Vorwort Doris Prechel und Giulia Torri Sprache und religiöser Glauben sind in der menschlichen Kulturgeschichte aufs engste miteinander verknüpft. Auch in der keilschriftlichen Überlieferung Vorderasiens gibt es zahlreiche Anhaltspunkte für den Gebrauch von Kultbzw. Sakralsprachen, d.h. überwiegend oder ausschließlich im religiösen Kontext gebrauchter Sprachen, die dem Ausdruck eines Glaubens dienen können. Damit bieten die schriftlichen Quellen des Alten Orients die frühesten und, neben dem Latein der klassischen Antike, auch die wesentlichen Zeugnisse dieser zweckgebundenen Verwendung von Sprache in der Alten Welt. Forschungsgeschichtlich wurden bislang insbesondere die sprachfamiliär isolierten Sprachen Sumerisch und Hattisch als „Kultsprachen“ rezipiert, wobei diese Zuschreibung vor allem damit begründet scheint, dass sie erstens (zumindest auch) in religiösen Texten erscheinen, und zweitens zu einem Zeitpunkt, zu dem sie nachweislich bereits nicht mehr als Alltags- und Verkehrssprache bzw. gesprochene Sprache verwendet wurden. Im Rahmen des Fachkonferenzenprogramms „Deutsch-Italienische Dialoge“ des DAAD fand an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom 9.–11. Oktober 2012 die Tagung „Reden an die Götter? Sakralsprachen im Alten Orient und benachbarten Gebieten – Parlare agli Dei? Linguaggi sacri nel Vicino Oriente antico e nelle aree limitrofe“ statt. Ziel der Veranstaltung war es, das Thema „Sakralsprachen“ fachübergreifend aus literatur- und sprachwissenschaftlicher und – erstmals – altorientalistischer Perspektive zu erörtern. Da die keilschriftliche Überlieferung nicht nur von sprachlicher Vielfalt geprägt ist, sondern auch einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren umfasst, aus denen die unterschiedlichsten Textgattungen zu Tage getreten sind, muss ein solch erster Zugang natürlicher Weise ausschnitthaft bleiben. Es darf ebenso nicht verwundern, dass im Rahmen einer Annäherung an die Thematik das christlich-sakralsprachliche Latein gleichsam als Modell und Vergleichsobjekt dient, auch wenn sehr schnell deutlich wird, dass insbesondere die bislang vornehmlich von der christlichen Glaubensvorstellung geprägte Definition von Sakralsprache nur bedingt auf die Kulturen des Alten Orients übertragbar und in vielerlei Hinsicht modifikationsbedürftig ist. Dies liegt zuvörderst in der polytheistischen Struktur der jeweiligen altorientalischen Gesellschaften begründet, die ein gegenüber dem Christentum abweichendes Kommunikationssystem mit den Göttern voraussetzt, was sich u. a. in sozialen Instanzen wie Kirche, Gottesdienst, Liturgie gegenüber Tempel, Ritual, Beschwörung widerspiegelt. Die Verifizierung einer solchen Annahme erweist sich freilich als schwierig. Denn bislang lässt sich für den Alten Orient der Die Welt des Orients, 44. Jahrgang, S. 148–150, ISSN (Printausgabe): 0043-2547, ISSN (online): 2196-9019 © 2014 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Vorwort 149 konkrete Verlauf von kultischen Handlungen mit sprachlichen Bezügen kaum rekonstruieren, auch wenn für den Sitz im Leben einer Sakralsprache der liturgische Gebrauch im Götterkult gern in Anspruch genommen wird. Gänzlich unmöglich ist es schließlich, die Wirkung auf die Ritualteilnehmer und das Publikum zu ermitteln. Der in vereinzelten Perioden der altorientalischen Geschichte nachweisbare Gebrauch unterschiedlichster Sprachen im Kult, wie er uns etwa in den hethitischen Ritualtexten oder den Beschwörungen der altbabylonischen Zeit begegnet, lässt die einem Wort zugemessene Kraft erahnen. Die Verwendung hattischer Ausrufe oder Wörter, denen die Wissenschaft bis heute keinen Sinn abzuringen vermag, geben einen Hinweis darauf, dass zumindest zeitweilig tatsächlich im Kult in besonderem Maße Sprachen gesprochen wurden, die von der Alltagssprache abwichen oder bereits ausgestorben waren und gar nicht verstanden werden mussten. Dies kann damit einhergehen, dass die Fähigkeiten des Lesens oder Schreibens weitgehend einem beschränkten Personenkreis zugänglich waren und das gesprochene Wort nicht notwendigerweise auf ein Verstehen abzielt, sondern eher einer Rückbesinnung auf Älteres diente bzw. seine Kraft erst aus der Unverständlichkeit entwickeln konnte. Letzteres wird man zunächst für den – aus moderner Sicht – Bereich der Magie veranschlagen wollen. Das, was wir als Sakralsprache im Alten Orient wahrzunehmen glauben, ist, wie in anderen antiken Kulturen, wohl immer außergewöhnlich – nicht zuletzt, da sie eine Brücke zwischen Menschen und seinen Göttern herstellen soll. Legt man dieses Verhältnis einer Minimaldefinition des Begriffes Sakralsprache zu Grunde, so wäre Sakralsprache in den Quellen des Alten Orients nur in der direkten Rede zwischen Göttern und Menschen greifbar. Dies impliziert, dass z.B. die hethitischen Festritualbeschreibungen nicht in ihrem deskriptiven Teil, sondern lediglich in den Beschwörungen und Gebeten sakrale Sprache aufweisen. Die sprachlichen Besonderheiten des deskriptiven Teils der Rituale ließen sich unter dem Terminus Fachsprache subsumieren. Doch die Frage, ob Sakralsprache nicht ebenfalls eine Fachsprache ist, bleibt, wie die Beiträge des vorliegenden Heftes zeigen, durchaus offen. Als Indizien sind anzuführen, dass die religiösen Texte durch die Benutzung bestimmter Ausdrücke, eine besondere Syntax und eine systematische Verwendung bestimmter, oftmals ausgefallener, Begriffe charakterisiert sind, allesamt Merkmale, die vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen, um von einer Profansprache zu einer liturgischen (Fach-)Sprache zu werden. Aus all diesen Aspekten ergibt sich ein altorientalistisches Desiderat nach, um in der Terminologie von Albrecht Greule zu sprechen, theolinguistischen Forschungen. So gilt unser Dank den Autoren, die sich der Problematik angenommen haben und deren Ergebnisse sich auf den nachfolgenden Seiten wieder finden. Die große Bandbreite möglicher Zugangsweisen zur Thematik wie 150 Doris Prechel und Giulia Torri auch Fragen einer transdisziplinären Methodik lassen sich cum grano salis in drei Sektionen untergliedern. Am Beginn stehen die Studien, deren Fokus darauf liegt, den Begriff der „Sakralsprache“ in Abgrenzung zu ähnlich gelagerten Konzepten wie Kultur- oder Liturgiesprache zu definieren bzw. Merkmale, die eine Sakralität von Sprache herbeiführen können, zu benennen. Ein weiterer Aspekt ergibt sich aus der Thematik einer Übersetzung einer heiligen Schrift, die nicht zu jeder Zeit erlaubt oder für notwendig erachtet wurde. Diesbezügliche gravierende Probleme sind früh formuliert worden und erfuhren unterschiedlichste kulturelle Auslegungen. Am Ende des Bandes finden sich schließlich Wissens- und Bewertungszugänge über Fallbeispiele aus den Einzelsprachen Sumerisch und Emesal, Akkadisch und Hattisch. Alle Beiträge machen eindringlich die Vielfalt der religiösen Sprachen des Alten Orients deutlich, insbesondere aber auch die enge Verbindung der Religionen mit allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens. Wir danken den Herausgebern der Welt des Orients sehr, dass sie dafür einen Faszikel ihrer Zeitschrift zu widmen bereit waren. Mainz – Florenz im Juli 2014
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