Im Banne der Kunst indigener Völker

SEHEN
AUSSTELLUNG
Im Banne der Kunst indigener Völker
«Sepik – Kunst aus Papua-Neuguinea»: Das Zürcher
Rietberg Museum bietet Einblick in eine spektakuläre
Kultur – und zeichnet ein Stück Kolonialgeschichte
nach.
Lacht dieser Kerl? Oder führt er
eine grosse Klappe? Der europäische Besucher wird es nie genau
wissen. Diese voluminöse Giebelmaske (Bild rechts) gab jedenfalls
der Frontseite eines Hauses ein
Gesicht, das den Besucher vielleicht willkommen hiess oder abschreckte. Der deutsche Schiffskapitän Friedrich Haug, ein passionierter Sammler, brachte das
Objekt zu Beginn des letzten
Jahrhunderts nach Europa und
schenkte es einem Stuttgarter
Museum.
Einfluss auf Europa
Die Giebelmaske ist nun in der
neuen Ausstellung «Sepik –
Kunst aus Papua-Neuguinea» im
Zürcher Rietberg Museum zu
sehen. Die Schau vermittelt
einen Überblick der Kunstgegenstände, die Abenteurer aus
Europa Ende des 19. und Anfang
des 20. Jahrhunderts entlang des
ausgedehnten Inselflusses Sepik
gesammelt haben. Wobei der
Begriff «Sammeln» ungenau ist.
«Angeeignet» wäre zutreffender,
zumal damals in jener Gegend
eine Währung als Zahlmittel wenig verbreitet war. Das Auftauchen indigener Kunst in
Europa beeinflusste immerhin
das Kunstschaffen nachhaltig –
zum Beispiel der Dadaisten,
etwa mit den Spielfiguren der
Schweizer Künstlerin Sophie
Taeuber-Arp, oder der Expressionisten, mit Werken von Emil
Nolde oder Max Pechstein.
12
170 ausdrucksstarke Objekte
sind ausgestellt, zum Teil
aus sehr ungewöhnlichen Materialien wie
Schnecken, Federn
oder Tierzähnen –
Krokodilschädel
inklusive. Dazu
illustrieren Fotografien, Audiosowie Filmaufnahmen das Leben am Sepik
oder «KaiserinAugusta-Fluss»,
wie ihn zu jener
Zeit die Deutschen nannten.
Das Zürcher Museum Rietberg vermittelt damit einen
Einblick in ein
unbekanntes Kapitel
der Kolonialgeschichte in der Südsee. Denn
Papua-Neuguinea war
vor mehr als 100 Jahren ein
Angelpunkt der Kolonialisten: Deutsche, Briten und
Holländer stritten um die Insel,
die sich allerdings kaum als profitträchtiger Aussenposten anerbot – sie war zu entlegen und zu
wenig erschlossen. Die Europäer
erkundeten deshalb die Gewässer des Sepik im tropischen Regenwald nur mit Schiffen und
stiessen dabei auf Indigene, die
weitgehend isoliert lebten – oftmals ohne Kontakt zu benachbarten Völkern.
Die Sprachenvielfalt mit mehr
als 800 Idiomen ist bis heute ver-
Empfang
am Hauseingang:
Giebelmaske
aus Holz aus
dem Dorf Angriman
wirrend, eine linguistische Verwandtschaft im Einzelnen nicht
immer auszumachen. Ein kreolisches Sprachgemisch diente und
dient der allgemeinen Verständigung. Papua-Neuguinea ist seit
1972 unabhängig und eines der
ärmsten Länder der Welt.
Die einheimische Kunst muss
die Europäer fasziniert haben.
So etwa die Federmosaik-Tafel
(Bild rechts), die der Jurist Richard urnwald um 1910 nach
Berlin brachte. Der Österreicher
kann aus heutiger Sicht als typischer Kolonialist gesehen wer-
kulturtipp 15 l 15
SEHEN
TIPPS
Überzeugt durch wilde
Entschlossenheit:
Mann als Rednerpult
Humorvolle Objekte
ten vor allem die privilegierten
alten Männer Beziehungen zu
den Ahnen. Die Universität Basel mit dem Museum für Kulturen gilt als Pionierin der Sepik-Forschung.
Die zuerst in Berlin gezeigte
Ausstellung sorgte in Deutschland für Aufsehen: «Es ist, als
seien die vor 100 Jahren beschworenen Ahnen und Geister
noch lebendig. Mit Gänsehaut
und Erschütterungsschauern
steht man vor den geschnitzten
Masken, Skulpturen und Fetischen. Gespenstisch durchdringt die Magie der Artefakte
die Vitrinen», schrieb die
«Frankfurter Rundschau» etwas
schwülstig.
Sehnsuchtsorte
Geschlechtsspezifische
Grössenordnung beim Akt:
Federmosaik-Tafel
kulturtipp 15 l 15
mit unter den Einheimischen
indigniertes Kopfschütteln ausgelöst haben wird. Andere wiederum wie der US-amerikanische Sammler George A. Dorsey erkannten den materiellen
Wert des lokalen Kunstschaffens. Dorsey hortete die Objekte systematisch vor Ort und
liess sie zu Tausenden in die
USA verschiffen.
Die Exotik Papua-Neuguineas
anerbot sich für viele Europäer
geradezu als Sehnsuchtsort romantischer Schwärmerei: Zum
Beispiel dem Deutschen August Engelhardt (1875–1919),
der die krude Bewegung «Sonnenorden – Aequatoriale Siedlungsgemeinschaft» gründete,
die sich esoterischen Ritualen,
wie etwa dem gepflegten
Nackttanz verschrieb – und da-
Selbst die aktuellen Ausstellungsmacher konnten sich der
Faszination von Papua-Neuguinea und seiner Bevölkerung
nicht entziehen. «Die Europäer
lernten die Bewohner kennen,
manche lebten sogar bei ihnen.
Sie verfielen ihrem Lächeln und
ihrer Gefälligkeit, und wer ein
wenig Tok Pisin beherrschte –
die mit Deutsch, Englisch und
lokalen Begriffen durchsetzte
Kreolsprache –, bekam Kostproben ihres Humors mit.»
Just diesen Humor vermitteln auch einzelne Kunstobjekte. Oder wer kann sich diesem
Wicht (oben) entziehen, der da
dem Betrachter frech entgegenglotzt?
Sa, 18.7.–So, 6.9.
Helmhaus Zürich
Ausstellung: Opium
Das Basler Museum für Kulturen führt in die Droge Opium
ein: als Heilmittel, Inspira tionsquelle oder Gift. Die Ausstellung dokumentiert, welch
unterschiedlicher Stellenwert
Opium im Lauf der Geschichte
in der Gesellschaft hatte.
Bis So, 24.1.
Museum der Kulturen Basel
Ausstellung: Archäologie
Ein Blick in die archäologische Sammlung des Landesmuseums in Zürich, die seit
dem 19. Jahrhundert im Aufbau ist: In der Ausstellung
sind Fundstücke von der Altsteinzeit bis ins frühe Mittel-
Rolf Hürzeler
Sepik – Kunst
aus Papua-Neuguinea
Fr, 10.7.–So, 4.10.
Museum Rietberg Zürich
BILDQUELLEN
GROSSES BILD: LINDEN-MUSEUM STUTTGART,
STAATLICHES MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE,
INV. 63214/FOTO: ANATOL DREYER
OBEN: MUSEUM RIETBERG ZÜRICH,
INV. RME 110/FOTO: RAINER WOLFSBERGER
UNTEN: ETHNOLOGISCHES MUSEUM,
STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN,
INV. VI 38609/FOTO: MARTIN FRANKEN
alter zu sehen. Sie sind von
der Zeit vor 100 000 Jahren
bis 800 n. Chr. datiert. Zu den
rund 400 ausgestellten
Objekten gehört etwa der
Spangenhelm aus dem
6. Jahrhundert n. Chr. (Bild).
Er wurde bei der Rhonemündung bei Villeneuve VD gefunden. Nur etwa 30 Helme
dieser Art sind bekannt.
Wahrscheinlich gehörte er
einem fränkischen Adligen.
Bis Do, 31.12.
Landesmuseum Zürich
13
SCHWEIZERISCHES NATIONALMUSEUM
den, der sich später im Nationalsozialismus mit rassistischen
eorien über die Roma hervortat. Die Tafel zeigt ein Paar
beim sexuellen Akt, wobei die
geschlechtsspezifische Grössenordnung augenfällig ist. Dieses
verbreitete Phänomen fiel der
US-amerikanischen Ethnologin Margaret Mead (1901–
1978) auf, die sich mit Studien
über die Sexualität im südpazifischen Raum einen Namen
machte und in ihren Schriften
nachwies, wie sehr die Geschlechterrollen kulturell bedingt sind: So richteten die
Indigenen für Frauen und
Männer strikt getrennte Häuser
ein – Ausdruck einer Hierarchie oder Schutzrefugien?
Strikte Unterschiede bestanden
früher auch zwischen den Generationen, anscheinend pfleg-
Ausstellung:
Werk und Atelierstipendien
der Stadt Zürich
Diese Ausstellung ist ein jährliches Trendbarometer für das
Kunstschaffen der Stadt. Dem
Besucher stellen sich Fragen
wie: Welche neuen Horizonte
eröffnet die Malerei künftig?
Was gilt die moderne Fotografie noch? Und nimmt die
politische Bedeutung der
Kunst zu?