44 durchblick 4/2015 V orgestellt : G udrun F okken W ohin zuerst blicken? fragen wir uns beim Besuch in Gudrun Fokkens Werkstatt. Überall in Regalen, Ecken und an Wänden sind Puppen, Bilder, Stofftiere, Marionetten, Puppenkleider und - Möbel, kleine Bücher oder Steckenpferde zu sehen. Körbe quellen über mit Materialien: Stoffe, Nähgarn in allen Farben, Knöpfe, Schafwolle zum Füllen der Puppen, Wolle in allen Nuancen. Im Mittelpunkt auf dem eher kleinen Arbeitsplatz: die Nähmaschine und eine Schneiderschere. Daneben ein Tisch, der liebevoll herbstlich mit Holzpilzen, Tannenzapfen, Moos, Tierfiguren und orange leuchtenden Lampionblumen dekoriert ist. An den Wänden sieht 4/2015 durchblick man Kinderbilder, Stickmuster, alte Fotos. Und mitten drin steht Gudrun Fokken, die Herrin dieser kunterbunten „Kinderwelt“. Mit hellwachen graublauen Augen erklärt die 74-Jährige, was wir sehen. An einer Wand steht ein uraltes, weinrot überzogenes Sofa, auf dem ihre Puppen sitzen. Obenauf die größeren Puppen mit nur angedeuteten Gesichtszügen in verschiedenen Hautfarben. Nur an den liebevoll gestalteten Frisuren und der Puppenkleidung lässt sich der kleine Unterschied erkennen: Mädchen oder Junge. Die kleinen Kissenpuppen für die Babys, erklärt Gudrun Fokken, sind noch reduzierter. Weder lachend noch weinend sind 45 Vorgestellt: Gudrun Fokken die Gesichtszüge, sie sind neutral.“ Alle Puppen“, so die Pädagogin, „sollen durch Fassen zum Erfassen und vom Greifen zum Begreifen“ anleiten. Denn Gudrun Fokken hat über 30 Jahre im WaldorfKindergarten am Häusling gearbeitet. Mit frühkindlicher Bildung kennt sie sich bestens aus. Überhaupt sollen die Puppen und das Erzählen von Märchen die Phantasie der Kleinen anregen. So kann man sich lebhaft vorstellen, wie Gudrun Fokken als Märchentante mit ihren Schützlingen und auch den eigenen Kindern eine kleine Bühne zaubert, auf der dann die gehörten Geschichten mit Puppen oder Marionetten nachgespielt und natürlich auch variiert werden. Farben spielen immer eine große Rolle. Ebenso die Eurythmie, eine Bewegungskunst, die Sprache oder auch Musik ausdrücken möchte. Kein Wunder, dass ihre vier Kinder kreative Berufe gewählt haben und zwei ihrer Töchter als Heileurythmisten arbeiten. Im Herbst ist Gudrun Fokken besonders fleißig, denn es gilt wieder neue Puppen und deren Kleider und winzigen Schuhe sowie Stofftiere für den kommenden Weihnachts-Basar in der Waldorf-Schule herzustellen. Nicht 46 zu vergessen: die gestrickten kleinen Lämmchen für die ganz Kleinen. Denn ihre handgefertigten Produkte aus Naturmaterialien sind nun schon seit Generationen bei Eltern und Großeltern von WaldorfKindern gefragt und werden von den Kids heißgeliebt. Spannend ist es auch, Geschichten aus der Jugend von Gudrun Fokken zu hören. Ihre Eltern und die älteren Geschwister von Gudrun waren bis 1939 in Deutsch-Ostafrika unterwegs. Die Vorfahren waren Missionare. Alte schwarz-weiß Fotos an den Wänden erinnern an diese prägenden Jahre aus der Familiengeschichte. Man möchte eigentlich viel mehr erfahren. Als Autodidaktin hat Gudrun Fokken, die auch die Kunst der Kalligraphie schätzt, die Sütterlin-Handschrift erst vor wenigen Jahren erlernt. Nun kann sie endlich alte Dokumente entzffern und mit einer über 90-jährigen Freundin regelmäßig jede Woche per Brief korrespondieren. Wir lernen: Für neue Herausforderungen ist es nie zu spät! Geboren 1941 in Marburg, Ausbildung in Hamburg und Köln, Mutter von vier Kindern, Beruf: Erzieherin, seit 1972 ist ihre Heimat Siegen. Text: Tessie Reeh, Fotos: Rita Petri durchblick 4/2015 4/2015 durchblick 47
© Copyright 2025 ExpyDoc