Novellierung der GOÄ: Außerordentlicher Ärztetag am 23. Januar

Ärztekammer
Novellierung der GOÄ
Außerordentlicher Deutscher Ärztetag am 23. Januar 2016 in Berlin
Dr. med. Bernhard Rochell, Verwaltungsdirektor der KBV, verteidigt die bisherigen
Verhandlungsergebnisse und stellt „Behauptungen“ und „Ergebnisse“ gegenüber.
Foto: Manuel Maier
Besonders kontrovers wird innerhalb der
Ärzteschaft die Schaffung einer Gemeinsamen Kommission diskutiert, die künftig
Bewertungen und eventuelle Steigerungen oder Senkungen in der GOÄ festlegen
soll. Es besteht das Prinzip der Einstimmigkeit. In der Kommission sind vier Ärzte
und vier Vertreter von PKV (Privater
Krankenversicherung) und Beihilfe vertreten. Die Kommission gibt Empfehlungen
an das Bundesgesundheitsministerium.
Blick auf die Sitzreihen der hessischen Delegierten mit u. a. Dr. med. Wolf Andreas Fach,
Dr. med. Peter Zürner, Michael Waldeck und Dr. med. Susanne Johna (von vorne rechts)
Ein außerordentlicher Ärztetag wurde
einberufen, da die Delegierten von drei
Ärztekammern diesen einforderten. Alleiniges Thema war die Gebührenordnung für Ärzte, die dieses Jahr nach
langjährigen Verhandlungen novelliert
werden soll.
Der Sachstand dieser Verhandlungen wurde zuletzt im Deutschen Ärzteblatt publiziert (Dtsch. Ärztebl. 2015; 112 Seite
51–52; im Internet: http://www.aerzte
blatt.de/archiv/173391).
In einleitenden Worten berichtet Prof.
Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer und Präsident der Ärztekammer Hamburg, dass
das Bundesministerium für Gesundheit eine absolute Vertraulichkeit der Verhandlungen forderte. Dies habe dazu geführt,
dass die Ärzteschaft lange nicht ausreichend informiert wurde. Montgomery:
„Wir hätten früher informieren müssen.
* EBM: Einheitlicher Bewertungsmaßstab
134 | Hessisches Ärzteblatt 3/2016
Wir hätten die Vertraulichkeit, die uns aufoktroyiert wurde, etwas rheinisch-katholischer sehen sollen.“
Montgomery ging auf Publikationen ein,
die darauf hinweisen, dass zahlreiche
Ärztekammervorsitzende in den Beiräten führender Versicherungskonzerne
sitzen und einen Interessenkonflikt unterstellen.
Diesen sehe er nicht, da der Beirat eine
Schutzfunktion für ärztliche Mitglieder
von Gruppenversicherungsverträgen habe. Dies führte zu Gejohle im Publikum.
In einem Grußwort bewertet der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Gassen,
die GOÄ-Novellierung positiv. Es gebe allerdings auch Sorgen. So dürfe es keine
„EBM*-isierung“ der GOÄ geben. Die Gebührenordnung müsse so gestaltet sein,
dass sie die Anforderung eines freien Berufes erfüllt.
Rochell findet diese Lösung unproblematisch, da Ärzte nicht überstimmt werden
können. Die erreichten Vereinbarungen
werden vehement verteidigt und die
mögliche Novellierung einer neuen GOÄ
als einmalige Chance für die Ärzte dargestellt.
Diese Position unterstützt Dr. med. Theodor Windhorst, Vorsitzender des BÄKAusschusses Gebührenordnung, beredt
und leidenschaftlich.
Als Vertreter einer kritischen Position
spricht Dr. med. Elmar Wille, Vizepräsident der Ärztekammer Berlin. Der Präsident der Berliner Kammer, Dr. med. Günther Jonitz, stellt fest, dass Wille die Position der Berliner Kammer vertrete.
Wille beginnt grundsätzlich. Er betrachtet
die von der Bundesärztekammer und der
PKV vorgeschlagenen Änderungen der
Bundesärzteordnung als fundamental:
„Sie ermöglichen dann die systematischen
Eingriffe in die GOÄ und das privatärztliche Behandlungsverhältnis.“
Aus Willes Sicht unterscheiden sich der
jetzt bestehende Zentrale Konsultationsausschuss fundamental von der geplanten
Gemeinsamen Kommission, die in der
Bundesärzteordnung verankert werden
soll. Der Zentrale Konsultationsausschuss
der aktuellen GOÄ sei ein von der Bundesärztekammer eingesetzter Beratungsaus-
schuss. Die Gemeinsame Kommission
aber wäre ein durch Gesetz geschaffenes
Gremium mit gesetzlichen Aufgaben.
Der bisherige Zentrale Konsultationsausschuss spricht ausschließlich Empfehlungen aus. Wenn man im Ausschuss sich
nicht einig ist, hat das letzte Wort die Bundesärztekammer, wie es bisher bei 30 Prozent der Abrechnungsfragen war. Dann
gibt es keine gemeinsame Abrechnungsempfehlung, sondern nur eine solche der
Bundesärztekammer.
In der Konzeption der Gemeinsamen
Kommission erlässt diese verbindliche
Vorgaben. Kommt im Ausschuss kein Einvernehmen zustande, hat das Bundesministerium das letzte Wort.
Ein weiterer Kritikpunkt von Wille ist
§ 1 Absatz 2 in dem neuen GOÄ Entwurf,
der festlegt:
Vergütungen darf der Arzt nur für Leistungen berechnen, (...) für deren Erbringung der Arzt nach Maßgabe des Weiterbildungsrechts grundsätzlich die fachliche
Qualifikation besitzt. Diese schließe
110.000 Kollegen ohne Facharztanerkennung von der Liquidation aus.
Wille sieht die neue GOÄ als Einstieg in die
Bedarfsplanung und Bürgerversicherung.
Er hält eine Gemeinsame Kommission nicht
für erforderlich und eine entsprechende
Regelung für rechtswidrig: Die Gemeinsame Kommission werde weiter eine Datensammelstelle, die halbjährlich die Honorarund Ausgabenentwicklung erheben solle.
Diese Daten sollen Grundlage für Empfehlungen der Gemeinsamen Kommission sein
zur Weiterentwicklung und Anpassung der
neuen GOÄ. Sein Fazit ist:
• Die GOÄ wird zum Steuerungs- und Planungsinstrument,
• mit bisher nie dagewesenem Einfluss
der Privatversicherungswirtschaft.
• Das Bundesministerium für Gesundheit
(BMG) und PKV übernehmen Kompetenzen der ärztlichen Selbstverwaltung.
• Die Ärztliche Berufsfreiheit wird weiter
eingeschränkt,
• die Ärztliche Approbation entwertet.
Dieser Vortrag führte erwartungsgemäß
zu heftigen Diskussionen. Von mehreren
Delegierten wurde betont, dass die Ausführungen Willes nicht korrekt seien und
Wille persönlich angegriffen.
Anschließend gab es einen Geschäftsordnungsantrag mit dem Ziel, dass der Präsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten (BDI), Dr. med. Wolfgang Wesiack, und der Bundesvorsitzende des
Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt,
Rederecht erhalten können. Dies wurde
nach kontroverser Diskussion positiv abgestimmt.
Wesiack sieht die Gemeinsame Kommission als ordnungspolitischen Sündenfall. Die
PKV könne damit in die GOÄ hineinregieren. Dies werde zu einer schlechten Regulierung führen. Die habe er in 30 Jahren im
GKV-System erlebt.
Weigeldt betont, dass die Hausärzte gemeinsam mit den Fachärzten eine modernisierte GOÄ wollen. Der Start eines bürokratischen Monsters mit Regulierungen sei
jedoch sehr problematisch. Für Hausärzte
seien multimorbide Patienten in der neuen
GOÄ noch nicht ausreichend abgebildet.
Dr. med. Susanne Blessing aus BadenWürrtemberg sieht, dass die Gemeinsame
Kommission Gröhe in die Hände spiele.
Die Drohung dass bei Ablehnung einer
neuen GOÄ eine Bürgerversicherung
komme sei ein Scheinargument. Wenn die
Politik sie will, werde sie kommen.
Dr. med. Andreas Scholz (Landesärztekammer Hessen) sieht den schwarzen Peter von der Politik geschickt zu den Ärzten verschoben. Die Gemeinsame Kommission sei allerdings grundsätzlich sinnvoll. Eine differenziertere Abstufung der
Gebührensätze (bisher einfach und doppelt geplant) sei wünschenswert.
Dr. med. Anja Dippmann (Ärztekammer
Berlin) weist darauf hin, dass die Datensätze der Datenstelle unter der Datenhoheit der PKV liegen. Es gäbe keine Sicherheit, dass es sich um vollständige Daten
handeln. Dies sei dann die Basis für wichtige Entscheidungen. Hier seien Nachverhandlungen nötig.
Rochell antwortet direkt und sagt zu, die
Daten zu prüfen und Mindestanforderungen zu definieren.
Windhorst verspricht, eine Inflationsindexierung der GOÄ nochmals anzuregen. Er
weist erneut darauf hin, dass die Entscheidungen der Gemeinsamen Kommission als
Empfehlung dem Gesundheitsministerium
vorgelegt werden und dieses entscheide.
Nach einer Pause ging es in die Abstimmung. Trotz erheblicher Bedenken
Foto: Manuel Maier
Ärztekammer
Impression vom Plenum des außerordentlichen
Deutschen Ärztetages in Berlin
stimmte die Mehrheit der Abgeordneten
dem Verhandlungsergebnis zu.
Dr. med. Matthias Lohaus (Ärztekammer
Berlin) et al. appellierten in einem kritischen Antrag an das Bundesgesundheitsministerium, den Vorstand der Bundesärztekammer und die Vertreter der Privaten
Krankenversicherungen das seitherige Ergebnis nachzubessern: „Dabei muss sichergestellt werden, dass die Freiberuflichkeit des Arztes in Klinik und Praxis uneingeschränkt erhalten bleiben und eine
ordnungspolitische Annäherung an Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vermieden und das individuelle Patienten-Arzt-Verhältnis nicht beeinträchtigt werden.“ Der Antrag (1–02)
wurde knapp mit 109 gegen 98 Stimmen
abgelehnt.
Danach wurde der Entschließungsantrag
des Vorstandes mit überwältigender
Mehrheit der Stimmen verabschiedet.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass
die Bedenken der niedergelassenen Hausund Fachärzte von der Mehrheit des Marburger Bundes nicht ernst genommen
wurden.
Die Atmosphäre war scharf im Ton, zeitweise vergiftet. Kritiker wurden mehrfach
persönlich verunglimpft. Dieses wichtige
Thema hätte eine sachlichere Atmosphäre
verdient gehabt.
Dr. med. Peter Zürner
Verantwortlicher Redakteur
des Hessischen Ärzteblattes
Hessisches Ärzteblatt 3/2016 | 135