Vorgestellt: Gudrun Fokken

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ohin zuerst blicken? fragen wir uns beim Besuch in Gudrun Fokkens Werkstatt. Überall in
Regalen, Ecken und an Wänden sind Puppen,
Bilder, Stofftiere, Marionetten, Puppenkleider und - Möbel, kleine Bücher oder Steckenpferde zu sehen. Körbe
quellen über mit Materialien: Stoffe, Nähgarn in allen Farben, Knöpfe, Schafwolle zum Füllen der Puppen, Wolle
in allen Nuancen. Im Mittelpunkt auf dem eher kleinen
Arbeitsplatz: die Nähmaschine und eine Schneiderschere.
Daneben ein Tisch, der liebevoll herbstlich mit Holzpilzen, Tannenzapfen, Moos, Tierfiguren und orange leuchtenden Lampionblumen dekoriert ist. An den Wänden sieht
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man Kinderbilder, Stickmuster, alte Fotos. Und mitten
drin steht Gudrun Fokken, die Herrin dieser kunterbunten „Kinderwelt“.
Mit hellwachen graublauen Augen erklärt die 74-Jährige, was wir sehen. An einer Wand steht ein uraltes, weinrot überzogenes Sofa, auf dem ihre Puppen sitzen. Obenauf
die größeren Puppen mit nur angedeuteten Gesichtszügen
in verschiedenen Hautfarben. Nur an den liebevoll gestalteten Frisuren und der Puppenkleidung lässt sich der kleine
Unterschied erkennen: Mädchen oder Junge. Die kleinen
Kissenpuppen für die Babys, erklärt Gudrun Fokken, sind
noch reduzierter. Weder lachend noch weinend sind 
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die Gesichtszüge, sie sind
neutral.“ Alle Puppen“,
so die Pädagogin, „sollen durch Fassen zum Erfassen und vom Greifen
zum Begreifen“ anleiten.
Denn Gudrun Fokken hat
über 30 Jahre im WaldorfKindergarten am Häusling
gearbeitet. Mit frühkindlicher Bildung kennt sie
sich bestens aus. Überhaupt
sollen die Puppen und das
Erzählen von Märchen die
Phantasie der Kleinen anregen. So kann man sich lebhaft
vorstellen, wie Gudrun Fokken als Märchentante mit ihren
Schützlingen und auch den eigenen Kindern eine kleine
Bühne zaubert, auf der dann die gehörten Geschichten mit
Puppen oder Marionetten nachgespielt und natürlich auch
variiert werden. Farben spielen immer eine große Rolle.
Ebenso die Eurythmie, eine Bewegungskunst, die Sprache
oder auch Musik ausdrücken möchte. Kein Wunder, dass
ihre vier Kinder kreative Berufe gewählt haben und zwei
ihrer Töchter als Heileurythmisten arbeiten.
Im Herbst ist Gudrun Fokken besonders fleißig, denn
es gilt wieder neue Puppen und deren Kleider und winzigen Schuhe sowie Stofftiere für den kommenden Weihnachts-Basar in der Waldorf-Schule herzustellen. Nicht
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zu vergessen: die gestrickten
kleinen Lämmchen für die
ganz Kleinen. Denn ihre handgefertigten Produkte aus Naturmaterialien sind nun schon
seit Generationen bei Eltern
und Großeltern von WaldorfKindern gefragt und werden
von den Kids heißgeliebt.
Spannend ist es auch, Geschichten aus der Jugend von
Gudrun Fokken zu hören. Ihre Eltern und die älteren Geschwister von Gudrun waren
bis 1939 in Deutsch-Ostafrika unterwegs. Die Vorfahren
waren Missionare. Alte schwarz-weiß Fotos an den Wänden erinnern an diese prägenden Jahre aus der Familiengeschichte. Man möchte eigentlich viel mehr erfahren.
Als Autodidaktin hat Gudrun Fokken, die auch die
Kunst der Kalligraphie schätzt, die Sütterlin-Handschrift
erst vor wenigen Jahren erlernt. Nun kann sie endlich alte
Dokumente entzffern und mit einer über 90-jährigen Freundin regelmäßig jede Woche per Brief korrespondieren. Wir
lernen: Für neue Herausforderungen ist es nie zu spät!
Geboren 1941 in Marburg, Ausbildung in Hamburg und
Köln, Mutter von vier Kindern, Beruf: Erzieherin, seit 1972
ist ihre Heimat Siegen.
Text: Tessie Reeh, Fotos: Rita Petri
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