ImmobilienStandard
I4
Sa./So., 22./23. August 2015
ABBRUCH VON GEBÄUDEN RESSOURCEN UND SCHADSTOFFE
Altes Zollamt: „Eine der größten
Asbest-Baustellen Wiens“
Entfernung dauert vier Monate, dann wird abgerissen
Franziska Zoidl
Foto: BIG/Kolarik
Wertstoffe und Schadstoffe
Mehrere Hundert Abbrüche kommen jedes Jahr allein
in Wien vor – genaue Zahlen darüber gibt es aber nicht.
Dass der Bauschutt wertvolle Materialien beinhaltet und
somit als „Wertstoffquelle“ dient, hat jüngst eine Studie
neuerlich belegt. Das Re- ist aber oft ein Downcycling.
Martin Putschögl
Die gute alte Abrissbirne: Sinnbildlich steht sie für den Abbruch
eines Gebäudes. In der Praxis
aber, sagt Zeljko Vocinkic, wird
sie heute nur noch selten verwendet. „Die Birne erzeugt unkontrollierte Erschütterungen. Man knallt
damit gegen eine Wand, die stürzt
ein und zerfällt in große Betonbrocken.“ Mit der Betonzange
oder dem sogenannten Sortiergreifer hingegen zwicke man sich
einen Gebäudeteil nach dem anderen in der gewünschten Länge
„wie mit einer Schere herunter“.
Vocinkic ist Geschäftsführer
der Firma Prajo & Co, und diese ist
oft mit dabei, wenn es in Wien und
Umgebung etwas abzureißen gibt.
In 18 Jahren waren das bisher
„rund 4000 Objekte“, zuletzt etwa
so prominente wie die alte AUAZentrale in Favoriten, die PostZentrale beim Rochusmarkt oder
das Hanappi-Stadion.
Abbrüche kommen in Wien also
durchaus zahlreich vor. Wie oft
genau, weiß selbst die Stadt nicht.
Abbrüche müssen nämlich nicht
genehmigt, bloß angezeigt werden. Zahlen der größeren Abrissfirmen lassen auf mehrere Hundert pro Jahr schließen.
Fritz Kleemann arbeitet an der
Verbesserung des Datenmaterials.
Der Doktorand am Christian-Doppler-Labor für anthropogene Ressourcen der TU Wien ist Mitautor
der vor wenigen Wochen veröffentlichten Studie „Hochbauten
als Wertstoffquelle“, die in Kooperation mit Stadtbaudirektion und
MA 22 erstellt wurde. Die mangelhaften Daten waren ihm ein Dorn
im Auge, nun arbeitet er an einer
verlässlichen Basis mithilfe sogenannter Orthofotos.
Bares Geld im Bauschutt
Die Studie zeigte jedenfalls,
dass der Anteil mineralischer Materialien an der Wiener Gesamtbaumasse bei 94 bis 98 Prozent
liegt. Dennoch könnten, abhängig
von der Gebäudegröße, auch metallische oder organische Materialien in durchaus bedeutenden
Mengen vorkommen. Und diese
lassen sich zu Geld machen: Eisen
kann um 86 Euro je Tonne, Aluminium für 635 Euro je Tonne verkauft werden. Ein lukratives Geschäft für Abbruchfirmen, von
dem Auftraggeber oft gar nichts
wissen (wollen). Was das begehrte Kupfer (3865 Euro pro Tonne)
betrifft, stieß Kleemann überhaupt auf ein „Mysterium“: Das
Material kam in den Statistiken
der Abbruchfirmen gar nicht vor.
Kleemann berichtet, dass der
Großteil der Baurestmasse – Be-
ton- und Ziegelreste – „in die Begrünung“ geht, sprich: Daraus
werden Dachsubstrate hergestellt,
die zur Bewässerung der Pflanzen
auf begrünten Flachdächern wertvolle Dienste leisten. Feiner Ziegelsand landet später aber auch
auf Tennisplätzen. „Leider findet
meist ein Downcycling statt“, kritisiert er. „Das Material wird nicht
wieder-, sondern weiterverwertet“ – oft im Unterbau von Straßen.
Für den Abbruch selbst gibt es
strikte Vorschriften, unter anderem in der erst kürzlich erlassenen
neuen Recycling-Baustoffverordnung, die am 1. Jänner 2016 in
Kraft tritt (und eine Verordnung
von 1991 ablöst).
Wie läuft so ein Abbruch nun
genau ab? „Am Anfang findet eine
Schadstofferkundung in Form eines Gutachtens statt“, erklärt Vocinkic. „Falls vorhanden, werden
diese Schadstoffe anschließend
saniert.“ Das ist relativ häufig der
Fall, denn neben dem gefürchteten Asbest (siehe Artikel rechts)
oder teerhaltigen Materialien gehören da etwa auch Neonröhren
dazu. „Bei einem Stahlbetonbau
aus den 50er-Jahren mit Flachdach ist damit zu rechnen, dass es
eine Dämmung gibt, die als gefährlicher Abfall einzuordnen ist.“
Beim anschließenden „Rückbau“
werden Möbel, Teppiche und Böden entfernt, bis nur noch die
Außenhülle und die Tragsysteme
übrig bleiben. „Die Fenster nehmen wir nicht raus, denn sonst
gibt’s beim Abbruch einen Durchzug, und es staubt in alle Richtungen.“ Und dann kommen Zange
und Greifer zum Einsatz.
Foto: Zoidl
Die BIG startete
kürzlich beim
Justizgebäude
Salzburg mit
dem Abriss
eines Traktes
aus den
70er-Jahren.
Dort, wo heute noch das alte
Zollamtsgebäude steht, in der
Schnirchgasse 9 in Wien-Erdberg,
sollen sich bis 2018 drei Türme
100 Meter in die Höhe schrauben.
Im Projekt „Triiiple“ soll dann gewohnt, geshoppt und gearbeitet
werden.
Seit mehr als einem Jahr steht
das Zollamt nun schon bis auf ein
temporäres Lokal leer, der Weg ist
aber noch weit: Etwa vier Monate
wird es allein dauern, bis sämtliche Schadstoffe entfernt sind.
„Bei der Schnirchgasse handelt es
sich um eine der größten AsbestBaustellen, die es in Wien noch
gibt“, sagt Heinz Kropiunik, Ziviltechniker und Abbruchexperte,
der mit seinem Unternehmen
Aetas das Projekt betreut.
Asbest – einst als unverwüstliches „Wundermaterial“ beim
Hausbau verwendet – darf in Österreich schon seit 1990, EU-weit
seit 2005 nicht mehr verwendet
werden. Denn werden die Fasern
eingeatmet, kann das noch Jahrzehnte später zu Krebs führen.
Auf der Suche nach Schadstoffen in Gebäuden wird akribisch
vorgegangen, historische Unterlagen werden durchforstet, und es
wird nach Hinweisen gesucht, die
auf die Verwendung bestimmter
Stoffe deuten: „Man versucht das
Gebäude bautechnisch zu begreifen“, erklärt Kropiunik. Dann werden Proben genommen, die im Labor analysiert werden.
Im Keller des Zollamtsgebäudes
wurde Kropiunik fündig: 4000
Quadratmeter Spritzasbest wurden hier einst als Wärmeschutz
verbaut. Demnächst soll mit der
Entfernung begonnen werden.
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Das wird dauern: Das Gebäude
muss abgeschottet, Schleusen
müssen eingerichtet werden. Arbeiter müssen Atemschutz tragen
und dürfen höchstens zwei Stunden am Stück tätig sein. Dann
müssen sie eine halbe Stunde Pause machen. Bei der Entfernung des
Asbests wird ein Vakuumsauggerät
eingesetzt, das Unterdruck erzeugt.
Sind diese Arbeiten abgeschlossen, muss alles gereinigt werden:
„Das ist einer der wichtigsten
Arbeitsschritte“, sagt Kropiunik.
Standardmäßig gebe es danach
eine Fremdkontrolle und eine Luftmessung. Das Asbest wird dann mit
Zement und Wasser gebunden und
entsorgt. All das sollte bis Anfang
2016 abgeschlossen sein. Dann
wird mit dem Abriss begonnen,
sagt BIG-Sprecher Ernst Eichinger.
Problem bei Wohnhäusern
Das Thema Asbest ist mit dieser
Großbaustelle aber noch lange
nicht beendet, sagt Kropiunik: Der
Stoff kam auch bei PVC-Böden
und in Nachtspeicherheizungen
zum Einsatz. Und es gebe nach
wie vor eine beträchtliche Zahl an
privaten Wohnhäusern mit Asbestzement auf Dächern und Fassaden: „Ich fürchte, dass das eine
der größten Herausforderungen
der Zukunft ist, was die Asbestentsorgung betrifft.“
Immer wieder würden nichtsahnende Heimwerker Hand anlegen und damit ihre eigene Gesundheit und jene ihrer Nachbarn
gefährden.
Außerdem
seien
schwarze Schafe in der Branche
unterwegs, die den Schadstoff
nicht sachgerecht entfernen. Langsam steige die Sensibilität aber:
„Bei uns rufen immer mehr Private an, die sich informieren.“
Wenn alles
nach Plan läuft,
ist das alte
Zollamtsgebäude mit
Jahresanfang
2016
Geschichte. Bis
es so weit ist,
muss im Keller
aber noch
Spritzasbest
in mühsamer
Kleinarbeit
entfernt
werden.
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