Bericht aus Laustauto Omnibus 9/2015

Scheunenfunde
Historische Lkw
Text und Fotos: Norbert Böwing
Scheunenfunde nach
Jahrzehnten ausgegraben
K
enner der Szene wissen oft noch von einzelnen Lkw. Kippertreffen in großzügigen
Sandgruben oder aufwendig organisierte
Ausfahrten für Fernlastzüge, die einst Geschichte geschrieben haben: So kennt man
die Szene der Liebhaber von historischen Nutzfahrzeugen hierzulande. Kaum jemand stellt sich da die
Frage, wie die meisten Besitzer der bis zur Perfektion
restaurierten Alt-Lkw an ihre rollenden Schätze gekommen sind. Tatsächlich boomt die Szene, alleine
in der Nutzfahrzeuge Veteranen Gemeinschaft (NVG)
sind bundesweit rund 1.000 Mitglieder organisiert.
Und die Zahl historischer Lkw wird hierzulande auf
knapp 10.000 Exemplare geschätzt. Doch woher
kommt der Nachschub an alten Lkw eigentlich? „Kenner wissen häufig noch, wo ein einzelner Lkw steht
und rufen uns zum Beispiel an“, berichtet Experte
Helmut Hoffmann, der wie kaum ein anderer über
Kontakte zu Sammlern und Speditionen in ganz Europa verfügt und in den letzten Jahrzehnten selbst viele
Lkw vor dem Schrottplatz gerettet hat.
Bei alten Autos wissen wir es: Da gibt
es immer wieder unglaubliche Scheunenfunde, die für Schlagzeilen sorgen.
Doch wie ist das bei in die Jahre gekommenen Lkw? Die sind nach einem langen Arbeitsleben meistens fix und fertig.
Dann werden sie verkauft oder in den
Export geschickt. Scheunenfunde sind
also extrem selten. Die TRUCK XXL hat
gemeinsam mit Helmut Hoffmann vom
Nutzfahrzeuge Veteranen Center (NVC)
in Oberhausen zwei besonders seltene Exemplare in Friesland entdeckt
und geborgen!
Existenz des MAN
und Henschel seit
20 Jahren bekannt
Tatsächlich ist Hoffmann bekannt
dafür, dass er für das NVC in
Oberhausen jährlich tausende
von Kilometern unterwegs ist,
um nach alten Lkw Ausschau
zu halten. Er gilt als Experte
mit Augenmaß. In den meisten
Fällen ist es so, dass Hoffmann
die Entscheidung über einen
Ankauf der häufig schrottreifen
Lkw unmittelbar „vor Ort“ trifft.
„Am Telefon erzählen die Leute
oft viel. Wie es aber tatsächlich
um die Substanz eines alten
Lastwagen bestellt ist, verraten
keine Fotos. Das muss man an
Ort und Stelle sehen. Und dazu
muss man ein Fahrzeug persönlich in Augenschein nehmen
und hinfahren“, so der 68-jährige. Dass sich in Friesland in
einer zugestellten Scheune
noch ein 1950-er MAN Mk und
ein 1955-er Henschel HS 120
befanden, davon wusste Hoffmann bereits seit langer Zeit.
„Vor über 20 Jahren war ich das
erste Mal da. Aber die drei Lkw,
für die ich mich interessiert hatte,
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Helmut Hoffmann vom NVC in Oberhausen ist in
seinem Element. Über eine Woche lang dauerte
die Bergung der historischen Nutzfahrzeuge in
Friesland
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Ein alter MAN und ein alter Henschel sind die bedeutensten Raritäten. Beide
Fahrzeuge standen jahrzehntelang in einer Scheune und
haben nun in Oberhausen ihr
neues Zuhause gefunden
konnte ich erst ab 2002 nach und
nach abholen. Es waren ein MAN
10.212, ein MAN 10.210 und ein
MAN 19.256. Schon damals waren
mir die beiden uralten Lastwagen
aufgefallen, doch der Besitzer wollte
sich einfach nicht von ihnen trennen“, erzählt Hoffmann. Nicht für
Geld und gute Worte.
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Endlich,
tet nach
Lkw nach
dutzende
gebracht
Hartnäckigkeit des
Besitzers verhinderte
frühe Bergung
Viele Jahre waren vergangen, seit
Hoffmann das letzte Mal in Friesland war. Auch zwischenzeitliche
Telefonate mit dem Besitzer der
beiden hoffnungslos zugestaubten Wracks brachten ihn keinen
Zentimeter weiter. „Wir sind immer in
Kontakt geblieben. Doch der Mann,
der früher einen Baustoffhandel
und eine eigene Kiesgrube hatte,
wollte sie einfach nicht verkaufen.
Der MAN mit 120 PS und Acht-LiterSechsyzylinder erinnerte ihn an
seine beruflichen Anfänge und war
einmal im Besitz seines ersten Arbeitgebers. Und mit dem Henschel,
dessen 6,1-Liter-Motor ebenfalls
120 PS hat, glaubte er selbst noch
etwas anfangen zu können“, so
Hoffmann. Nachdem der ehemalige Firmenchef aber vor wenigen
Monaten plötzlich verstorben war,
nahm Hoffmann noch einmal Kontakt zu den Angehörigen auf. Dabei bot er an, gegen die Zahlung
einer zuvor festgesetzten Summe
die Lkw abzuholen und auch die
Sanierung des Firmenareals mit
zu übernehmen. Und tatsächlich.
Die Verwandtschaft willigte ein und
Hoffmann machte sich mit mehreren
Freunden und Mitarbeitern auf den
Weg nach Friesland.
Alter MAN hatte letzten
TÜV-Termin vor
über 50 Jahren
Auf was er sich bei seinem Deal
aber tatsächlich eingelassen hatte,
das wurde Hoffmann erst bei seinem Eintreffen klar. „Das ist in zwei
bis drei Tagen über die Bühne“,
lautete die ursprüngliche Annahme,
nachdem er zuvor bereits einen
Container für gemischte Abfälle zum
Befüllen in den Norden gebracht
hatte. Doch als Hoffmann dann eine
Woche später mit zwei Sattelaufliegern und einem Radlader samt
Crew aus dem Ruhrgebiet anreiste,
fiel er aus allen Wolken: „Da ist ja
noch gar nichts gemacht ...“. Tatsächlich sollten die Aufräumarbeiten in
Friesland eine ganze Woche lang dauern. Und hätte es
zwischendurch nicht erste Erfolgserlebnisse gegeben,
wäre dem ehemaligen Transporterunternehmer aus dem
Ruhrgebiet vermutlich der Kragen geplatzt. Einer der Höhepunkte der ganzen Aktion sollte die „Befreiung“ der alten Lkw sein, wozu sogar ein Brenner eingesetzt werden
musste. Doch dann dieses überwältigende Gefühl: Endlich
konnten der MAN und der Henschel aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden. Am TÜV-Siegel des MAN ließ
sich sogar noch erkennen, dass dieser den nächsten
Termin für die Hauptuntersuchung im Jahr 1964 gehabt
hätte. Der sichere Beweis dafür, dass der alte Kipper über
50 Jahre gestanden hatte. Unglaublich!
70 Tonnen Alteisen
wurden zum Schrott geschleppt
Neben den beiden Lkw wurde in der Scheune noch ein
stark heruntergekommener Ford Transit Lieferwagen aus
den 1950-er Jahren gefunden. Der stand eingeklemmt
zwischen zwei Original-Böseler-Anhängern, Baujahr 1963,
die allerdings mit Altreifen und Schrott beladen waren.
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Auch ein Ford Lieferwagen
aus den 1960-er Jahren
wurde entdeckt. Mit Freunden und Bekannten war Helmut Hoffmann nach Friesland
gekommen, um die
Nutzfahrzeuge zu heben
die Bergung ist geschafft. Jetzt starvielen Tagen der Abtransport der alten
Oberhausen. Insgesamt mussten
Tonnen von Altmetall zum Verwerter
werden
Doch deren Inhalt fällt nicht weiter ins Gewicht, wenn man
die gewaltigen Mengen von Alteisen im Außenbereich auf
sich wirken lässt. Rund 70 Tonnen kamen zusammen und
mussten Container für Container zu einem Verwerter geschleppt werden. Höhepunkt war sicherlich das Zerschneiden eines alten Schwimmbaggers, bei dem sogar das
mitgebrachte Werkzeug schlappzumachen drohte. Doch
auch hier hat sich die Mühe gelohnt. Ein alter Radlader
aus den Anfängen der 1980-er Jahre fand seinen Weg ins
Ruhrgebiet. Ebenso jede Menge Ersatzteile für Baumaschinen, die zwischen Bäumen festgewachsen waren und jetzt
in Oberhausen stehen. Was aber wird nun aus dem alten
Henschel und dem noch älteren MAN? Helmut Hoffmann
macht sich keinen Stress: „Abwarten! Zunächst muss ich
mal sehen, ob wir die Motoren wieder gangbar bekommen.
Davon hängt vieles ab. Fest steht aber, dass wir die Patina
von beiden Lkw in jedem Fall erhalten wollen, denn die ist
wunderbar original. Der Rest wird sich zeigen ...“
Weitere Informationen:
www.nvc-oberhausen.de