ITALIENISCHE GASTARBEIT 60 Jahre IN DEUTSCHLAND 1955 - 2015 Kaufb euren i st i n den letz ten 6 0 Jah ren i tali eni sch er geworden. Und das i st gut so. Festschrift zum 60-jährigen Jubiläum der „Italienischen Gastarbeit in Deutschland“ 2 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Die Entscheidung nach Deutschland zu gehen war ric htig. Inhaltsverzeichnis Grußwort Stefan Bosse Oberbürgermeister Stadt Kaufbeuren Grußwort Carmine Macaluso Vorsitzender ACLI Baviera Grußwort Generalkonsul Filippo Scammacca Italienischer Generalkonsul, Stadt München Städtepartnerschaft László Kasztner Geschäftsführer der Städtepartnerschaft Kaufbeuren Kaufbeuren und Italien - historisch betrachtet Dr. Stefan Fischer, Stadtarchiv Kaufbeuren Geschichte der Verträge Carmine Macaluso, Vorsitzender ACLI Baviera Texte und Bilder von Zeitzeugen 4 Seite 5 Seite 6 Seite 7 Seite 8-9 Seiten 10 - 11 Seiten 12 - 23 Seiten 3 4 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Gäste, Liebe Leserinnen und Leser, ITALIEN! Schon als sich die staufischen ständlich Ritter hier in Kaufbeuren ver- Pizza, Spaghetti, Rot- sammelten, um in den Süden wein, aufzubrechen, und Rudi Schuricke; hatte dieses mehr als Caprifischer Oberbürgermeister Stefan Bosse es besonderen Klang, hatten wir wie es Dante, da Vinci, Miche- im Norden immer gewisse Vor- langelo und Verdi suggerieren stellungen Sehnsüchte, mögen. Italien hat viele großar- die sich mit dem Namen Italien tige Traditionen und eine davon verknüpften. Wenn die Stadt ist, dass Italien ein durch und Kaufbeuren nun heute „60 Jah- durch urbanes Land ist, in dem re italienische Gastarbeit“ in seit der Antike die Kultur der Deutschland feiert, so möge Städte blüht. Wenn heute un- das unser Beitrag für ein im- sere Speisekarte ohne weiteres mer mehr zusammenwachsen- das Nebeneinander von Pasta des Europa sein. und Spätzle verträgt, dann ist und auch 60 Jahre italienische Arbeits- mit migration in die Bundesrepu- den Kaufbeurer Bürgerinnen und Bür- blik gern ragender gemeinsam 60-jährige Wort für unsere Ohren einen ist ich freue mich sehr, des Carmine Macaluso, ACLI Baviera anders das auch ein Verdienst unserer das - das ist ein Anlass, hervor- Dank zu Jubiläum sagen. Dank an alle Zuwande- Anwerbevertrages rer selbst, deren Leistungen zwischen der Bundes- zum republik beigetragen Deutschland und Italien feiern zu Aufstieg mahnen, Deutschlands haben die und uns Integration dürfen und möchte der Stadt weiter Benvenuti a Kaufbeuren! Kaufbeuren und dem Integra- aber auch an all jene Menschen Ich wünsche dem Programm tionsbeirat Dankbar- und Organisationen, die die „60 Jahre italienische Gastar- keit für die tatkräftige Unter- Migranten mit offenen Armen beit“ in Kaufbeuren mit seiner stützung bei der Realisierung empfangen haben. Ausstellung und seinem Fest- unserer Initiative zum Aus- abend viel Erfolg und danke al- druck bringen. meine Wir Mit herzlichen Grüßen Freilich – ein Großteil von uns italienischen kennt sich in Europa und der und Mitbürger, deren Vorfah- Welt schon aus wie in Kaufbeu- ren als Gastarbeiterinnen und ren: Das Nordkap ist ihm eben- Gastarbeiter zu uns gekom- so wenig fremd wie die afrika- men sind, ihre Kultur bewahr- nische Sonne Siziliens. Aber ten und anpassten und so zu Stefan Bosse kennen wir unsere Nachbarn einem Stück unserer Heimat Oberbürgermeister Stadt Kaufbeuren wirklich? Italien ist selbstver- machten. Mitbürgerinnen wollen ein friedliches Unser Dank geht auch an Herrn schätzung, Toleranz und Soli- Antonio Tortorici, Vorsitzen- darität geprägt ist. der des Ausländerbeirates Memmingen und die vielen Zeitzeugen aus Kaufbeuren und Umgebung, für das zahlreich zur Verfügung gestellte BildIhr Dank Miteinander, das von Wert- len Beteiligten für ihr Engagement und ihren Beitrag! voranzutreiben. material zur Bereicherung der Photoausstellung Vita“. „Deutsche Car mi n e M ac al u s o Vorsitzender ACLI Baviera 5 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Liebe italienische Mitbürgerinnen und Mitbürger, Liebe Leserinnen und Leser, ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen, Herr Ober- bürgermeister Bosse, für die und Fördermaßnah- im Reigen der Gratulanten zum Jubiläum „60 Und zugunsten Jahre italienische Gastarbeit in Deutschland“ italienisches Flair in unsere Gesellschaft: ihr darf der Verein zur Pflege der Städtepartner- Lebensgefühl, ihre Esskultur. Eine Vorliebe schaften nicht fehlen. für italienischen Stil und Mode entwickelte men der Italiener, die seit Ge- Einladung zur Ausstellungser- nerationen in einem öffnung „60 Jahre italienische solch gastfreund- Gastarbeit“ in der Sparkas- lichen sen-Passage Kaufbeuren. Land ansässig sind, und wurden Bei dieser Gelegenheit möchte ich nochmals betonen, wie die Generalkonsul Filippo Scammacca offenen nämlich tes Zeichen der freundschaft- in bedeutendem Maße von ACLI lichen Beziehungen zwischen gefördert und unterstützt. diesen zwei Städten. Der Ita- italienischen Staatsbürger von lienische Präsident der Repu- Gastarbeitern zu europäischen Gerade die Offenheit der Stadt blik hat den Verdienstorden Bürgern geworden sind. Die- Kaufbeuren hat sich in der tie- Stella d‘Italia der Italienischen sen langwierigen Prozess der fen Freundschaft und engen Republik gelungenen Verbindung meister Stefan Bosse verlie- Integration be- zur Partnerstadt Herrn Oberbürger- hen. wundere ich sehr. Als Beweis Ferrara gezeigt. dafür dient, dass die Italiener Das Erdbeben, das Ferrara ge- S t äd t e par t n er sc h aft K auf beuren 6 so brachten sie im Laufe der Jahre sich; für Viele ein Anflug einer im Historischen Denn seit 1991 nennen wir Ferrara in der wurzelnden Sehnsucht nach dem Süden, seiner Emilia Geschichte, seiner europäischen Leitkultur. Romagna unsere Partnerstadt; sie ist unsere „erste Liebe“ in der Reihe der folgenden Partnerstädte. Im Crescentiakloster So haben Sie alle, seit nunmehr 60 Jahren, ist eine Urkunde erhalten, die im Jahre 1469 unsere Kaufbeurer Welt bereichert; Sie sind beide längst ein integrativer Teil von ihr, nicht nur Städte erwähnt. Lionsclub Seit zum den ersten 80er Kaufbeuren Mal gemeinsam Jahren hat der wegen der EWG seit 1957, sondern dank der freundschaftliche Menschen, die sich angenommen haben, die Kontakte aufgebaut und im September 1991 hier zusammen „Heimat“ sind. Miteinander wurde in Ferrara der Stätepartnerschaftsvertrag sind wir Kaufbeuren! unterzeichnet. Über 20 Jahre ist das nun her. Zu Ihrer aller Fest am 16. Mai wünsche ich in Bayern sehr populär und be- nau vor 3 Jahren erschütterte, Diese Auszeichnung ist eine liebt sind. verursachte schwere Schäden Danksagung an die ganze Stadt de aus verschiedenen Landesteilen Italiens ergehen; den Jüngeren unter Ihnen mutige, an Menschen und Gebäuden. Kaufbeuren für die geleistete hierher nach Kaufbeuren gekommen sind. Die selbstbewusste Schritte in eine gute Zukunft, Bei diesem Ereignis hat die Hilfestellung und umso mehr Suche nach Arbeitsplätzen hat sie zunächst die immer wieder Chancen bereithält, eine Stadt freue heuti- hierher geführt, nach einer erweiterten Lebens- Zukunft, die wir in Frieden und mit dem darität in großzügiger Weise gen Tage diesen Verdienstor- perspektive, nach Chancen für die Zukunft. Wunsch Beispiel für die erfolgreiche zum Ausdruck gebracht. Die den persönlich überreichen zu Dann wollen. Gott segne Sie! Integration der Italiener. Einen Spenden seitens der Bürgerin- können. Viele von ihnen fanden ihren Partner für`s wesentlichen haben nen und Bürger sowie der vie- Verbände wie ACLI-Kaufbeuren len Firmen bewundere ich sehr Filippo Scammacca geleistet: Die Weiterbildung und achte dies als beispielhaf- Italienischer Generalkonsul, München Die Stadt Kaufbeuren, die diesen Festtag beherbergt und organisiert, ist ein sehr gutes Beitrag Kaufbeuren ihre Soli- ich mich, am Rund 60 Jahre freilich sind es, dass Tausen- Ihnen und Ihren Familien persönliches Wohl- kamen Familienangehörige nach. sozialer Gerechtigkeit gestalten Leben hier: aus den eigenen Reihen oder aus L ász l ó Kasz t n e r anderen Familien. Ja, wo die Liebe hinfällt … Geschäftsführer der Städtepartnerschaft Kaufbeuren 7 8 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Kaufbeuren und Italien – historisch betrachtet Dr. Stefan Fischer, Stadtarchiv Kaufbeuren Die ältesten Beziehungen zwi- Die Beziehungen Kaufbeurens ckere Ritter in der Kaufbeurer dern helfen, andererseits hat- so wenig Kriegswaffen wie schen Italien und Kaufbeuren, nach Italien rissen trotz der Espermühle einen festen eige- te die kleine Stadt Kaufbeuren „Pistolen, Gewöhre, Pulver, soweit sie archivalisch nach- staufischen Katastrophe nicht nen Stützpunkt, was zu jenen gegen diese Militärmacht kei- Luntten oder Kriegs-Mu- zuweisen sind, rühren aus der ab. 1311 vergibt König Hein- Zeiten von entscheidender Be- ne Chance und eine feindliche nition“. Stauferzeit und sie haben für rich VII. an seinen Gefolgs- deutung war. Besetzung und Brandschatzung Kaufbeuren Leinwand und Kaufbeuren gleich eine ent- mann Hartmann von Münster Als dann 1547 Kaiser Karl V. im würde nur viel Leid in der Stadt „P a u r e n w o l l “ scheidende Auswirkung: Dagegen durfte ausführen, Der die Kaufbeurer Espermühle als Schmalkaldischen Krieg gegen verursachen. Also zahlte der musste dafür aber für einen Kaufbeurer Fern- und Groß- Reichslehen, um den Ritter für die Protestanten vorging, da Rat an den Habsburger eine Er- Ballen 4 Gulden Zoll an den händler Albert Schleher stif- seine in Italien geleisteten und wurde er von seinem Bruder satzleistung von 7000 Gulden Kaiser entrichten. tete sein im Italien-Handel noch zu leistenden Dienste zu Ferdinand mit Soldaten unter- und die Stadt war von der Ein- erworbenes belohnen. stützt, die nicht nur aus Spani- quartierung en, sondern vor allem aus Nea- nisch und italianisch Truppen“ pel kamen. verschont. beträchtliches Vermögen, um damit 1249 das „Hospital zum Heiligen Geist“ zu gründen, das ja als Institu- Freilich spielten dabei auch so- tion heute noch besteht. zusagen reisetechnische Gründe Der eine Rolle: Stadt geriet dabei in eine rechte A protestantische Rat der N von „neapolita- B Kaufbeuren und Italien gewaneispiele dieser Art lie- delt und geändert, das ist das ßen sich noch fortfüh- Kennzeichen eines lebendigen ren, aber sie zeigen uns, dass Austausches. Italien in Kaufbeuren keinesatürlich war das Ver- wegs eine terra incognita war, hältnis zwischen vielmehr hatte jeder und jede Kaufbeuren und Italien nicht in dieser Stadt von klein auf Besieht man die historischen immer so martialisch. Gera- immer eine feste Vorstellung Entwicklungslinien in Kemnat und in Kaufbeuren de im 30jährigen Krieg erfah- von dann kann ohne weiteres festge- die ren ben sich die Beziehungen von Verlegenheit, denn eigentlich Auf dem langen und beschwer- sollte er ja mit einem Kampf ls sich dann knapp lichen Weg von Nord nach Süd gegen zwanzig Jahre später über die Alpen hatte dieser wa- Soldaten seinen Glaubensbrü- Gefolgschaft Staufererben des Konradin jungen den Durchzug dieser wir, welche besonderen sam- Waren Kaufbeuren nach Ita- melte, um nach Süden zu zie- lien exportierte und vor allem hen und mit dem jungen Stau- welche Zölle es nach Geheiß fer Herrschaft und Krone in des Schwäbischen Kreises von Italien zu erlangen, da war der 1633 darauf erheben musste: Name dieses Landes sicherlich Brotgetreide, wieder in aller Munde Kauf- Butter und Hafer durften we- beurens. gen der Kriegszeiten gar nicht ausgeführt Käse, Schmalz, werden, eben- Italien. Natürlich ha- genauer, stellt werden: Kau f be u re n ist in de n l e tz te n 6 0 J ahre n it al ie nische r g e w o r d e n. Und das ist gu t so. 9 10 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Viele dieser „Gäste“ fühlten sich je- Geschichte der Verträge doch so wohl, dass sie den Entschluss fassten, in Deutschland zu bleiben und Carmine Macaluso, Vorsitzender ACLI Bavaria ihre Familien in die neue Heimat holten, um sich hier eine Existenz aufzu- Vor 60 Jahren legten die deut- Die ersten Auswanderer ka- Ab den 1960er Jahren folgten sche und die italienische Re- men damals hauptsächlich aus daraufhin gierung für den südlichen Regionen Itali- verträge mit fast allen Mittel- die Migration aus dem Mittel- ens, um den nach dem zweiten meerstaaten. meerraum nach Deutschland. Weltkrieg äußerst widrigen Le- den Grundstein weitere bauen. Anwerbe- E s e n t s t an d e n B e z i e h u n g e n a u f w i r t s c h aft l i c h e r , ab e r v o r al l e m p r i v at e r E b e n e , d i e h e u t e n i c h t bensverhältnissen zu entkomAm 20.12.1955 unterzeichneten men. der italienische Außenminister Dass im ersten Moment eine m e h r w e g z u d e n ke n u n d T e i l d i e s e s e r w e i t e r t e n Integration der Angeworbenen Horizonts sind. Gaetano Martino, der deutsche Auf deutscher Seite hingegen noch nicht Teil des Plans war, Arbeitsminister Anton Storch wurden Arbeits- ist dem Begriff des „Gastarbei- und der deutsche Botschaf- kräfte benötigt, um den wirt- ters“ sehr plakativ zu entneh- ter Clemens von Brentano den schaftlichen Aufschwung auf- men. Die Arbeiter sollten nur deutsch-italienischen Anwer- recht zu erhalten. „von außen“ die Wirtschaft bevertrag. zusätzliche unterstützen. Im Gegenzug bezogen sie einen Lohn, der es Dieser legte zunächst Regelun- ihnen ermöglichen sollte, gen für die Einwanderung und ihre Familien in der Hei- Unterbringung von 100.000 mat zu unterstützen und italienischen Arbeiterinnen und Arbeitern fest. irgendwann eine finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen, um nach Dabei ging es damals so- Italien zurückkehren wohl der deutschen als auch zu können. der italienischen Regierung vordergründig um schaftliche Aspekte. wirt- Dass die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden wurden und eine Annäherung gelang, ist nicht zuletzt der unermüdlichen Arbeit von kirchlichen Vereinen, Bürgerinitiativen und sozialen Einrichtungen zu verdanken. Durch ihre Pflege und Förderung des Dialogs stehen am Ende dieses jahrzehntelangen Prozesses die Früchte, die die Integration trägt: Deutschland ist geprägt und bereichert durch seine kulturelle Vielfalt und wurde zum Vorbild für ein harmonisches Zusammenleben zwischen den verschiedensten Kulturen. 11 12 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Von ei nem Zei tzeugen Metrangolo Mavio (geb. 1945), Schweißer aus Trepuzzi/Lecce Viele Hochzeitsgäste feiern mit Luisina und Ich bin nach Deutschland gekommen um das deutsche Volk kennenzuler- Franz im Juli 1963. nen und um eine geregelte Arbeit und Freizeit zu haben. Bei meiner Ankunft habe ich mir Gedanken gemacht, was auf mich zukommt und meine Neugier war groß. Anfangs war ich zeitweise traurig: ohne Eltern, Freunde und Sonne. Ich reiste alleine an, allerdings lebten meine zwei Brüder schon in Rieden bei Kaufbeuren, das war eine große Hilfe. Ich habe versucht so schnell wie möglich die deutsche Sprache zu lernen. Von Anfang an hatte ich die Gelegenheit in Rieden Fußball zu spielen und später dann in Kaufbeuren mit einer italienischen Mannschaft, der „Rizzoli“ Elf. Die Entscheidung nach Deutschland zu gehen war richtig. Ich habe eine deutsche Frau geheiratet und nun zwei erwachsene Kinder. Bei meinen Eltern waren meine Frau und Kinder immer herzlich willkommen. Eine Sehnsucht nach Italien ist immer noch da, aber nicht mehr so stark wie früher. Meine Familie und ich machen auch jedes Jahr Urlaub in meiner Heimat, Salvatore aus Sizilien macht Karriere als im schönen „Salento“. Pizzabäcker. In Deutschland seit 1963 Rosario aus Kalabrien packt zu. 13 14 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Von einem Zeitz eugen Soravia Giulio (geb. 1943) Maurer - Gastronom – Eishersteller (seit 1970 eigene Produktion in Kaufbeuren) aus Comelico Superiore Belluno Ich kam nach Deutschland um Geld zu verdienen, um mir eine bessere Zukunft zu schaffen. Meine Gefühle waren damals sehr schwankend und emotional. So kreisten meine Gedanken oft über eine „Auch Italienerinnen trugen damals Kopftuch“, sagt Luisina (vorne rechts) aus Latium. mögliche Rückkehr. Heimisch fühlte ich mich dann, nachdem ich die deutsche Sprache beherrscht habe. Besonders beim Einleben half mir das Kennenlernen meiner Verlobten und jetzigen Frau. Luisina läuft Sehr positiv empfinde ich in Deutschland die gute mit Franz in Struktur im Bereich Erziehung und das soziale Um- den Hafen der feld. Auch die bessere Versorgung im Bereich Ge- Ehe ein. sundheit hat mich positiv überrascht. Die Entscheidung nach Deutschland zu kommen ist aus heutiger Rosario aus Kalabrien träumt von seinem Sicht in Ordnung, da ich mir hier eine Existenz auf- ersten Moped. bauen konnte. Die Sehnsucht nach unserer Heimat wurde allerdings im Laufe der Jahre immer noch stärker. In Deutschland seit 1961 15 16 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Rosario Pietropaolo (geb. 1940) aus Bagnara Calabra Ich kam, wie viele Gastarbeiter, mit dem Zug, wurde am Bahnhof abgeholt und zu den Unterkünften gebracht. Es war alles sehr ungewohnt, wegen der fremden Sprache und Umgebung, der anderen Sitten, dem anderen Essen und vor allem dem anderen Klima. Doch auch wir waren Fremde für die Deutschen. Von einem Z e i t z e u gen Neue Freunde und neue Umgebung für „Andere Länder, andere Sitten“ wie man so schön sagt. Positiv waren die geregelten Arbeitsbeschäftigungen sowie die Absicherung mit dem gut funktionierenden Sozialversicherungs- Salvatore aus Sizilien ist jetzt als Orgelbauer tätig. system. Anfänglich war die Toleranz gegenüber den Ausländern gering. Allerdings hat sich das über die Jahre in den meisten Fällen auf Akzeptanz eingependelt. Des Weiteren fehlten das heimische Essen und die italienischen Lebensmittel. Die Entscheidung nach Deutschland zu kommen habe ich nie bereut, wer weiß, ob wir uns in Italien das gleiche Leben hätten aufbauen und unseren Kindern eine gute Zukunft hätten bieten können. Unter dem Jahr ist kaum Sehnsucht in die Heimat da, jedoch im Sommer dann umso eher. In Deutschland seit 1961 Mario aus Sizilien serviert heißen Espresso. Mario aus Sizilien. 17 18 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Mario Daidone (geb. 1938), Dreher aus Riposto Sizilien In Deutschland seit 1965 Ich kam nach Deutschland, weil damals auf Sizilien schlechte Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten herrschten. Anfangs fühlte Vo n einem Zei tzeugen Hoch und immer noch höher - mit vereinten Kräften! Giulio aus Venetien ist mit dabei. ich mich fremd und komisch, da ich keine deutschen Sprachkenntnisse besaß. Nach ungefähr zwei Jahren begann ich mich heimisch zu fühlen. Das Erlernen der deutschen Sprache hat mir dabei geholfen. Besonders überrascht hat mich in Deutschland der gute Verdienst, die Ordnung und die bessere Organisation. Die Entscheidung nach Deutschland zu gehen war richtig. Ich habe heute nur noch wenig Sehnsucht nach Italien, da ich eine deutsche Frau habe und meine Familie und meine Kinder in Deutschland leben. Giulio und Kollegen auf der Baustelle. Eine verdiente Pause auf der Baustelle. 19 20 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland 21 Viele starke Arme bauen solide Häuser. Nach getaner Arbeit endlich Freizeit! Luisina genießt ihre Pause bei den „Bellinda“-Werken. Salvatore wechselt zur Kaufbeurer Weberei „Momm“. 22 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland Von einem Ze i t ze u gen 60 Jahre Gastarbeit in Deutschland In Deutschland seit 1961 Ich kam nach Deutschland, weil ich nach meinem Wehrdienst keine Arbeit hatte. Mir war es in meinem Leben immer wichtig Fortschritte zu machen. So entschloss ich mich, um leichter eine Arbeit zu finden, aus Italien wegzugehen. Da meine Familie sich schon in Deutschland befand, wollte ich ebenfalls hierher kommen. Meine Ehe, die Lehre, das Studium und das aktive Mitwirken in einigen Vereinen und Ausschüssen haben mir geholfen, mich in Kempten, in Bayern, einzuleben. Nach Deutschland zu kommen war für mich sicher die richtige Entscheidung. Die ersten Jahre als Gastarbeiter waren für mich eine starke Motivation mich weiterzubilden, zu studieren und neben meiner, auch die deutsche Staatsangehörigkeit (mit meiner Ehefrau, ebenfalls aus Sizilien) zu besitzen. Sowohl ich, als auch meine Frau haben keine sehr große Sehnsucht nach unserem Sizilien. Allerdings verbringen wir während der Sommerferien mehrere Wochen in unserer Wohnung in Catania. Übrigens: wenn ich mit meiner Frau rede, im Kopf zähle, denke oder auch bete, mache ich es noch in randazzesischem Dialekt. Dr. Fernando A. Grasso (geb. 1943), Hochschullehrer aus Randazzo Giulio aus Venetien (2. von rechts) entdeckt eine bayerische Großstadt! Mario aus Apulien und seine Freunde - alle haben Platz in der kleinen „Isetta“! 23 Die mythische italienische Kaufbeurer Fußballmannschaft Ende der 60er Jahre. Impressum Mit freundlicher Unterstützung vom Koordinierungszentrum Kaufbeuren-aktiv Herausgeber: Stadt Kaufbeuren Koordinierungszentrum Kaufbeuren-aktiv www.kaufbeuren-aktiv.de Gestaltung und Satz: Marketingagentur Tenambergen Bilder: ACLI Baviera, Ausländerbeirat Memmingen Druck: ilumy Design Druck Auflage: Mai 2015; 500 Stück
© Copyright 2025 ExpyDoc