Gefährlicher Doppelpack: Diabetes und Schlafapnoe

Gefährlicher Doppelpack:
Diabetes und Schlafapnoe
von Prof. Dr. med. Stephan Jacob
Schlafbezogene Atemstörungen und Diabetes treten überzufällig häufig zusammen auf.
Inzwischen kristallisiert sich in der Medizin mehr und mehr die Erkenntnis heraus, dass eine
obstruktive Schlafapnoe die Entstehung eines Diabetes begünstigen kann. Und wenn beide
Erkrankungen zusammen auftreten, wird es richtig gefährlich fürs Herz.
Die Diabetes-Epidemie nimmt immer katastrophalere Ausmaße an. In Deutschland sind
derzeit rund sieben Millionen Menschen von einem Diabetes mellitus betroffen. Damit hat
Deutschland innerhalb der EU die höchste Anzahl an Diabetikern. Bei vielen Betroffenen
liegt bereits eine koronare Herzerkrankung (Arteriosklerose der Herzkranzgefäße) mit
Herzinfarktrisiko vor. Wir müssen also dringend etwas tun, um diese Volksseuche des 21.
Jahrhunderts einzudämmen – das gilt nicht nur für die Gesundheitspolitik, sondern auch für
jeden Einzelnen.
Schuld an dem Diabetes-Problem ist nämlich vor allem unser Lebensstil. Die „guten
Futterverwertungs-Gene“, die dem Menschen als Jäger und Sammler vor 100 000 Jahren bei
Hungersnöten das Überleben ermöglichten, bewirken in der heutigen Zeit, in der wir ständig
von Essen umgeben sind und uns kaum noch bewegen, eben leider das Gegenteil. Und in
Deutschland schlägt diese ungünstige Lebensweise ganz besonders negativ zu Buche. Was
wir beim Fußball nicht geschafft haben – beim Körpergewicht gelingt es uns spielend: Wir
sind Europameister und stehen in Europa an erster Stelle der Übergewichtigen. In keinem
anderem EU-Land gibt es so viele dicke Menschen wie bei uns. Drei Viertel aller Männer und
mehr als die Hälfte aller Frauen in der Bundesrepublik Deutschland bringen zu viele Pfunde
auf die Waage, d. h. sie haben einen Body-Mass-Index über 25 kg/m2.
Mit dem Übergewicht steigt ganz massiv das Risiko eines Typ-2-Diabetes. Eine große
amerikanische Studie, in der 114 000 Krankenschwestern über einen Zeitraum von 14 Jahren
beobachtet wurden, hat gezeigt: Sobald der Body-Mass-Index (BMI) über 25 kg/m2 (s.
Tabelle) ansteigt, entwickelt sich umso eher ein Diabetes. Wenn der BMI über 30 steigt, dann
geht das Risiko fast wie eine Rakete nach oben …
95% aller Diabetiker leiden am so genannten Typ-2-Diabetes, der leider immer noch häufig
als „Alterszucker“ verniedlicht wird. Fast alle Typ-2-Diabetiker sind übergewichtig. Wir
wissen auch, dass Übergewicht und körperliche Inaktivität die wichtigsten korrigierbaren
Risikofaktoren für die Diabetes-Entstehung sind. Ferner weiß man, dass sich die
Stoffwechsellage mit jeder geringen Erhöhung des Körpergewichts noch weiter
verschlechtert.
Zeitbombe im Bauch: das metabolische Syndrom
Überflüssige Kilos sind vor allem dann gefährlich, wenn sich das Fett um den Bauch herum
ansetzt. Denn Bauchfett ist ein äußerlich sichtbares Zeichen dafür, dass sich auch um die
inneren Bauchorgane vermehrt Fett angesammelt hat. Die Zellen dieses inneren Bauchfetts
setzen schädliche Substanzen frei, die nicht nur die Blutfettwerte ungünstig verändern,
sondern auch die Diabetes-Entstehung fördern, die Gerinnungsneigung des Blutes erhöhen
und Entzündungsreaktionen in Gang setzen, welche Herzinfarkt und Schlaganfall
begünstigen.
Daher sollten Sie, um sich über Ihr Herz-Kreislauf-Risiko klarzuwerden, nicht nur Ihren BMI
berechnen, sondern zusätzlich auch Ihren Bauchumfang messen. Wenn er unter 102 cm (bei
Männern, auf der Höhe des Bauchnabels gemessen) bzw. unter 88 cm (bei Frauen, in der
Mitte zwischen Hüftknochen und unterstem Rippenknochen gemessen) liegt, sind Sie noch im
„grünen Bereich“. Falls nicht, heißt es abspecken!
Denn besonders diese Form der Fettverteilung ist mit einem erheblichen kardiometabolischen Risiko assoziiert.
Wenn nun aber das Bauchfett durch Gewichtsabnahme und vermehrte Bewegung vermindert
wird, dann reduzieren sich alle damit zusammenhängenden Risikofaktoren – und Ihr Risiko
für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall sinkt.
Aus dem (bier)bauchbetonten Übergewicht entwickelt sich häufig das metabolische Syndrom,
das mit einem besonders hohen Herz-Kreislauf-Risiko einhergeht. Beim metabolischen
Syndrom sind Blutdruck, Nüchternblutzucker und Triglyzeride erhöht; der Spiegel des
„guten“ HDL-Cholesterins, das vor Arteriosklerose schützt, ist dagegen zu niedrig. Von
einem metabolischen Syndrom spricht man, wenn jemand drei oder mehr der folgenden
Kriterien erfüllt:
• Bauchumfang L 102 cm bei Männern bzw. L 88 cm bei Frauen
• Nüchternblutzucker M 110 mg/dl (6,0 mmol/l)
• Triglyzeride M 150 mg/dl (1,7 mmol/l)
• HDL-Cholesterin l 40 mg/dl (1,0 mmol/l) bei Männern bzw. l 50 mg/dl (1,3 mmol/l) bei
Frauen
• Blutdruck M 130/ M 85 mmHg
Sind Sie auch Mitglied im „Club“?
Falls Sie Ihre Werte noch nicht kennen sollten, aber einen zu hohen Bauchumfang haben,
lassen Sie die obigen Werte bei Ihrem nächsten Hausarztbesuch doch einmal ermitteln, damit
Sie wissen, ob Sie auch Mitglied im „Club“ der Patienten mit metabolischem Syndrom sind!
Das zu wissen, ist sehr wichtig, denn bei diesem Syndrom verdoppelt sich das Risiko für
Herz-Kreislauf-Komplikationen; und die Sterblichkeit ist bei solchen Menschen, wie eine
große finnische Studie vor ein paar Jahren gezeigt hat, sogar um das Vier- bis Sechsfache
erhöht. Wenn Sie davon betroffen sind, müssen Sie also dringend etwas tun!
Leider wird diese „Zeitbombe im Bauch“ immer noch viel zu wenig ernst genommen.
In Abhängigkeit vom Übergewicht steigt das Risiko, ein metabolisches Syndrom zu
entwickeln, steil an. Bei einem BMI über 30 ist die Wahrscheinlichkeit, daran zu leiden,
bereits extrem hoch.
Beim metabolischen Syndrom erhöht sich das Risiko, einen Diabetes zu bekommen, ungefähr
um das Vierfache. Wer vier der obengenannten fünf Kriterien aufweist, bei dem steigt das
Diabetesrisiko sogar um das 25-Fache!
Das metabolische Syndrom ist mit einem erheblichen Herz-Kreislauf-Risiko verbunden. Über
80% aller Typ-2-Diabetiker leiden an einem solchen Syndrom.
Und all die genannten Risikofaktoren gruppieren sich um einen Hauptfaktor herum, nämlich
auf gut Deutsch um den „Ranzen“ – den Bauchumfang.
Drei Seiten einer Medaille
Nicht nur das Risiko, einen Diabetes zu entwickeln, sondern auch die Herzinfarkt- und
Schlaganfallgefahr erhöht sich bei einer solchen Konstellation in erschreckendem Ausmaß.
Daher sind die Fachgesellschaften der Diabetologen und der Kardiologen inzwischen der
Ansicht, Diabetes und Herzerkrankung seien „zwei Seiten einer Medaille“. Das heißt: Wenn
jemand mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus kommt, sollten die Ärzte unbedingt
untersuchen, ob er nicht auch einen Diabetes hat. Da der Typ-2-Diabetes sich langsam und
schleichend entwickelt, spüren die Patienten nämlich im Anfangsstadium normalerweise noch
nichts von ihrer Stoffwechselerkrankung; unbemerkt schädigt der erhöhte Blutzucker jedoch
bereits die Gefäße. Umgekehrt sollten Ärzte daher, wenn sie bei einem Patienten einen
Diabetes diagnostizieren, unbedingt auch gleich danach schauen, ob seine Gefäße noch in
Ordnung sind.
Und nun kommt die „dritte Seite der Medaille“ ins Spiel – eine weitere Besonderheit, die das
gefährliche Bermudadreieck komplett macht: schlafbezogene Atemstörungen. Hier zeigt sich
ein ähnliches Bild wie beim Typ-2-Diabetes: Über 80% aller Schlafapnoiker sind
übergewichtig. Da ist es eigentlich kein Wunder, dass viele Patienten mit schlafbezogenen
Atemstörungen gleichzeitig auch an Diabetes leiden; denn das Hauptübel, das beiden
Erkrankungen zugrunde liegt, ist das Übergewicht. Es mehren sich jedoch die Hinweise
darauf, dass Schlafapnoe auch unabhängig vom Gewicht eines Patienten das Diabetesrisiko
erhöht. Es gibt bereits einige Untersuchungen, die zeigen, dass die Häufigkeit eines erhöhten
Nüchternblutzuckers mit dem Ausmaß der nächtlichen Sauerstoffentsättigungen gravierend
ansteigt. Je mehr nachts das O2 abfällt, umso höher ist also das Risiko, am nächsten Morgen
nicht nur einen zu hohen Blutdruck, sondern auch erhöhte Blutzuckerwerte zu haben. Denn
die Stresshormone, die der Körper während der nächtlichen „Erstickungsanfälle“ ausschüttet,
treiben nicht nur den Blutdruck, sondern gleichzeitig auch den Blutzucker hoch. Stress ist
neben Übergewicht ein wichtiger auslösender Faktor in der Diabetes-Entstehung.
Andererseits verbessert die konsequente Einstellung durch verminderten nächtlichen Stress
auch den Stoffwechsel des Diabetikers …
Deshalb sollte ein Arzt bei einem Diabetiker, der einen schlecht einstellbaren Blutzucker hat,
also auch abklären, ob bei diesem Patienten vielleicht ein Schlafapnoe-Syndrom vorliegt – vor
allem, wenn die Blutzuckerwerte insbesondere morgens immer zu hoch sind. Diesem
Verdacht nachzugehen und eine möglicherweise vorliegende Schlafapnoe dann konsequent zu
behandeln, ist viel sinnvoller, als so einem Patienten einfach noch mehr Insulin zu verordnen.
Es gibt auch eine Untersuchung, die sich mit der Fragestellung beschäftigte, wie gut denn das
körpereigene Insulin bei Schlafapnoikern im Vergleich zu Menschen ohne Schlafapnoe wirkt.
Dabei hat man festgestellt, dass die Insulinwirkung bei den Apnoikern im Vergleich zu den
gesunden Probanden drastisch reduziert war. Besonders ausgeprägt war dieser Effekt dann,
wenn die Schlafapnoe-Patienten zusätzlich auch noch an Übergewicht litten. Man weiß auch,
dass die Häufigkeit des metabolischen Syndroms bei Schlafapnoikern im Vergleich zu
Gesunden um das Zweieinhalbfache erhöht ist.
Wir müssen umdenken!
In der Medizin ist zurzeit in allen Bereichen ein Umdenken notwendig. Das zeigt sich zum
Beispiel an der Behandlung eines zu hohen Blutdrucks: Früher hat der Arzt Bluthochdruck
diagnostiziert, seinem Patienten Tabletten verschrieben, den Blutdruck dadurch gesenkt und
war zufrieden. Aber den Rest der Bombe hatte er mit dieser Maßnahme überhaupt noch nicht
entschärft! Es reicht nicht aus, einfach nur medikamentös den Blutdruck zu senken; man muss
auch bei den Faktoren ansetzen, die diesen Bluthochdruck mitverursacht oder zumindest
begünstigt haben: beispielsweise Übergewicht oder Bewegungsmangel – kurz: ein ungesunder
Lebensstil! Und man sollte bestimmte Bluthochdruck-Patienten (mit schwer einstellbarem
Hochdruck, fehlender Nachtabsenkung des Blutdrucks oder Schlafapnoe-typischen
Beschwerden) unbedingt auch auf das Vorliegen einer schlafbezogenen Atemstörung
screenen.
Vielleicht machen wir – analog zu meinem Bluthochdruck-Beispiel – auch in der Behandlung
der Schlafapnoe etwas nicht ganz richtig. Was nützt es, wenn ich den Therapiedruck optimal
einstelle, aber der Rest der Bombe weitertickt?
Das haben wir in der Diabetologie inzwischen gelernt: Wenn wir den Blutzucker gut
einstellen, aber die anderen Risikofaktoren nicht auch vermindert werden (z. B. die Patienten
nicht abnehmen), können wir nicht viel erreichen.
Deshalb hat die amerikanische Diabetes-Gesellschaft uns nun alle dazu ermahnt, ein
„kardiometabolisches Risikomanagement“ zu betreiben; dazu gehört beim Diabetiker
beispielsweise, dass ich mein Augenmerk neben dem Bluthochdruck, den Blutfetten und dem
Gewicht auch auf die Frage richte: Besteht eine Schlafapnoe oder gibt es Hinweise darauf?
Wir müssen das Risiko breitgefächert senken; einer der „einfachsten“, da ursächlich
angreifenden Wege dazu führt über eine Reduktion des Bauchumfangs und des
Körpergewichtes.
Und nun habe ich leider eine schlechte Nachricht für die Normalgewichtigen: Selbst wenn Sie
kein Übergewicht, aber einen zu hohen Bauchumfang haben, sind Sie – was Ihr HerzKreislauf- und Diabetesrisiko angeht – leider nicht „aus dem Schneider“. Normalgewichtige
mit viel Bauchfett haben innerhalb eines Zeitraums von knapp zehn Jahren eine ebenso hohe
Sterberate wie Übergewichtige; das hat eine große europäische Studie namens EPIC vor
kurzem ergeben. Zurückzuführen ist dies auf die bereits erwähnte Tatsache, dass das
Bauchfett Botenstoffe ausschüttet, die einem langen, gesunden Leben abträglich sind. Also
messen Sie Ihren Bauchumfang und versuchen Sie diesen etwas zu reduzieren!
Was heißt das für uns Ärzte?
Wenn wir einen Patienten haben, der an einer schlafbezogenen Atemstörung leidet, müssen
wir insbesondere beim Vorliegen folgender Faktoren an einen Diabetes denken:
• Übergewicht (80% aller Patienten mit schlafbezogenen Atemstörungen leiden darunter!)
• Fettstoffwechselstörungen
• Bluthochdruck
• bereits durchgemachte Herzerkrankung
• familiäre Belastung: Wenn in der näheren Verwandtschaft (Eltern, Großeltern, Geschwister)
Diabetes vorkam, so ist das ein sehr wichtiger Warnhinweis darauf, dass auch der betreffende
Patient ein hohes Diabetesrisiko hat.
Und umgekehrt: Wenn jemand an einem Typ-2-Diabetes leidet, sollte man als Arzt danach
fahnden, ob nicht auch eine schlafbezogene Atemstörung vorliegt, denn die Risikofaktoren
sind die gleichen. Ferner braucht nicht nur jeder Diabetiker, sondern auch jeder SchlafapnoePatient ein intensives kardiometabolisches Risikomanagement, denn er ist stets auch ein
Hochrisikopatient für Herz-Kreislauf-Ereignisse. Diese Zusammenhänge werden in der
ärztlichen Praxis leider immer noch viel zu wenig beachtet.
Fazit:
Alles hängt mit allem zusammen; deshalb darf der Arzt bei solchen Patienten nicht nur ein
einzelnes Problem (beispielsweise Bluthochdruck oder zu hohen Blutzucker) behandeln,
sondern muss nach den Zusammenhängen schauen und das Übel bei der Wurzel packen –
eine ganzheitliche Behandlung der gesamten Risikokonstellation ist gefragt.
Quelle:
Das Schlafmagazin
Ausgewählter Artikel
Heft 2/2009