Iris Nentwig-Gesemann, Corinna Schmude, Anja Voss, Christian

Iris Nentwig-Gesemann, Corinna Schmude, Anja Voss, Christian Widdascheck
Hochschule und Berufsfeld als Lern- und Bildungsorte? Ein Blick der Hochschullehrer_innen auf die Praktikumsphasen im Studium Erziehung und Bildung im Kindesalter
Der EBK-Studiengang qualifiziert Kindheitspädagog_innen und damit Fachkräfte mit
einem eigenständigen, inzwischen gesetzlich verankerten und mit einer staatlichen
Anerkennung versehenen, Berufsprofil. Ziel des Studiengangs - und Bestandteil dieses Berufsprofils - ist es, reflektierte Praktiker_innen mit einer forschenden Haltung
und grundlegenden Kompetenzen für die Realisierung von Praxisforschung auszubilden. Ein Herzstück bilden hier die Praxisphasen, in denen es um Erfahrungen einer produktiven Verzahnung der Lern- und Bildungsorte Hochschule und Berufsfeld
geht.
Anliegen der zwei, jeweils 12-wöchigen Praktika im 3. und 6. Semester ist es, den
Studierenden Erfahrungs- und Übungsräume für die Arbeit an ihrer professionellen
Handlungskompetenz zu eröffnen. Durch die Bearbeitung von Studienaufgaben werden das eigene pädagogische Handeln und der beobachtete pädagogische Alltag
einem intensiven Reflexionsprozess unterzogen. Beide Praktika sollen a) Kenntnisse
über Praxiseinrichtungen und verschiedene Tätigkeitsbereiche vermitteln, b) die eigenverantwortliche Planung, Umsetzung, Dokumentation und Reflexion professioneller Alltagssituationen und spezifischer Angebote und Aufgaben ermöglichen und c)
theoretisches Wissen und Praxiserfahrungen kontinuierlich verknüpfen.
Beiden Praktika ist zudem gemeinsam, dass sie jeweils durch ein Seminar begleitet
werden, die Studierenden von den Dozent_innen in der Praktikumsstelle besucht und
die Mentor_innen, die die Studierenden in den Praktikumsstellen begleiten, zu einem
Treffen an die Hochschule eingeladen werden.
Daneben weisen die beiden Praktika jedoch in ihrer inhaltlichen Schwerpunktsetzung
bedeutsame Unterschiede auf. Während das erste Praktikum die Möglichkeit eröffnet, sich in der Umsetzung eines Projektes zu erproben, geht es im zweiten Praktikum die Anwendung ausgewählter Praxis- und Forschungsmethoden.
Das projektorientierte Praktikum im 3. Semester
Im ersten Praktikum stellt sich den Studierenden die besondere Herausforderung,
selbstständig ein Projekt zu planen, umzusetzen, zu dokumentieren und zu reflektieren. Es soll eine Projektskizze, die sich an den Themen und Ideen der Kinder orientiert, erstellt und die anschließend in einem dialogisch-partizipativen Prozess realisiert werden. Dieser nie völlig planbare Projektverlauf wird gerade in seiner unvorhersehbaren Entwicklung dokumentiert und abschließend theoretisch fundiert reflektiert. Flankiert wird diese zentrale Praktikumsaufgabe durch die Reflexion der in den
bisherigen Semestern erarbeiteten Wissensbestände und Handlungspotenziale. Eine
weitere wichtige Aufgabe ist die kritische Reflexion der Erfahrungen und Erlebnisse
im Praktikum und der eigenen Professionalisierung. Mit Hilfe der Bearbeitung von
Dilemma-Situationen sind die Studierenden gefordert, mindestens eine herausfordernde pädagogische Schlüsselsituationen zu beschreiben, zu analysieren und zu
reflektieren.
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Abschließend wird ein Praktikumsbericht in Form einer wissenschaftlichen Hausarbeit erstellt, in der die bisherigen in Studium und Berufsfeld erworbenen Wissensbestände und Erkenntnisse systematisiert, aufgearbeitet, einer (Selbst-) Reflexion unterzogen und in einen fachwissenschaftlichen Zusammenhang gestellt werden. Dabei geht es sowohl um die Dokumentation und Präsentation der gemachten und reflektierten Erfahrungen als auch darum, Schlussfolgerungen und Handlungsperspektiven für das weitere Studium bzw. die Berufspraxis zu entwickeln.
Das forschungsorientierte Praktikum im 6. Semester
Wir greifen mit dem forschungsorientierten 12-wöchigen Praktikum berufsspezifische
Funktionen und Positionierungen des Berufsprofils „Kindheitspädagogik“ auf, in dem
als Schwerpunkt „die Tätigkeit in der erkenntnisgenerierenden Erforschung, der Konzeptionierung und der didaktischen, organisationalen und sozialräumlichen Unterstützung von Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindheit und Familie“ formuliert
wird.1
Für das EBK-Studium bedeutet dies, Fragestellungen und Erkenntnisinteressen, die
sich aus der konkreten Tätigkeit in einem frühpädagogischen Arbeitsfeld ergeben,
systematisch und forschungsmethodisch fundiert zu bearbeiten. Konkret kann das
z.B. eine Gruppendiskussion mit Kindern sein, die methodisch sicher durchgeführt
und ausgewertet wird oder die vergleichende Analyse videografierter pädagogischer
Situationen unter einer bestimmten Fragestellung.
Eine (forschungs-) methodisch fundierte (Selbst-) Reflexionsfähigkeit ist ein wesentlicher Motor professioneller Handlungskompetenz. Sie ist notwendig, um sich der eigenen Biografie und Subjektivität immer wieder bewusst zu werden, um unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können, um eine Situation auf der Grundlage von
theoretischem Wissen, reflektiertem Erfahrungswissen und Erkenntnissen, die aus
eigenen forschenden Zugängen gewonnen werden, zu analysieren.
Eine Besonderheit des zweiten Praktikums stellt das kompetenzorientierte Prüfungsformat dar: Die Studierenden präsentieren die Ergebnisse ihrer Forschung nicht in
der Hochschule, sondern in der Praxisstelle, z.B. in Form einer Teamsitzung oder
eines Elternabends. Hier stellen sie, in Anwesenheit einer Lehrenden des praktikumsbegleitenden Projektseminars, die Ergebnisse und Erkenntnisse ihrer Projektarbeit und der von ihnen durchgeführten Forschung vor. Das zentrale Ziel dieser Art
der Prüfung ist das Üben einer Transferleistung: vom theoretisch und (forschungs-)
methodisch fundierten Projekt zu einer praxisbezogenen Darstellung für mitbeteiligte
Akteur_innen.
Die Verknüpfung der beiden Lern- und Bildungsorte Hochschule und Berufsfeld
1
vgl. das vom Studiengangstag Pädagogik der Kindheit formulierte Berufsprofil Kindheitspädagogin/Kindheitspädagoge (abrufbar unter: www.ashberlin.eu/fileadmin/user_upload/pdfs/Studienangebot/Bachelor/EBK/Berufsprofil_Kindheitspädagogik_01.
06.2015.pdf)
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Potenziale und Herausforderungen der Verzahnung von hochschulischer Lehre
und Erfahrungen im Berufsfeld
Die Nachhaltigkeit und Qualität in der Verknüpfung der beiden Lernorte Hochschule
und Berufsfeld wird insbesondere durch die praktikumsbegleitenden wöchentlichen
Seminare abgesichert. Das praktikumsbegleitende Seminar im 3. Semester gewährleistet zum einen, dass die gesammelten Wissensbestände und Erfahrungen aus
dem bisherigen Studium gebündelt und in das Berufsfeld eingebracht werden und
zum anderen, dass im Praktikum entstehende Themen und Fragestellungen wieder
in das Studium eingespeist werden. Das praktikumsbegleitende Seminar im 6. Semester dient zum einen der kontinuierlichen Reflexion der Praktikumserfahrungen,
der Generierung von reflektiertem Erfahrungswissen und (berufs-) biografischer Reflexivität. Zum anderen werden die Studierenden bei der Entwicklung einer Forschungsfrage unterstützt und im Forschungsprozess begleitet. Dieser kann entweder
empirisch angelegt sein und/oder aus intensiver, einer Forschungsfragen nachgehender ‚Theoriearbeit‘ bestehen. Der Ertrag dieser Forschung kann bereits als Vorbereitung oder sogar Einstieg in die Bachelor-Arbeit dienen.
Durch die Begleitung der Studierenden in Form der Praxisstellenbesuche entstehen
intensive Lern-Lehrsituationen jenseits von Hochschulroutinen und die Seminarinhalte des praktikumsbegleitenden Seminars können sehr passgenau gestaltet werden.
Im zweiten Praktikum wird eine intensive Lehr-Lern-Situation zudem durch die Ergebnispräsentation der Praxisforschungsprojekte hergestellt, die nicht in der Hochschule, sondern am Praktikumsort stattfindet. In beiden Praktikumsphasen werden
die Mentor_innen, die die Studierenden in den Praktikumsstellen begleiten, zu einem
Informations- und Austauschtreffen an die Hochschule eingeladen und erfahren damit
Anerkennung
als
wesentliche
Säule
der
Qualifizierung
von
Kindheitspädagog_innen.
Jeweils im Semester vor dem Praktikum werden die Studierenden inhaltlich und organisatorisch auf die Praxisphasen vorbereitet. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Kompetenzen jede/r Einzelne im Praktikum erwerben möchte und wo ihre/seine
spezifischen Interessen im breiten Berufsfeld der Kindheitspädagogik liegen. Es geht
um die passgenaue und individuelle Unterstützung bei der Formulierung von Zielen
für die professionelle Entwicklung der Studierenden. Im vorbereitenden Seminar des
ersten Praktikums liegt daher ein wichtiger Schwerpunkt auf der gemeinschaftlichen
aber individuell präzisierten Erarbeitung von Kriterien für die Auswahl der eigenen
Praktikumsstelle. Im Rahmen einer Praktikumsbörse stellen sich an Praktikant_innen
interessierte Einrichtungen und Träger den Studierenden vor. Im vorbereitenden
Seminar für das zweite Praktikum geht es inhaltlich um Professionalisierung, Kompetenzentwicklung und aktuelle Entwicklungen des Berufsprofils. Die beiden Lern- und
Bildungsorte Hochschule und Berufsfeld werden über Exkursionen und Expert_innenvorträge miteinander verknüpft. Darüber hinaus werden die Perspektiven
von Kindheitspädagog_innen nach dem BA-Abschluss ausgelotet.
Die Konfrontation mit dem Berufsfeld im Rahmen der Praktikumsbesuche ermöglicht
es den Dozierenden, eigene theoretische Konzepte und Verortungen zu hinterfragen,
zu schärfen und zu pointieren. Gleichzeitig bietet sich hier die Möglichkeit, konkrete
Beispiele zu sammeln, die insbesondere der Veranschaulichung hochtheoretischer
und komplexer Inhalte in der Lehre dienen. In der Kindheitspädagogik als einer empirischen sowie handlungsorientierten Wissenschaft geht es immer wieder um die Frage, auf welches Wissen sich professionelles pädagogisches Handeln stützt und wie
dieses Wissen generiert wird. Durch den forschungsorientierten Schwerpunkt des
zweiten Praktikums haben die Studierenden bereits vor der Bachelor-Arbeit die Mög3
lichkeit, Praxis zu beforschen und die Ergebnisse wieder in das Berufsfeld einzuspeisen. Im Kern geht es bei der Gesamtanlage der Praxisphasen im EBK-Studium darum, dem Anspruch gerecht zu werden, Praxisforschung als Forschung mit der Praxis und für die Praxis zu realisieren.
Da die Akademisierung des frühpädagogischen Feldes erst vor etwas mehr als zehn
Jahren eingesetzt hat, treffen in den Praktikumsstellen unterschiedliche Professionsund Praxiskulturen aufeinander. Die angehenden Kindheitspädagog_innen werden
zumeist mit Interesse aufgenommen und unterstützt, allerdings kommt es immer
wieder auch zu Irritationen und ‚Kompetenzgerangel‘. Diese ‚Störungen‘ sind für ein
Berufsfeld in Entwicklung und Professionalisierungsprozesse normal und bereichernd, stellen aber für Studierende und Dozent_innen auch eine große Herausforderung dar. Mit der Anlage der Praxisphasen im EBK-Studiengang stellen wir uns
der Herausforderung, zusammen mit den Studierenden und in enger Verzahnung der
Lernorte Hochschule und Berufsfeld aktiv an der Neugestaltung der Frühpädagogik
und ihrer Verortung als Profession mitzuwirken.
Literatur
Fröhlich-Gildhoff, Klaus; Nentwig-Gesemann, Iris; Pietsch, Stefanie; Köhler, Luisa & Koch, Maraike
(2014): Kompetenzentwicklung und Kompetenzerfassung in der Frühpädagogik – Konzepte
und Methoden. Freiburg: FEL-Verlag.
Nentwig-Gesemann, Iris (2013): Professionelle Reflexivität. Herausforderungen an die Ausbildung
frühpädagogischer Fachkräfte. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, 1/2013, S. 10-14.
Nentwig-Gesemann, Iris & Nicolai, Katharina (2014): Pädagogische Fachkräfte als selbst-reflexive und
forschende Professionelle. In: Petra Völkel & Anne Wihstutz (Hg.): Das berufliche Selbstverständnis pädagogischer Fachkräfte. Berlin: Bildungsverlag Eins, S. 140-161.
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