Anlagenbau Chemie Pharma Ausrüster Planer Betreiber Einkäufer Manager ●● ●●● ● ●● ●●● Entscheider-Facts Branche Funktion Profi-Guide Automatisierung, Messtechnik Für Betreiber ●● ●● Ein Benchmarking liefert mehr als einen Vergleich mit anderen Anlagen. Es hilft auch unmittelbar bei der Ursachensuche. Relativ wenige Einzelursachen, eventuell außerdem voneinander abhängig, sind also für das Anlagenverhalten verantwortlich. Eine genauere Analyse der „Bad Actor“-Tags zusammen mit der Betriebsmannschaft hat sich als Einstieg in den Verbesserungsprozess bewährt. Nach der Analyse wurden viele Änderungen in oft inkrementellen Schritten vollzogen, um die Produktion nicht zu gefährden. Weniger Bedieneingriffe – weniger Stress in der Leitwarte Alles (gut) geregelt Um mit Verbesserungsmaßnahmen an der richtigen Stelle anzusetzen, sollte man zunächst herausfinden, wo man aktuell steht. Das gilt auch für die Automatisierung in der Prozessindustrie. Yokogawa bietet dazu mit dem Operational Performance Programme (OPP) einen Service zur benchmarkgestützten Steigerung der Automatisierungsleistung. Damit konnte in einer Anlage in Marl nach einem solchen Vergleich die Zahl manueller Eingriffe deutlich reduziert werden. ISP Marl betreibt im Chemiepark Marl eine Anlage zur Herstellung von 1,4-Butandiol mit einer Jahreskapazität von rund 100 kt. Dabei wird Acetylen, das durch Lichtbogenpyrolyse aus Flüssiggas entsteht, zunächst mit Formaldehyd zu But-2-in-1,4-diol umgesetzt und dieses anschließend katalytisch hydriert. Aus dem gesättigten Diol entstehen unter Einwirkung katalytischer Mengen Schwefelsäure, Tetrahydrofuran (THF) und Wasser. Die Aufarbeitung dieses Gemischs erfolgt in einer mehrstufigen Rektifikation bei unterschiedlichen Drücken. THF ist ein wichtiges Lösemittel für Kunstund Klebstoffe und Vorstufe des Faservorprodukts Polytetrahydrofuran (Polytetramethylenetherglykol). 1: Destillationskolonnen für die Aufarbeitung des THFWasser-Gemischs bei ISP Marl Bilder: ISP/Yokogawa Den Leidensdruck messbar machen 30 CHEMIE TECHNIK · Oktober 2015 Insbesondere die destillative Aufarbeitung in der im Jahr 2008 errichteten THF-Produktionsstraße stellte die Bedienmannschaft bislang immer wieder vor komplexe Aufgaben: Die automatische Regelung war häufig überfordert, sodass manuell eingegriffen werden musste. „Der Anlagenfahrer in der Leitwarte durfte die Kolonnen nicht aus den Augen lassen, weil wichtige Betriebsparameter sehr rasch schwankten und man nie wissen konnte, ob die nächste Schwankung dazu führte, dass die Kolonne den Gutbereich verließ“, erläutert Schichtmeister Andreas Hesker. Dann sei es oft schwierig und langwierig gewesen, wieder zum Normalbetrieb zurückzufinden. Diese qualitative Aussage sollte in einer ersten Projektphase quantitativ untermauert und damit einer detaillierten Analyse zugänglich gemacht werden. Auch die jüngst von der Namur herausgegebene NE 152 unterstreicht die Bedeutung „robuster und aussagekräftiger Zahlenwerte und Hinweise“ für ein erfolgreiches Regelgütemanagement. Zudiesem Zweck wurden im Frühjahr 2013 mehrere Wochen lang Prozessdaten aus dem Leitsystem bzw. dem PIMS (Plant Information Management System) 2 Umschaltungen AUTO/MAN je Operator u. Tag Automatisierung, Messtechnik 3 250 200 150 100 50 0 Zielwert gesammelt, mit denen das Benchmarking durchgeführt wurde. „Wir verfügen inzwischen über rund 500 anonymisierte Datensätze von Anlagen aus aller Welt. Daraus ziehen wir vergleichbare Anlagen für das Benchmarking heran“, beschreibt Ralf Tormöhlen, Vertriebsleiter bei Yokogawa, das Vorgehen. Die Befunde bestätigten den Eindruck des Betreibers: Sollwerte und Stellgrößen mussten überdurchschnittlich häufig angepasst werden, oft auch mehrfach. Besonders häufig – rund 65-mal je Tag und Operator – musste zwischen automatischem und manuellem Betrieb umgeschaltet werden. Dem stand ein Mittelwert aller relevanten Vergleichsanlagen von rund 40 gegenüber. Der statistische Zielwert – die Grenze von erstem (bestem) und zweitem Quartil aller Werte – lag bei zehn. Im Rahmen des OPP-Benchmarking werden auch weitere Parametergruppen ermittelt, die beispielsweise Rückschlüsse auf das Alarmverhalten entsprechend EEMUA 191, auf Nutzung und Verhalten von Reglern, Regelkreisgüte oder die Bedienbarkeit der Anlage zulassen. Diese Ergebnisse waren im vorliegenden Fall jedoch unauffällig. Den Ursachen auf der Spur Das Benchmarking liefert mehr als einen Vergleich mit anderen Anlagen. Es hilft auch unmittelbar bei der Ursachensuche. „Hinter jedem Performancewert steht eine Liste von sogenannten Bad Actors, also Tags, die hauptsächlich zum erhaltenen Ergebnis beitragen“, erklärt Tormöhlen. Analysiert man diese hinsichtlich der hauptsächlich relevanten Unterkategorien: ●● Anzahl Veränderungen für Sollwerte und Stellgrößen je Operator und Tag, ●● Wechsel zwischen manuellem und Automatikbetrieb je Operator und Tag, ●● Anzahl der Wiederholeingriffe je Regler, so fällt auf, dass einige Tags mehrfach auftauchen. Relativ wenige Einzelursachen, eventuell außerdem voneinander abhängig, sind also für das Anlagenverhalten verantwortlich. Insgesamt verursachen diese wenigen Tags ein Viertel bis ein Drittel aller Eingriffe, bei den Wiederholeingriffen sogar 100 %. „Aufgrund dieser Erkenntnis haben wir uns im August 2013 entschlossen, gemeinsam mit Yokogawa nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen“, erklärt Dr. Andreas Pruß, Plant Manager Butanediole. „Schon 2012 haben wir bei der Optimierung der Mittelwert Vergleichsanlagen Alarmsituation dank des systematischen Vorgehens sehr gute Erfolge erzielt. Gute Ideen externer Partner können bei solchen Vorhaben sehr hilfreich sein“, ergänzt er. Eine genauere Analyse der „Bad Actor“-Tags zusammen mit der Betriebsmannschaft hat sich als Einstieg in den Verbesserungsprozess bewährt. Dabei werden Verfahrens- und Methodenkompetenz verknüpft. Ganz in diesem Sinne hält auch die NE152 eine Beteiligung von Prozessleittechnik (PLT), Verfahrens-, Anlagen- und gegebenenfalls Advanced-Process-Control-Kompetenz (APC) an solchen Projekten für nützlich. In Marl nahm die Yokogawa-Regelungsexpertin Dr. Hong Lin diesen Faden im Frühjahr 2014 mit den Experten des Betriebs auf. Dirk Püthe, Leiter EMR bei ISP Marl, betont: „Vor allem durfte die laufende Produktion nicht beeinträchtigt oder gar unterbrochen werden. Alle geplanten Änderungen wurden daher im Vorfeld eingehend diskutiert und in ihren Auswirkungen analysiert.“ ISP Marl 2: Anlagenfahrer Maik König überwacht die THF-Rektifikation in der Leitwarte der ISP Marl 3: Ergebnisbeispiel des OPP-Benchmarking für die Anzahl der Wiederholeingriffe Die richtigen Stellschrauben finden Dr. Lin betont ausdrücklich: „Die Betriebsmannschaft hat entscheidenden Anteil am Projekterfolg. Ohne ihr Durchhaltevermögen, zum Beispiel bei den über Wochen oft während der Nachtschichten durchgeführten geplanten Auslenkungen vom Normalzustand, hätten wir das detaillierte Regelverhalten nicht verstehen können.“ Genau solche Sprungantworten brauchte Lin, um mit ihren Berechnungen zunächst die Basisregelung zu verbessern und dann auch Störgrößeneinflüsse zu verstehen. Nach der Analyse wurden viele Änderungen in oft inkrementellen Schritten vollzogen, um die Produktion nicht zu gefährden. Auch dieses Herantasten an eine praktikable Lösung habe allen Beteiligten viel Einsatz und Geduld abverlangt, so Lin. EMR-Techniker FranzJosef Löchteken gibt zu: „Manchmal hatte ich wegen der vielen Tests gegenüber den Anlagenfahrern fast ein schlechtes Gewissen.“ Der Regelung der Massen- und Wärmeströme in den Destillationsstufen kommt eine Schlüsselrolle zu. Die Komplexität dieser Flüsse wird bereits im Verfahrensschema deutlich, weil beispielsweise die Kondensationswärme der Leichtsieder der Hauptkolonne maßgeblich zur Heizung der Nebenkolonne dient. Der Rücklauf in die Hauptkolonne beeinflusst darüber hinaus entscheidend deren Wärmebilanz. Ein Nadelöhr sind die luftgekühlten Wärmeübertrager an beiden Kolonnen, deren Der Autor: Dr. Thomas Schmidt, freier Fachjournalist für Yokogawa CHEMIE TECHNIK · Oktober 2015 31 Automatisierung, Messtechnik Leichtsieder Hauptkolonne Abgas K-760 K-770 4: Verfahrensschema der letzten beiden Kolonnen der THF-Aufarbeitung bei ISP Marl FStickstoffzufuhr MDM Abgas 20barDampf WDM Nebenkolonne B-615 K-780 B-780 Produkt MDM WDM MDM B-760 MDM Kondensat WDM K – Kolonne B – Behälter WDM –Wirbeldurchflussmesser MDM – Massedurchflussmesser 4barDampf Kondensat MDM Ablauf mit Produkt B-615 Hochsieder Eine genaue Analyse der „Bad Actor“-Tags zusammen mit der Betriebsmannschaft hat sich als Einstieg in den Verbesserungsprozess bewährt TagName A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Leistung je nach Außentemperatur deutlich schwankt und damit witterungs- bzw. jahreszeitabhängig ist. Schließlich beeinflusst die Stickstoff-Dosierung in die Hauptkolonne wesentlich deren Kopftemperatur und damit das Trennergebnis. „Im Zuge des Projekts wurde klar, dass wir an einigen Stellen mehr Informationen benötigen, um das Prozessgeschehen besser zu verstehen“, erläutert Lin. Dazu wurden temporäre Messstellen eingerichtet, etwa für den Stickstoff-Fluss in die Hauptkolonne. „Diese Messung wird inzwischen dauerhaft durchgeführt, Bad Actors A Bad Actors B Veränderungen Sollwerte (SV) pro Tag u. Operator Rang Anteil [%] 10 2,81 1 8,22 VeränderungenStellgrößen (MV) pro Tag u. Operator Rang Anteil [%] 4 3 2 7 6 5 8 9 5,73 6,14 7,22 3,59 3,63 4,36 3,57 2,82 9 2,86 4 3,96 10 8 7 1 2 5 2,38 2,91 3,26 6,96 5,84 3,53 6 3,46 Bad Actors C Umschaltungen Wiederholeingriffe Auto/Man pro Tag je Regler u. Tag u. Operator Rang Anteil [%] Rang Anzahl 5 4,03 2 5,51 3 4,39 1 7,47 7 3,77 8 3,74 9 3,66 10 2,81 6 3,78 3 5,80 4 4,32 Gesamtsumme [%] Gesamtsumme [%] Gesamtsumme [%] 48,09 40,96 43,48 Summe* [%] 27,31 Summe* [%] 32,81 Summe* [%] 25,72 * Mehrfachnennungen Bewertung 3. Quartil Bewertung 4. Quartil 32 CHEMIE TECHNIK · Oktober 2015 Bad Actors D 5 14,90 9 1 10 11,16 18,93 9,83 6 4 8 7 13,54 15,12 12,60 13,34 3 15,47 2 17,12 Gesamtsumme 142,01 Summe* 142,01 ebenso wie die der Außentemperatur. Letztere bestimmt wesentlich die Leistung unserer Luftkühler und geht daher auch in einen Regelkreis ein“, erklärt Püthe. Einfach und kostengünstig ließen sich einige temporäre Messstellen drahtlos realisieren. Da weder Datenübertragung noch Energieversorgung Kabel erfordern, können solche Sensoren problemlos ein- und wieder ausgebaut werden; das ist besonders wichtig, wenn ein optimaler Messort erst ermittelt werden muss. Die Anlagenfahrer entlasten Im Oktober 2014 wurde das Projekt erfolgreich abgeschlossen. „Der Stress für die Anlagenfahrer der THFAufarbeitung ist deutlich geringer geworden. Der früher relativ schlechte Ruf dieses Arbeitsplatzes ist viel besser geworden“, betont Schichtmeister Hesker. Abgesehen von extremen Wettersituationen, etwa Gewittern, die mit heftigen Temperaturschwankungen einhergehen, habe sich der Betrieb stabilisiert. Das belegen auch Schwankungsprofile wichtiger Prozessparameter. „Meist kehrt der Prozess nach einer witterungsbedingten Auslenkung selbsttätig in den Normalzustand zurück. Lediglich Lastwechsel erfordern noch immer erhöhte Aufmerksamkeit“, ergänzt Betriebsleiter Pruß. Auch der Anfahrprozess konnte allerdings bereits mit einfachen Mitteln komfortabler gestaltet werden. Dazu dient eine Rampenfunktion, die zahlreiche Bedieneingriffe überflüssig macht. Auch EMR-Leiter Püthe ist zufrieden: „Wir haben eine zuverlässige und dennoch kostengünstige Lösung gefunden, die unsere Betriebsmannschaft spürbar entlastet und das Risiko von Fehlbedienungen deutlich senkt. Wir sind überzeugt, dass auch unsere Kunden diese weiter gestiegene Zuverlässigkeit unserer Produktion und Lieferfähigkeit positiv bewerten werden.“ l Hier geht’s zur Homepage des Anbieters: www.chemietechnik.de/1510ct601 oder QR-Code scannen.
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