Kugelzellen-Anämie

Kugelzellen-Anämie
Leitlinie
Empfehlungen der Fachgesellschaft zur Diagnostik und
Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen
Herausgeber
DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und
Medizinische Onkologie e.V.
Alexanderplatz 1
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Ansprechpartner
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Medizinischer Leiter
Quelle
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Die Empfehlungen der DGHO für die Diagnostik und Therapie hämatologi­
scher und onkologischer Erkrankungen entbinden die verantwortliche Ärztin /
den verantwortlichen Arzt nicht davon, notwendige Diagnostik, Indikationen,
Kontraindikationen und Dosierungen im Einzelfall zu überprüfen! Die DGHO
übernimmt für Empfehlungen keine Gewähr.
Inhaltsverzeichnis
1 Was ist das? ................................................................................... 2
1.1 Was ist eine Kugelzellen-Anämie? ................................................................. 2
1.1.1 Wie häufig sind Kugelzellen-Anämien? ....................................................... 3
1.1.2 Wie entsteht eine Kugelzellen-Anämie?...................................................... 3
2 Krankheitszeichen .......................................................................... 4
2.1 Welche Krankheitszeichen sind typisch?........................................................ 4
2.2 Welche Laborwerte sind verdächtig? ............................................................. 5
2.3 Was bedeutet ein erhöhter MCHC Wert? ....................................................... 6
3 Untersuchungen ............................................................................. 7
3.1 Welche Untersuchungen sind erforderlich? ................................................... 7
3.2 Könnte es eine andere Krankheit sein?.......................................................... 9
4 Behandlung .................................................................................. 11
4.1 Welche Behandlung gibt es?........................................................................ 11
4.1.1 Wann ist die Operation der Milz sinnvoll? ................................................. 11
5 Kontrollen .................................................................................... 12
5.1 Sind regelmäßige Blutkontrollen erforderlich?............................................. 12
7 Weitere Infos................................................................................ 13
8 Wer behandelt? ............................................................................ 13
8.1 Onkologische Zentren.................................................................................. 13
8.2 DGHO Mitgliederdatenbank ......................................................................... 13
8.3 GPOH (Kinderärzte)...................................................................................... 13
9 Anschriften der Verfasser.............................................................. 13
1
Kugelzellen-Anämie
Stand: Dezember 2011
1 Was ist das?
1.1 Was ist eine Kugelzellen-Anämie?
Unter dem Begriff ‚angeborene Kugelzellen-Anämie‘ wird heute eine ganze
Gruppe unterschiedlicher Erkrankungen zusammengefasst. Gemeinsames Merk­
mal sind Fehler in der äußeren Hülle der roten Blutkörperchen (Erythrozyten).
Ihre Form verändert sich, ein Teil der Erythrozyten nimmt die Form von Kugeln
an.
Die äußere Hülle (Membran) von Erythrozyten ist aus mehreren Eiweißen aufge­
baut. In jedem dieser Eiweiße können vererbte Fehler auftreten. Die Erythrozyten
verlieren dadurch ihre Elastizität und werden beschleunigt abgebaut, vor allem in
der Milz. Der Prozess der Auflösung roter Blutkörperchen wird als Hämolyse, eine
dadurch entstehende Blutarmut als hämolytische Anämie bezeichnet. Kugelzel­
len-Anämien gehören zu den hämolytischen Anämien.
Durch die Zerstörung der defekten roten Blutkörperchen entwickelt der Patient
eine Blutarmut. Der Körper versucht die Blutarmut zu kompensieren, in dem er
vermehrt neue rote Blutkörperchen im Knochenmark herstellt.
Kugelzellen-Anämien wurden erstmals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
beschrieben. Im Jahre 1900 veröffentlichte Oskar Minkowski seine Beobachtun­
gen über die Häufung dieser Krankheit in bestimmten Familien.
2
1.1.1 Wie häufig sind Kugelzellen-Anämien?
Die Häufigkeit wird in Deutschland auf 1 pro 2000 – 2500 Einwohner geschätzt.
Damit sind die Kugelzellen-Anämien die mit Abstand häufigsten angeborenen
hämolytischen Anämien bei Nord- und Mitteleuropäern.
1.1.2 Wie entsteht eine Kugelzellen-Anämie?
Kugelzellen-Anämien entstehen aufgrund von Fehlern in den Eiweißen der äuße­
ren Hülle roter Blutkörperchen. Die Fehler werden verursacht durch Mutationen in
den für die Eiweiße zuständigen Gene.
Je nachdem wie schwerwiegend diese Fehler sind, in welchem Eiweiß sie auftre­
ten und wie sie vererbt werden, wirken sich diese Defekte ganz unterschiedlich
auf die roten Blutkörperchen aus. Fehler können in verschiedenen Eiweißen
auftreten. Am häufigsten betroffen sind Ankyrin, Bande 3 und Spektrin. Seltener
sind Veränderungen von Protein 4.2 und im Rhesus-Komplex. Es gibt auch Patien­
ten, bei denen die Ursache der Kugelzellen-Anämie nicht gefunden wird.
Bei etwa 70 % der Betroffenen wird die Erkrankung autosomal dominant vererbt,
nur bei etwa 15 % autosomal rezessiv. Die übrigen Patienten erkranken aufgrund
von Neumutationen. Eine Einteilung mit Beschreibung der verschiedenen Formen
von angeborenen Kugelzellen-Anämien ist in Tabelle 1 dargestellt.
Tabelle 1: Einteilung der Kugelzellen-Anämie auf der Basis der Membrandefekte Typ
Defekt
Häufigkeit1
Vererbung2
betroffene Eiweiße
Verlaufsform3
1
Ankyrin-1
40 - 65 %
autos. dom.,
autos. rez.,
Ankyrin-1
und Spektrin
meist mittelschwer;
selten leicht oder schwer
2
β Spektrin
15 - 30 %
autos. dom.,
β Spektrin
leicht bis mittelschwer
3
α Spektrin
<5%
autos. rez.
α Spektrin
meist schwer
4
Bande 3
20 - 35 %
autos. dom.
Bande 3
leicht bis mittelschwer;
sehr selten schwere rezessive
Form
5
Protein 4.2
<5%
autos. rez.
Protein 4.2
leicht bis mittelschwer
Legende:
1 Häufigkeit - relative Häufigkeit in Mitteleuropa;
2 autos. - autosomal, dom. - dominant, rez. - rezessiv;
3 Verlaufsform - s. Tabelle 2;
3
2 Krankheitszeichen
2.1 Welche Krankheitszeichen sind typisch?
Die Krankheitszeichen lassen sich durch die Biologie der Kugelzellen-Anämie gut
erklären. Membrandefekte führen zur vermehrten Zerstörung von roten Blutkör­
perchen, vor allem in der Milz. Es kommt zur Blutarmut. Im Blut und im Urin
finden sich Abbauprodukte von roten Blutkörperchen. Bei einer schweren
Verlaufsform steigt Bilirubin so an, dass sich die Haut gelb und der Urin dunkel­
braun verfärben. Das Knochenmark versucht, die Blutarmut zu korrigieren und
produziert vermehrt rote Blutkörperchen. Dadurch werden auch unreife rote Blut­
körperchen ins Blut ausgeschüttet, die Retikulozyten.
Eine Kugelzellen-Anämie kann bei den Betroffenen ganz unterschiedlich verlau­
fen. Bei schweren Verlaufsformen sind schon im Kindesalter Blutübertragungen
erforderlich. Bei leichten Verlaufsformen fühlt sich der Betroffene nicht krank, die
Diagnose wird zufällig bei einer Laboruntersuchung gestellt.
Charakteristisch für die Kugelzellen-Anämie ist das gemeinsame Auftreten von
• Blutarmut (Anämie)
• Gelbfärbung der Haut (Ikterus)
• Vergrößerung der Milz (Splenomegalie)
Weitere, typische Komplikationen sind
• Gallensteine
• hämolytische Krisen
• aplastische Krise
Gallensteine entstehen durch den ständigen, schleichenden Abbau von roten
Blutkörperchen. Die dabei entstehenden Abbauprodukte fördern die Bildung von
Gallensteinen.
Hämolytische Krisen beschreiben die plötzliche Zerstörung von roten Blutkörper­
chen. Diese Krisen treten in der Folge von eigentlich ‚harmlosen‘ Infekten auf. Bei
jungen Erwachsenen ist der Verlauf der Krisen meist milde, eine Blutübertragung
ist nicht erforderlich. Hämolytische Krisen können wiederholt auftreten.
4
Die aplastische Krise ist meistens einmalig. Sie führt rasch zu einem starken
Abfall der roten Blutkörperchen. Oft wird eine Blutübertragung erforderlich. Typi­
scherweise wird die aplastische Krise durch Parvovirus B19 ausgelöst.
Weitere seltene Komplikationen einer Kugelzellen-Anämie sind Erkrankungen von
Herz und Gefäßen, Blutbildung außerhalb des Knochenmarks und eine vermehrte
Eisenablagerung im Körper. Die Blutbildung außerhalb des Knochenmarks findet
sich am häufigsten im Brustkorb und kann mit Tumoren verwechselt werden.
Bei älteren Patienten können Durchblutungsstörungen an den Unterschenkeln
auftreten, bis zu einem ‚offenen Bein‘.
Neben der Einteilung der Kugelzellen-Anämie auf der Basis der defekten Eiweiße
gibt es auch eine Einteilung nach der Schwere der Krankheit, siehe Tabelle 2.
Tabelle 2: Einteilung der Kugelzellen-Anämie auf der Basis der Blutarmut Träger1
leicht
Patienten (%)2
Mittelschwer
schwer
sehr schwer
25 - 30
60 – 70
10
3–5
Hämoglobin (g/L)
normal
11 - 15
8 – 11
6-8
<6
Retikulozyten (%)
1–3
<6
≥6
> 10
> 10
Bilirubin (mg / dL)
0–1
1-2
≥2
≥2-3
≥3
normal
vereinzelte
Kugelzellen
deutlich vermehrte
Kugelzellen
deutlich ver­
mehrte Kugel­
zellen
Mikro-Kugelzellen,
Poikilozytose
nein
0-1
0–2
≥3
regelmäßig
Blutausstrich
Blutübertragungen3
Legende:
1 Personen mit der Anlage für eine Kugelzellen-Anämie in der Familie, aber ohne Krankheitszeichen;
2 relative Häufigkeit;
3 voraussichtlicher Bedarf an Blutübertragungen im Lauf des Lebens
2.2 Welche Laborwerte sind verdächtig?
Bei einem Teil der Betroffenen wird die Kugelzellen-Anämie zufällig bei einer Blut­
untersuchung gefunden. Diese Personen fühlen sich nicht krank, die Laborunter­
suchung wurde aus anderen Gründen veranlasst. Hinweise auf eine KugelzellenAnämie sind in Tabelle 3 zusammengefasst.
Tabelle 3: Labor - Hinweise auf eine Kugelzellen-Anämie Laborwert
Kommentar
•MCHC oberhalb der Normgrenze (35
oder 36 g / dl)1
sehr verdächtig ist die Kombination von MCHC oberhalb der Norm­
grenze und RDW2 > 15 %
•Retikulozyten erhöht
•Kugelzellen
einzelne
•LDH erhöht
•indirektes Bilirubin erhöht
Selten
5
Laborwert
Kommentar
•Haptoglobin erniedrigt
•Vermehrung hyperchromer Erythrozy­
ten
•leichte Erhöhung der osmotischen Fra­
gilität
in den besonders empfindlichen Testverfahren (AGLT)
Legende:
1 RDW - Größenverteilung von Erythrozyten im automatischen Blutbild;
2 siehe Kapitel 2.3 für eine ausführlichere Darstellung von MCHC
Wenn mehrere Laborwerte verändert sind, erhärtet sich der Verdacht. Wenn
keine Kugelzellen nachweisbar sind, der MCHC-Wert nicht erhöht ist und auch die
Retikulozyten nicht erhöht sind, ist eine Veranlagung zur Kugelzellen-Anämie
nicht ausgeschlossen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die betroffene Person
jemals Beschwerden entwickelt.
Die Grenze zwischen einer Veranlagung und einer leichten Form von KugelzellenAnämie ist nicht immer leicht zu ziehen. Gelegentlich können bei leichten Formen
eine hämolytische oder auch eine aplastische Krise auftreten.
2.3 Was bedeutet ein erhöhter MCHC Wert?
MCHC ist ein errechneter Laborwert. Er gibt die Hämoglobin – Konzentration in
Hämoglobin pro 100 ml Erythrozyten an. Der erhöhte MCHC – Wert (mean cellular
hemoglobin concentration) ist typisch für die Kugelzellen-Anämie. Allerdings kann
ein erhöhter MCHC-Wert auch in anderen Situationen gemessen werden. Dazu
gehören
•andere, angeborene Membrandefekte der Erythrozyten, siehe Kapitel 3.2 Könnte
es eine andere Krankheit sein?
•Kälteagglutinine
•Hämoglobin C – Anomalie
•Sichelzellkrankheiten
•Patienten mit massiver Eisen - Überladung
6
3 Untersuchungen
3.1 Welche Untersuchungen sind erforderlich?
Die Krankengeschichte und eine komplette körperliche Untersuchung sind Grund­
lage der weiteren Untersuchungen. Die weiteren Untersuchungen bei Erwachse­
nen sind in den Tabellen 4 und 5 zusammengefasst und in Abbildung 1 darge­
stellt.
Tabelle 4: Basisuntersuchungen bei Verdacht auf angeborene Kugelzellen-Anämie Untersuchung
(unbedingt erforderlich)
Beschreibung
Bewertung
Kugelzellen-Anämie in der Fami­
lie
• autosomal dominant oder rezes­
siv
kann zutreffen, muss aber nicht
Vergrößerung der Milz
• körperliche Untersuchung
kann zutreffen, muss aber nicht
• Ultraschall
Blutbild automatisch
• Anämie
• MCHC1 > 35 g/dl
kann zutreffen, muss aber nicht
kann zutreffen, muss aber nicht
kann zutreffen, muss aber nicht
• Anisozytose (RDW2)
Blutausstrich mikroskopisch
gesteigerte Hämolyse
• Kugelzellen
• Anisozytose
trifft bei den meisten Patienten
zu3, 4
kann zutreffen, muss aber nicht
• Retikulozyten normal oder
erhöht
mindestens 2 Veränderungen
müssen zutreffen
• indirektes Bilirubin erhöht
• LDH5 erhöht
• Haptoglobin nicht nachweisbar
Coombs Test
• negativ
muss zutreffen
Legende:
1 MCHC - mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration;
2 RDW- Größenverteilung von Erythrozyten im automatischen Blutbild;
3 nur in einwandfreien Ausstrichen zu erkennen;
4 bei leichten Formen können nur wenige oder keine Sphärozyten nachweisbar sein;
5 LDH – Laktatdehydrogenase
7
Tabelle 5: Weiterführende Untersuchungen bei Verdacht auf angeborene Kugelzellen-Anämie Test
Beschreibung
osmotische Fragilität
Acidified Glycerol Lysis Time (AGLT), Inkubation von frischem Blut
Durchflusszytometrie
Eosin-5-Maleimid Bindung
Membran – Analyse
SDS PAGE
Gen – Analyse
Sequenzierung der Kandidatengene: Linkage Analyse
Es gibt keinen Einzeltest, der alle Formen der Hereditären Sphärozytose erkennt.
In einer aktuellen Studie an 150 Patienten wurde gezeigt, dass die Kombination
von AGLT und EMA Test eine Empfindlichkeit von 100 % erreicht. Diese Kombina­
tion wird jetzt als Standard empfohlen. Andere Untersuchungsmethoden der
osmotischen Resistenz sind weniger empfindlich und werden deshalb nicht mehr
als Standard empfohlen.
Osmotische Fragilität / osmotische Resistenz:
Sie beschreibt die Widerstandsfähigkeit der äußeren Hülle roter Blutkörperchen
unter bestimmten Stressbedingungen. Der Test mit der Acidified Glycerol Lysis
Time (AGLT) hat eine hohe Genauigkeit, die Empfindlichkeit liegt zwischen 80 und
95 %. Der Test muss innerhalb von Stunden nach Blutabnahme oder an per Eilbo­
ten versandten Proben (je nach Jahreszeit gekühlt) vorgenommen werden!
Durchflusszytometrie:
Die durchflusszytometrische Methode (EMA Test) wurde im Jahre 2000 eingeführt.
Sie beruht auf der verminderten Bindung des Fluoreszenzfarbstoffs Eosin-5-Malei­
mid bei Patienten mit angeborener Kugelzell-Anämie im Vergleich zu Normalper­
sonen. Die Empfindlichkeit liegt bei 90 - 95 %, die Genauigkeit bei 95 - 99 %.
Membran – Analyse:
Bei dieser Untersuchung werden die einzelnen Eiweiße in der Hülle von Erythrozy­
ten aufgetrennt und untersucht.
Gen – Analyse:
Der verantwortliche Gen – Defekt kann bei den Patienten und in den betroffenen
Familien direkt untersucht werden. Da verschiedene Gene in Frage kommen und
es innerhalb dieser Gene verschiedene Defekte gibt, sind die Kosten für diese
Untersuchungen hoch. Sie sind Spezialfällen vorbehalten.
Mit keiner Methode kann die Diagnose einer Kugelzellen-Anämie allein und sicher
gestellt werden. Ausnahme sind Personen aus Familien, in denen die KugelzellenAnämie schon bekannt ist und der Defekt nachgewiesen wurde. Dann kann die
Diagnose bei einem ‚verdächtigen‘ Familienmitglied auch mit einer einzigen
Methode bestätigt werden.
In allen anderen Fällen sollten mindestens 2 verschiedene Verfahren eingesetzt
werden, empfohlen werden AGLT und EMA-Test.
8
Abbildung 1: Empfehlungen zum Vorgehen bei Verdacht auf eine angeborene KugelzellenAnämie Legende:
1 typische Krankheitszeichen – Blutarmut, Gelbfärbung der Haut, Vergrößerung der Milz, hämolyti­
sche Krise oder aplastische Krise nach Virusinfekt;
2 auffällige Laborbefunde – MCHC > 35 und RDW > 15 %; Retikulozyten erhöht, Zeichen der Hämo­
lyse;
3 Basisdiagnostik - großes Blutbild, Retikulozyten, LDH, Bilirubin, Haptoglobin, Coombs Test;
4 AGLT – Acidified Glycerol Lysis Time, Test zur Bestimmung der osmotischen Fragilität,
5 Durchflusszytometrie – Färbung mit Eosin-5-Maleimid;
3.2 Könnte es eine andere Krankheit sein?
Elliptozytose
Eine ganze Reihe anderer, seltener Krankheiten kann ähnliche Beschwerden und
Laborveränderungen hervorrufen wie die Kugelzellen-Anämie. Blutarmut, gestei­
gerte Aktivität des Knochenmarks und Kugelzellen im Blut können auch bei
folgenden Krankheiten auftreten:
Angeboren
Hereditäre Elliptozytose: Entscheidend ist der mikroskopische Befund, siehe
Abbildung 1. Die Befunde der Basisuntersuchungen sind ähnlich wie bei Kugelzel­
9
len-Anämie, allerdings ist der AGLT Test meist nur bei mittelschwerem bis schwe­
rem Verlauf auffällig.
Hereditäre Pyropoikilozytose: Die durchflusszytometrische Untersuchung (EMA
Test) zeigt ebenso wie bei der Kugelzellen-Anämie eine eindeutig verminderte
Bindung des Farbstoffs. Entscheidend sind der Blutausstrich und eine im Gegen­
satz zu anderen Membrandefekten ausgeprägte Verminderung des mittleren
Erythrozytenvolumens (MCV) auf Werte unter 70 fl.
Hereditäre Defekte der Kationendurchlässigkeit der Erythrozytenmembran: Bei
dieser Gruppe von Krankheiten führt der angeborene Defekt zu einer veränderten
Durchlässigkeit der Membranen. Dadurch verschiebt sich vor allem das Gleichge­
wicht von Kalium und Natrium in der Erythrozyten. Zu dieser Gruppe gehören die
folgenden Krankheiten, siehe Tabelle 6:
Tabelle 6: Erkrankungen mit Störung der Kationendurchlässigkeit der Erythrozytenmembran Stomatozytose mit zellulä­
rer Überwässerung
Kryohydrozy­
tose
Familiäre Pseudohy­
per-kaliämie
Xerozytose
Hämolyse
mittel bis schwer
mild bis mit­
tel
mild bis normal
mild bis mit­
tel
MCV1 (80 - 100
fl)
110 – 150
90 – 105
82 - 104
84 – 122
MCHC2 (32 - 36
g/dl)
24 – 30
34 – 38
33 - 39
34 – 38
Erythrozytäres
K+ und Na+
(95-110 mmol/
L Ery)
110 – 140
75 – 105
87-109
75-99
osmotische
Fragilität
stark erhöht
normal bis
leicht erhöht
leicht erniedrigt
erniedrigt
intrauterin
Aszites
nein
nein
nein
gering bis
stark
Ansprechen
auf Operation
der Milz
gut
schlecht
Operation der Milz
nicht empfohlen
Operation
der Milz
nicht emp­
fohlen
Legende:
1 MCV - mittleres korpuskuläres Volumen; 2 MCHC - mittlere Hämoglobinkonzentration;
Hereditäre Stomatozytose: Entscheidend ist bei diesem sehr seltenen Krankheits­
bild der Blutausstrich. Die Abgrenzung zur Kugelzellen-Anämie ist wichtig, da die
Operation der Milz nicht wirksam und mit einem hohen Risiko für Thrombosen
und Embolien belastet ist.
Hereditäre Xerozytose (früher auch dehydrierte hereditäre Stomatozytose): Weit­
gehend unauffälliges Blutbild, nur selten sind Stomatozyten und Echinozyten
nachweisbar. Die osmotische Fragilität ist leicht erniedrigt. Die Operation der Milz
ist nicht wirksam und aufgrund eines erhöhten Risikos für Thrombosen und Embo­
lien nicht empfohlen.
10
Kongenitale dyserythropoetische Anämie Typ II: Auch hier sind einzelne Kugelzel­
len im Ausstrich nachweisbar sind. Im Vordergrund steht aber ein sehr buntes
Bild der roten Blutkörperchen. Die Retikulozytenzahl ist oft normal, im Verhältnis
zur Blutarmut aber zu niedrig. Im Zweifelsfall ist eine Punktion des Knochenmarks
erforderlich. Darin zeigen sich bei Patienten mit kongenitaler dyserythropoieti­
scher Anämie Typ II deutliche Störungen der Blutbildung mit atypischen Vorläu­
ferzellen der roten Blutkörperchen. In der Eiweiß-Untersuchung (SDS PAGE) ist
das Eiweiß ‚Bande 3‘ verschoben.
Erworben
• Autoimmunhämolytische Anämie
• Mikroangiopathische hämolytische Anämie
• Hämolytisch - urämisches Syndrom
• Hypophosphatämie
• (verzögerte) hämolytische Transfusionsreaktion
• Hämolyse toxischer oder infektiöser Genese
4 Behandlung
http://www.powerpoint-aktuell.de/uploads/tx_pplarchive/02_2011_KBB_05.png
4.1 Welche Behandlung gibt es?
Eine Reparatur des genetischen Defektes gibt es nicht. Die wirksamste Behand­
lung ist die Entfernung der Milz. Bei Beschwerden aufgrund von Gallensteinen ist
die Entfernung der Gallenblase sinnvoll. Bei vielen Patienten mit KugelzellenAnämie ist keine Behandlung erforderlich.
4.1.1 Wann ist die Operation der Milz sinnvoll?
Die roten Blutkörperchen werden bei Patienten mit einer Kugelzellen-Anämie vor
allem in der Milz zerstört. Das führt zum einen zur Blutarmut, zum anderen zur
Vergrößerung der Milz. Nach einer Entfernung der Milz steigt die Zahl der roten
Blutkörperchen, die Anämie verschwindet.
Nach einer Operation der Milz steigt die Zahl der sichtbaren Kugelzellen im Blut:
Die Krankheit ist ja nicht verschwunden, nur der größte Abbauort wurde ausge­
schaltet. Die Entscheidung über eine Operation der Milz fällt meist im Kindesalter.
Die Operation sollte aber nach Möglichkeit nicht vor dem Schulalter vorgenom­
men werden.
11
Bei Erwachsenen muss sie in Abhängigkeit von der Schwere des Krankheitsbildes
getroffen werden, siehe Tabelle 7. Wenn sich überaktives Knochenmark außer­
halb der Knochen bildet, ist auch bei Erwachsenen die Entfernung der Milz sinn­
voll.
Tabelle 7: Gründe für eine Operation der Milz Schweregrad
Empfehlung
leicht
in der Regel nicht erforderlich
mittelschwer
bei mehreren hämolytischen Krisen
bei > 2 Transfusionen jenseits der Neugeborenenzeit
bei ausgeprägter Leistungsminderung
schwer und sehr schwer
alle Patienten
Das Risiko der Milzoperation liegt in der Operation selbst und in dem lebenslang
erhöhten Risiko für schwere Entzündungen. Gefürchtet sind Pneumokokken-Infek­
tionen. Sie können bei Patienten ohne Milz zum Tod führen, das Risiko beträgt 0,1
– 0,4 %.
Eine Alternative zur vollständigen Entfernung der Milz ist die teilweise Entfer­
nung. Dabei wird der größte Teil der Milz entfernt, es bleibt aber funktionierendes
Milzgewebe erhalten. Diese ‚fast vollständige‘ Entfernung ist heute die Methode
der Wahl.
Bei einigen Patienten mit schwerer Verlaufsform kann auch nach einer Milzopera­
tion eine leichte Blutarmut bestehen bleiben. Dies betrifft vor allem Patienten, bei
denen Spektrin defekt ist.
Vor einer Milzoperation werden bestimmte Impfungen empfohlen, um das Risiko
für schwere Infektion zu vermindern. Zu den Vorsichtsmaßnahmen gehören auch
Empfehlungen zur vorsorglichen Gabe von Antibiotika in Risikosituationen.
5 Kontrollen
Sphärozyten I
5.1 Sind regelmäßige Blutkontrollen erforderlich?
Es ist nicht erwiesen, dass regelmäßige Kontrollen des Blutbildes bei Patienten
mit Kugelzellen-Anämien einen Unterschied machen. Blutuntersuchungen sollten
immer dann erfolgen, wenn Zeichen einer Blutarmut auftreten – vor allem nach
Infekten. Bei Patienten mit mittelschweren und schweren Verlaufsformen wird
eine jährliche Kontrolle von Ferritin im Blut empfohlen zur Überwachung des
12
Eisenhaushaltes. Eine Ultraschalluntersuchung der Gallenwege sollte mindestens
alle 3 Jahre durchgeführt werden.
7 Weitere Infos
Leitlinie der Kinderärzte:
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/
025-018l_S1_Hereditaere_Sphaerozytose.pdf
8 Wer behandelt?
8.1 Onkologische Zentren
Liste zertifizierter Onkologischer Zentren: https://www.onkologie-zertifizierung.de/
8.2 DGHO Mitgliederdatenbank
DGHO Mitgliederverzeichnis: http://www.dgho.de/gesellschaft/mitglieder/mitglie­
derverzeichnis/@@mitgliederverzeichnis
8.3 GPOH (Kinderärzte)
http://www.kinderkrebsinfo.de/e2260/index_ger.html
9 Anschriften der Verfasser
Prof. Dr. med. Stefan Eber
Schwerpunktpraxis Pädiatrische
Hämatologie/Onkologie und
Kinderklinik der TU München
Waldfriedhofstr. 738
81377 München
Tel: 089 7140975
Fax: 089 74160384
[email protected]
13
Prof. Dr. med. Gerhard Ehninger
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
TU Dresden
Medizinische Klinik und Poliklinik I
Fetscherstr. 74
01307 Dresden
Tel: 0351 458-4190
Fax: 0351 458-5362
[email protected]
Prof. Dr. med. Winfried Gassmann
St. Marien-Krankenhaus Siegen
Medizinische Klinik III
Kampenstr. 51
57072 Siegen
Tel: 0271 231-1302
Fax: 0271 231-1309
[email protected]
Prof. em. Dr. med. Hermann Heimpel†
Prof. Dr. med. Hubert Schrezenmeier
Universitätsklinikum Ulm
Institut f. klin. Transfusionsmedizin
Helmholtzstr. 10
89081 Ulm
Tel: 0731 150-550
Fax: 0731 150-500
[email protected]
Prof. Dr. med. Bernhard Josef Wörmann
Amb. Gesundheitszentrum d. Charité
Campus Virchow-Klinikum
Med. Klinik m.S. Hämatologie & Onkologie
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13344 Berlin
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in einem getrennten Verzeichnis erklärt. Mein Onkopedia bietet Informationen, es ersetzt in keinem
Fall die persönliche ärztliche Betreuung bei Erkrankung und Beschwerden.
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