache herbeiführen können, zu benennen. Ein
weiterer Aspekt ergibt sich aus der Thematik einer Übersetzung einer heiligen Schrift, die nicht zu jeder Zeit erlaubt oder für notwendig erachtet wurde.
Diesbezügliche gravierende Probleme sind früh formuliert worden und erfuhren unterschiedlichste kulturelle Auslegungen. Am Ende des Bandes finden
sich schließlich Wissens- und Bewertungszugänge über Fallbeispiele aus den
Einzelsprachen Sumerisch und Emesal, Akkadisch und Hattisch.
Alle Beiträge machen eindringlich die Vielfalt der religiösen Sprachen des
Alten Orients deutlich, insbesondere aber auch die enge Verbindung der Religionen mit allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens. Wir danken den Herausgebern der Welt des Orients sehr, dass sie dafür einen Faszikel ihrer Zeitschrift zu widmen bereit waren.
Mainz – Florenz im Juli 2014