Wenn Eisman wieder zuschlägt

Biogas
Bei zu viel Windstrom im
Netz werden auch
Biogasanlagen
abgeschaltet.
Wenn Eisman wieder
zuschlägt
Viele Biogaserzeuger verzichten auf eine Entschädigung,
wenn der Netzbetreiber die Anlage abgeregelt hat. Denn das
Verfahren ist aufwendig. Jetzt will ein Dienstleister helfen.
T
homas Thomsen wundert sich:
Wieder einmal steht das Blockheizkraftwerk (BHKW) an der
Biogasanlage in Uhlebüll im Nordwesten Schleswig-Holsteins still. Dabei hat
der BHKW-Hersteller die Anlage gestern erst gewartet. Schon wieder eine
Störung? Nein, das Display verrät ihm:
„Abschaltung EVU“. Das bedeutet: Das
Stromnetz ist wieder einmal überlastet.
Per Fernsteuerung hat das Energieversorgungsunternehmen (EVU) in dieser
Region alle Wind-, Solar- und Biogasanlagen mit mehr als 100 
Kilowatt
(100 kW) Leistung vom Netz genommen – nichts Neues für Thomsen.
24
„Im Jahr 2011 haben wir wegen der
vielen Abschaltungen rund zehn Prozent des produzierten Stroms nicht
einspeisen können, das geht schon ans
Eingemachte“, betont Dr. Peter Brodersen, Geschäftsführer der Uhlebüll Biogas GmbH sowie des Dienstleistungsunternehmens iTerra aus Niebüll.
Zu diesen Abschaltungen nach dem
sogenannten
Einspeisemanagement
(Kurz: Eisman) sind die Stromnetz­
betreiber nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) berechtigt,
wenn das Netz zu überlasten droht.
Alle Anlagen über 100 kW müssen daher mit einer Fernsteuerung ausgestat-
tet sein, auf die der Netzbetreiber zugreifen kann.
Während bei Wind- und Solaranlagen die Leistung in mehreren Stufen
auf 60, 30 und 0 % heruntergefahren
werden kann, gibt es für Biogasanlagen
in Schleswig-Holstein eine Sonderregelung: Hier werden die Anlagen nur auf
50 % heruntergeregelt oder ganz abgeschaltet. „Ein BHKW kann zwar auf
30 % fahren. Das führt aber sehr schnell
zu Schäden am Motor. Daher haben
wir uns mit den EVU so geeinigt“, erklärt Brodersen.
Krisenregion Westküste: Gerade an
der Westküste sind die Anlagenbetreiber wegen der vielen Windparks und
dem gleichzeitig sehr schwachen
Stromnetz besonders betroffen. Über
300 Eisman-Schaltungen hat es nach
Brodersens Aufzeichnungen im Jahr
Entschädigung vereinfacht: A
uch die
Biogasanlage in Uhlebüll mit 1,2 MW
Leistung ist davon betroffen. Damit sie
zumindest finanziell keine Verluste
macht, haben Brodersen und seine Kollegen ein Verfahren zur schnellen Be-
Fotos: Neumann
2011 gegeben. Im Jahr 2012 hatte sich
die Lage etwas entspannt: Eine neue
110 kV-Stromtrasse zwischen Breklum
und Flensburg verbindet Nordfriesland
jetzt mit dem Höchstspannungsnetz.
„Damit sind die Eisman-Schaltungen
deutlich weniger geworden. Aber neue
Windparks an der Küste sorgen für die
nächsten Engpässe“, erklärt der Geschäftsführer.
Biogasanlagenbetreiber sind von diesen Abschaltungen in mehrfacher Hinsicht betroffen:
• Sie können keinen Strom einspeisen
und erhalten demnach auch keine Vergütung. Zwar steht ihnen eine Entschädigung zu. Aber das Verfahren ist sehr
bürokratisch und kostet viel Zeit. Daher verzichten viele Betreiber darauf.
• Wenn die BHKW länger stehen, produzieren sie keine Wärme. Das stört
nicht nur den Vergärungsprozess, sondern auch die Wärmeabnehmer, die an
die Anlage angeschlossen sind.
• Der Wärmeerlös geht den Landwirten für diese Zeit ebenfalls verloren.
• Um weiter heizen zu können, müssen
sie eine zusätzliche Heizung betreiben
und Brennstoffe dafür kaufen.
rechnung der Entschädigungsbeträge
entwickelt – zunächst für die eigene
Anlage und jetzt als Dienstleistung
auch für andere. Denn das System, das
die Netzbetreiber anbieten, hat sich als
kaum nutzbar erwiesen.
Der Betreiber muss beispielsweise
nach jeder Schaltung schauen, welcher
Netzbetreiber ihn wann vom Netz genommen hat. „Besonders schwierig ist
das, wenn sich die Schaltungen von
mehreren Netzbetreibern aus dem
Höchst-, Hoch- und Mittelspannungsnetz überlagern“, beschreibt Brodersen
die Situation.
Der Biogaserzeuger bekommt in der
Regel auch keine Nachricht über die
Maßnahme oder wenn, dann nur in
den schwer zu findenden Veröffentli-
Thomas Thomsen
liest das Display des
BHKW ab:
„Abschaltung EVU“
steht dort bei einer
Abregelung der
Anlage.
chungen der Netzbetreiber. Darin ist
dann auch nicht etwa seine Anlage,
sondern nur das Umspannwerk angegeben, an dem er angeschlossen ist. Er
muss nachweisen, in welchem Zustand
seine Anlage eine Stunde vor der Abschaltung war. In Abhängigkeit davon
wird die Entschädigung berechnet. Ist
der Antrag falsch oder fehlerhaft, dauert es lange, bis er sein Geld sieht.
Was besonders bitter ist: Der Aufwand für den Entschädigungsantrag
nimmt für Ungeübte schnell zwei bis
drei Stunden in Anspruch, egal, ob die
Anlage nur eine Stunde oder zwei Tage
gestanden hat. Die Vergütung und damit die Entschädigungshöhe für eine
Biogasanlage mit 250 kW liegt dagegen
bei nur 45 € pro Stunde. Gerade bei
25
Biogas
Schnell gelesen
• Nach Abschaltung einer Bio-
gasanlage bei Netzüberlastung steht dem Betreiber eine
Entschädigung zu.
Mit der Dienst­
leistung von
iTerra muss der
Biogaserzeuger
lediglich die
Rechnung an den
Netzbetreiber
unterschreiben.
Foto: Neumann
• Bei der Beantragung hilft der
kurzzeitigen Eisman-Schaltungen stehen Aufwand und Entschädigung also
in keinem Verhältnis.
Diese Sisyphusarbeit kann iTerra
übernehmen. Zu Beginn muss der Anlagenbetreiber seine Stammdaten angeben, die einmal erfasst werden müssen.
Dazu gehören z. B. die Vergütungshöhe,
die ihm zusteht, oder der Netzverknüpfungspunkt, also das Umspannwerk
und der Trafo, an dem die Anlage angeschlossen ist. Alle weiteren Daten wie
z. B. die Lastgangdaten des BHKW holt
sich die iTerra-Software automatisch
oder sie werden von den Mitarbeitern
ins System eingepflegt. Die Lastgangdaten müssen beispielsweise vorliegen,
damit der Antragsteller nachweisen
kann, mit wie viel Leistung das BHKW
vor der Abregelung eingespeist hat.
Etwas komplizierter ist es bei der
Wärmeabrechung. Denn hierfür gibt es
keine Leistungsdaten beim Netzbetreiber. Die Wärme kann erst ein Jahr später abgerechnet werden. Dazu ermittelt
iTerra, wie viel Kilowattstunden Wär-
me im Verhältnis zur Strommenge erzeugt wurden. Ein Beispiel: Produziert
ein BHKW 2 Mio. kWh Strom und hat
der Landwirt laut Umweltgutachter
1 Mio. kWh Wärme verkauft, ist der Berechnungsfaktor für dieses Jahr 0,5.
Wenn er jetzt nach einer Eisman-Schaltung 20 000 kWh Strom weniger verkaufen konnte, würde bei dieser Beispielanlage pauschal angenommen,
dass auch 10 000 kWh Wärme nicht
verkauft werden konnten. Dieses Verfahren ist zwar sehr pauschal, aber dafür praktikabel.
Am Bonus orientiert: Die Entschädi-
gung, die der Betreiber für den Ausfall
erhält, bemisst sich u.a. nach dem Bonus
für
Kraft-Wärme-Kopplung
(KWK-Bonus). Das betrifft Anlagen,
die vor 2012 ans Netz gegangen sind,
also unter das EEG 2004 oder EEG
2009 fallen. „Zur Berechnung der Wärmeentschädigung ist es daher wichtig,
dass der KWK-Bonus nicht mit der
Stromvergütungs-Entschädigung aus-
Protokoll von drei Eisman-Schaltungen
Grafik: Woite
0
Abregelung in %
-30
-70
-100
Netzbetreiber Jahr
Einsatz
Region
Beginn
Ende
EON Netz
TenneT
TenneT
97
100
106
Lü3
Lü3
Lü3
29.03.2012, 11:18 Uhr
30.03.2012, 10:57 Uhr
01.04.2012, 13:04 Uhr
29.03.2012, 17:02 Uhr
31.03.2012, 18:17 Uhr
02.04.2012, 00:30 Uhr
2012
2012
2012
So sieht eine Abregelung einer Biogasanlage im Computer bei iTerra aus. Die Anlage
wurde in diesem Beispiel je einmal zu 30 % und zu 100 % abgeregelt.
26
Dienstleister iTerra, v.a. bei
der Berechnung der Entschädigung für Strom und Wärme.
• Der Landwirt muss dabei nur
noch die Rechnung an den
Netzbetreiber unterschreiben.
gezahlt wird“, rät der Geschäftsführer.
Als Weiteres erhält der Betreiber einen Zuschlag für die Aufwendungen,
die er beim Ausfall des BHKW hatte.
Denn wenn er ein Wärmenetz oder
ähnliches betreibt, muss er ja während
der Eisman-Schaltung alternative
Brennstoffe zum Heizen einsetzen.
Zur Preisfindung hat sich iTerra mit
den Netzbetreibern auf folgendes Modell geeinigt: Als Basis wird der Ölpreis
genommen, der in dem jeweiligen Monat im Internet (Basis: Hamburg, Verbrauchsmenge 3 000 
l) veröffentlicht
ist. Davon zieht iTerra dann noch einmal einen pauschalen Sicherheitsabschlag von rund 10 % ab. Aus diesem
Preis multipliziert mit der benötigten
Wärmemenge errechnet sich dann die
Entschädigung für die zusätzliche
Heizmaßnahme.
Wenn feststeht, wie lange die Leistungsreduzierung gedauert hat und
welche Vergütung dem Biogaserzeuger
entgangen ist, erstellt iTerra eine Rechnung an den Netzbetreiber und schickt
diese per Email an den Anlagenbetreiber. Dieser muss sie nur noch ausdrucken, unterschreiben und abschicken.
Pro Abrechnung zahlt er 30 €. Dazu
kommen die Kosten für die Erfassung
der Stammdaten, die iTerra nach Aufwand berechnet.
Diese Dienstleistung bietet iTerra im
Norden Schleswig-Holsteins selbst an.
Im übrigen Bundesgebiet arbeitet
iTerra beim Vertrieb mit dem Anlagenhersteller MT Energie aus Zeven zusammen. Bislang nehmen rund 30 Anlagenbetreiber mit 50 BHKW diese
Dienstleistung in Anspruch (weitere
Informationen: www.iterra.de oder
www.mt-energie.de).
Hinrich Neumann