. NR. 140 . SAMSTAG, 20. JUNI 2015 SEITE 4 Rheinland Pfalz extra Wettbewerb der Vegetationen (von oben links im Uhrzeigersinn): Im Naherholungsgebiet Ortelsbruch nahe Morbach können Wanderer von einem Steg aus verfolgen, wie sich Moose einen Lebensraum erkämpfen. Wo viel Wasser im Boden steht, wächst Moos. Sobald das Licht fehlt – wie unter einem Steg – haben es die Moose schwer. In einem Gebiet im Nationalpark Hunsrück-Hochwald am Erbeskopf haben Mitarbeiter im Life-Moore-Projekt Gräben am Rande Fotos: Sascha Ditscher einer Quelle mit Holzhackschnitzeln und Sägespänen verfüllt und mehrere Spundwände in den Boden gerammt. Das Wasser fließt in die Fläche. Langsam entsteht hier wieder eine Moorlandschaft. Die Moore – Heimat für seltene Sensibelchen Naturserie Bei einer Wanderung durch die Brücher im Hunsrück können aufmerksame Beobachter sehr vielfältige Lebensräume entdecken Von unserem Redakteur Christian Kunst M Hunsrück. Dann tut er es doch: Roland Schmidt, Ranger im Naturpark Hunsrück-Hochwald, steigt über das Geländer des Moorlehrpfades im Ortelsbruch bei Morbach. Ganz vorsichtig setzt er erst den einen, dann den anderen Fuß auf die sattgrüne Moosdecke. Sie trägt. Doch Schmidt sorgt sich nicht, dass ihn seine Nachkommen in einigen Jahren als Moorleiche in dem Naherholungsgebiet ausgraben müssen. Dafür ist der Bruch, wie die Hunsrücker das Moor nennen, hier nicht tief genug. Eineinhalb Meter mächtig haben sich die abgestorbenen Moosreste aber auch hier über Jahrhunderte aufgetürmt. Sollte er im Torf einsinken, wäre der Weg aus dem Moor sicherlich beschwerlich. Doch Schmidts große Vorsicht hat andere Gründe: Er will das hochsensible Torfmoos, auf das er tritt, so wenig wie möglich beschädigen. Trotzdem reißt er dann ein kleines Büschel aus dem grünen Teppich. Zu Lehrzwecken, versteht sich. Dann wringt er es wie einen Spülschwamm aus. Eine ganze Ladung Wasser spritzt auf den Holzsteg. Man staunt. So viel Wasser in so wenig Moos. „Torfmoos kann fast das Zehnfache seines eigenen Gewichts an Wasser speichern. Das Moos ist die Mutter der Moore. Es gibt in RheinlandPfalz etwa 20 nachgewiesene Ar- ten, die im Grunde alle auf der Roten Liste stehen.“ Wer sich das Büschel Moos in Schmidts Hand näher anschaut, der versteht, wie er das mit der Mutter meint. Denn sattgrün ist das Moos nur noch im oberen Bereich. Unten ist es braungrün. Abgestorbenes Moos. So entsteht Torf. Schicht für Schicht. Der Nachwuchs des Moors. Speicher riesiger Mengen sauren Wassers und Kohlenstoffs. Nur wenige Arten können damit leben. Boden ist nährstoffarm und sauer „Wasser“, sagt Roland Schmidt, als er auf dem 400 Meter langen Steg durch den Ortelsbruch geht, „ist die Lebensader des Moors. Doch wenn man das Wasser sieht und es sogar fließen hört, dann ist es schlecht für das Moor.“ Was das bedeutet, kann man nur einige Meter entfernt von der Stelle, wo Schmidt auf das Moos gestiegen ist, beobachten. Dort gluckert das Wasser in einem Bach den Hang herunter. Was den Wanderer erfreut, sorgt den Moorkenner. Denn prompt wechselt die Vegetation. Dort wachsen Gräser und Bäume, kaum Moose. „Im Zentrum des Moores stehen nie Bäume.“ Der Boden ist für sie zu nährstoffarm und sauer. Fließendes Wasser – was dem unbedarften Wanderer schnuppe sein kann, ist nach längerem Nachdenken auch für den Menschen problematisch. „Das Moor ist ein elementarer Hochwasserschutz. Das Moor hat obsiegt: Im Ochsenbruch nahe Börfink sieht man zwar noch Farne und Gräser. Doch das Moos gewinnt langsam Überhand. Moore-Projekt mithalf, den Mooren das Wasser zu sichern. Wie das gelingen kann, zeigt er in einem Fichtenwald im Nationalpark. Dort haben er und andere vor einem Jahr Fichten gefällt und das klein gehackte Holz in die Gräben am Rande einer Quelle verfüllt. Eine in den Boden gerammte Spundwand staut das Wasser und leitet es auf die Fläche. Schon jetzt haben sich Torfmoose angesiedelt. Es sieht gut aus für das Moor. Doch Schmidt weiß: „Jedes Moor ist anders. Das ist ein steter Versuch für den Menschen.“ Das haben die Menschen in den um Morbach ist 700 Hektar groß. vergangenen 20 Jahren begriffen“, Doch die meisten Flächen sind für sagt Schmidt. Denn in Gebieten Besucher tabu. Der Ortelsbruch ist wie dem Ortelsbruch, wo im Jahr da so etwas wie ein Lehrmoor. bis zu 1400 Millimeter Regen pro Als Roland Schmidt auf dem Quadratmeter fallen, kann ein Bach Rundweg durch den Bruch aus schnell zum reißenden dem tiefen Wald wieder Strom werden. in die Landschaft der Moose zurückkehrt, Die Preußen, sagt bleibt er plötzlich steForstwirt Schmidt, hahen und schaut beben im damals sehr geistert auf einen Punkt baumarmen Hunsrück auf dem grünen TepGräben und Wege anpich. Wieder steigt er gelegt. Mit fatalen Folvorsichtig über das Gegen für das Moor: Denn länder, bleibt dann aber das Wasser floss jetzt dort stehen und zeigt nicht mehr großflächig „Das Moor ist auf zwei winzige Pflanvon den Quellen des zen, die auf dem Moos Hunsrücks die Hänge so unspektakuglitzern: Sonnentau und hinunter, sondern über lär, so ruhig, Moosbeere. Schmidt einzelne Bäche – in re- so komisch, erzählt, dass er vor der genreichen Zeiten reiWanderung eigens ßend schnell. Das Moor unnahbar. Aber noch einmal nach den – dessen Torfschicht das gleichzeitig auch Wasser zuvor wie ein so spannend. Ich Pflanzen gesucht hat. Für solch seltene Arten schwammartiger Deich braucht es ein aufgespeichert und nur sehr habe die Erfahmerksames Wandererlangsam weitergegeben rung gemacht: auge, zumal ihre Blühat – wurde zerstört. Entweder man Der 9 Hektar große tezeit fast schon wieder Ortelsbruch inmitten liebt oder man vorbei sei. eines 30 Hektar großen hasst das Moor.“ Kurios: Ganz nah am Naherholungsgebietes Fundort der seltenen Nationalpark-Ranger soll Kindern wie Er- Roland Schmidt Pflanzen gluckert das wachsenen zeigen, wie Wasser. Unterhalb des wichtig das Moor ist und warum es Stegs hat sich ein Bach gebildet. gefährdet ist. „Und wir möchten Wo kein Steg ist, wächst das Moor. die Menschen von den guten Moo- Schmidt erklärt es so: „Unter dem ren fernhalten“, sagt Schmidt. Denn Steg kann kein Moos wachsen, die gesamte Moorfläche in den weil dort das Licht fehlt.“ Was für Hunsrücker Hangbrüchern rund ein Sensibelchen. Der Wanderer lernt: Jeder Eingriff des Menschen zeigt Wirkung im Moor. Endstation Nixenweiher. An einem preußisch-akkurat angelegten Wanderweg, an dem das Wasser in einem Bach die Moorlandschaft zerfrisst, ist ein Kneipp-Tretbecken angelegt. Das Wasser ist eisig kalt und extrem sauer. Hier lernt der Wanderer, was das Moor mit dem Wasser macht. Die Quellmoore im Hang über dem Becken speisen es mit Saurem. „Kein Trinkwasser“ steht auf einem Schild. Ortswechsel. Roland Schmidt, den hier alle Rolli nennen, sitzt an einem Tisch im Hunsrückhaus am Fuß des Erbeskopfes. Der 48-Jährige wartet auf seinen „Strammen Max“. Als Kind, erzählt der Mann aus Deuselbach (Kreis BernkastelWittlich), „hatte das Moor für mich etwas Mystisches. Selbst im Sommer kommt der Nebel schlagartig. Dann sollte man da nicht hineingehen, hat man mir damals gesagt.“ Bis heute findet er es schwer, etwa seinem sechsjährigen Sohn zu erklären, wie ein Moor funktioniert. „Das Moor ist für Kinder sehr kompliziert. Denn das Moor ist so unspektakulär, so ruhig, so komisch, unnahbar.“ Pause. „Aber gleichzeitig auch so spannend. Menschen bekommen am ehesten einen Bezug dazu, wenn sie darin arbeiten. Ich habe die Erfahrung gemacht: Entweder man liebt oder man hasst das Moor.“ Schmidt entdeckte seine Liebe vor fünf Jahren, als er beim Life- Einzigartige Mooslandschaft: Wo Moose wachsen, lassen sich andere seltene Arten gern nieder – wie diese besonderen Pilze. Bruchwald am Rande eines Moores: Solch eine Magerwiese ist typisch für das Randgebiet eines Moores – hier im Naherholungsgebiet Ortelsbruch. Versteckt unter Farnen und Gräsern Einige Kilometer weiter, im Ochsenbruch bei Börfink im Nationalpark, ist das Moor schon weiter. „Diese Fläche ist bereits weitgehend baumfrei.“ Noch versteckt sich das Moos zwar unter hohen Farnen und Gräsern. „Doch diese Pflanzen“, sagt Roland Schmidt, „haben den Kampf gegen das Moos eigentlich schon verloren.“ Sie kämpfen noch. Doch das Wasser im Boden ist zu viel für sie. „Alles, was ich hier als Mensch mache“, sagt er, „ist verkehrt.“ Sein Blick schweift über den grünen Hang. Ein einzelner Baumstumpf steht dort verloren. Ein Vogel singt im benachbarten Buchenwald. Gut hat die Natur das gemacht, denkt man sich. Y Sehen Sie ein Video der Moorwanderung unter der Adresse ku-rz.de/moor
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