Restaurierung im Alpenraum A ls ich vom Großvater, dem alten Zimmermann, den seltsamen Rat bekam, ich möge meine Bäume doch zum richtigen Zeitpunkt beim abnehmenden Mond ernten, da war ich ziemlich skeptisch. Mondholz sollte die Qualität meines Bauholzes verbessern? Immerhin war ich damals ein junger Forstingenieur. Vom Mondholz hatte ich in meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung nichts gehört. Bei aller Liebe zum Opa wollte ich daher einen Weg finden, diesen altmodisch anmutenden Vorschlag wieder los zu werden. Aber der Opa, der alte Fuchs in seinem Handwerk, sah, wie ich mich bemühte, meine ersten Holzbauten ohne belastende Holzschutzmittel und ohne giftige Leime qualitätsvoll, dauerhaft und gut zu bauen. „Genau dafür brauchst du das Mondholz. Was hätten wir früher getan. Probier es doch endlich aus!“, blieb er hartnäckig. Meine erste Mondholzpartie wurde dann im Jänner bei abnehmendem Mond hoch oben im Bergwald am Gerlospass geerntet. Ich war dabei, markierte meine Bäume und stoppte am Neumondtag den Einschlag. Meine Stämme wurden nun auf einer nahe gelegenen Almwiese gelagert. Die Forstarbeiter machten anschließend aber weiter und schnitten ab jetzt bei zunehmendem Mond das Holz für ein Nachbarsägewerk um. Auch dieses Holz wurde als Polter sauber getrennt von meiner Partie auf der Almwiese gelagert. Vier Monde später, im Mai, war der Schnee auch dort oben geschmolzen. Die Wärme ließ bereits den Borkenkäfer fliegen, und ich fuhr zu meinem Holzlager, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung war. Erleichtert stellte ich fest, dass es nirgendwo Bohrmehlhäufelchen, Fraßgänge oder sonstige Käferspuren gab. Mein Holz war unbeschädigt. Wie es wohl die meisten „Holzmenschen“ tun, schlenderte ich nach dieser Kontrolle auch noch zum Holz des Nachbarn, um zu schauen, wie dessen Partie ausgefallen war. Wie groß war meine Überraschung. Nur 50 Meter neben meinen Stämmen fand hier das große Borkenkäferfest statt. Über und über gab es Einbohrlöcher von Buchdruckern (Yps typographus) und vom Nutzholzbohrer (Xyloterus lineatus). Das gab es doch nicht. Ich konnte es nicht glauben. Beide Partien stammten vom selben Ort und waren im selben Wintermond eingeschlagen worden. Nur die Mondphase war genau entgegengesetzt. Dieser Unterschied genügte offenbar, damit alle Käfer mein Mondholz in Ruhe ließen und sich auf das „Nichtmondholz“ stürzten. So stand ich am warmen Mainachmittag auf der Gerlos und dachte beeindruckt an den Rat vom Opa. Das Thema ließ mir keine Ruhe mehr, und ich begann eine lange Reihe von vergleichenden Experimenten. Bald waren wir ganz sicher. Mondholz ist wesentlich dauerhafter und resistenter gegen Insekten und noch mehr gegen Pilzbefall. Aus diesen Ergebnissen ist mein erstes Buch entstanden. Die Mondholzberichte darin lösten in Fachkreisen heftige Debatten aus. Leidenschaftlich wurde für das Pro genau so wie für das Contra Partei ergriffen. Es gab öffentliche Feldversuche, Brandversuche, Artikel und sogar einige Fernsehsendungen. E rwin Thoma Vom historischen Mondholz zum High Tech-Material Mondlicht, Ralph Albert Blakelock, 1885 Ende der 1990er Jahre kam dann der große Durchbruch von der renommiertesten technischen Universität Europas, von der ETH Zürich. Dort gelang dem genialen Prof. Ernst Zürcher zunächst der wissenschaftliche Nachweis für die höhere Dauerhaftigkeit von Mondholz. Einige Zeit später konnte Prof. Zürcher, der dann zur Hochschule in Biel wechselte, auch erstaunliche Erklärungen für diesen Effekt liefern. Unter anderem verändern sich im Holz genau im Mond bzw. Gezeitenrhythmus molekulare Bindungskräfte, die auch das Verhalten des Wassers, das Verhalten bei der Trocknung, wesentlich beeinflussen. Für mich als Unternehmer, der Holzbauten errichtet, war dieser Forschungserfolg ein Segen. Wir hatten ja bald nach den Erfahrungen mit Opas Mondholz unseren ganzen Betrieb umgestellt. Thoma-Häuser wurden nurmehr aus Mondholz gefertigt. Probleme mit Pilzen oder Schädlingen kannten wir praktisch nicht, obwohl allein in 10 Jahren über 1.000 Holzbauten in 33 Ländern errichtet wurden. Inzwischen wussten wir ja auch, dass selbst die ältesten Holzbauten der Menschheit, die berühmten Tempelanlagen in Japan, aus Mondholz errichtet waren. Durch den Einsatz buddhistischer Mönche, die diese Klöster betreuten, war mein Büchlein mit Opas Weisheiten ins Japanische übersetzt worden. Die Wiederentdeckung vom Mondholz bestärkte mich so sehr, dass ich mich immer mehr der Holzforschung zuwandte und Ende der 1990er Jahre das erste private Holzforschungszentrum in Österreich gründete. Wieder waren es historische Holzbauten und auch philosophische Überlegungen, die uns den Weg zu neuen technischen Innovationen wiesen. Während der allgemeine Trend im Holzbau und im Fertighausbau zu immer mehr Bauchemie, synthetischen Folien, Platten, Klebebändern, Dämmstoffen und unüberschaubaren Materialmischungen ging, stellten wir fest, dass alte Bausubstanz immer dann im besten Zustand war, wenn es einstoffliche, diffusionsoffene Konstruktionen waren und über Jahrhunderte geblieben sind. Restaurator im Handwerk | 4/2015 | Restaurierung im Alpenraum 27 Wir entwickelten daher ein Massivholzbausystem, bei dem hölzerne Kreuzlagen durch Hartholzdübel mechanisch zu 30-40 cm dicken Wänden verbunden wurden. Aus Holz und sonst nichts sollten unsere Häuser gebaut werden. Erst die Labortests zeigten, welch großes Potential Holz entfaltet, wenn es einstofflich massiv und chemisch unbelastet verarbeitet wird. Um dieses Format nicht zu sprengen, sollen nur einige technische Werte dargestellt sein: Brandschutz: Wir zertifizierten auf Anhieb 180 Minuten Brandbeständigkeit. Das war sechs Mal besser als die damals im Holzbau bekannten F30. Wärmedämmung: Mit Lambda 0,077 erreichen wir den Weltrekord aller statisch tragenden Baustoffe. Verklebtes Holz hat im Vergleich dazu nur Lambda 0,13. Strahlenabschirmung: Mit unseren Holzwänden konnten wir für Militärs Hochfrequenz abgeschirmte Gebäude bauen. Bei unseren „normalen“ Häusern geht Mobilfunk nur durch Türen und Fensterrahmen durch. Wer einen abgeschirmten Schlafplatz haben möchte, kann diesen leicht herstellen. Unsere Vollholzbauten haben Hochwasser und selbst das schreckliche Erdbeben von Fukushima schadlos überstanden. Während anfänglich nur ein- und zweigeschossige Häuser von uns errichtet wurden, haben wir inzwischen bis zu elfgeschossige Bauten abgewickelt. Die Möglichkeiten des Naturmaterials erscheinen nahezu unendlich zu sein. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Bauwirtschaft gerade eine spannende Zeit erlebt. Während die letzten Jahrzehnte ganz im Zeichen der Bauchemie standen, erleben wir heute die Notwendigkeit, Bausubstanz so zu errichten, dass sie später nicht als Sondermüll die nächsten Generationen belastet. Wir erleben das zunehmende Bewusstsein der Menschen für Bauten, die unsere Gesundheit unterstützen und fördern, anstatt sie zu belasten. Schlagworte wie „Greenbuilding“, „Dämmstoffwahn“ oder „Nachhaltig bauen“ finden sich in den Massenmedien. Vor diesem Hintergrund werden historische Bauten mit dem alten Handwerkswissen heute wieder zur gefragten Inspirationsquelle für alle am Bau tätigen Menschen. Wurde früher zum größten Teil aus Mangel an Alternativen mit den Materialien Holz und Stein total puristisch umgegangen, so tun wir das heute wieder, weil wir so auf diese Weise technisch bessere, gesündere und abfallfreie Häuser bauen können. Zuletzt haben wir mit wissenschaftlicher Begleitung und dem innovativen Schweizer Architekten Sascha Schär aus Zweisimmern ein fünfgeschossiges Haus errichtet. Ganz ohne Heizung und ohne Dämmstoffe. Die massive Vollholzhülle übernimmt dort die Klimatechnik. Im letzten Winter war die Innenraumtemperatur nie unter 18o Celsius. Das heizungs- und dämmstofffreie Passivhaus ist damit zur Realität geworden. Und das im kalten Klima des Schweizerischen Berner Oberlandes. Eine der großen Aufgaben für unsere Generation liegt heute wohl darin, altes Wissen in die neue Zeit zu tragen und dort mit allen modernen Möglichkeiten umzusetzen. Wer diesen Weg geht, tut allen etwas Gutes. Weiterführende Literatur von Erwin Thoma zum Thema findet sich unter www.thoma.at. Erwin Thoma ist kaufmännischer Geschäftsführer von Ing. Erwin Thoma Holz GmbH, Hasling 35, 5622 Goldegg, Österreich [email protected] A nzeige 28 Restaurator im Handwerk | 4/2015 | Restaurierung im Alpenraum
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