Nicola Kuhn, Tagesspiegel Berlin

Laudatio
für Kia Vahland anlässlich der Verleihung vom hbs-Kritikerpreis 2015
am 1. Dezember 2015
von Nicola Kuhn
[Es gilt das gesprochene Wort!]
Ich möchte Kia Vahland von Herzen gratulieren und freue mich, dass sie heute als meine
Nachfolgerin den zweiten hbs-Kritikerpreis erhält. Ich habe ihn damals für meine Kritik über
eine Martin-Kippenberger-Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin erhalten, aber ihn
zugleich als Auszeichnung für meine Arbeit insgesamt als Kunstkritikerin und Feuilletonredakteurin angenommen – und denke, dass auch Du es so empfindest. Wir beide machen
den Spagat, aktuelle Ausstellungen, kulturpolitische Ereignisse schreibend zu begleiten und
haben zugleich ein Ressort zu managen. Unser Redaktionsalltag wirkt ungeheuer
stimulierend, da er tagtäglich die Fülle aller kultureller Sparten, des politischen Geschäfts
insgesamt bereithält und wir uns darin als Kunstkritikerinnen positionieren müssen. Von
dieser Spannung, dieser Lebendigkeit profitiert auch das Schreiben, selbst wenn es zeitlich
zunehmend abgerungen ist. Angesichts der Krise der Printmedien, der Anzeigenrückgänge
und Auflageneinbrüche, den daraus folgenden Auswirkungen für die Redakteursarbeit wird
dieses Schreiben nicht unbedingt einfacher. Umso schöner ist es, wenn es eine besondere
Leistung, einen bestimmten Artikel wie heute Abend zu feiern gibt.
Die Jury des hbs-Kritikerpreises hat einstimmig den am 24. März diesen Jahres in der
Süddeutschen Zeitung erschienenen Artikel „Die Welt ist auch nur ein Krokodil. Eine Berliner
Ausstellung gibt Einblick in die geheimnisvolle Welt der alten Papua“ gewählt – aus vielen
guten Gründen. Die Rezension ist ein Stück lebendige, anspruchsvolle, richtungsweise
Kunstkritik, deren Lektüre auch beim zweiten und dritten Mal Spaß macht, wie ich es nun
mittlerweile getan habe.
Schon mit dem ersten Satz weckt Kia Vahland beim Leser Erwartungen. Sie holt ihn rein in die
Ausstellung und schmeißt ihn doch sogleich wieder unsanft raus, indem sie zur nächsten
Bezugsgröße überleitet – von der ethnologischen Sonderausstellung „Tanz der Ahnen“ im
Martin-Gropius-Bau, über die sie schreibt, hin zum geplanten Humboldt-Forum in der Mitte
Berlins.
hbs-kulturfonds in der Niedersächsischen Sparkassenstiftung . Schiffgraben 6 - 8 . 30159 Hannover
Der Leser wird geistig also sogleich in Bewegung gesetzt, aktiv einbezogen in den Denkprozess der Autorin, die Verbindungen jenseits der Ausstellung sucht. Genau dieses sollte
Kunstkritik leisten. Kia Vahland setzt die Parameter gleich zu Beginn, den kulturpolitischen
Kontext, in dem sich diese Ausstellung befindet. Sie gibt eine erste rasche Einschätzung, ein
positives Urteil, um damit dem künftigen Humboldt-Forum eine schallende Ohrfeige zu
verabreichen, das eine solch kurzweilige, erhellende, fundierte Ausstellung eben nicht zu
leisten vermag. Das ist beherzte Kunstkritik, die aufweckt, aufmerksam auf die Defizite
andernorts macht. Allerdings, so möchte ich bemerken, eröffnet das Humboldt-Forum erst
2019. Wir wissen also noch nicht, was dort zu sehen sein wird und ob es ihm nicht vielleicht
doch gelingt, kurzweilig, erhellend, fundiert zu sein. Jedoch bin ich ebenfalls skeptisch, das
muss ich zugeben, und frühzeitige Warnungen, wie die von Kia Vahland, sind wichtig, damit
Dahlem, wo sich die Ethnologischen Sammlungen gegenwärtig noch befinden, weiß, dass es
unter Beobachtung steht.
Auch für die Ausstellung selbst steckt die Autorin den Rahmen ab und zeigt eine klassische
Problematik auf: dass nur ein Ausschnitt gezeigt werden kann, wie es eigentlich für alle
Darstellungen gilt – ob es sich nun um Ausstellungen oder eben auch Artikel handelt. Ob
Kurator oder Kritikerin, es kann nicht alles gezeigt, besprochen werden, sondern es muss
ausgewählt werden. In der Berliner Ausstellung erweist sich dies allerdings als besonders hart:
Präsentiert wird nur ein Teil Papuas, damit das Gezeigte nicht vom Reichtum der restlichen
Gebiete erschlagen wird.
Kia Vahland bringt es auf den schönen Vergleich: „Das ist, als würde man die europäische
Kunst ohne Italien ausstellen, damit Deutschland und Frankreich nicht völlig überblendet
werden.“ Auch das kann und sollte Kunstkritik in einer Tageszeitung leisten: schlagkräftige
Vergleiche bringen, Bezüge aus dem Alltag herstellen, um den Leser mitzunehmen.
Dann steigt die Autorin selbst ein in den Ausstellungsparcours, wiederum in Abgrenzung zu
einer anderen Präsentationsform, wie es sie ebenfalls bei Ethnologischen Sammlungen gibt,
etwa dem Musée d'Orsay in Paris, das seine Exponate wie ein Juweliergeschäft vorführt. Kia
Vahland macht das Gesehene plastisch für den Leser. Sie zieht ihn hinein in die Ausstellung,
wie es auch die Kuratoren machen. Sie geht in ein Frauenhaus der Papua, in ein Männerhaus,
lernt sozusagen die Bewohner kennen.
hbs-kulturfonds in der Niedersächsischen Sparkassenstiftung . Schiffgraben 6 - 8 . 30159 Hannover
Die Autorin beschreibt anschaulich, was zu sehen ist. Ihre Kunstkritik wird damit zum
virtuellen Besuch, der sich durchaus selbst genügt. Der eigene Besuch muss nicht sein, ja
kann es auch oft genug nicht sein, zumal wenn sich der größte Teil der Leserschaft 800
Kilometer weit entfernt vom Ausstellungshaus befindet. Kia Vahlands Kunstkritik wird damit
zum eigenen Werk, das in sich schlüssig ist, denn vom Gesehenen stößt sie sich ab zur
Interpretation, zur Einschätzung und schließlich zum klaren Urteil.
In ihrer Beschreibung des Gesehenen ist die Autorin weit entfernt vom reinen Staunen.
Vielmehr fragt sie neugierig nach dem Selbstverständnis, dem Denken der Papua, das mit
unserer westlichen Vorstellungswelt kaum etwas gemeinsam hat. Zu welchen Missverständnissen dies führen kann, ist bekannt. Kia Vahland schreibt dazu: „In den
Zwanzigerjahren waren die Kopfjäger aus Papua das vielleicht beliebteste Hassobjekt der
westlichen Welt, noch heute ist ihr Ruf miserabel.“ Das nenne ich, prägnant formuliert. Die
Sprache der Autorin ist klar, eindeutig, sie verliert sich nicht in selbstverliebten
Formulierungen, sondern nennt die Dinge beim Namen – mit einem Schuss Ironie. Kia
Vahland bewahrt sich ihren distanzierten Blick, der es ihr ermöglicht, auch die unfreiwillige
Komik in der Ausstellung zu erkennen. So beschreibt sie etwa den präsentierten
Schädelhalter als eine Art Garderobe, auf der die Papua ihre mitgebrachten Köpfe aufspießen
konnten. Der Bezug zu unserem eigenen Alltag könnte nicht evidenter sein.
Das ist wohl auch das Besondere an einer Kunstkritik in einer Tageszeitung und eben nicht in
einem Fachmagazin: dass sie den Ansprüchen des Kenners, wenn nicht Experten genügen soll,
aber auch den Durchschnittsleser erreichen muss. Sie nimmt Tuchfühlung mit der Realität des
Lesers auf, der im nächsten Moment auch schon weiter blättert zum Sport, zur Wirtschaft, zu
den lokalen Nachrichten. Sie hat konkret, schnell, gescheit zu sein, sie muss gut lesbar, ein
sprachliches Vergnügen sein und sich auf der Höhe der Diskussion befinden. Kia Vahland
gelingt all dies. Sie offenbart dem Leser das Dilemma, dass die heutigen Bewohner von
Papua-Neuguinea sich kaum selbst ihrer eigenen Geschichte erinnern, dass die Bemühung
um eine historisch korrekte Darstellung umso wichtiger ist. In diesem Dilemma befinden sich
eigentlich alle ethnologischen Ausstellungen: Wie lässt sich außereuropäische Kultur
darstellen mit allen politischen Implikationen, die dies bedeutet? Das Humboldt-Forum wird
künftig daran gemessen werden, ob es ihm gelingt, dieses Dilemma zu lösen. Die Ausstellung
„Tanz der Ahnen“ im Martin-Gropius-Bau lieferte ein Beispiel, wie man es richtig machen kann.
Zugleich war sie die Vorlage für eine Kunstkritik, die einen Preis verdient hat.
Liebe Kia, herzlichen Glückwunsch!
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