Kapitel III: Quadratische Reste

Einführung in die Zahlentheorie
Jörn Steuding
Uni Wü, SoSe 2015
I Zahlen
II Modulare Arithmetik
III Quadratische Reste
IV Diophantische Gleichungen
V Quadratische Formen
Wir behandeln die ’wesentliche Zahlentheorie’ bis einschließlich
1801 (Erscheinungsjahr der ’Disquistiones Arithmeticae’ von Gauß).
Die Kapitel I, II und III sind relevant für das gymnasiale Lehramt.
III. Quadratische Reste
Auch die Theorie der quadratischen Reste geht auf Carl Friedrich
Gauß zurück (wiederum auf Vorleistungen von Euler, Lagrange und
Legendre u.a. aufbauend).
10. Das Euler-Kriterium
11. Das quadratische Reziprozitätsgesetz
12. Einheitswurzeln und Gaußsche Summen
§10. Das Euler-Kriterium
Wir untersuchen die Lösbarkeit quadratischer Kongruenzen
aX 2 + bX + c ≡ 0 mod m.
Durch quadratische Ergänzung genügt es, den folgenden Fall zu
untersuchen:
X 2 ≡ D mod p
mit einem explizit von a, b, c abhängigen D.
§10. Das Euler-Kriterium
Reste und Nichtreste
Eine prime Restklasse a mod m heißt (quadratischer) Rest modulo
p, falls die Kongruenz
X 2 ≡ a mod m
lösbar ist; ansonsten nennt man a mod m einen (quadratischen)
Nichtrest modulo m.
Zunächst beschränken wir uns auf Primzahlmodule m = p; der Fall
der geraden Primzahl 2 ist trivial; im Folgenden sei p eine ungerade
Primzahl.
Man bestimmt die Reste durch Berechnen der Potenzen x 2 mod p
für x = 1, . . . , p−1
2 unter Berücksichtigung der Symmetrie
(p − x)2 ≡ x 2 mod p.
Es gibt also genau so viele quadratische Reste wie Nichtreste
modulo p, und damit jeweils p−1
2 .
Die nichtprime Nullklasse zählt weder als Rest noch als Nichtrest.
§10. Das Euler-Kriterium
Das Legendre-Symbol
Das Legendre-Symbol

 +1
a
=
0

p
−1
ist erklärt durch
falls a quadratischer Rest modulo p,
falls p | a,
falls a Nichtrest modulo p,
gesprochen ”a über p”.
Das Legendre-Symbol ist p-periodisch, d.h.
a+p
a
=
.
p
p
§10. Das Euler-Kriterium
Das Euler-Kriterium
Satz 10.1 (Euler-Kriterium). Sei p > 2 prim, dann gilt
p−1
a
≡ a 2 mod p.
p
Der Beweis offenbart, dass Primitivwurzeln stets Nichtreste sind
und sich die Reste als die Potenzen einer Primitivwurzel mit
geradem Exponenten ergeben!
Korollar 10.2. Das Legendre-Symbol ist multiplikativ, d.h.
ab
a
b
=
.
p
p
p
In der Sprache der Algebra ist das Legendre-Symbol ein
Gruppenhomomorphismus!
§10. Das Euler-Kriterium
Quadrate bilden eine Gruppe
Die Menge der quadratischen Reste modulo p bildet eine
Untergruppe der primen Restklassengruppe (Z/pZ)∗ vom Index 2.
1
2
4
3
5
6
1
1
2
4
3
5
6
2
2
4
1
6
3
5
4
4
1
2
5
6
3
3
3
6
5
2
1
4
5
5
3
6
1
4
2
6
6
5
3
4
2
1
§10. Das Euler-Kriterium
Knobeleien
• Zeige, dass es unendlich viele Primzahlen p gibt, für die 1000 ein
quadratischer Rest modulo p ist!
• Gibt es Primzahlen p, für welche sämtliche Nichtreste auch
Primitivwurzlen modulo p sind?
• Man finde Beispiele biquadratischer Gleichungen mit ganzzahligen
Koeffizienten, die keine rationalen Lösungen besitzen, jedoch als
Kongruenz modulo einer jeden Primzahl p aufgefasst lösbar sind!
• Es gibt vier Möglichkeiten für geordnete Paare
aufeinanderfolgender primer Restklassen modulo p in den Klassen
der quadratischen Reste (R) und Nichtreste (N) vertreten zu sein.
Zeige, dass es genau
p−1
1
2
p
−
4
−
(−1)
4
viele Paare vom Typ (R,R) gibt und berechne die Anzahlen der
weiteren Typen.
§11. Das quadratische Reziprozitätsgesetz
Wie lässt sich schnell entscheiden, ob eine vorgelegte Restklasse ein
quadratischer Rest ist? Wie sind die Reste verteilt? Und welchen
weiteren Nutzen kann man aus dieser Theorie ziehen?
§11. Das quadratische Reziprozitätsgesetz
Das Zählen von Restklassen im oberen Halbsystem
Lemma 11.1 (Lemma von Gauß). Sei p > 2 prim und p 6| a.
Bezeichnet m(a; p) die Anzahl der Restklassen ℓa mod p mit
1 ≤ ℓa < p (reduziert) für 1 ≤ ℓ ≤ p−1
2 , die dem oberen
p+1
Halbsystem 2 , . . . , p − 1 angehören, so gilt
a
= (−1)m(a;p) .
p
Korollar 11.2. Mit denselben Voraussetzungen wie in Lemma 11.1
gilt
a
= (−1)σ
p
p−1
2 ℓa
p2 − 1 X
+
mit σ = (a − 1)
.
8
p
ℓ=1
§11. Das quadratische Reziprozitätsgesetz
theorema aureum
Satz 11.3 (quadratisches Reziprozitätsgesetz, Gauß 1801).
Für verschiedene ungerade Primzahlen p und q gilt
p−1 q−1
p
q
= (−1) 2 · 2 .
p
q
Kurz: Es gilt genau dann ( pq ) = ( qp ), wenn nicht p ≡ q ≡ 3 mod 4.
Lesen wir die Kongruenzen modulo Primzahlen als Gleichungen in
den entsprechenden Restklassenkörpern, so liefert das
Reziprozitẗasgesetz Information über die Lösbarkeit quadratischer
Gleichungen in verschiedenen Körpern!
Für diesen bemerkenswerten Satz gab Gauß insgesamt acht
verschiedene Beweise; insgesamt sind heute sogar mehr als
zweihundert verschiedene Beweise bekannt.
§11. Das quadratische Reziprozitätsgesetz
Die Ergänzungsgesetze
Korollar 11.4 (Erstes Ergänzungsgesetz). Für prime p > 2 ist
p−1
−1
+1 falls p ≡ +1 mod 4,
2
= (−1)
=
−1 falls p ≡ 3 mod 4.
p
Diese Aussage ist identisch mit der von Korollar 6.4.
Korollar 11.5 (Zweites Ergänzungsgesetz). Für prime p > 2 ist
p 2 −1
2
+1 falls p ≡ ±1 mod 8,
= (−1) 8 =
−1 falls p ≡ ±3 mod 8.
p
§11. Das quadratische Reziprozitätsgesetz
Das Jacobi-Symbol
Das Legendre-Symbol wird für ungerades m verallgemeinert durch
das Jacobi-Symbol
a
m
=
Y a ν(m;p)
p|m
p
für m =
Y
pν(m;p) ,
p
und man setzt ferner ( a1 ) = 1 und ( ma ) = 0 falls ggT(a, m) > 1.
Dann übertragen sich sämtliche Eigenschaften des
Legendre-Symbols inkl. dem Reziprozitätsgesetz und auch die
Berechnung von Legendre-Symbolen vereinfacht sich.
Allerdings impliziert ( ma ) = +1 für zusammengesetztes m nicht
notwendig, dass a ein quadratischer Rest modulo m ist.
§11. Das quadratische Reziprozitätsgesetz
Ein Lokal-Global–Prinzip
Satz 11.6. Eine ganze Zahl a ist genau dann ein Quadrat, wenn a
ein Quadrat modulo p für alle Primzahlen p ist (dh. die Kongruenz
X 2 ≡ a mod p ist stets lösbar).
Arithmetische Eigenschaften in den lokalen Restklassenkörpern
implizieren Ähnliches in dem globalen Körper Q. Das Analogon von
Satz 11.6 ist für n-te Potenzen i.A. falsch!
§12. Einheitswurzeln und Gaußsche Summen
Die Konstruktion regulärer Drei- und Fünfecke mit Zirkel und Lineal
sind bereits in der Antike gelungen. Gauß konstruierte u.a. das
reguläre Siebzehneck und fand mittels (Algebra und Zahlentheorie)
ein Kriterium, welche solchen n-Ecke konstruierbar sind.
§12. Einheitswurzeln und Gaußsche Summen
Geometrie und Algebra in der komplexen Ebene
Die komplexen Nullstellen des Polynoms X n − 1 heißen n-te
Einheitswurzeln und besitzen eine Darstellung
ζnk := exp 2πik
= cos 2πk
+ i sin 2πk
n
n
n
für 0 ≤ k < n; im Falle ggT(k, n) = 1 sprechen wir von einer
primitiven n-ten Einheitswurzel.
Die n-ten Einheistwurzeln bilden ein regelmäßiges n-Eck
(Geometrie) sowie eine zyklische multiplikative Gruppe (Algebra)
mit den primitiven n-ten Einheitswurzeln als Erzeuger.
§12. Einheitswurzeln und Gaußsche Summen
Kreisteilung mit Zirkel und Lineal
Satz 12.1 (Gauß, Wantzel). Das reguläre n-Eck ist genau dann
mit ausschließlich Zirkel und Lineal konstruierbar, wenn n von der
Form
Y
fj
n = 2m
j
j
mit paarweise verschiedenen Fermatschen Primzahlen fj = 22 + 1
ist.
Vermutlich sind fj = 3, 5, 17, 257 und 65 537 die einzigen
Fermatschen Primzahlen. Euler wusste bereits 641 | f5 .
Unschwer zu zeigen ist
X
0≤k<n
ζnak
=
n
0
falls a ≡ 0 mod p,
sonst.
§12. Einheitswurzeln und Gaußsche Summen
Gaußsche Summen
Für Primzahlen p > 2 und a ∈ Z sind die Gaußschen Summen
erklärt durch
X b
τa :=
ζ ab .
p p
b mod p
Satz 12.2 (Gauß). Es gelten
a
τ1 ,
i) τa =
p
und
iii)
τ12
=
−1
p
ii) τ1 =
X
ζpx
2
x mod p
p = (−1)
p−1
2
p.
Gaußsche Summen erlauben einen alternativen Beweis des
Reziprozitätsgesetzes. Für die genaue Berechnung des Vorzeichens
der τa benötigte Gauß vier Jahre.
§12. Einheitswurzeln und Gaußsche Summen
Das reguläre Fünfeck
Das reguläre Fünfeck konstruiert beispielsweise Albrecht Dürer.
Es genügt, den Realteil der fünften Einheitswurzel
s
√
√
5−1
5
5
2πi
ζ5 = exp( 5 ) =
+i
+
4
8
8
zu bestimmen. Die zugehorige Gauß-Summe ist übrigens τ1 =
√
5.
§12. Einheitswurzeln und Gaußsche Summen
Kreisteilungskörper
Der n-te Kreisteilungskörper ist definiert als
.
Q(ζn ) = Q[X ]
X =ζn
Man zeigt mittels
q
τ1 ∈ Q( −1
p p)
leicht, dass jeder quadratische Zahlkörper in einem Kreisteilungskörper enthalten ist. Nach dem Satz von Kronecker & Weber ist
sogar jeder Zahlkörper mit abelscher Galois-Gruppe in einem
Kreisteilungskörper enthalten!