Die Rede von OB Toni Vetrano im Wortlaut

Neujahrsempfang der Stadt Kehl
Oberbürgermeister Toni Vetrano
Sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete Kovac,
sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter Marwein,
sehr geehrter Herr Landtagsabgeordnete Stächele,
sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin Schäfer,
lieber Kollege Roland Ries,
liebe Frau Görög
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
liebe Gäste,
ich begrüße Sie ganz herzlich zum Neujahrsempfang der Stadt Kehl. Musikalisch
eröffnet wurde der heutige Abend von der Stadtkapelle Hanauer Musikverein unter
der Leitung von Markus Göpper.
Im Namen des Gemeinderates, der Ortschaftsräte, der Ortsvorsteher, der Stadtverwaltung und persönlich wünsche ich Ihnen ein gutes und vor allem friedvolles Jahr
2016. Ich freue mich, dass mit Ihnen viele Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt sowie zahlreiche Gäste der Einladung zum heutigen Neujahrsempfang gefolgt sind.
Ich freue mich zudem, dass unter uns heute Abend auch Menschen sind, die erst seit
wenigen Monaten bei uns in Kehl leben, die vor Krieg, Gewalt und Terror fliehen
mussten und auf schwierigen Wegen, teilweise unter Lebensgefahr, zu uns gekommen sind. Ich möchte Sie sehr herzlich bei uns in Kehl willkommen heißen.
Dass Sie sich bei uns in Kehl, Tausende von Kilometern von Ihrer Heimat entfernt,
an ein für Sie neues Leben gewöhnen müssen, nachdem Sie alles zurücklassen
mussten, was Ihr Leben bis dahin ausgemacht hat, zeigt bereits deutlich, dass 2015
kein Jahr war wie jedes andere.
Als ich auf den Tag genau vor einem Jahr hier vor Ihnen stand und meine erste Neujahrsrede als Kehler Oberbürgermeister hielt, waren wir erschüttert über das Attentat
auf das Pariser Satire-Magazin „Charlie Hebdo“, bei dem zwölf Menschen getötet
worden waren. Sie, lieber Roland Ries, und die anderen Straßburger Gäste, die sich
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zum Neujahrsempfang angekündigt hatten, nahmen zu dieser Zeit an einer Mahnwache auf dem Place Kléber teil.
Ich hatte in meiner Rede vor einem Jahr zu sagen geplant, dass der Krieg vor den
Toren Europas angekommen ist und war nach den schrecklichen Nachrichten aus
Paris versucht zu sagen, dass der Krieg in Europa angekommen ist. Am 7. Januar
2014 hatte ich dies noch als Frage formuliert.
Mit den neuerlichen Attentaten in Paris hat sich die Frage von damals leider von
selbst beantwortet. Konnte man sich vor einem Jahr vielleicht noch damit trösten zu
sagen: „Ich bin kein Karikaturist und ich kaufe auch nicht in koscheren Supermärkten
ein“, so ist spätestens seit dem 13. November 2015 klar, dass der Terror jede und
jeden, überall und jederzeit treffen kann. Französische Tageszeitungen haben in den
Tagen nach den Anschlägen den Opfern Namen und Gesicht gegeben, haben Alter
und Berufe der Getöteten veröffentlicht, um genau dies zu verdeutlichen:
Djamila Houd, 41, Verkäuferin.
Valentin Ribet, 26, Anwalt,
Guillaume Decherf, 43, Musikjournalist,
Manuel Dias, 63, Busfahrer,
Raphael Hilz, 28, Architekt, geboren in München.
Auch Kinder von Kehler Eltern studieren in Paris, auch Kehler Familien haben Verwandte und Freunde in Paris. Dass sie überlebt haben, ist dem Zufall geschuldet.
Konnte man noch glauben, dass das Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“
gegen die Pressefreiheit gerichtet war, dagegen, dass auch eine Religion Gegenstand von Karikatur und Persiflage sein darf, so hat uns der 13. November vor Augen
geführt, dass es noch um deutlich mehr geht: um unsere Art zu leben, unser Lebensgefühl, unsere Lebensfreude, um die Leichtigkeit des Seins. Die Terroristen haben
für ihre Anschläge offenbar bewusst nicht die Ziele ausgewählt, die vor allem Touristen anziehen, sondern Orte, an denen sich Menschen gerne treffen, die in Paris leben.
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Wir haben uns in Deutschland daran gewöhnt, im Frieden zu leben. Krieg und Terror
sehen wir in den Nachrichten und wir neigen dazu, uns damit zu beruhigen, dass die
Bomben weit weg von uns fallen und die Wahrscheinlichkeit eines SelbstmordAttentats bei uns sehr gering ist.
Paris jedoch ist ganz nah. Paris, das haben wir an den erhöhten Sicherheitsvorkehrungen beim Straßburger Weihnachtsmarkt gesehen, könnte auch Straßburg sein.
Zwar sind die Grenzkontrollen zwischen Straßburg und Kehl am 13. November wegen des Weltklimagipfels in Paris wieder aufgenommen worden, doch dass sie immer noch andauern und die Intensität, in der sie stattfinden, betrifft uns, beeinträchtigt unseren Alltag.
Kaum ein Abend, an dem Kehl nicht im Radio erwähnt wird: zwei Kilometer, drei Kilometer Stau vor der Europabrücke und dem Grenzübergang nach Straßburg – seit
Wochen erleben wir wieder, was nur die Älteren von uns überhaupt noch kennen und
was wir längst überwunden glaubten.
Die offene Grenze, die Freizügigkeit, die Leichtigkeit von einem Land ins andere zu
wechseln, den Grenzübertritt kaum noch wahrzunehmen, all das ist erst einmal vorbei. Viele Menschen, die nach Kehl zu Besuch kommen, sind fasziniert von der Möglichkeit, über die Passerelle nach Frankreich spazieren zu können, auf der Plattform
quasi mit einem Bein in Deutschland und mit dem anderen in Frankreich zu stehen.
Selbst im Garten der zwei Ufer, am Straßburger Ende der Passerelle, haben wir in
den vergangenen Wochen bewaffnete Grenzschützer gesehen.
Mit unseren gemeinsamen, grenzüberschreitenden Projekten versuchen wir seit vielen Jahren die Grenze durchlässiger zu machen und all denen den Alltag zu erleichtern, die ein grenzüberschreitendes Leben führen möchten. Und wir werden trotz allem nicht nachlassen.
Dass wir das Einschwimmen des zweiten Trambrückenteils erleben, während sich
auf der Europabrücke die Autos aufgrund von Grenzkontrollen zurückstauen, hätten
wir uns nicht träumen lassen. Umso bedeutender war jedoch dieser Brückenschluss.
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Mit Ihnen, lieber Roland Ries, gemeinsam am Mittag des 18. Dezembers auf dieser
Brücke zu stehen, hat mich tief berührt, hat mir Gänsehaut verursacht.
Und was für unsere Zusammenarbeit mit Straßburg gilt, das gilt auch in Kehl: Auch
wenn das Jahr 2015 uns in einer eher gedrückten Stimmung entlassen hat, werden
wir uns nicht entmutigen lassen, sondern mit Zuversicht an unseren Projekten weiterarbeiten und neue Herausforderungen angehen.
Wir sprechen in Kehl nicht von einer Flüchtlingswelle und schon gar nicht von einer
Flüchtlingskrise. Wir sprechen von neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die unter
uns leben. Wir nehmen die Herausforderung an, Möglichkeiten für die Erstunterbringung zu schaffen. Vor einem Jahr lebten 74 Geflüchtete in Kehl, heute sind es etwas
mehr als 400. Daran, dass wir diese Menschen in Wohnungen und Gebäuden aufnehmen konnten, dass sie nicht in Sporthallen und schon gar nicht in Zelten schlafen
mussten, haben viele einen Anteil.
Wir verfolgen bei der Stadt das Konzept der dezentralen Unterbringung und haben
damit bislang sehr gute Erfahrungen gemacht: Dadurch dass die Neuankömmlinge
auf das Stadtgebiet verteilt sind, sind sie sowohl in ihrer jeweiligen Nachbarschaft als
auch in den Schulen und den Kindertageseinrichtungen gut aufgenommen worden.
Dass wir in Kehl – ich glaube das so sagen zu dürfen – eine Willkommenskultur
schaffen konnten, ist in einem ganz hohen Maße denjenigen zu verdanken, die sich
in der Flüchtlingshilfe ehrenamtlich engagieren. Es sind in Kehl inzwischen mehr als
150 Frauen und Männer, die Flüchtlinge als Familien- oder Sprachpaten begleiten
und ihnen die ersten Schritte in einem für sie neuen Land, einer für sie neuen Kultur
erleichtern. Stellvertretend für sie alle möchte ich mich beim Initiator der Flüchtlingshilfe Kehl, Herrn Erich Jais, beim Leiter der Flüchtlingshilfe Kork, Herrn Rolf Berger,
beim Leiter der Flüchtlingshilfe Marlen, Herrn Gerhard Hermann sowie beim Ehepaar
Reinhard Sutter und Andrea Kranen-Sutter, das in Neumühl die Unterstützung für die
Flüchtlinge koordiniert, sehr herzlich bedanken.
Mein Dank gilt selbstverständlich auch den Kehler Kirchen, der Caritas, dem DRK,
der Bürgerstiftung, dem Türkisch-Islamischen Verein und allen weiteren Organisatio-
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nen, die sich in der Betreuung und bei der Begleitung unserer Neubürger engagieren.
Bedanken möchte ich mich auch bei den Schulleitungen, bei den Lehrerinnen und
Lehrern, bei den Erzieherinnen und Erzieherinnen, bei den Jugendsozialarbeiterinnen und Jugendsozialarbeitern, die in den Kehler Schulen, den Kindertageseinrichtungen und unseren Jugendhäusern den Kinder und Jugendlichen aus den Flüchtlingsfamilien das Gefühl geben, nicht nur aufgenommen, sondern auch angenommen
zu werden.
Dank sage ich auch den Hausbesitzern, den Vermieterinnen und Vermietern, die bereit waren, die neuen Mitbürger sowohl in der sogenannten Erst- als auch in der
Folgeunterbringung aufzunehmen. Und hier möchte ich einen Appell anschließen:
Wir haben in Kehl rund 60 Flüchtlinge, die aus Kriegsgebieten stammen und aus der
Enge der Erstunterbringung – 4,5 Quadratmeter pro Person – in Wohnungen umziehen dürften – wenn sie denn eine finden könnten. Wenn Sie selber eine leerstehende
Wohnung haben oder jemanden kennen, der eine Wohnung oder ein Haus vermieten
könnte, bitte melden Sie sich bei uns, bitte sprechen Sie Haus- oder Wohnungsbesitzer an. Um die Miete brauchen Sie sich nicht zu sorgen – Mieten in angemessener
Höhe werden vom Landratsamt bezahlt.
Ein Dankeschön möchte ich darüber hinaus den Nachbarn aller unserer Flüchtlingsunterkünfte sagen, seien es einzelne Wohnungen oder seien es ganze Häuser. In
ihrer überwiegenden Mehrzahl haben Sie Ihre neuen Nachbarn gut aufgenommen,
häufig sogar begrüßt, eingeladen oder mit Handreichungen unterstützt. Sie haben
auf Fragen geantwortet, Einkaufsmöglichkeiten gezeigt, notwendige Gegenstände
organisiert, kleine Besorgungen erledigt – im nachbarschaftlichen Rahmen Hilfe geleistet. Und Toleranz gezeigt, wenn manche bei uns selbstverständliche Dinge nicht
von Anfang an so glatt gelaufen sind, wie wir uns das wünschen.
Aber auch das gehört eben dazu: dass die Neuankömmlinge die Chance erhalten,
unsere Regeln zu erlernen. Integration ist ein Prozess, für den es genau genommen
keinen Anfang und kein Ende gibt. Integration ist ein lebenslanger Prozess und geschieht in wechselseitiger Beziehung. Integration kann man nicht bauen, basteln,
konstruieren und schon gar nicht als Zustand definieren oder von oben verordnen.
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Integration muss gelebt werden, indem beide Seiten die Bereitschaft zeigen, sich für
den Anderen und das Andere zu öffnen.
Natürlich gibt es Integrationsindikatoren: Wir erwarten von den Menschen, die bei
uns leben möchten, dass sie unsere Sprache lernen, unsere Schulen besuchen, einen Beruf erlernen, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und unsere kulturellen
Werte achten. Diese Integrationsindikatoren sind aber nicht eindimensional, sondern
werden in wechselseitiger Beziehung gelebt und umgesetzt. Wenn wir es ernst meinen mit Integration, dürfen und müssen wir den Respekt von Werten und Regeln einfordern, gleichzeitig aber selber offen sein für andere Kulturen, Sitten und Bräuche.
Offen sein bedeutet dabei auch, nicht die Ausländer, die Flüchtlinge, die Moslems,
die Franzosen, Italiener, Spanier oder Afrikaner zu sehen – schließlich wollen wir
auch nicht als die Deutschen für alles verantwortlich gemacht werden, was manche
unserer Landsleute tun. Offen sein heißt, den einzelnen Menschen zu sehen oder
die Clique, die Kleingruppe – und unabhängig von Herkunft und Nationalität das
jeweilige Verhalten zu beurteilen. Im Gespräch mit Menschen mit Migrationshintergrund werden Sie immer wieder feststellen, dass diese sich nur das eine wünschen:
die gleichen Rechte und Pflichten zu haben wie die Einheimischen und genauso behandelt zu werden wie die Einheimischen: mit allen positiven und negativen Konsequenzen.
1955 – vor 60 Jahren, als das erste Anwerbeabkommen mit Italien vereinbart wurde,
1960 mit Griechenland, 1961 mit der Türkei – hat kaum jemand an mediterranes Essen, Pizzerien, griechische oder türkische Restaurants gedacht. Heute sagen wir
gerne „Dolce Vita“, „Savoir vivre“, unser Lebensgefühl ist nicht mehr ausschließlich
deutsch. Und die Experten weisen uns nach, dass wir ohne die sogenannten Gastarbeiter von damals unseren heutigen Wohlstand nicht hätten. Die heutige Flüchtlingssituation ist eine große Herausforderung – keine Frage – und eine große Chance
zugleich.
Kehl ist eine bunte Stadt und war es längst, bevor Flüchtlinge in größerer Zahl bei
uns angekommen sind: In Kehl leben Menschen aus 125 Nationen friedlich zusammen. Wir schrieben noch das Jahr 2014, als wir uns vorgenommen haben, das bunte
Kehl in der Jahresschrift 2015 zum Hauptthema zu machen. Wir haben mit Menschen unterschiedlicher Herkunft gesprochen, Menschen, die unterschiedlich lange
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in unserer Stadt leben und verschiedene Erfahrungen gemacht haben. Wir haben in
Kindertageseinrichtungen, Schulen, Unternehmen und Vereinen nachgefragt, welche
Herausforderungen und Möglichkeiten die kulturelle Vielfalt mit sich bringt und dabei
festgestellt: Die Chancen überwiegen, wenn man bereit ist, sie zu nutzen. Und: In
Kehl lässt es sich auch deshalb gut leben, weil die Stadt so bunt ist.
Vielleicht nehmen die Kehlerinnen und Kehler Menschen aus anderen Ländern und
Nationen auch deshalb so offen auf, weil sie selber Fluchterfahrungen haben oder
diese zumindest aus Erzählungen in ihren Familien kennen. In der Jahresschrift, die
Sie wieder druckfrisch draußen im Foyer mitnehmen können, berichten Zeitzeugen
darüber, wo und wie sie die Zeit von der Evakuierung im November 1944 bis zu ihrer
Rückkehr 1953 verbracht haben. Auch Ihnen, die Sie sich geöffnet und von Ihren
Erinnerungen berichtet haben, damit uns diese erhalten bleiben, möchte ich an dieser Stelle herzlichen Dank sagen.
In der Jahresschrift finden Sie natürlich auch die übliche Chronik der Ereignisse, die
uns aus städtischer Sicht im vergangenen Jahr bemerkenswert erschienen sind.
Manchmal staunt man, wenn man durch die vielen Seiten blättert, selber, was zum
einen geschehen ist, was aber zum anderen auch gearbeitet wurde, um unsere Stadt
voranzubringen.
Ich möchte es Ihnen aus zeitlichen Gründen ersparen, an dieser Stelle aufzulisten,
welche Entscheidungen der Gemeinderat in den 13 Sitzungen 2015 getroffen hat –
dazu kamen zehn Sitzungen des Technik- und sieben Sitzungen des Verwaltungsausschusses. Die Sitzungen der Aufsichtsgremien städtischer Gesellschaften und
Arbeitskreise habe ich dabei gar nicht mitgezählt. Insgesamt haben die Gemeinderäte im zurückliegenden Jahr 236 Beschlüsse gefasst. Im Doppelhaushalt für
2015/2016 sind insgesamt knapp 54 Millionen Euro an Investitionen vorgesehen –
Sie sehen, ich könnte allein damit problemlos eine abendfüllende Rede gestalten.
Das möchte ich Ihnen nicht zumuten und nur stellvertretend auf ein paar wenige
Großprojekte eingehen, die unsere Stadt verändern werden:
Die Tram wird kommen: Die neue Rheinbrücke gibt davon unübersehbar
Zeugnis. Nächstes Jahr werden unsere Gäste aus Straßburg zwar noch nicht
mit der Tram zum Neujahrsempfang kommen können – aber im Frühjahr
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2017, so hoffen wir, wird sie Kehl und Straßburg staufrei und umweltfreundlich
verbinden.
Fast ebenso unübersehbar haben die Erschließungsarbeiten für das Baugebiet Schneeflären begonnen, für die die Stadt insgesamt 6,9 Millionen Euro
aufwendet: Dort, wo heute gebaggert und gegraben wird, sollen im Endausbau 800 Menschen in neuen Wohnformen zusammenleben. Zum ersten Mal in
Kehl bietet die Stadt sogenannten Baugruppen die Möglichkeit, gemeinsam ihren Traum von der eigenen, individuell gestalteten Wohnung zu verwirklichen.
Der Zusammensetzung solcher Baugruppen sind keine Grenzen gesetzt: Hier
können sich Familien mit Kindern finden oder auch Gruppen, die generationenübergreifende Wohnformen verwirklichen möchten. Sollten Sie einen solchen Traum träumen: Suchen Sie sich Partner und melden Sie sich bei uns.
Eine solche Chance kommt nicht wieder.
Deutlich sichtbar sind die Arbeiten am historischen Gebäude der TullaRealschule: Seit April wurde hier vor allem abgerissen und entkernt, gegen
Ende des Jahres wurden im Innern aber auch schon die ersten schrägen
Wände sichtbar, die dieses Bildungs- und Kulturzentrum prägen werden, wenn
Musikschule, Volkshochschule, Jugendkunstschule und das städtische Kulturbüro eingezogen sein werden. Freuen dürfen wir uns darüber hinaus auf einen
neuen Veranstaltungsraum mit Platz für etwa 130 Zuschauer und ein Kulturcafé, das sich zum Blumenplatz hin öffnen wird. Wenn alles glatt läuft, bleibt der
Stadt ein Eigenanteil von 3,4 Millionen Euro an den Baukosten von voraussichtlich 6,3 Millionen Euro.
Parallel dazu arbeiten wir an einer Kulturkonzeption, deren Entstehungsprozess von einer externen Moderatorin begleitet wird und bei dem sowohl Kulturschaffende als auch Kulturinteressierte einbezogen werden. Der erste
Workshop hat bereits stattgefunden, der nächste wird im März folgen. Die
Konzeption soll etwa zeitgleich mit dem Kultur- und Bildungszentrum fertig
sein.
Fast schon zur Selbstverständlichkeit ist es geworden, dass die Stadt jedes
Jahr Millionen in den Neu-, Aus- und Umbau sowie in die Sanierung von Kindertagesstätten investiert. Zwar sind die Baustellen, weil sie sich über das
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Stadtgebiet verteilen, kleiner und unauffälliger als die Trambrücke, insgesamt
für die Stadt aber nicht weniger kostspielig: 8,8 Millionen Euro gibt die Stadt
von 2015 bis 2017 dafür aus – die Baukostenzuschüsse an die Kirchen sind
hier mitgerechnet. Die Investitionen sind dabei jedoch nur ein Teil: Schon heute wendet die Stadt für den Betrieb der Kindertageseinrichtungen jedes Jahr
sieben Millionen Euro auf. Die neuen, bereits festgeplanten Gruppen im Elisabethen-Kindergarten, in Sundheim und Goldscheuer sind in dieser Summe
noch nicht enthalten.
Ich könnte die Liste weiter fortsetzen, möchte es aber damit bewenden lassen, weil
allein schon diese Projekte zeigen, worum es uns in der Stadtpolitik geht: Wir wollen
Kehl als eine Stadt weiterentwickeln, in der man gerne lebt und arbeitet. Deshalb
setzen wir die Schwerpunkte bei Bildung und Familienfreundlichkeit, Wirtschaftsförderung und Energie, Integration und Generationengerechtigkeit, Wohnen und Mobiliät.
Damit wollen wir junge Eltern dabei unterstützen, Familie und Beruf vereinbaren zu
können und dazu beitragen, dass unsere Unternehmen die qualifizierten Arbeitskräfte finden, die sie für immer komplexere Produktionsprozesse und Dienstleistungsaufgaben benötigen. Wenn junge Paare und Eltern in Kehl für sich eine Perspektive sehen, dann gewinnen alle, dann sichert das unsere Zukunft.
Bei allem Engagement in diesem Bereich werden wir nicht diejenigen vergessen, die
die in den vergangenen Jahrzehnten das Grundgerüst unserer Gesellschaft bildeten
und unseren heutigen Wohlstand erarbeitet haben. Unsere Seniorinnen und Senioren sollen sich in Kehl wohl und geborgen fühlen, sie sollen aber auch weiterhin aktiv
am gesellschaftlichen Leben in der Stadt teilnehmen können. Ich glaube sagen zu
können, dass wir auf einem guten Weg sind – ich denke dabei an den Einbau des
Seniorenbüros ins Erdgeschoss der Stadthalle für 280 000 Euro – ich denke dabei
aber auch an die Fußverkehr-Checks und das Inklusionsprojekt, bei dem in Kork Beispielhaftes geleistet wurde.
Wenn es uns gelingt, unsere Stadt fußgängerfreundlicher zu machen, dann nutzt das
älteren Menschen genauso wie Menschen mit Behinderungen und Eltern mit Kinderwagen; wenn wir das Korker Inklusions-Modell im gesamten Stadtgebiet leben, dann
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bedeutet dies, dass jeder und jede in unserer Stadt ihren Platz findet und in seiner
oder ihrer individuellen Einzigartigkeit angenommen wird.
Fußverkehrs-Checks und Inklusion sind auch insofern wichtige Stichworte, weil beides nur mit Engagement von Bürgerinnen und Bürgern zu leisten war. Am Korker
Inklusionsmodell haben die Einwohner und Einwohnerinnen der Ortschaft von Anfang an mitgearbeitet, mitgestaltet, Projekte entwickelt und umgesetzt und sich sogar
in einem Verein selber organisiert. Bei den Fußverkehrs-Checks haben wir Menschen zur Beteiligung eingeladen und sogar regelrecht aufgefordert, weil sich zu unserer Überraschung nur sehr wenig gemeldet hatten.
Wir haben Bürger-Informationsabende veranstaltet, zum Baugebiet Schneeflären,
zum Mobilitätskonzept, zum Bus-Rendezvous am Rathaus, es haben Workshops –
wie erwähnt zur Kulturkonzeption – aber auch zum Thema Integration, Bildungslandschaft Kreuzmatt und zur Schulentwicklung stattgefunden. Wir sind mit interessierten
Bürgerinnen und Bürgern in der Innenstadt Rad gefahren, um neuralgische Punkte
im Radwegenetz zu identifizieren und Verbesserungsvorschläge aufzunehmen. Darüber hinaus haben wir uns mit verschiedenen Bürgergruppen getroffen, die besondere Anliegen hatten: die künftige Verkehrslenkung in der Innenstadt, die Stadtentwicklung oder die Möglichkeiten der künftigen Bebauung im Kronenhof.
Natürlich könnte man immer noch mehr machen. Das gilt für die Bürgerbeteiligung,
das gilt für die Erledigung städtischer Aufgaben und es gilt für die Investitionen der
Stadt. Es darf immer ein bisschen mehr sein – das liegt in der Natur des Menschen.
Doch wie im Privatleben auch, ist es auch der Stadt nicht möglich, alle Wünsche
zeitgleich erfüllen zu können. Wir müssen – wie die Privathaushalte auch – unsere
Vorhaben strecken. Dennoch wünsche ich mir manchmal mehr Respekt vor dem,
was wir bereits erreicht haben und vor all den Vorhaben – ich habe einen Teil davon
genannt –, die in unserer Stadt im Entstehen sind. Es geht uns in Kehl sehr gut – und
das ist keine Selbstverständlichkeit.
Das Gefühl, das mich dabei umtreibt, hat Bob Hanning in einem Interview mit der
Mittelbadischen Presse treffend in Worte gefasst: Er habe das Gefühl, sagte er,
„dass nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht“. In den Diskussionen in
den sozialen Netzwerken und manchmal auch in der Stadt geht es häufig nicht mehr
um nachprüfbare und belastbare Fakten; es reicht, dass Gerüchte in die Welt gesetzt
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und weiterverbreitet werden, um eine – vorsichtig ausgedrückt – negative Stimmung
zu erzeugen, Schimpftiraden auszulösen oder einfach alles schlecht zu reden.
Was das Erreichte in Kehl angeht, schließe ich das Jahr 2015 mit einem positiven
Gefühl ab und blicke zuversichtlich in das noch junge Jahr 2016. Wir haben in dieser
Stadt vieles gemeinsam geschafft – und das zählt für mich.
Dass dies gelingen konnte, dazu haben viele Menschen einen Beitrag geleistet. Und
dies, ohne dass es ihr Job wäre oder sie dafür bezahlt werden. Mein Dank gilt
allen, die sich ehrenamtlich in irgendeiner Form für das Gemeinwohl in unserer Stadt einsetzen;
den Frauen und Männer, die in der Kernstadt und den Ortsteilen in der freiwilligen Feuerwehr Dienst tun und auch nachts oder an Feiertagen zu Einsätzen
gerufen werden – 2015 war dies mehr als 400 Mal der Fall;
den Vorständen und Übungsleitern in den Vereinen.
Mein Dank gilt jedoch auch den Unternehmern und Einzelhändlern in unserer Stadt,
die durch ihr Wirken Garant für unsere wirtschaftliche Stabilität sind.
In diesem Sinne möchte ich Ihnen allen noch einmal ein gutes neues Jahr wünschen.
Nutzen Sie diesen Abend für persönliche Begegnungen und bereichernde Gespräche – Begegnung und Gespräch sind unverzichtbar für ein fried- und verständnisvolles Miteinander.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich darf nun meinem Kollegen Roland Ries das Wort erteilen.
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