Alexander Schwarz AG Staatsrecht I – Lösung: Fragen zur Gesetzgebung II – Frage 1 Verbands- und Organkompetenz stehen in einem Stufenverhältnis zueinander. In einem ersten Schritt legt die Verbandskompetenz fest, welcher Hoheitsträger, also Bund oder Länder, für den Erlass bestimmter Gesetze zuständig ist. Merke: Der erste Punkt in der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ist also stets die Frage nach der Verbandskompetenz des Hoheitsträgers. In einer zweiten Stufe bestimmt sodann die Organkompetenz, welche(s) der verschiedenen Verfassungsorgane des Bundes (z.B. Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung) bei Bundesgesetzen an der Gesetzgebung zu beteiligen sind. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern regelt das GG in den Art. 70-74 GG. Das eigentliche Verfahren der Gesetzgebung und der Beteiligung der Verfassungsorgane wird in Art. 76-82 GG geregelt. Frage 2 Die geschriebenen Gesetzgebungskompetenzen sind in Art. 70 ff. GG geregelt. Das Grundgesetz kennt zwei verschiedene Arten geschriebener Bundesgesetzgebungskompetenzen. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz (Art. 71, 73, 105 I GG): Nach der Legaldefinition des Art. 71 GG bedeutet ausschließliche Gesetzgebung, dass die darunter fallenden Materien dem Bundesgesetzgeber vorbehalten sind. Die Landesgesetzgeber sind nur zuständig, wenn und soweit ein Bundesgesetz ausdrücklich dazu ermächtigt. Die unter die ausschließliche Gesetzgebung fallenden Materien werden zunächst in Art. 73 GG aufgezählt. Es handelt sich um Materien, die entweder nur den Bund betreffen oder aus sachlichen Gründen bundeseinheitlich geregelt werden müssen. Der Katalog des Art. 73 GG ist nicht abschließend. Nach Art. 105 I GG hat der Bund auch die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole. Ferner fallen unter die ausschließliche Bundesgesetzgebung all diejenigen Materien, die nach den über das gesamte GG verstreuten Bestimmungen „durch Bundesgesetz“ näher zu regeln sind. Denn der Hinweis auf das Bundesgesetz indiziert zugleich die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers. 1 Alexander Schwarz AG Staatsrecht I Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Art. 72, 74, 105 II GG): Bund und Länder sind hier nebeneinander für bestimmte Regelungsmaterien zuständig. Wer unter welchen Voraussetzungen tätig werden darf, regelt Art. 72 GG. Nach der Legaldefinition des Art. 72 I GG haben im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Daraus und im Umkehrschluss zu den Regelungen in Art. 72 II, III GG ergibt sich die Kernkompetenz des Bundes. Sie lässt keine Abweichung durch die Länder zu. Die Bedarfskompetenz ist nach Art. 72 II GG in den dort aufgeführten Fällen nur zulässig, wenn und soweit sie zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ oder zur „Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit“ im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist. Nach der Abweichungskompetenz gemäß Art. 72 III GG können die Länder von den gesetzlichen Vorgaben des Bundes abweichen. Art. 72 III S. 3 GG formuliert dabei eine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 31 GG und modifiziert gleichzeitig den rechtsmethodischen Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“. Die von der konkurrierenden Gesetzgebung erfassten Materien werden in Art. 74 und Art. 105 II GG aufgeführt. Frage 3 Es werden drei Arten ungeschriebener Gesetzgebungskompetenzen des Bundes unterschieden (Degenhart, 2015, Rn. 181-185): Bundeszuständigkeit kraft Natur der Sache Diese wird bei Sachgebieten angenommen, wenn ein Gegenstand begriffsnotwendig nur durch Bundesgesetz geregelt werden kann. Kompetenzen kraft Natur der Sache können nur in äußerst engen Grenzen angenommen werden, nämlich wenn eine sinnvolle Regelung durch die Länder denknotwendig ausgeschlossen ist, weil die Frage für das Bundesgebiet nur einheitlich geregelt werden kann. Bsp.: Bestimmung der Bundessymbole (Flagge, Hymne), der Bundeshauptstadt und des Nationalfeiertags. Kompetenzen kraft Natur der Sache sind stets ausschließliche Kompetenzen. 2 Alexander Schwarz AG Staatsrecht I Annexkompetenzen Eine Annexkompetenz erweitert die Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes von ausdrücklich ihm zugewiesenen Kompetenzen auf Stadien der Vorbereitung und Durchführung, sofern diese in untrennbarem Zusammenhang stehen. Im Gegensatz zur Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, geht es hier nicht um die Ausweitung einer zugewiesenen Sachmaterie auf andere, nicht zugewiesene, aber verwandte Gebiete, sondern lediglich um die Ausdehnung einer zugeteilten Kompetenz und zwar gewissermaßen nicht „in die Breite“, sondern „in die Tiefe“ des Gegenstandes (Degenhart, 2015, Rn. 184). Bsp.: Bestimmungen über den Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Gefahrenabwehr bei Anschlägen auf den Luftverkehr = Annexkompetenz der Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Art. 73 I Nr. 6 „Luftverkehr“. Kompetenz kraft Sachzusammenhangs Von einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs spricht man dann, wenn eine Materie nicht sinnvoll geregelt werden kann, ohne dass der Gesetzgeber in eine andere, ihm nicht ausdrücklich zugewiesene Materie eingreift. Die Unterscheidung zur Annexkompetenz ist nicht ganz eindeutig, tatsächlich werden die Begriffe auch nicht immer klar geschieden (Degenhart, 2015, Rn. 183). Bsp.: Regelung der Wahlwerbung politischer Parteien: kompetenzbegründender Sachzusammenhang nach Art. 21 Abs. 3 GG. Frage 4 Ja, soweit hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt wird (Art. 71 GG). Frage 5 Nein, dies würde gegen die Kompetenzordnung der Art. 30, 70 ff GG verstoßen. Der Bund kann, wie sich im Umkehrschluss aus Art. 71 GG ergibt, auch nicht durch Landesgesetz ermächtigt werden, eine gesetzliche Regelung zu treffen. Frage 6 Überhaupt nichts, da weiterhin die Grundregel des Art. 30 GG über die Verteilung staatlicher Kompetenzen zwischen Bund und Ländern existierte, deren besondere Ausprägung Art. 70 GG für den Bereich der Gesetzgebung lediglich darstellt. 3 Alexander Schwarz AG Staatsrecht I Frage 7 Das hängt von der jeweiligen Regelungsmaterie ab. Im Bereich ausschließlicher Bundesgesetzgebungskompetenzen ist das Bundesgesetz gültig; im Bereich ausschließlicher Landeszuständigkeit ist das Landesgesetz gültig. Das im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung erlassene Bundesgesetz hat eine zeitliche Sperrwirkung („solange“) und eine sachliche Sperrwirkung („soweit“). Die zeitliche Sperrwirkung beginnt mit der Verkündung des Bundesgesetzes und endet mit dessen Aufhebung. In dieser Zeit wird zumindest widersprüchliches Landesrecht ungültig. Wird der Regelungsbereich durch Aufhebung des Bundesgesetzes wieder frei, dann lebt zwar die frühere landesrechtliche Regelung nicht wieder auf, aber der Landesgesetzgeber kann wieder gesetzgebend tätig werden. Umstritten ist, ob auch gleichlautendes Landesrecht von der Sperrwirkung erfasst wird. Die sachliche Sperrwirkung bezieht sich auf den Regelungsbereich. Wenn der Bundesgesetzgeber einen bestimmten Sachbereich abschließend geregelt hat, bleibt für den Landesgesetzgeber kein Raum mehr. Es ist aber durchaus möglich, dass sich der Gesetzgeber – stillschweigend oder ausdrücklich – auf einen Teilbereich beschränkt, so dass im Übrigen der Landesgesetzgeber weiterhin tätig werden kann. Ferner ist es möglich, dass der Bundesgesetzgeber Einzelfragen oder Teilbereiche ausklammert, etwa durch schlichte Nichtregelung, durch Vorbehalte zugunsten des Landesgesetzgebers oder durch Hinweis, dass landesrechtliche Regelungen unberührt bleiben sollen. Das Recht zur Abweichungsgesetzgebung (Art. 72 III GG) greift hier nicht ein. Denn ein komplett gleich lautendes Gesetz enthält gerade keine Abweichung. 4
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