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VOLKSOPER WIEN
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AKADEMIETHEATER
Ein monströses Hinterland
ROLAND KOCH. Der Charakterkünstler spielt am Akademietheater
in John Hopkins spannendem Krimi-Drama „Diese Geschichte von
Ihnen“ einen schillernden Ermittler. Andrea Breth inszeniert.
FOTO: REINHARD WERNER/BURGTHEATER
D
iese Geschichte von Ihnen ist eine rätselhafte. Schon der polizeiintern aufgeklärt werden und die dritte Szene blendet
Titel verweist auf diffus Angedeutetes, Undurchsichtiauf das spektakuläre, unkorrekte Verhör voll explosiver Geges. Wer ist mit Ihnen gemeint? Eine der vier handelnwalt, das Johnson mit dem von ihm verdächtigten Kinderden Personen? Wenn ja, welche? Oder alle vier? Oder gar
schänder führt, zurück.
das Publikum? This Story of Yours lautet der Originaltitel und
beantwortet diese Fragen ebenso wenig wie die deutsche
POLIZEIGEWALT
Übersetzung. Something like the Truth, von Sean Connery als
Andrea Breth, die feinfühlige Schürferin, führt Regie. Sie
Arbeitstitel für eine von ihm geplante, nicht realisierte Verfilhat das Stück seit der gerühmten deutschen Erstaufführung
mung gewählt, ist etwas aufschlussreicher. Die Wahrheit durch Peter Palitzsch in Stuttgart 1970 im Gedächtnis behalbleibt vage. Connery wirkte dann in der Verfilmung von Sidten. „Man hatte bis dahin noch keine derart gewalttätige Aufney Lumet 1973 mit, die schließlich den Titel The Offence trug.
führung gesehen. Obwohl die Gewalt nicht explizit gezeigt
Der Autor des Stückes, John Hopkins, 1931 in London gewurde, wirkte bereits die Atmosphäre von Gewalt schockieboren, 1998 in Kalifornien gestorben, schrieb vorwiegend rend“, berichtet Roland Koch. „Man war in Deutschland daDrehbücher, darunter 57 Folgen der BBC-Polizei-Serie Z-Cars.
mals für das Thema nach dem Mord an dem Studenten Benno
Auch das Bühnenstück Diese Geschichte von Ihnen aus dem Ohnesorg besonders sensibilisiert“, der 1967 in Berlin wähJahr 1968 spielt im Polizeimilieu und mutet mit detaillierten, rend einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von
seitenlangen Regieanweisungen, die den Darstellern wenig
Persien von einem Polizisten erschossen worden war. PolizeiFreiheit in der Wahl ihrer Mittel lassen, und mit umgangsliche Gewalt ist bis heute ein Thema, wenn man die Bilder
sprachlichen Dialogen nach Art von Fernsehserien filmisch sieht, in denen US-Polizisten viel zu schnell auf (meist
schwarze) Verdächtige schießen.
an. Aber hinter der scheinbaren Banalität, hinter den sich quäRoland Koch wird als Chefinspektor, der den Fall intern
lend im Kreise drehenden Dialogen lauert ein Ungeheuer.
aufklären soll, einen seiner scheinbar souveränen Typen erDie Geschichte klingt nicht kompliziert, sie ist es aber. Ein
Polizist hat einen Verdächtigen zu Tode geprügelt, weil er ihn schaffen, hinter deren Fassade die widersprüchlichsten, hinfür einen lange gesuchten Kinderschänder hielt. Ein Vorgeterhältigsten Kräfte toben. „Zuerst dachte ich auch, dass diesetzter soll den Mord aufklären oder vielleicht auch vertuser Cartwright nur seine Aufgabe als Aufklärer zu erfüllen hat,
schen, um den Ruf der Polizei nicht zu gefährden. Aber liegt aber bei den Proben stellt sich heraus, dass es unglaublich
viele Nebeninteressen gibt. Man weiß nie, ob er seinem Undahinter nicht eine ganz andere Geschichte?
Um diese undurchsichtigen Zusammenhänge in schwetergebenen helfen oder ihn erniedrigen und zermürben will.
Cartwright bekommt, je länger je mehr, dabei etwas Verlorebender Spannung zu halten, bietet das Burgtheater erste
Kräfte auf. Mit der Hauptfigur, dem gewaltbereiten, trunknes, das ist irritierend“, analysiert Roland Koch seine Rolle.
süchtigen, von seinem Beruf zerstörten Polizisten Johnson, „Das Ganze ist ein faules Ei. Eigentlich steckt in allen Figuren
ein monströses Hinterland. Es gibt eine
wird Nicholas Ofczarek das FigurenarseLücke, die nicht zu schließen ist, wir müsnal seiner unverwechselbaren Mischung
aus Brutalo und großem Kind um eine
sen mit der Angst leben, dass es keine SiAK ADEMIETHEATER
weitere Facette bereichern. Johnsons
cherheit gibt, keine Instanz, auch keine
Frau ist mit Andrea Clausen, der vorgegöttliche, die uns schützen könnte, sagt
John Hopkins
uns der Autor. Es wird etwas Rätselhaftes
setzte Chefinspektor mit Roland Koch
Diese Geschichte von
bleiben und man wird unerlöst nach
und der mutmaßliche oder nur vermeintIhnen
Hause gehen.“
liche Kinderschänder mit August Diehl
Do., 28. Jänner, 19.30 Uhr
Roland Koch, 1959 im Schweizer Kanglänzend besetzt. Vier Personen, drei
Regie: Andrea Breth
Szenen.
ton Aargau geboren, hört man seine HerBühne: Martin Zehetgruber
In der ersten Szene zwischen Johnson
kunft nicht einmal in Spuren an. Eine beKostüme: Moidele Bickel
und seiner Frau wird nachts vor allem unmerkenswerte Treue zu einem kleinen
Besetzung: Nicholas Ofczarek, Andrea
Kreis von RegisseurInnen zeichnet ihn
endlich viel Whisky getrunken, er schlägt
Clausen, Roland Koch, August Diehl,
aus. Mit Andreas Kriegenburg, den er
seine Frau und wird mit dem – wahrBenjamin Cabuk
nach ein paar Provinzjahren in Hannover
scheinlich – begangenen Totschlag nicht
So., 31. Jänner, 19.00 Uhr
kennen gelernt hat, ist er zehn Jahre lang
fertig, in der zweiten Szene soll der Vorfall
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TRIUMPH. Roland Koch mit
dem Nestroy
für die Beste
Nebenrolle
2015, den er
für sein Faktotum Foldal in
John Gabriel
Borkman erhielt.
fast überallhin mitgezogen, nach München, Berlin und
schließlich nach Wien, wo er 1999 erstmals mit Beginn der Ära
Bachler ans Burgtheater kam. Sein Dr. Schön in Wedekinds
Lulu machte Eindruck. Roland Koch blieb, für alljährlich ein bis
zwei Rollen. Kriegenburg konnte damals in Wien nicht Fuß
fassen. Wut und Trennungsschmerz nach der langen Zusammenarbeit sind heute überwunden, und nun ist Kriegenburg
ja wieder da. „In Wassa Schelesnowa konnte ich nicht mitwirken, weil ich andere Verpflichtungen hatte, aber es kommen
neue Möglichkeiten“, ist Roland Koch zuversichtlich. „Die
Treue ist eine gegenseitige, man sucht sich, weil man weiß,
was man aneinander hat. Es gibt wenige, die man immer wieder treffen möchte.“
Eine dieser wenigen ist Andrea Breth, zu deren erlesenem
Stab Roland Koch seit Maria Stuart 2001, gehört. Dieser Zusammenarbeit dankt man auch seinen aalglatten, hingebungsvoll Spaghetti speisenden Marinelli in Emilia Galotti,
der drängendste Liebesnöte und tödliche Verzweiflung in
seiner Umgebung ungerührt betrachtet. Eine Krönung
Brethscher Kunst, ihr Ensemble zu Höchstleistungen zu verführen, sind die Zwischenfälle, die seit fünf Jahren immer
noch auf dem Spielplan stehen. „Der Humor ist bei Andrea
Breth wie bei Andreas Kriegenburg ein ganz wichtiger Faktor. Man darf sich das Tiefschürfen nicht als Belehrungen mit
wichtigen Gesichtern vorstellen, es geht immer darum, eine
spielerische und lustvolle Situation zu erzeugen. Es geht
nicht nur um Inhalte, sondern auch um Wirkungen. Dazu
brauchen wir Schauspieler einen Regisseur, der uns etwas
Überraschendes in den gewohnten Bildern entdecken lässt.
Der sagt, in diesem Hotel gibt es noch andere Zimmer, ich
gebe euch den Schlüssel. Die Rampe ist nicht der einzige Ort
auf der Bühne, das wissen wir.“
MOUNT EVEREST
Eine neue Tür hat Roland Koch auch mit dem Newcomer Simon Stone, der für seinen John Gabriel Borkman
nach Ibsen einen Nestroy für die beste Regie bekam, auf-
gestoßen. Es war nicht der einzige Nestroy-Preis, den die
Neu-Erfindung des Ibsen-Klassikers erhielt. Martin Wuttke
wurde als bester Schauspieler und Roland Koch in einer fabelhaften Zeichnung des Faktotums Foldal als bester Nebendarsteller gewürdigt. „Ich habe mich über die Nebenrollen-Auszeichnung sehr gefreut, ich finde es bedeutsamer, dafür einen Preis zu bekommen, denn Nebenrollen
sind die schweren Rollen. In der Hauptrolle hast du 40
Chancen, gut zu sein! Der Preis beweist mir, dass ich in den
kurzen Auftritten wahrgenommen wurde. Solche Rollen
sollte man als außergewöhnlichen Moment zelebrieren,
mit hohem Risiko fahren und die Gefahr, aus der Kurve zu
fliegen, nicht scheuen“, lacht der wortgewandte, attraktive
Schauspieler, der trotz vieler – oder vielleicht gerade wegen – großer Erfolge frei von Allüren ist. „Die Arbeit mit Simon ist wieder anders als mit Andrea. Beide wollen auf
den Mount Everest, aber die Breth würde Biwaks aufstellen, alles planen und auf das richtige Wetter warten, während Simon Stone sofort losstürzen würde, wenn für morgen gutes Wetter angesagt ist. Er geht das Risiko ein, eventuell abzustürzen, Andrea nicht.“
Während der Proben zu dem neuen Stück Diese Geschichte von Ihnen lernte Roland Koch die Flugpläne so genau wie seine Rolle. Er musste nicht nur nach Basel, wo er
Angels in America und John Gabriel Borkman als Koproduktion spielt und wo seine Frau Nicola Kirsch jetzt fix engagiert ist, weil der Ex-Chef des Wiener Schauspielhauses,
Andreas Beck, seit dieser Spielzeit das Schauspiel Basel leitet und sein Ensemble mitgenommen hat. Der viel begehrte Roland Koch musste auch zu Tatort-Dreharbeiten
fliegen, wo er den Schweizer Kommissar zum fünften Mal
spielt: „Wenn man schon die Möglichkeit hat, Fernsehen
zu machen, dann ist Tatort eine der schönsten. Aber ich
habe auch keine Berührungsängste vor Gebrauchsfernsehen. Man kann aus dem kleinsten Stein einen Funken
B
schlagen!“
EVA MARIA KLINGER
FOTOS: REINHARD WERNER/BURGTHEATER, ORF/GÜNTHER PICHLKOSTNER
PROFESSOR
BERNHARDI. Roland Koch
als Dr. Ebenwald in Dieter Giesings
Erfolgsinszenierung am
Burgtheater.
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