(PDF, 0,5 MByte) - Evangelische Kirche von Kurhessen

Zuvor oder Hinweise zum Gebrauch
Im Frühjahr 2015 brachte ein weithin wahrzunehmendes Lebensgefühl angesichts der weltpolitischen Umwälzungen die Redaktionsgruppe der Buß- und Bettags Kampagne zur Formulierung des Themas „Machtlos?“. Das Wort sollte nur mit einem Fragenzeichen versehen werden und nicht, wie manche vorschlugen, nach Silben getrennt: „macht los“, so dass
man es auch als Aufruf verstehen könnte: macht (endlich) los! Engagiert euch! Das Motiv der
betenden Hände kann jedoch beide Intensionen gut verbinden: Die Erfahrung von Ohnmacht
und Schuld mit dem Impuls der Umkehr und Neuausrichtung. Beten und Handeln sind für
den biblischen Glauben niemals Alternativen. So findet auch das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“, das im Oktober 1945, also vor genau 70 Jahren nach dem großen Versagen der
Ev. Kirche im Dritten Reich formuliert wurde, in den vorgelegten Texten Resonanz. Es kann
Mahnung und Bekräftigung sein, in der aktuellen Herausforderung, vor der wir als Christen
angesichts der vielen Flüchtlinge stehen, diesmal mutiger zu bekennen, treuer zu beten, fröhlicher zu glauben und brennender zu lieben.
Wir legen zwei Gottesdienstentwürfe vor für den Gebrauch in der Ev. Luth. Kirche in
Bayern und der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. Der erste Entwurf mit internen Textalternativen folgt im Ablauf der Ordnung IV, „Buß- und Bittgottesdienst“ der EKKW. Er richtet
sich eher an die traditionelle Gemeinde. Der alternative Entwurf will Jugendliche ansprechen,
besonders im Schulgottesdienst.
Beide Entwürfe sehen mehrere Sprecher oder Mitwirkende vor. Besonders der alternative
Entwurf sollte mit ausreichend Zeit gut vorbereitet und angeeignet sein: Man muss Material
und Musik zur Einspielung vorbereiten sowie das alternative Bildmotiv besorgen „auf der
Brust entblößtes Strahlenkreuz“.
Die Predigt zu Jona 2, dem Gebet im Bauch des Fisches, und die Meditation zu Bild und
Motto der betenden Hände können nach Wahl verwendet werden.
Sollen Texte externer Autoren vollständig zitiert werden, sollen sie insbesondere in schriftlichen Vorlagen oder über Tonträger in Verbindung mit der Musik im Gottesdienst Verwendung finden, so ist sehr genau auf die Rechte zu achten (im Zweifel die Kreisbeauftragten für
Kirchenmusik zu Rate ziehen).
Eine Abendmahlsfeier wird am besten mit der ersten Form verknüpft: Sie beginnt nach dem
Zuspruch der Vergebung und einer kurzen Überleitung oder einem Lied mit den Einsetzungsworten.
Eine persönliche Segnung mit Auflegen der Hände oder alternativ ein Friedensgruß mit
Austausch eines Friedenszeichens fügen sich ebenfalls besser zur ersten Form. Die zweite
Form sollte angesichts der bereits vorgesehenen Handlungselemente nicht „überfrachtet“
werden.
Zur Handauflegung wird eingeladen, an den Altar zu treten und sich im Stehen oder im Knien
segnen zu lassen. Jeder und jedem einzelnen werden die Hände aufgelegt und ein biblisches Segens-/Vergebungswort zugesprochen, z.B.
- Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit ( 2. Kor. 3,17)
- Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, alles
ist neu geworden. (2. Kor. 5,17)
- Ich will dich segnen… und du sollst ein Segen sein. ( 1. Mose 12,2)
2
Der Segenszuspruch kann mit einer kurzen Sendeformel, „Gehet hin in Frieden“, und mit
einem Kreuzzeichen enden. Zum Abschluss der Handlung sollte allen, besonders denen, die
nicht nach vorn gekommen sind, ein Segenswort zugesprochen werden, z.B. „Die Gnade
unseres Herrn Jesus Christus sei und bleibe mit Euch allen“. Bei größeren Gemeinden kann
die Segnung auch an mehreren Orten im Kirchenraum angeboten werden, dabei können
Kirchenälteste, Kirchenvorsteherinnen, Lektoren und Prädikantinnen mitwirken.
Helmut Wöllenstein
Marburg, September 2015
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Inhaltsverzeichnis
Zuvor oder Hinweise zum Gebrauch ............................................................................................. 2
1. Gottesdienstentwurf ..................................................................................................................... 5
Eröffnung und Anrufung............................................................................................................... 5
Begrüßung und Hinführung ......................................................................................................... 5
Verkündigung ................................................................................................................................ 7
Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung ................................................................... 7
Gebet und Segen........................................................................................................................ 10
2. Alternativer Gottesdienstentwurf .............................................................................................. 13
Glockengeläut ............................................................................................................................. 13
Musik............................................................................................................................................. 13
Eröffnung und Anrufung............................................................................................................. 13
Begrüßung und Hinführung ....................................................................................................... 13
Verkündigung .............................................................................................................................. 15
Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung ................................................................. 15
Gebet und Segen........................................................................................................................ 17
3. Meditation zu Bild und Motto: Buß- und Bettag 2015 ........................................................... 19
Predigt zu Jona 2 ............................................................................................................................ 22
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1. Gottesdienstentwurf
Eröffnung und Anrufung
Herr, Jesu Christ, dich zu uns wend – EG 155,1
Komm, Geist des Lebens – DEKT Stuttgart 2015, Nr. 38
Nun bitten wir den heiligen Geist – EG 124
Begrüßung und Hinführung
Hinführung
(1-3 Sprechende [S] stehen vorne; kann u.U. auch von 1 Person gelesen werden)
S 1 hat Hände demonstrativ zum Gebet gefaltet.
S1
Jetzt hilft nur noch beten! –
S 1 löst Hände.
S1
Wir sind hier versammelt, weil es diese Erfahrung gibt: Dass wir uns machtlos fühlen
gegenüber dem, was in der Welt passiert. Gegenüber dem eigenen Leben. Gegenüber uns selbst.
S2
Jetzt hilft nur noch beten! Das wollen wir in diesem Gottesdienst tun:
S 2 faltet Hände.
S2
Beten.
Zur Ruhe kommen.
Uns besinnen und fragen: Was hätte in meinem Leben und Tun in meiner Macht gestanden? Wo hätten wir mutiger bekennen, brennender lieben, fröhlicher glauben und
auch: treuer beten sollen?
S 1 oder S 3 Und was steht allein in Gottes Macht? Was übergebe ich ganz bewusst Gottes
Macht – an eigener Last, auch: an eigener Schuld?
Lied
Ich rede, wenn ich schweigen sollte – EG 585
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr – EG 382
5
Psalmgebet
Wenn ich rufe zu dir, HERR, mein Fels,
so schweige doch nicht.
Höre die Stimme, meines Flehens,
wenn ich zu dir schreie,
wenn ich meine Hände aufhebe
zu deinem heiligen Tempel.
Gelobt sei der HERR,
denn er hat erhört.
Der HERR ist meine Stärke und mein Schild.
Auf ihn hofft mein Herz
und mir ist geholfen.
Der HERR ist seines Volkes Stärke,
Hilfe und Stärke für seinen Gesalbten.
Hilf deinem Volk und segne dein Erbe
und weide und trage sie ewiglich.
(aus Psalm 28)
Gem.: Christe, du Lamm Gottes (EG 190.2)
Tagesgebet
Zu dir kommen wir, Gott,
dir vertrauen wir uns an,
auf deine Macht wollen wir trauen.
Amen.
Oder
Machtlos, hoffnungslos, hilflos;
verstrickt in persönlichen Problemen,
wie gelähmt vor den Herausforderungen in dieser einen Welt –
so erleben wir uns oft.
Gott, mach uns los aus Verstrickungen und Lähmungen.
Wecke Hoffnung in uns.
Amen.
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Verkündigung
Lesung
Matthäus 5 (bei der Predigt über Jona)
oder Lukas 18, 1-8 (bei der Bildmeditation)
oder Markus 9,14-29
Spruch nach der Schriftlesung:
Du aber, o Herr, erbarme dich unser.
Lied
Aus tiefer Not – EG 144,1-3.6
Meine engen Grenzen – EG 584
Predigt
Lied
Lass uns in deinem Namen, Herr – EG 614
Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen – EG 640
Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung
Verlesung der 10 Gebote
Es folgt entweder: A: Sündenbekenntnis mit Zuspruch der Vergebung oder B: Klage und Zuspruch
A: Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung
SÜNDENBEKENNTNIS
Gott, du hast uns erforscht und erkannt,
und alles, was wir sind, ist dir offenbar.
Wir bekennen Dir unsere Schuld und unser Versagen:
Wir haben unsere Macht benutzt, um zu beherrschen,
und unsere Ohn-Macht, um zu erpressen.
Wir sind der Verantwortung ausgewichen
und haben uns dem Bösen nicht entgegengestellt.
Wir haben unsere Würde
und die unserer Schwestern und Brüder verleugnet.
Wir haben unserem Gebet so wenig zugetraut – wir haben Dir nicht vertraut.
Dir wenden wir uns zu, Gott, und bitten Dich:
Vergib uns unseren Kleinglauben und unsere Mutlosigkeit,
unser Verzagen und unser Versagen.
(Quelle: nach EKKW Agende 1, # 1066)
7
Oder:
Vor Gott und voreinander bekennen wir uns schuldig
des Unglaubens, der Ungerechtigkeit und des Unfriedens,
im Kleinen und Großen.
Wir klagen uns an,
dass wir nicht mutiger bekannt,
nicht treuer gebetet,
nicht fröhlicher geglaubt
und nicht brennender geliebt haben.
Wir bitten Gott um Gnade,
um Vergebung unserer Schuld.
Wir hoffen, dass Gott uns trotz unseres Versagens
noch dazu brauchen kann,
seine befreiende Botschaft weiterzugeben und an sein Gebot zu erinnern.
Wir hoffen auf die Macht des Friedens und der Liebe – in unserem Leben, in dieser Welt.
Gemeinsam mit der ganzen Christenheit bitten wir Gott um Erbarmen.
(Quelle: EKKW Agende I, # 1095 nach dem Stuttgarter Schuldbekenntnis)
Oder:
Gott, Du weißt, was wir brauchen:
Worte des Lebens, die nicht belanglos sind,
Trost, der uns annimmt, ermutigt und weiterbringt,
eine Hand, die von Ohnmacht löst und Angst wegstreicht,
ein Ohr, das auch das Flüstern der Scham und die Sorge aushält und hört,
Feuer, das Schuldscheine verbrennt,
einen Platz, an dem wir - innen und außen - wirklich zu Hause sind.
Gott, Du weißt noch besser als wir, was wir brauchen,
denn Du bist uns näher als wir uns das selbst je sein können.
Wir bitten um Dein Erbarmen und um Vergebung unserer Schuld:
(Quelle: nach Klaus Eulenberger, in: Neues Evangelisches Pastorale. Texte, Gebete und kleine liturgische Formen für die Seelsorge, hrsg. v. d. Liturgischen Konferenz, Gütersloh 2005, S. 114)
[STILLE]
ZUSPRUCH:
Gott hat sich erbarmt – Gott macht euch los von eurer Schuld.
Was gewesen ist, muss euch nicht mehr belasten
und was sein wird, soll euch nicht schrecken.
Gott verspricht:
„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Oder:
„So spricht Jesus Christus: „Kommt her zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“
8
Oder:
Gott hört, wenn wir bitten.
Gott erbarmt sich und vergibt unsere Schuld.
Wir dürfen hören:
„Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“.
Im Namen….
B. Klage und Ermutigung
KLAGE
Sprecher 1
Mir sind die Hände gebunden! Das sieht man doch, dass da nichts mehr geht.
Sprecher 2
Machtlos.
Machtlos gegenüber dem, was in der Welt geschieht.
Machtlos gegenüber der Politik. Der Wirtschaft. Der Natur.
Sprecher 3
Gott, wir klagen Dir unsere Hilflosigkeit gegenüber dem, was geschieht.
Sprecher 4
tun.
Mir sind die Hände gebunden! Nein, tut mir wirklich leid. Ich kann gar nichts
Sprecher 2
Macht – los.
Die Macht abgegeben an andere.
Abgegeben an die, die es besser wissen.
Abgegeben an die, die verantwortlich sind.
Sprecher 3
Gott, wir klagen dir unsere Feigheit und unser mangelndes Selbstvertrauen.
Wir könnten anpacken, aber tun es nicht. Wir könnten handeln, aber überlassen es anderen. (Wir könnten mutiger bekennen, treuer beten, fröhlicher glauben und brennender lieben. Wir könnten….)
-- Stille -ERMUTIGUNG
Sprecher 4
Machtlos bete ich zu Gott, dem Allmächtigen.
Sprecher 2
Gott hat seine Macht bewiesen unter den Völkern (Ps 77,15) Gott hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils (Lk 1,69). Gott hat dem Tod die Macht genommen. (2. Tim 1,10).
Sprecher 1
Jesus Christus spricht: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden….“ (Mt 28)
Sprecher 4
Sprecher 3
„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. (2.Kor 12)
Gott, wir danken dir.
(Glaubensbekenntnis)
9
Lied
Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt – EG 638
Herr, du hast mich angerührt – EG 382
Gebet und Segen
Fürbittengebet
„Gib uns Mut“
Evtl. von mehreren gesprochen (Fürbitten in Auswahl)
Zwischen den Fürbitten: EG 592 „Du, Gott, stützt mich“
Wir suchen dich, Gott – wir vertrauen auf Deine Macht:
Für uns und andere bitten wir:
Immer wieder Krieg, Gewalt und Terror!
Und die vielen Menschen, die darunter leiden,
in den Krisengebieten und auf der Flucht.
Gib uns Mut, auf Frieden unter den Völkern zu hoffen
und uns dafür einzusetzen.
Wir bitten:
*
Die Güter der Erde sind ungleich verteilt.
Wir fürchten die Folgen.
Gib uns Mut zum Verzicht
und Geduld im Bemühen um einen gerechten Ausgleich.
Wir bitten:
*
Es gibt so viele,
die nichts oder nicht genug von dir wissen.
Gib uns Mut, ihnen durch Wort und Tat
die Wahrheit nahezubringen.
Wir bitten:
*
Wir sind oft unsicher
im Urteil über richtig und falsch,
über gut und böse,
über das, was wir tun können.
Gib uns Mut, nach deinem Willen zu fragen,
und unserem Gewissen zu folgen.
Wir bitten:
*
Sorgen und Ängste lähmen unsere Kraft.
Gib uns Mut, dass wir uns auf dein Wort verlassen
und tun, was jetzt nötig, was jetzt möglich ist.
Wir bitten:
*
Du wirst uns helfen, Herr, unser Gott,
wir vertrauen dir durch Jesus,
deinen Sohn, unseren Bruder.
(nach EKKW Agende 1, #1348)
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Oder:
„Mach einen neuen Anfang mit uns“
Liebe in Person,
überall und nirgends,
überall da und am Werk,
aber nirgends zu erkennen
als allein durch Jesus.
Du hast einen Namen;
gib, dass wir ihn aussprechen
und nicht verschweigen.
Mach durch uns sichtbar,
wer du bist
und wie du es mit der Welt meinst.
Überzeuge uns davon,
dass wir viel tun können
für deine Sache.
Lass uns das Machbare
verantwortlich tun
und da, wo uns die Hände gebunden sind,
vertrauen.
Ermögliche allen Menschen
menschenwürdige Verhältnisse,
leiblich und geistig.
Lass uns selbst dafür arbeiten,
so wie er es getan hat.
Mach täglich
einen neuen Anfang mit uns,
ganz gleich was es war.
Wir wollen dasselbe
mit unseren Mitmenschen versuchen.
Und hilf uns bei schweren Entscheidungen,
das Rechte zu tun,
damit wir die Probe bestehen.
Nur mach uns frei von Selbstsicherheit
und Resignation
und der irreführenden Macht,
die in beiden wirkt.
Denn dir gehört alles,
bei dir ist kein Ding unmöglich,
du bist die Liebe für alle Zeit.
(Quelle: nach Detlev Block, in: Gottesdienstgestaltung. Ein ökumenisches Werkbuch. Zusammengestellt und
eingeleitet v. Karl-Heinrich Bieritz / Michael Ulrich. Graz/Wien/Köln (Verlag Styria; (c) St. Benno Verlag, Leipzig)
1985, Nr.282, S.244f.)
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Stilles Gebet
Vaterunser
Lied
Verleih uns Frieden, gnädiglich --EG 421
Verleih uns Frieden -- DEKT Stuttgart 2015, Nr. 113
Bekanntmachungen
Segen
Orgelnachspiel
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2. Alternativer Gottesdienstentwurf
Glockengeläut
Aktion vor Beginn: Die Gottesdienstteilnehmer erhalten beim Ankommen eine Trockenbohne, die sie für die Abgabe eines Stimmungsbildes benutzen. Im Eingangsbereich stehen
Gläser/Behältnisse, in sie ihre Bohne einwerfen. Die Behältnisse sind jeweils mit einer Beschriftung versehen:
WELCHER SATZ GIBT AM EHESTEN DEIN LEBENSGEFÜHL WIEDER?
-
Mir stehen alle Möglichkeiten offen!
Es ist eh egal, was man tut, das ändert gar nichts!
Ich würde ja gerne etwas tun, weiß aber nicht was!
Was ich mir vornehme, das schaffe ich auch!
Im Blick auf die großen Entwicklungen ist man machtlos!
Ich traue mir nicht zu, etwas Wichtiges anzupacken!
Musik
Eröffnung und Anrufung
Komm, Heilger Geist, mit deiner Kraft – Himmel, Erde, Luft und Meer. Beiheft zum Ev. Gesangbuch der Nordkirche, Kiel 2014, S. 29
Begrüßung und Hinführung
Hinführung
Ein Mitarbeiter steht mit einem zunächst nicht sichtbaren Superman T-Shirt unter dem Hemd
neben der Mitarbeiterin, die begrüßt. Das Plakat ist im Hintergrund sichtbar
Superman schafft es schon! Und wir?
Schaffen wir es auch oder schafft es uns?
Sind wir als Christinnen und Christen kleine Superhelden?
Ist die Macht mit uns? Die Allmacht Gottes?
Macht sie uns durch den Glauben unbesiegbar? Die Assoziation könnte man ja haben, wenn
man das Plakat für die Jugendgottesdienste anschaut:
So wir Superman seine Alltagskleidung abstreift…
(der Mitarbeiter mit dem Superman T-Shirt zieht sein Hemd aus, das Zeichen von Superman
wird sichtbar)
… und darunter sein Anzug sichtbar wird, der deutlich macht, dass er „the man of steel“ von
einem anderen Stern ist. Und er ist mächtiger als Normalsterbliche. Auf dem Plakat kommt
statt des S für Superman ein Kreuz zum Vorschein. Es strahlt und verwandelt das „machtlos“
in ein „mach (+) los“.
Ist das so einfach?
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Sicher nicht! Es bleibt auch auf dem Plakat das sperrige Kreuzeszeichen zwischen dem
„mach“ und dem „los“. Das Kreuz Jesu als ein Zeichen für die Ohnmacht Gottes. So Superman-like scheint das mit dem Glauben nicht zu funktionieren.
Wie geht es dir zurzeit? Heute an diesem Buß- und Bettag?
Fühlst du dich eher „machtlos“? Und warum? Sind es die Bilder von Krieg und Terror, die
Bilder von tausenden flüchtenden Menschen? Sind es Erfahrungen aus deinem persönlichen
Umfeld?
Oder bist du gerade dran „los-zu-machen“, bist voller Power und Energie, voller Ideen und
Visionen, voller Tatendrang? Was gibt dir eigentlich diese Kraft?
Daran kann man die Auswertung der Eingangsaktion anknüpfen (alternativ ist sie als
Aufhänger für die Predigt nutzbar).
Lied
Wir strecken uns nach dir – EG 625
Psalmgebet
Schweige doch nicht, o Gott!
Alles in mir hat sich
gegen Dich und mich verbündet:
mein flackernder Mut
mit meinem Schneckenhaus
mit meinen Lebensmustern
mit meiner Trägheit
mit meinen Zweifeln
mit meiner Panik.
Alles in mir
schreit
gegen Dich und mich.
Ich bitte Dich:
Bleibe nicht stumm!
Stelle Deinen Namen
in mir
wieder laut!
(Quelle: nach Ps 83,2 von Petra Fietzek: Ins eigene Leben geschrieben. Psalmen für heute, Kevelaer 2012, S.46)
Gem.: Oculi nostri -- EG 789.5
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Tagesgebet
Gott,
die Frommen nennen dich „allmächtig“.
Bist Du das wirklich?
Täglich sehe ich Bilder der Ohnmacht:
Menschen auf der Flucht
Menschen zwischen Kriegsfronten.
Was soll, was kann ich tun?
Gib uns in diesem Gottesdienst deinen guten Geist,
schenke uns gute Ideen
und die Kraft das Richtige zu tun.
Amen
Musik
„NUR NOCH KURZ DIE WELT RETTEN“ (Lied von Tim Bentzko. Je nachdem wie das Lied
im Gottesdienst eingesetzt wird, muss auf die Einholung der Rechte geachtet werden.)
Verkündigung
Ansprache zum Plakat oder zum Thema (s. z. B. Meditation bzw. Predigt)
Lied
Meine engen Grenzen – EG 584
Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen – EG 640
Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung
Verlesung der 10 Gebote – EG 796
Nach der Verlesung der 10 Gebote folgen entweder A. Klage und Ermutigung oder B. Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung
A. Klage und Ermutigung
KLAGE
Ich schwanke hin und her.
In einem Moment
kraft- und saftlos,
gefesselt und blockiert.
Trau mir nichts zu.
Dann will ich kurz die Welt retten.
Voller Power und Energie
Renne ich los
Doch oft bleibt es beim „Mails-Checken“.
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Bleibe stecken, komm nicht voran.
Ist die Welt noch zu retten?
Wo fang ich an?
Darf ich zu dir kommen, Gott,
mit meiner Stärke
und mit meiner Schwäche?
-- Stille -ERMUTIGUNG
Du kannst zu Gott kommen,
Gott will wissen, wie es dir geht.
Jesus sagt dir:
Habt keine Angst ich bin bei Dir alle Tage deines Lebens.
oder:
Jesus sagt dir:
Glückselig sind die, die an der Not der Welt leiden.
Denn sie sollen getröstet werden.
Glückselig sind die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit.
Denn sie werden satt werden.
Glückselig sind die, die Frieden stiften.
Denn sie werden Gottes Kinder heißen.
(Basisbibel)
B. Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung
SÜNDENBEKENNTNIS
So machtlos sind wir nicht, wie es uns scheint.
Doch wofür setzen wir unsere Kraft ein?
Gott, was machen wir nur?
Wir schweigen, wo wir laut schreien müssen.
Und können den Mund nicht halten, obwohl jedes Wort verletzt.
Wir schauen weg, wo wir genau hinsehen sollten,
und gaffen, wo unsere Blicke bloß stellen.
Wir verschließen unsere Ohren vor den Schreien der Ohnmächtigen,
und hören auf die einflüsternden Töne der Mächtigen.
Wir drücken unsere Hände tief in die Taschen, wo wir anpacken müssten,
und legen Hand an, wenn wir unsere Finger davon lassen sollten.
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Du, Gott, stellst dich uns in Jesus ohnmächtig in den Weg,
und doch hast du die Macht, uns zu verändern.
In der Stille stellen wir uns unseren Taten – in deiner Gegenwart, Gott.
-
Stille
ZUSPRUCH DER VERGEBUNG
Was unser Mund auch gesagt hat, was unsere Ohren gehört, unsere Augen gesehen und
unsere Hände getan haben - Gott sieht uns in Jesus so an, wie wir sein werden: nicht unsere
Vergangenheit, sondern die Zukunft, nicht unsere Fehler, sondern unsere Möglichkeiten.
Darum sagt Jesus zu Dir:
Deine Sünden sind dir vergeben.
Vertraue darauf. Das wird neues Leben in dir freisetzen.
Amen.
[Aktion: „Das will ich in die Hand nehmen“
Auf den Plätzen der Gottesdienstteilnehmer liegen DIN A 6 Karteikarten und Stifte. Die Jugendlichen erhalten eine Zeit, in der sie gefasste Entschlüsse für die Zukunft unter der Überschrift „Das will ich in die Hand nehmen“ notieren können.]
Lied
Wenn das Brot, das wir teilen – EG 632
Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten – EG 643
Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt – EG 638
Gebet und Segen
Fürbittengebet
Machtlos kommst du, Gott, in Jesus zu uns Menschen
Du zeigst uns die Macht deiner Liebe.
Gib uns von deiner Kraft.
Verwandle uns.
Mach uns los, damit wir nicht länger machtlos sind.
Wir bitten dich:
Gesungener Gebetsruf nach den einzelnen Bitten „Herr erbarme dich!“ - EG 178.11
Gott, mach los, was an guten Energien in uns verschlossen ist.
*
Mach los unsere Fesseln und Blockaden, für andere da zu sein.
*
17
Mach los, was an konstruktivem Miteinander unter uns möglich ist
*
Mach los die Kräfte der Mitmenschlichkeit und der Solidarität
*
Mach los …
(Die Fürbitten können aus dem Vorbereitungskreis heraus ergänzt werden. Eine Variante
wäre es, die einzelnen Fürbitten auf Gottesdienstteilnehmer zu verteilen, damit sie die Bitten
aus der Gemeinde heraus beten. Je nach Kontext könnte man auch die Möglichkeit eröffnen
die Fürbitten spontan aus der Gottesdienstgemeinde heraus zu ergänzen)
-- Stilles Gebet--
Vaterunser
Lied
We shall overcome – EG 636
Herr wir bitten: Komm und segne uns – EG 590
Segen
Gott, du,
fern und nah, nah und fern,
segne unser Leben.
Jesus,
du bei mir, ich bei dir,
segne unser Lieben.
Geist,
du in mir, ich in dir,
segne unser Hoffen.
Musik zum Ausgang
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3. Meditation zu Bild und Motto: Buß- und Bettag 2015
Machtlos?
Kräftig wirken sie, diese Hände. Sie sehen aus als gehörten sie einem Mann „in den besten
Jahren“. Man traut ihnen zu, dass sie anpacken, auch wenn der Mann sicher kein Handwerker ist. Was tun diese Hände sonst? Ein Auto lenken, eine Anlage programmieren, Kranke
untersuchen? Abends vielleicht eine Frau umarmen oder einem Kind die Tränen abwischen?
Ob sie auch vor Begeisterung applaudieren können? Oder auf den Tisch hauen, wenn es
nötig ist? Vielleicht zeigen sie manchmal bei einer Abstimmung „dafür“ oder „dagegen“, mischen sich ein, übernehmen Verantwortung in der Öffentlichkeit. - Wie sehen meine Hände
aus, wenn ich sie falte? Sieht man ihnen an, was ich sonst tue, wer ich bin, wie es mir geht?
Nur zwei gefaltete Hände sind zu sehen, sonst nichts. Ein starkes Zeichen. Jemand betet.
Das Gebet könnte eine Antwort sein auf die Frage, die in der Titelzeile gestellt wird: „Machtlos?“ Sind wir machtlos, wenn wir beten? Im Mittelalter waren die gefalteten Hände eine
Geste der Unterordnung. Wenn der Gefolgsmann den Vertrag von seinem Lehnsherrn entgegen nahm, musste er mit gefalteten Händen vor ihm knien. Sie sind das Zeichen, dass er
sich binden lässt, dass er darauf verzichtet, selbständig zu handeln. Ein Zeichen von Schwäche?
Diese Ansicht wird von vielen geteilt. „Hilft jetzt nur noch beten? “ fragte der Leiter des Fernsehteams. Woche für Woche hatte die Gemeinde eingeladen zu öffentlichen „Montagsgebeten“, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Klinikums in einer Krise beizustehen.
Hunderte waren zu diesen Treffen gekommen. Ein Zeichen ihrer Ohnmacht und Hilflosigkeit?
Ist Beten der Punkt, an dem nichts mehr geht? Ein Brutalo-Western mit dem Titel „Du kannst
anfangen zu beten“ spielt mit der zynischen Botschaft: Jetzt ist es aus - wir machen dich fertig.
Wer wirklich fertig ist, versteht diesen Spott nicht. Er schreit einfach „Hilfe“. Sucht einen Halt,
eine Zuflucht. Vielleicht wird er auch ganz still, findet den Raum in sich selbst, wo er nichts
mehr sagen, nicht mehr denken, schreien, seufzen oder weinen muss. Ist nur noch blanke
Existenz. Da suchen die Hände den Kontakt, der ihnen fehlt, und finden vielleicht wie von
selbst zueinander. Die Finger sortieren sich, so oder so. Das tut gut. Wieder ruhiger zu atmen. Da sortiert sich auch etwas anderes in einem. Es kommt nicht nur Hand zu Hand. Da
ist mehr im Spiel. Eine größere Kraft. „Das Gebet ist das Zentrum jeder Religion“, schreibt
der Religionswissenschaftler Friedrich Heiler.
Vielleicht ist es eine schwere Krankheit, die Aussicht, dass es keine Aussicht mehr gibt. Oder
jemand wird von meiner Seite gerissen, den ich liebe. Oder ich habe etwas furchtbar Dummes gemacht und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Hilflosigkeit und das Gefühl, nichts
machen zu können, betrifft uns schließlich alle in dieser Zeit der großen Krisen. Wohin führt
das neue militärische Aufrüsten? Wann wird endlich der Durchbruch erreicht gegen den Klimawandel? Schaffen wir das mit den vielen Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen?
Betende Hände. Sonst nichts. Ein starkes Zeichen. Jemand will jetzt nichts anders, kann
jetzt nichts anderes. Kann aber beten. Betende Hände handeln nicht, nicht in diesem Moment. Aber sie tun auch nicht nichts. Wer betet, lässt seine Hände nicht hilflos sinken, legt
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sie nicht einfach in den Schoß, schlägt sie nicht hysterisch über dem Kopf zusammen. Verschränkt auch nicht die Arme vor der Brust um abzuwehren was kommt.
Die Hände falten, heißt Kraft sammeln. Vielleicht so wie ein Akku aufgeladen wird. Ich bin
nicht mehr nur unterwegs, sondern auch schon angekommen. Ich bin weg in diesem Augenblick und doch da. Entspannt und wach. Alle Finger liegen ruhig an ihrem Platz. Sie müssen
nicht ständig neu sortiert werden, sie suchen nicht hier und dort, dieses und jenes. Sie finden.
Wer betet, ändert nicht die Lage. Er ändert nicht Gott, aber sich selbst. Und damit wird alles
anders. Auch Gott! In der Bibel kann man davon lesen. Menschen die beten, handeln mit
Gott. Und Gott lässt mit sich handeln. So wird es erzählt: Gott wollte die böse Stadt Sodom
vernichten durch Feuer, weil sie einfach nicht zu retten war. Doch Abraham betete für die
Menschen, er handelte mit Gott, ja, er schacherte mit ihm wie auf einem Basar: …wenn nun
doch 50 Gerechte in der Stadt wären – ja dann würde Gott sie alle verschonen. Und wenn´s
nur 40 wären? Auch dann noch. Oder 30? Oder 10? Immer weiter lässt Gott sich darauf ein,
von seiner Strafe abzugehen. Und Jesus erzählt es ähnlich: Er vergleicht Gott mit einem
mächtigen Richter, der seinen großen Geschäften nachgeht und sich partout nicht um den
Fall einer kleinen Witwe kümmern will. Die aber bittet ihn und bittet ihn und lässt nicht locker,
bis er ihr endlich hilft.
Beten heißt, Gott selbst in Bewegung bringen. Gott bedrängen. Beten macht etwas los. Aber
eben nicht so, wie manche es verstehen: „Einfach mal richtig was los machen, den Wutbürger geben, einen „shit-storm“ entfesseln.“ Dabei wird schon das Gefühl, dass richtig etwas
los ist, als Erfolg verbucht. Die Erregung ersetzt das Handeln.
Beten heißt: Gott los machen. Als die Macht, die Menschen los macht, die erlöst von Hilflosigkeit, Verzagtheit und Enge, vom eingesperrt sein oder vom ausgesperrt werden. Gott als
die Macht, die uns anstiftet, selbst los zu werden. Selbst frei zu werden und andere zu befreien, unsere eigene Macht zu gebrauchen. Mitzutun, mitzukämpfen, Gottes Machen mitzumachen für seine Menschen.
Seit wie vielen Jahren beten wir in unseren Gottesdiensten Sonntag für Sonntag um Hilfe für
die Menschen auf der Flucht, beten an gegen die Gewalt und das Elend. Beten, dass sich
etwas ändert, nicht nur im Kleinen. Nun ändert sich etwas. Menschen kommen zu uns. Nicht
nur im Kleinen. Und wir hätten es kaum für möglich gehalten: Unser Deutschland, unser träges, gemütliches, selbstgefälliges auf ordentliche Abläufe bedachtes, mit vielen Bedenken
versehenes Deutschland krempelt sich um. Gesetze werden geändert, Zeltstädte aufgestellt,
Unterkünfte gebaut. Menschen sind freundlich und hilfsbereit, öffnen nicht nur Kleiderschränke sondern auch ihre Arme und Herzen. Menschen zeigen Courage, wo Häuser angezündet und Flüchtlinge vertrieben werden sollen. Und das geschieht nicht qua Verordnung, so sehr die Einrichtungen sich bemühen, so sehr Beamtinnen und Beamten, Schulund Gesundheitsbehörden sich überall selbst übertreffen, es geschieht von unten. Wie durch
ein Wunder.
„Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun,
geschieht nach seinem Rat“, dichtet Jochen Klepper 1938. Das gilt immer noch: Die Hände
die zum Beten ruhn, sind sich nicht zu schade, wenn sie anpacken und helfen, wenn sie
nass werden von Tränen, die sie wischen, wenn sie das Portemonnaie aufmachen oder sich
öffnen, um die Hand zu reichen zum Willkommen. Ein starkes Zeichen.
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Predigt zu Jona 2
Liebe Gemeinde!
Ein Fragebogen im Konfirmandenunterricht. Das ist schnell gemacht, denkt sie.
10 Sätze. Sie soll nur ankreuzen, ob sie zustimmt.
Gleich bei dem ersten Satz bleibt sie hängen: „Beten nutzt doch nichts. Ja oder Nein?“
Das ist schwer zu sagen.
Dann zur nächsten Frage: „Im Gebet kann man alles sagen.“ Ja. Das stimmt.
„Beten lernt man in der Not.“ Das hat zumindest ihre Oma gesagt.
„3. Wer betet, will etwas ändern.“ Hier muss sie auch länger nachdenken. Ja, wahrscheinlich.
Es gibt überhaupt nur wenige Sätze, bei denen ihr die Antwort leicht fällt.
Und dann wieder zurück zum schwersten Satz: „Beten nutzt doch nichts.“ Hier macht sie ein
Fragezeichen.
Sie weiß es einfach nicht.
Auf dem Plakat zum Bußtag in diesem Jahr hat ein Erwachsener seine beiden Hände gefaltet. Und darüber steht: „Machtlos?“ Ob das die Frage dieses Mannes ist?
Ich sehe ihn vor mir. Wie er so dasitzt. Mit hängendem Kopf vielleicht.
Mit schweren Gedanken. Nicht alle kann er in Worte fassen.
Vieles geht durcheinander:
Sein angefüllter Alltag, die Sorgen um seine Kinder.
Seine Tochter liegt im Clinch mit ihrem Freund. Richtig helfen kann er ihnen nicht mehr.
Und die Welt, in der sie sich zurechtfinden müssen, wird so unüberschaubar. Jeden Tag
stößt er auf neue Schlagzeilen von Flüchtlingen.
Die großen Lettern „springen“ ihn an. Er kann sich ihrer nicht erwehren.
Manche Bilder, Nahaufnahmen von Booten im Mittelmeer, gehen ihm nicht mehr aus dem
Kopf. Aber es sind zu viele und manchmal kann er keine Bilder mehr sehen und keine Geschichten mehr hören.
Er will etwas tun. Etwas machen können, das tut ihm immer gut. Aber was? Er weiß es einfach nicht und hat nur zwei Hände.
Manchmal ist ihm alles zu viel, und er will eigentlich nur weg.
In eine Zeit, als alles einfacher war.
Ob es in biblischer Zeit einfacher war? Es wird erzählt vom Propheten Jona. Er soll etwas
tun. Er soll etwas sagen. Seit Tagen hört er es.
Immer wieder ist da die Stimme Gottes in seinem Ohr: „Mach dich auf! Geh! Geh in die große Stadt Ninive und sag den Leuten: Ihr müsst euch bessern.“
Ausgerechnet „Ninive“! Die persische Metropole der Macht im Osten! Dort sind immer die
Feinde seines Landes gewesen. Dort sind Angst und Schrecken zuhause. Und die Leute
dort sind böse, von Grund auf böse.
Von Kind an hat er das gehört.
Die Leute in Ninive werden nicht grade auf ihn warten. Wer hört schon gern, dass er sich
ändern soll! Alleine wird er mit seiner kleinen Stimme nichts ausrichten können. Auf dem
Marktplatz in Ninive werden sie im besten Fall über ihn lachen. Wahrscheinlich wird noch
Schlimmeres passieren. Nach Ninive wird er auf keinen Fall gehen. Darüber will er nicht mal
mit Gott reden.
Das kommt nicht in Frage.
Jona will das Weite suchen und heuert auf einem Schiff nach Tarsis an – das liegt im Westen, am andern Ende der Welt.
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Dort will er endlich zur Ruhe kommen, keine Stimmen mehr hören. Nur noch schlafen. Er
verschläft sogar den Sturm, in den das Schiff gerät. Die Schiffsleute beten zu ihren Göttern.
Aber die Wellen hören nicht auf und schlagen immer weiter. Die ganze Ladung ist schon
durcheinander gewirbelt. Bald wird das Schiff sinken. Jona merkt nichts davon. Seltsam! Er
schläft weiter, bis die Seeleute ihn wecken. Hinter diesem Sturm muss eine Macht stecken.
Vielleicht der Gott dieses Fremden unter Deck? Jona betet nicht zu ihm. Auch jetzt nicht. Als
der Sturm nicht nachlässt, lässt er sich ins Meer werfen. Das ist das, was er tun kann.
Und dann geschieht, was die meisten von uns aus der Bibel wissen: Ein großer Fisch kommt
und verschlingt Jona bei lebendigem Leib, ohne ihm ein Haar zu krümmen. Was für ein
Wunder! Im Bauch des Fisches ist es dunkel und stickig. Es ist so eng, dass Jona seine Arme nicht bewegen und seine Hände und Finger kaum regen kann. Aber er kann fühlen und
sagen, was er fühlt.
Wir hören Jona 2: (Beteiligungsmöglichkeit einer Lektorin/eines Lektors – andere Stimme)
1 Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im
Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. 2 Und Jona betete zu dem HERRN, seinem
Gott, im Leibe des Fisches 3 und sprach: Ich rief zu dem HERRN in meiner Angst
und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes und du hörtest meine Stimme.
4 Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine
Wogen und Wellen gingen über mich, 5 dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen.
6 Wasser umgaben mich und gingen mir ans Leben, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte
mein Haupt. 7 Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott!
8 Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu dir
in deinen heiligen Tempel.
9 Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. 10 Ich aber will mit Dank dir Opfer
bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen dem HERRN, der mir geholfen hat. 11 Und der
HERR sprach zu dem Fisch und der spie Jona aus ans Land.
Nichts geht mehr für drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches. Aber eins geht noch.
Jona spricht jetzt mit seinem Gott. Krasser noch, er schreit zu Gott. Und er findet Worte, die
er nicht erfinden muss. Schon seine Vorfahren im Glauben kannten sie: „Wogen und Wellen
gingen über mich, der Erde Riegel schlossen sich über mir.“ Er fürchtet, von diesem Ort gibt
es kein Zurück mehr. Eigene Worte hat er nicht. Aber er betet. Und er vertraut auf Gottes
Macht, auf Gottes Kraft, sein Leben aus dem Verderben zu retten. Nach drei Tagen speit der
Fisch Jona aus. Im Rückblick weiß er: Es muss Gott selbst gewesen sein, der ihm den Fisch
geschickt hat. Es muss auch Gott selbst mit seiner Macht gewesen sein, der ihn nach drei
Tagen wieder auf die Füße gestellt hat.
Was für eine wundersame Geschichte!
Wie überraschend-vertraut ist diese Lage Jonas!
Momente, in denen es eng ist, die gehören wohl zu jedem Leben: Situationen ohne Spielraum. Nichts tun können. Sorgen um die Allernächsten, überfallartig wie eine Welle: sie lassen sich nicht abstellen. Sie kommen immer wieder.
Aufgaben, so groß, dass es nur zum Davonlaufen ist -möglichst weit weg. Sie holen einen
am Ende doch mit Macht wieder ein.
Zukunftsängste: so viele Menschen kommen auf ihrer Flucht in Deutschland an. Nicht zu
steuern sind diese Ströme, weil die Not an vielen Orten der Welt groß ist.
Jona im Bauch des Fisches sucht Worte für seine Lage. Er stellt sich ihr, obwohl er nicht
stehen kann. In diesem Raum allein mit sich und mit Gott, so eng er ist, findet er eine Art
Schutzraum.
Die Angst darf sein. Gott redet sie nicht aus.
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Wer sich bei Gott aussprechen kann, wenn er auch nur stottert und stammelt, kann das spüren:
Wie das Überwältigende, das Übermächtige dabei etwas von seiner Macht verlieren kann.
Schon wenn es Worte dafür gibt. Schon wenn da einer hinhört, mit hinschaut.
Jona ist verändert nach diesen drei Tagen und drei Nächten.
Wieder an Land, will er sein Gelübde erfüllen. Das hatte er versprochen. Wieder auf den Füßen nimmt der den Auftrag an, vor dem er davongelaufen war.
Er braucht nicht mehr als drei Tage, um die Stadt Ninive aufzurütteln. Er beginnt und schon
glauben ihm die Menschen von Ninive. Selbst der König legt sich in Asche, die Stadtväter
geben auf seinen Ruf hin Befehle zur Buße aus, rufen mit Macht Gott an und hören zu freveln auf. Und Gott lässt sich erweichen.
Gott lässt sie leben.
Jona kann das erst gar nicht glauben. Das ist doch unmöglich.
Was machst du da, Gott? Das biblische Buch endet mit einer Gegenfrage Gottes an Jona:
„Sollten mich diese 120 000 Menschen nicht jammern, wenn sie mich rufen, diese Menschen, die nicht wissen, was rechts und links ist?“
Ein Mensch hat beim Beten eine übermenschliche Kraft gesammelt. Er steht auf und redet in
Gottes Namen.
Und Gott wirkt durch ihn.
Beten hat die Menschen in diesem Ort Ninive verändert.
Und Gott lässt sich für seine Geschöpfe zu einem guten Ausgang erweichen, den kein
Mensch für möglich gehalten hatte.
Beten: Bringt das etwas?
Heute, hier in diesem Gottesdienst?
Und für morgen?
Und für das Zusammenleben an unserem Ort?
Was wäre, wenn auf unsere Frage Gott uns wie in der Jonageschichte zurückfragen fragen
würde?
„Sollten mich nicht die Menschen jammern in … (Hier den Ortsnamen einsetzen, an dem der
Gottesdienst gehalten wird.)? All die Menschen, die manchmal nicht wissen, was rechts und
links ist? Mit ihren Gedanken, die sie sich um ihr Leben machen; mit den Sorgen um ihre
Liebsten; mit ihren Bedenken für das Zusammenleben mit Vielen, die jetzt von weither kommen. Sollten mir nicht leid tun all die, die ich ins Leben gerufen habe?“
--Stille--
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Verfasst von Mitgliedern der Liturgischen Kammer
der Evangelischen Kirche von Kurhessen Waldeck:
Ulrike Laakmann
Dr. Alwine Slenczka
Frank Weber
Helmut Wöllenstein
Margit Zahn
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