Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie: lSo treffen Sie (hssh) bessere idun:gen En Entscheidungen durchdringen unser Alltagsleben. Jüngere Erkenntnisse der Verhaltensökonomie erklären ,.i, , Ursachentehlerhafter Entscheidungsmuster und geben überraschend praxistaugliche Empfehlungen. @trffiry@r Einführung - Verhaltensökonomie versus blieren. Hierzu hat erheblich beigetragen, dass die Arbeit führender Verhaltensökonomen mit Nobel- Homo Oeconomicus Über viele Jahrzehnte hinweg diente das Bild des Homo Oeconomicus als Leitgedanke und Orientierungsrahmen (Forschungs- und Lehrparadigma) der Betriebswirtschaftslehre. Der Homo Oeconomicus ein rein gedanklicher ldealtypus und nicht etwa ein realer menschlicher Entscheider des Alltagslebens - steht für die Verfolgung ausschließlich rationaler, wirtschaftlich vernünftiger und egoistisch-nutzenmaximierender Ziele. Emotionale Einflüsse sind ihm ebenso fremd wie irrationale Entscheidungsfehler, Verzerrungen (= Biases), Stimmungen und Launen. Das typische Arbeits- und Wirkungsfeld des Homo Oeconomicus ist ein transparenter Markt mit perfektem Überblick, freiem und nicht diskriminierendem Zugang für jedermann und kostenloser ver- Prof. Dr. Hartmut Walz lehrt an der Hochschule Ludwigshafen a. Rh. sowie der VWA RheinNeckar. Sein neuestes Buch ,,Einfach genial entscheiden", 2. Aufl. 201 5, ist bei HAUFE erschienen. Foto: privat zögerungsfreier lnformation, das mit dem Begriff ,,vollkommener Markt" bezeichnet wird. Mit der Verhaltensökonomie, oder englisch ,,Behavioral Economics" genannt, entwickelte sich eine Gegenbewegung, deren Grundzüge auf die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurückgehen, die aber zunächst in der betriebswirtschaftlichen Forschung und Lehre ein Schattendasein führte. Erst seit der Jahrtausendwende konnte sich die Verhaltensökono- mie zunehmend festigen und als Denk- und schungsansatz in der For- Betriebswirtschaftslehre eta- preisen gewürdigt wurden, so insbesondere Gary Becker ('1992), George A. Akerlof (2001), Daniel Kahneman (2002) sowie Eugene Fama, Lars P. Hansen und Robert Shiller (2013). Abbildung 1 (S. 83) zeigt die Gegenüberstellung der beiden Denkschulen anhand ausgewählter Kriterien. Die Ergebnisse und Empfehlungen der Verhaltens- ökonomie sind erfreulich pragmatisch und lassen meist eine unmittelbare Anwendung bei den täglichen Entscheidungen des Alltags bzw. Arbeitslebens zu. Die folgenden Beispiele zeigen die zentrale Bedeutung der konkret gegebenen Entscheidungssituation und des Entscheidungsumfeldes (= Entscheidungsdesign). Sie beschreiben zudem ausgewählte Fehlermuster (- Entscheidungsfallen), die keineswegs zufällig, sondern höchst systematisch zu falschen oder subop- timalen Wahlhandlungen führen. Zentrale Bedeutung des Entscheidungsdesigns Zwei Mönche eines Ordens, der seinen Mitgliedern viel Arbeit und lange Gebetsstunden abverlangt, haben die gleiche Leidenschaft: das Rauchen. Beide möchten während der Iangen täglichen Phasen des Betens parallel den Tabak genießen und fragen ihren Abt getrennt um Erlaubnis. Dieser entscheidet AKADEMIE 3 2015 r:D*e:AbkemtdiiiirleriiLeitbildern de§,Heiänaiiodoonoirjieu§:§owievottrOmrnssef nnät§t,i,ti, steHt einen Paradiomenwechsel in der Ökonomie dar Die ,,neue" Sicht Die ,,alte'o Sicht Homo Oeconomicus. Vollkommene Märkte Verhaltensökonomie. Neuroökonomie Fairness, Ethik, Ausgleich, soziale Eigenn utz, Effizienz, Maxim ieru ng Orientieruno Gerechtiokeitsemofinden Konsequente Sach- und Zielorientierunq Aberolaube. sonstiqe mentale Proqramme Zielfokus auf Streben nach materiellem Starke Erweiterung der Ziele auf Wohlstand, Besitz, Einkommen nichtmaterielle Aspekte wie z. B. Menschlichkeit, Religion, soziale Erwünschtheit Emotionale Entscheidungsfaktoren, Völlig rationaler Entscheidungsprozess, Berechenbarkeit, Nachvollzieh barkeit, ,,Daumenregeln" 1=;1"rt|"tiken), Einbezug Wiederholbarkeit neurowissenschaftlicher Erkenntnisse ldentischer, perfekter lnformationsstand aller Unvollkommene lnformation, asymmetrische Entscheidungsträger Verteilung der lnformation zwischen den Entscheidunosträoern Ausgleich unsystematischer Entscheidungs- Möglichkeit systematischer Fehler, fehler des Einzelnen auf makroökonomischer Herdenverhalten,,,Schwarmdummheit" mit Auswirkungen auf makroökonomischer Ebene Ebene (Koniun kturschwan kunqen. Börsencrashs) Abb. 1: Der ,,Homo Oeconomicus" hat ausgedient... überraschenderweise unterschiedlich. das heißt dem ersten wird das ,,Bet-Rauchen" verboten, während es dem zweiten erlaubt wird. Die scheinbar irrationale und inkonsistente Entscheidung des Abtes wird sofort verständlich, wenn man erfährt, dass die beiden Mönche ihr Anliegen unterschiedlich formuliert hatten. Während der erste fragte, ob er beim Beten rauchen dürfe, hatte der zweite um Erlaubnis dafür gebeten, beim Rauchen beten zu dürfen. Die zweite Frage richtet sich zwar auf den objektiv identischen Sachverhalt, stellt diesen jedoch völlig diametral dar und bewirkt beim Befragten ganz andere Assoziationen und Emotionen: ,,Bruder, wenn du selbst beim Rauchen noch beten möchtest. nv zu." Die Anekdote ist ein gutes Beispiel für den Einfluss des Entscheidungsdesigns. Das Entscheidungsdesign - also die konkrete Situation, die Art der Fragestellung oder die Beschreibung und Anordnung der Alternativen - hat großen Einfluss auf unsere Entscheidungen. Zwischenergebnis Entscheidungen finden stets in einem Kontext, einer konkreten Situation, einem Entscheidungsrahmen statt. Der Fachausdruck hierfür lautet ,,Entscheidungsdesign". Weist ein Entscheidungsdesign eine stark beeinflussende/verzerrende Wirkung auf oder wurde es sogar in Manipulationsabsicht so generiert (2. B. irreführende Verpackung, Locken auf die sogenannte ,,schiefe Ebene", ,,Ja-Straße" bei Drückerkolonnen oder im Strukturvertrieb), so wird es in der Alltagssprache auch als Entscheidungsfalle bezeichnet. Die folgende Abbildung 2 fasst die Aspekte zu Entscheidungsdesigns zusammen. - ln der Gegenüberstellung sieht das ganz anders aus Ein Familienvater entscheidet sich gerade für den Kauf eines Neuwagens - Basispreis ca. 35.000 Euro. Hinzu kommen noch Extras - laut Aufpreisliste des Beispiel 1: Kontrasteffekt (a) Entscheidungsdesigns beeinflussen die Entscheid,ungsrichtung grundlegend und oftmals stärker als die objektiv nachvollziehbaren und messbaren Fakten. (b) Das vorgefundene Entscheidungsdesign sollte stets hinterfragt, und alternative Designs (c) (d) sollten überlegt werden - das verbessert die Entscheidungsqualität und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer rationalen Entscheidung. Entscheidungsdesigns können, müssen aber keineswegs das Ergebnis einer bewussten Manipulation sein - sie können ebenso unabsichtlich oder zufällig entstanden sein. Jede Entqcheidung unterfällt einem bestimmten Entscheidungsdesign - man kann sich das Design gar nicht wegdenken oder vrillig darauf verzichten. So wie Paul Watzlawick einrnal sagte ,, Man kann nicht nrchf kommunizieren", gilt hier: ,,Man kann nicht nich,t entscheid ungsdesig nen". Abb. 2: Aspekte zu Entscheidungsdesigns AKADEMIE 3 2015 Herstellers 650 Euro für die Sitzheizung, 800 Euro für das Schiebedach, I.500 Euro für die Navigation. Bei allen Extras und der hohen Summe des Neuwagens, insgesamt über 37.000 Euro, fällt im Verhältnis dazu der Preis für das Autoradio von 1.000 Euro dann auch kaum mehr ins Gewicht. ln diesem Kontext fällt dem Vater die Entscheidung für das Autoradio recht leicht. Nur drei Wochen später zuckt er jedoch zusammen, als ihm sein Sohn eine Musikanlage fürs Wohnzimmer für 1.000 Euro empfiehlt. Die isolierte Konsumentscheidung über 1.000 Euro fällt dem Vater ungleich schwerer. Verhaltensökonomische Auswertung Menschen stellen bewusst oder unbewusst zur Bewertung von Tatsachen Vergleiche mit einer Bezugsgröße an. Diese Vergleichs- oder Bezugsgrößen relativieren die zu bewertenden Größen - je nach : Posten des Bildes und die erhaltenen Rückmeldungen bereits selbst emotional stark festgelegt und möchte auch in ihrem Umfeld nicht rechtfertigen, warum sie das Haus nun doch nicht kaufte. Verhaltensökonomische Auswertung Gehen Sie bei größeren Entscheidungen stets davon aus, dass der Verhandlungspartner Sie zunächst emotional festlegen will und danach eventuell die Konditionen für Sie verschlechtert. Daher sollte man nicht nur ein Signalisieren des starken eigenen lnteresses vermeiden (Wirkung nach außen). Man sollte sich darüber hinaus vor einer inneren Festlegung (,,ich will kaufen", ,,ich werde kaufen") hüten. Die bessere Einstellung ist: ,,lch könnte das eventuell kaufen - aber eben auch etwas anderes". Oder: ,,lch habe prinzipiell lnteresse, wenn ... ". : Sie Kontext nach oben Vermeiden oder nach unten. laufenden Verhand- Daher sollten Vergleichs- oder Bezugsgrößen, die in lungsprozessen jeg- liche in Vorentschei- dungen. Vermeiden einer Entscheidungssituation auftau- Sie frühzeitige innere chen, bewusst gemacht und kritisch kommunizieren ragt werden. Dies gilt ganz besonders, wenn diese dem Entscheider von einem Dritten (Verkäufer, Berater etc.) nahegebracht werden. Der Entscheider sollte selbst aktiv nach alternativen Vergleichsgrößen suchen, um einen einseitigen Kontrast hinterf Abb. 3: Kontrasteffekt ditionen in den Kauf ein. Sie hatte sich durch das Festlegungen schwebende Abb. 4: Gefrorene Entscheidung su und Sie Kon- mentscheid ungen nicht in lhrem Umfeld. Bewerten Sie zu jedem Zeitpunkt immer das Gesamtpaket. Nur so können Sie verhindern, dass eine eigentlich offene Entscheidung frühzeitig ,,einfriert" und Sie sich trotz der verschlechterten Konditionen gebunden f ühlen. zu vermeiden. Beispiel 2: Gefrorene Entscheidung - Wer A sagt, muss nicht B sagen Eine erfolgreiche Freiberuflerin möchte ein Haus kaufen, das Traumobjekt ist gefunden, und die Verhandlungen mit der Maklerin laufen gut. Die Maklerin hat große Hoffnung gemacht, dass die Preisvorstellung des Verkäufers noch gesenkt werden könne. Da sei sicher noch etwas ,,Luft" drin, sie werde mit dem Verkäufer reden. Beide stehen vor dem Anwesen, als die Maklerin scherzhaft zu der Freiberuflerin meint, sie sehe gut aus vor ihrem neuen Haus. Spon- tan macht die Maklerin ein Foto der Kaufinteressentin und schickt ihr dies sofort aufs Smartphone. Das Foto postet die Freiberuflerin abends auf Facebook mit der Anmerkung: Vielleicht bald meins? Sie bekommt dafür viele Likes und ermunternde, anerkennende Kommentare. Drei Tage später berichtet die Maklerin, dass der Verkäufer die Einbauküche des Hauses extra vergütet bekommen und auch ansonsten mit dem Preis nicht mehr runtergehen will, da er angeblich andere ernsthafte Kaufangebote habe. Die Freiberuflerin ist zwar enttäuscht, willigt jedoch trotzdem zu den verschlechterten statt verbesserten Kon- Beispiel 3: Verantwortungsdiffusion - wo viele verantwortlich sind, ist letztlich keiner verantwortlich Eine dynamische und sehr belastbare Frau, erst seit acht Monaten als Junior Consultant im Team ei- ner weltbekannten Unternehmensberatungsgesellschaft, arbeitet an einem großen Rationalisierungsprojekt. Der Kunde schreibt an einem Standort erhebliche Verluste, und durch eine grundlegende Reorganisation soll ein Turn-Around geschafft werden. Der Restrukturierungsvorschlag ist sehr zahlenlastig - Kernstück ist eine komplexe Excel-Kalku- in der die erzielbaren Kostenersparnisse berechnet und verdichtet werden. Mit der klaren Bitte, die Excel-Tabelle gegen zu prüfen, sendet die Beraterin diese per Mail an fünf Kollegen. Alle Kollelation, gen geben ihr binnen kurzer Zeit das ok und bestätigen die Richtigkeit der Tabelle, obwohl die Kalkulation der Beraterin einen groben und eigentlich offensichtlichen Excel-Fehler beinhaltet, der schon bei einem Plausibilitätscheck hätte auffallen müssen. höchst peiniichen Beschwerde des Kunden ergab, hatte aber offenbar keiner der Kollegen das Gutachten wirklich Wie sich erst nachträglich aufgrund einer geprüft. Jeder dachte sich wohl, die anderen würden AKADEMIE 3 2015 es schon gewissenhaft prüfen. Und jeder hatte selbst anscheinend keine Zeit und Lust dazu. Fehlen einer Festplatte und ihr Ersatz durch Festspeicher tragen zur Gewichtsersparnis und zum schnellen ,,Hochfahren" bei. Dafür ist aber der Speicherplatz Verhaltensökonomische Auswertung: Je mehr Personen jeweils für etwas verantwortlich sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Einzelne hinter der Verantwortung der anderen versteckt. Die Qualität einer Entscheidung wird durch gemeinsame Verantwortlichkeit für ein Ergebnis oft nicht besser, sondern paradoxenrreise eher schlechter. Deshalb. Wo viele verantwortlich sind, fühlt sich keiner verantwortlich. Die konstruktive Schlussfolgerung besteht darin, bedeutsame Entscheidungen zwar im Team vorzubereiten und zu beraten. Die eigentliche Entscheidung trifft jedoch gegenüber dem ,,alten" Vorgängermodell um über die Hälfte geschrumpft, was zu deutlichen Beschränkungen im Alltagsbetrieb führt. Es sei denn der Studierende f ührt eine - natürlich extra gekaufte - externe Festplatte mit sich, welche die angestrebte Gewichtsersparnis zusätzlich verringert. Eine Vielzahl weiterer Kriterien (oder eher Kritikpunkte) ließe sich anführen: von lnkompatibilitäten bei bislang problemlos laufenden Anwendungen bis hin zum Verlust von Softwarelizenzen, deren erneute Anschaffung nun das Budget des Studierenden sprengt. nicht die Gruppe, sondern ein definiertes Verhaltensökonomische Auswertu ng Einer rein rationalen Bewertung hält die Entscheidung für ,,Neues um jeden Preis" oft nicht stand. Es gibt zahlreiche Beispiele für das Vorliegen eines systematischen Entscheidungsfehlers, der in der Überbewertung von Neuem und gleichzeitiger Geringschätzung von Bewährtem liegt. Neues wird schon vorweg als gut oder überlegen erlebt und lnnovation ungeprüft als positiv empfunden. Tatsächlich jedoch besit- Team- mitglied/eine Führungskraft, die sich folglich auch über die hiermit verbundene Verantwor- tung im Klaren ist. Grundsätzlich sollte Verantwortung immer konkret auf Einzelne und nie auf eine Gruppe übertra- gen werden. zen viele ,,alte" Produkte oder Phänomene eine bessere Zukunftsprognose als neue. Dies wird auch als ln diffusen Situationen sollte eine profilierte ,,Lindy-Effekt" oder,,Lindy-Regel" bezeichnet, wo- Abb. 5: Verantwortungsdiffusion mit der folgende Zusammenhang gemeint ist: Führungskraft offen die Verantwortung übernehmen, denn ,,der Preis der Größe heißt Verantwortung " (Winston C hurchill). Selbstkritik und Grenzen des Verhaltens- Beispiel 4: Neuheitssucht - die irrationale Überbewertung von Neuem Der neue superschlanke Laptop im Laden ökonomischen Ansatzes des Elektronik-Discounters begeistert den Studierenden sofort. Ganz erheblich leichter, bessere Haptik, schöneres Design, ein Bildschirm mit höherer Auflösung und stärker leuchtenden Farben. Wirklich viel besser als das ,,alte" Vorgänger-Laptop, das der Studierende mit sich herumträgt und scherzhaft als ,,Schlepptop" bezeichnet. Ein wahrer lnnovationssprung. Auch das ,,Hochfahren" funktioniert schneller, und die Akkulaufzeit ist erheblich höher. Alles in allem ein klarer Kauf, da in allem viel besser. Eine einfache und klare Entscheidung für den Studierenden, dass er das neue Modell erwirbt, zumal er sich sagt, dass er damit künftig viel besser arbeiten und studieren kann. Wirklich viel besser? Und in allem viel besser? Eine Versachlichung der Bewertungskrrterien lässt erhebliche Zweifel an der Rationalität der Entscheidung zu und zeigt klare lndizien von Neuheitssucht (auch humorvoll als Neuheitswahn oder Neomania bezeichnet). So beträgt der Gewichtsvorteil von knapp drei auf gut zwei Kilo zwar 800 Gramm. Dies jedoch um den Preis, dass der neue Laptop kein CD-Rom-Laufwerk mehr hat, sondern dieses getrennt erworben und auch extra mitgeführt werden muss. Auch das AKADEMIE 3 2015 ,,le länger etwas schon funktioniert und erfolgreich ist, desto länger wird es auch in der Zukunft funktionieren und erfolgreich sein." (siehe Abb. 6) Auch Verhaltensökonomen sollten vor der individuellen Bewertung von Kriterien bei ,,angeblich irra- tionalen" oder,,unökonomischen" Entscheidungen Respekt bewahren und beim Erteilen von Ratschlägen zurückhaltend sein. Denn auch Ratschläge können Schläge sein, und kein Dritter hat das Recht, in die Präferenzen und Bewertungen z. B. des o. a. Studierenden einzugreifen. Wenn er das neue Design derjüngsten Laptop-Generation eben schick und unverzichtbar findet, dann sei ihm das unbedingt zugesta n den. Eine seit Jahrzehnten bei Vertriebsmitarbeitern bekannte Erkenntnis ist: Menschen kaufen die meisten Produkte nicht, weil sie diese brauchen. Sondern weil sie diese ganz einfach haben wollen! Der Verhaltensökonom würde dem Studierenden lediglich wünschen, sich über seine wirklichen Entscheidungsmotive mehr Klarheit zu verschaffen und diese zu erkennen. Denn häufig entscheiden wir irrational und machen uns anschließend große Mühe, diese Entscheidungen nachträglich rational zu begründen. Dieses Phänomen ist als ,,sekundäres Rationalisieren" wohl bekannt. Und das kann viel Stress, Konsum- druck und Privatinsolvenzen nach sich ziehen. Fazit Die gezeigten Beispiele und Muster von Entscheidungsfallen zeigen klar, dass sowohl viele Entscheidungsfehler von Managern im Berufsalltag als auch Privaten in einem alltäglichen Entscheidungsumfeld nicht zufällig und erratisch sind, sondern sich auf Muster zurückführen lassen. Wenige Muster erklären bereits einen hohen Anterl an Fehlentscheidungen. Offenbar sind also Entscheidungsfehler nicht sehr originell - die Entscheider folgen immer wieder den gleichen Mustern. Die Aufarbeitung und Erklärung derartiger Muster kann somit als ein klares Verdienst der Verhaltensökonomie bezeichnet werden. Für den Praktiker erweist sich die Auseinandersetzung mit Entscheidungsfallen nicht nur als sehr nutzbringendes, sondern auch oftmals unterhaltsames und amüsantes U nterfangen. Abb.7 (siehe nächste Seite): Zehn (weitere) zentrale Entscheidungsfallen und die Empfehlungen der Verhaltensökonomie 'Ari§däitätlltä' Bl'i§§i6Jä iini{: Fi*i'rhe : Beisoiel Bereich Weißer Hai Biologie und Evolution VCTSUS neuer Virus Erläuterunq Während die allermeisten neu auftretenden Virenarten (wohl über 99,99 %) nach kürzester Zeit aussterben, hat sich der weiße Hai offenbar seit Jahrmillionen nicht mehr erkennbar weiter entwickelt oder verändert. Während man sich jedes Jahr einer anderen Grippeschutzimpfung unterziehen muss, reicht als Abwehr gegen den Weißen Hai die alte Regel: ,,Vermeide jegliche Verwechslung mit einer Robbe". ,,Alte" Freunde Soziales und VETSUS GesellschafU Social Media ,,neue" Freunde Die Bibel Bücher VETSUS und Shades of Grey Medien Aspirin Medizin VCTSUS Pharma XYZ (= nsu. Alternativen) Gold VETSUS An lagezertifikate als Assetklasse Geldanlagen/ Vorsorge/ Anlageklassen Je länger ein Mitmensch schon in lhrem Adressbuch oder ,,Outlook-Verzeichnis" steht, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass er dort noch lange stehen wird. ln jeder Kneipe kann man neue Freunde finden - jedoch ,,dummerweise" keine alten Freunde... Exemplare von Shades of Grey im Vergleich zur Bibel verkauft, Aber welchem der beiden ,,Werke" würden Sie eher zutrauen, noch in 20O0 Jahren überAmazon erhältlich zu sein? Die - vielleicht überraschende richtige Antwort lautet: Keinem, denn Amazon wird es sehr wahrscheinlich nicht mehr qeben - zu iunq. . . Da Aspirin sich schon weit über 100 Jahre (in Vorformen und unter anderem Namen schon weitaus länger) bewährt hat, und die Anwendungsbilanz zwischen Nutzen und Nebenwirkungen in Milliarden von Anwendungsfällen als positiv eingeschätzt wurde, stehen ,junge" Alternativmedikamente in vergleichsweise höherem Risiko, entweder überhaupt nicht zugelassen oder nach kurzer Zeit wieder vom Markt qenommen zu werden. Gold hat sich trotz vieler Nachteile (Umweltschäden bei der Gewinnung, keine Möglichkeit der Virtualisierung, kein laufender Ertrag) über tausenden von Jahren als Anlageklasse halten können. Anlagezertifikate wurden Anfang dieses Jahrtausends als ,,die revolutionäre lnnovation" schlechthin gefeiert, verloren aber bereits nach ca. einem Jahrzehnt durch die lnsolvenz von Lehman Brothers das Vertrauen der meisten Anleger. Welcher der beiden Assetklassen würden Sie eine nachhaltigere Zukunft zutrauen? Abb. 6: Ausgewählte Beispiele und Erscheinungsformen der Lindy-Regel Literatur: Akerlof, G. A./Shiller, R. J.: Animal Spirits. Wie Wirtschaft wirklich funktioniert, FrankfurilMain 2009 Ariely, D.: Denken hilft zwar, nützt aber nichts. Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen, München 201 5 Beck-Bornholdt, H.-P./Dubben, H.-H.: Der Schein der Weisen. lrrtümer und Fehlurteile im täglichen Denken, 7. Auflage, Hamburg 2003 Dörner, D.: Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen, 1 1. Auflage, Reinbek 2003 Gigerenzer, G.: Bauchentscheidungen. Die lntelligenz des Unbewussten und die Macht der lntuition, 1 0. Auflage, München 2008 Kahneman, D.: Schnelles Denken, langsames Denken, 14. Auflage, München 2014 Simon, F. B.: Gemeinsam sind wir blöd!? Die lntelligenz von Unternehmen, Managern und Märkten,4. Auflage, Heidelberg 20.l3 Taleb, N. N.: Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen, München 2014 Thaler, R. H./Sunstein, C. R.: Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt, Berlin 2010 Walz, H.: Einfach genial entscheiden. Die 55 wichtigsten Erkenntnisse für lhren Erfolg, FreiburgiMünchen 2015 Walz, H.: Denk- und Entscheidungsfallen bei komplexen lnvestitionsvorhaben. ZWF, Jahrg. 108 (2013), S. 864-868 Weibel, B.: Simplici§. Die Kunst, die Komplexität zu reduzieren, 3. Auflage, Zürich2014 AKADEMIE 3 2§15 Servicekasten: Zehn (weitere) zentrale Entscheidungsfallen und die Empfehlungen der Verhaltensökonomie Bezeichnung für die Ursache einer Fehlentscheidung bzw. suboptimalen Empfehlung der Verhaltensökonomie in Schlagworten Folgen bei Nichtbeachtung der Empfehlung Versunkene Kosten ,,Zu viel investiert, um aufzuhören." Was man angefangen hat, muss man zu Ende brinqen. Zu viel lnformation Defokussierung durch wenig relevante lnformation und Ablenkung Wenn man in einem tiefen Loch steht, sollte man unbedingt aufhören, noch weiter zu graben. Bisher eingetretene Verluste/Ausgaben vollständig ignorieren. Ab heute und für die Zukunft die günstigste Alternative suchen. Entscheidungsträger wird erpressbar und rutscht immer tiefer in den Verlust. Der Versuch, bereits eingetretene Kosten/Verluste zurückzugewinnen, bewirkt neue Verluste. Die bereits eingetretenen Schäden verzerren die Bewertung der Situation. Weniger ist mehr! Entscheider sollten mehr Energie auf Relevanz, denn auf Vollständigkeit oder Vielfalt der lnformationen setzen. Verzettelung. Hinausschieben von erforderlichen Entscheidungen. (Scheinbarer) Verzicht auf die Entscheidung, was jedoch - meist unbeabsichtigt - auf die Fortsetzung des bisherigen Zustandes hinausläuft. Bedenkenswert: Keine Entscheidung zu treffen, ist de facto auch eine Entscheidung - und damit nicht 3 Aufmerksamkeit auf der falschen Ebene (d. h. untergeordneten Ebene) Bitte nur nicht die Deckstühle auf der ohnehin bereits sinkenden Titanic schöner anordnen. Nicht fragen: Mache ich es richtig? Sondern fragen: Mache ich das Richtige? 4 Bedächtigkeit, Überängstlichkeit, falsche, unangebrachte Risikovermeidung Man kann nicht vorsichtig über eine Schlucht springen. Ganz oder gar nicht. 5 §cnrele weten, ,,Russisches Roulette im Wirtschaftsleben" 6 Rückschaufeh ler, ,,Hindsight Bias" Vorliegen von schiefen Wetten (also einer ungleichen Verteilung von Chancen und Risiken) prüfen. Falls sich ein Vertrag als ,,schiefe Wette" erweist, einfach ablehnen. Die Berechnung einer fairen Prämie oder eines fairen Preises wird den meisten Akteuren (außer spezialisierten Profis) nicht gelingen - also einfach Hände weo davon. Getroffene Entscheidungen nicht rückwirkend, sondern stets auf den tatsächlichen damaligen Entscheidungszeitpunkt und mit Bezug auf die damals verfügbaren nformationen bewerten. Fnlscheiduno 2 wirkr rnoslos I 7 Das unbekannte Unbekannte ,,Wer glaubt, dass ein 8 Risikomanager das Risiko managen kann, der glaubt auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet." (Künstliche) Verknappung Der,,knapp = wertvoll"lrrtum s Logik-Karussell - die Vertauschung von Ursache und Wirkungsbeziehungen. Volksmund: For a longer life - take a wife. '10 Falscher Fokus auf Spektakuläres ,,lmmer auf den Hund achten, der nicht belll." AKADEMIg 3 2015 Grundlegende Skepsis gegenüber Prognosen, zukunftsbezogenen Gutachten und allen traditionellen Formen des Risikomanagements. Mühe bzw. lnput für traditionelles Risikomanagement verringern. Bewusstsein schaffen für Risiken, die heute noch gar nicht bekannt sind, denn sie werden die schwerwiegendsten sein. Grundgedanke der Robustheit, also Steiqerunq der Risikotraqfähiqkeit. Dinge, die knapp sind, werden irrtümlich für wertvoll gehalten. Knappheit alleine ist kein wertbestimmender Faktor. Knappheit kann von Marktpartnern absichtlich herbeigeführt worden sein, um Preise zu treiben. Dies ist jedoch meist ein nur temporäres Phänomen, also ggfs. abwarten. Das Herbeiführen von Zeitdruck ist ebenfalls ein Fall von künstlicher Verknappung - hier wird eben die Zeit für eine Entscheiduno verknaoot. Hinterfragen von Ursache-Wirkungsbeziehungen, die von Dritten einfach behauptet werden oder als gesichertes Wissen gelten. Könnte die Kausalbeziehung nicht gerade umgekehrt sein? Beispiel: Mäßiger Alkoholkonsum wirkt positiv auf die Lebenserwartung. Klingt plausibel, ist aber falsch. Die schlechtere Lebenserwartung der Totalabstinenzler liegt statistisch daran, dass diese häufiger schwer krank sind und daher keinen Alkohol konsumieren. Weniger durch spektakuläre Veränderungen oder Ereignisse beeindrucken lassen, denn diese werden meist überschätzt. Dafür stärkere Aufmerksamkeit auf kleine VeränderungenA/erschlechterungen richten, da diese sich kumulieren und oerne übersehen werden. Gefahr des ,,Totschaffens" ohne adäquates Resultat. Verkennen des,,Hebels" von Wirkzusammenhängen. Detailoptimierung ohne merklichen Nutzen für das Ganze. Schlimmstenfalls: negative Rückwirkung, welche die beabsichtiqte Primärwirkunq überstrahlt. Der misslungene oder übertriebene Versuch der Vermeidung eines Risikos führt gerade dazu, dass ein anderes Risiko eintritt. Beispielsweise kann ein zu rigoroses Risikomanagement zum Verlust von Neugeschäft und somit zur lnsolvenz der [Jnternehmuno führen. ln vielen Fällen erzielen die betroffenen Entscheider kleine Vorteile, z. B. kleine Erträge/Gewinne. ln wenigen Fällen erleiden sie jedoch extrem hohe Risiken - z. T. über Totalverlust hinaus (2. B. durch weitergehende Haftung). Über die Gesamtheit aller Fälle lohnt sich das Eingehen schiefer Wetten nicht, es tritt per Saldo ein Schaden ein. Nachträgliches Uminterpretieren und zu harte Bewertung von historischen Entscheidungen mit der Folge von (a) Unzufriedenheit über bisherige eigene Entscheidungsqualität oder (b) Geringschätzung oeoenüber historischen Entscheidunoen von Dritten. Systematische Überschätzung von bekannten Risiken und damit gleichzeitige Unterschätzung unbekannter bzw. ,,neuer" Risiken. Überschätzung dessen, was man kennt und völlige Unterschätzung dessen, was man nicht kennt bzw. der Lücken in Wissen und Daten. Fehleinschätzung der Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung. Abschluss unvorteilhafter Verträge. Herdenverhalten und TeilnahmeA/erstärkung von extremen Marktsituationen. Schlechte Entscheidungen oder Fehlentscheidungen durch Zulassung von Zeitdruck, der nicht sachlich bedingt ist, sondern durch Dritte absichtsvoll konstruiert wird. Grob falsche Entscheidungen durch Verkehrung der Ursache-Wirkungs-Beziehung. Man kann eben nicht durch Heiraten die Lebenserwartung aktiv steigern, sondern es ist (leider) einfach Tatsache, dass Menschen mit geringerer Lebenserwartung häufig sehr krank oder behindert sind und alleine deswegen keinen Ehepartner finden. Entscheider spielt,,Feuerwehr", ist häufig im ,,Ausnahmezustand" und beschäftigt sich mit Spektakulärem (oft vordergründig und symptomhaft), während keine Zeit und Energie für die grundlegenden Wirkfaktoren und Ursachen verbleibt. Bezug zum Eisenhower-Diaoramm ist klar erkennbar.
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