78#457 Konstanz ∤ Germany +49 75#31 88-25#87 [email protected] – ling.uni-konstanz.de/#bsl uni.kn · wwa-grafik, wwa-druck · Fotos: luthien/aboutpixel.de; I.!Reiter; Privat Kontakt Babysprachlabor Universität Konstanz FB Sprachwissenschaft Raum F!208a ∤ Fach 180 Spracherwerb!– Ein Kinderspiel"? Ein kurzer Überblick zur frühkindlichen Sprachentwicklung 1 Sprechen lernen lebt von Interaktion, das heißt von der Kommunikation des Kindes mit seiner Außenwelt, und ist so stets in einen sozialen Kontext eingebettet. 2 3 Sprechen, um zu kommunizieren Sprechen lernen beginnt mit dem Zuhören – bereits vor der Geburt Eigene Gedanken und Gefühle äußern, Geschichten erzählen, Antworten finden, Geschäfte erledigen, Meinungsverschiedenheiten diskutieren oder sich einfach nur über das Wetter unterhalten – die Fähigkeit des Menschen, sich durch Sprache mitzuteilen, ermöglicht eine vielfältige Art der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sprache begegnet uns dabei täglich und Sprechen scheint für uns nahezu so selbstverständlich wie das Laufen oder Atmen. Welche Herausforderungen und Prozesse jedoch tatsächlich hinter dem System Sprache stecken, zeigt sich, wenn wir versuchen, eine Sprache zu erlernen. Zahlreiche Vokabeln, Grammatik, Aussprache, Artikulation und Verständnis stellen uns Erwachsene vor eine scheinbar endlose Aufgabe, fordern jahrelanges Lernen und intensives Üben. Der Erstspracherwerb beginnt lange bevor Kinder ihre ersten Worte äußern. Zunächst heißt Sprechen lernen nämlich einfach einmal genau hinzuhören. Dies tun Säuglinge bereits während des letzten Drittels der Schwangerschaft im Mutterleib. Durch die Bauchdecke des Mutterleibs dringen zwar noch keine einzelnen klar verständlichen Laute, doch die Kinder können den Rhythmus, die Melodie der Muttersprache und andere Stimmmerkmale der sprechenden Person wahrnehmen. So zeigen Studien etwa anhand einer veränderten Herzfrequenz oder Nuckelrate, dass Neugeborene besonders auf ihre Muttersprache oder auch die Stimme ihrer Mutter reagieren, da ihnen diese vertraut sind. Im Vergleich zu Erwachsenen meistern Babys all diese Hindernisse auf dem Weg zum souveränen Umgang mit Sprache beeindruckend schnell und vermeintlich mühelos. Hinter dem augenscheinlichen Kinderspiel steckt jedoch weit mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. So gestaltet sich der Spracherwerb als ein äußerst strukturierter Prozess, in dem Kleinkinder schrittweise aufeinander aufbauende Strategien und Fähigkeiten entwickeln, um sich in der Welt der Sprache zurechtzufinden. Sprechen lernen lebt dabei von Interaktion, das heißt von der Kommunikation des Kindes mit seiner Außenwelt, und ist so stets in einen sozialen Kontext eingebettet. 4 5 Schon vor dem Sprechen viel verstanden Bis ein Kleinkind seine ersten Worte spricht, hat es schon Erstaunliches geleistet. In den allerersten Lebensmonaten sind Babys in der Lage, fast alle der rund 800 existierenden Sprachlaute zu unterscheiden – da sind sie Erwachsenen weit voraus, denn diese haben eine derartige Sensibilität verloren. Während beispielsweise japanische Babys noch den Unterschied zwischen den englischen Lauten /#l#/ und /r#/ hören, haben japanische Kleinkinder im Alter von etwa einem Jahr bereits verstanden, dass dieser Lautunterschied für ihre Muttersprache nicht von Bedeutung ist. Sie nehmen den Kontrast daher – wie auch erwachsene Japaner – nicht mehr bewusst wahr. Wie Janet Werker und Kollegen am Infant Studies Centre der University of British Columbia zeigen konnten, starten Kinder also mit einer universellen Wahrnehmung ins Leben, die es ihnen ermöglicht, jede erdenkliche Sprache zu lernen. Im Laufe des ersten Lebensjahres passt sich die Wahrnehmung dann an die Muttersprache an, sodass die weniger wichtigen Details im Sprachfluss ignoriert werden. Die Entwicklung der frühkindlichen Lautwahrnehmung wird auch im Babysprachlabor der Universität Konstanz untersucht. Eine unserer Studien beschäftigt sich beispielsweise damit, wie deutsche und schweizerdeutsche Babys zwischen 6 und 16 Monaten muttersprachliche und fremdsprachliche Lautkontraste wahrnehmen, und ob sich die Wahrnehmung mit zunehmendem Alter verändert – ähnlich wie bei den japanischen Kindern oben. Gegen Ende des ersten halben Lebensjahres beginnen Kleinkinder außerdem, den Sprachstrom in einzelne Wörter oder Lautsequenzen zu zerlegen. Wie schwierig das ist, kann man sich am besten vorstellen, wenn man Personen zuhört, die sich in einer Sprache unterhalten, die man selbst nicht beherrscht. Da es in der gesprochenen Sprache kaum Pausen gibt, hört sich alles furchtbar schnell an und man fragt sich, wo die einzelnen Wörter beginnen und enden. Um einen Wortschatz aufzubauen und den einzelnen Wörtern eine Bedeutung zuschreiben zu können, müssen Kinder aber genau diese Aufgabe meistern. Die sogenannte Segmentierung des Sprachstroms gehört damit zu einer der ganz frühen Herausforderungen des Sprechenlernens. Dabei stützen sich die Kleinen auf das, was sie bisher über ihre Muttersprache gelernt haben und entwickeln daraus verschiedene Strategien, um mögliche Wortgrenzen ausfindig zu machen. Was zunächst klingt wie „magstdunocheinlöffelchenvondemleckerenapfelmus“, kann mit Hilfe der bereits vertrauten Merkmale der Muttersprache wie Rhythmus, Betonung und Satzmelodie in seine Einzelteile zerlegt und dadurch verständlicher werden. Auch andere Regelmäßigkeiten und wiederkehrende Sprachmuster helfen bei der Segmentierung. Im Babylab möchten wir herausfinden, welche Rolle die Sprachmelodie bei der Segmentierung spielt. Dazu untersuchen wir, ob 9 Monate alte deutsche Kinder zweisilbige Lautsequenzen wiedererkennen, die sie zuvor in einen kurzen Text eingebettet gehört haben, und ob der Wiedererkennungseffekt je nach Sprachmelodie variiert. 6 7 Vom ersten Wort zum Meister im Diskutieren Sprechen lernen ganz alltäglich Der Aufbau des Wortschatzes beginnt weit früher als bisher angenommen wurde. Mit circa 6 Monaten kennen Kleinkinder schon die Bedeutung häufiger Wörter, die in ihrer täglichen Umgebung vorkommen. Bevor Kinder also anfangen, sich selbst durch Sprache bemerkbar zu machen, verstehen sie uns Erwachsene schon sehr gut. Der Erstspracherwerb gestaltet sich als ein kontinuierlicher Prozess, in dem sich Kleinkinder schrittweise vorantasten. Es sind dabei die ganz alltäglichen Gesprächssituationen, welche Aufschluss über die Regelmäßigkeiten der Muttersprache geben und diese den Kindern näher bringen. Im Alter zwischen 6 und 12 Monaten testen Babys ihre „Sprechwerkzeuge“ dann selbst aus. Dabei zeigt schon erstes Gebabbel Merkmale der Muttersprache und ist Wegbereiter des selbständigen Sprechens. Auf die ersten noch unverständlichen Laute und Lautsequenzen folgen zunächst einzelne „echte“ Wörter, welche nach und nach mit weiteren Wörtern kombiniert und schon bald zu ersten kurzen Sätzen werden. Hört man bei diesen Wortkombinationen genauer hin, erkennt man, dass Kinder, bevor sie selbst komplexe Sätze bilden, bereits eine Menge über die Struktur ihrer Muttersprache gelernt haben. Lynn Santelmann und Peter Jusczyk am Infant Language Research Laboratory der Johns Hopkins University in Baltimore haben schon 1998 herausgefunden, dass Kinder grammatikalisch korrekten Strukturen aufmerksamer zuhören als solchen, die kleine Fehler aufweisen. Ebenso folgen auch schon erste eigene, noch wacklige Sätze, welche aus wenigen Worten bestehen, den Regeln der Muttersprache. Um sprechen zu lernen, brauchen Kinder also jemanden, der mit ihnen spricht – je mehr, desto besser. Radio oder Fernsehen können diesen direkten sozialen Austausch dabei nicht ersetzen. So wurde beispielsweise von Catherine Snow und Kollegen am Institute for General Linguistics der University of Amsterdam beobachtet, dass niederländische Babys, welche durch das im Fernsehen laufende Kinderprogramm „Die Sesamstraße“ täglich mit der deutschen Sprache in Berührung gebracht wurden, keinen Lernfortschritt in dieser zweiten Sprache erzielen konnten. Patricia Kuhl und Kollegen an der University of Washington fanden ebenfalls heraus, dass englischsprachige Babys auch noch im zweiten Lebensjahr für die chinesische Sprache empfänglich waren, wenn jemand regelmäßig mit ihnen Chinesisch sprach. Hörten sie allerdings nur chinesische Tonaufnahmen oder schauten chinesisches Fernsehen, blieb eine derartige Sensibilität nicht bestehen. Schritt für Schritt werden die Sätze komplexer, sodass die Kinder bis zur Einschulung schon wahre „Meister im Diskutieren“ sind. Aber auch dann geht das Lernen weiter. Kinder bauen ihren Wortschatz fortlaufend aus und lernen im fortgeschrittenen Grundschulalter auch sprachliche Mittel wie etwa Ironie oder Sarkasmus zu verstehen und zu benutzen. 8 9 Diese Studien zeigen, dass es eine gemeinsame Umwelt, gemeinsames Erleben und einen gemeinsamen Blick auf die Welt braucht, um wirklich miteinander zu kommunizieren und den Spracherwerb in Gang zu bringen. Hilfreich sind tägliche Routinen wie gemeinsame Mahlzeiten, Gute-Nacht-Rituale, Windeln wechseln, Vorlesen oder gemeinsames Spielen. Wenn Erwachsene oder auch ältere Kinder mit Kleinkindern sprechen, verwenden sie häufig eine besondere Art des Sprechens, die dem Sprachniveau des Gegenübers angepasst ist. Diese so genannte „child-directed speech“ zeichnet sich zum Beispiel durch eine höhere Stimmlage, langsameres und lauteres Sprechen, sowie längere Pausen und eine stark variierende Intonation aus. Die Sätze sind kurz, bestehen aus einfachen Wörtern und werden in ähnlicher Form oft wiederholt. Meist wird über die Dinge gesprochen, die im Augenblick präsent sind – das Bilderbuch, das gerade angeschaut wird, der Brei, der gelöffelt wird, oder die Hose, die es nach dem Wickeln wieder anzuziehen gilt. Zusätzlich unterstützt wird diese besondere Sprechweise durch Mimik, Gestik, Blickkontakt und Berührungen. Auf diese Weise sollen sich die kleinen Gesprächspartner direkt angesprochen fühlen und die Aufmerksamkeit des Sprechers teilen. Inwieweit sich diese Art der Kommunikation positiv auf den tatsächlichen Spracherwerb auswirkt, ist dabei umstritten. Wie Patricia Kuhl an der University of Washington zusammen mit Anne Fernald herausgefunden hat, steht jedoch fest, dass Kinder für eine derartige Sprechweise sehr empfänglich sind. Eine unserer Studien im Babysprachlabor widmet sich diesem besonderen Sprachstil. Wir untersuchen, welche Sprachmelodien und Betonungsmuster besonders häufig vorkommen, wenn Mütter mit ihren Babys sprechen. Diese häufigen und gut erkennbaren Muster sind zum Beispiel beim Wörter lernen sehr hilfreich. Letztlich lebt der Prozess des Spracherwerbs von einem wechselseitigen sozialen Austausch. Neben den durchaus allgemein eingesetzten Strategien, strukturierten Fähigkeiten und Vorgehensweisen bleibt Sprache in ihrem Fortschritt jedoch höchst individuell. Die Sprachentwicklung zeigt demnach von Kind zu Kind individuelle Unterschiede, welche kein Grund zur Sorge sein sollten – das eine Kind lernt schneller, das andere braucht ein wenig länger. Wichtig ist und bleibt viel mit dem Kind zu sprechen, ihm die Zeit und Gelegenheit zu geben, sich auszuprobieren und so die Welt der Sprache zu erkunden. 10 11 Forschung im Babysprachlabor Das Team des Babysprachlabors der Universität Konstanz hat es sich zur Aufgabe gemacht, herauszufinden, was ein Kind bereits über Sprache weiß, noch bevor es seine ersten Worte spricht. Da man Babys nicht direkt fragen kann, wie sie Sprache wahrnehmen, wird das sprachliche Wissen der Kinder in ihren ersten Lebensmonaten und -jahren über ihre Verhaltensreaktionen erforscht. Im Babylab Konstanz untersuchen wir die Sprachwahrnehmung von Babys und Kleinkindern mit unterschiedlichen Methoden, die sich alle die Blick- und Kopfbewegungen der Kinder zunutze machen. Die Tests laufen dabei spielerisch ab: Während die Kinder auf dem Schoß ihrer Begleitperson sitzen, spielen wir ihnen Sprachsignale vor und beobachten währenddessen ihre Kopf- und Augenbewegungen. So können wir Schlüsse über die vorhandenen sprachlichen Fertigkeiten der Babys ziehen, ohne dass diese selbst etwas dazu sagen müssen. Wenn Sie mehr über unsere Arbeit erfahren möchten, können Sie sich auf unserer Internetseite ausführlich über unsere Projekte und Methoden informieren. Oder sprechen Sie uns einfach an#! Mein Besuch im Babysprachlabor Hier ist Platz für mein Foto aus dem BSL 12 13 Erste Sätze, die meine Eltern wohl nicht so schnell Meine ersten Wörter!… vergessen werden!… Ich sage#: Mit ! !!Jahren habe ich gesagt#: ! Mit ! Jahren habe ich gesagt#: Ich sage#: Und meine#: Und meine#: Ich sage#: Mit!! Jahren habe ich gesagt#: Ich sage#: Mit ! !Jahren habe ich gesagt#: Und meine#: Und meine#: Ich sage#: Und meine#: Ich sage#: Und meine#: Mit!! Jahren habe ich gesagt#: Mit ! !Jahren habe ich gesagt#: 14 15 NachwuchswissenschaftlerInnen gesucht Schritt für Schritt in Richtung Sprache Für unsere Studien suchen wir fortlaufend Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den unterschiedlichsten Altersgruppen, sowohl aus Deutschland als auch aus der Schweiz. Melden Sie sich doch einfach telefonisch oder per E-Mail, wenn Sie Interesse haben, an einer unserer Studien teilzunehmen. Bitte beachten Sie, dass die folgenden Angaben Durchschnittswerte sind. Das tatsächliche Erreichen dieser „Meilensteine“ variiert von Kind zu Kind. Weitere Informationen zum Babysprachlabor, zum Team und zu unserer Forschung finden Sie auch auf unserer Internetseite oder auf Facebook. Wir würden uns sehr freuen, Sie und Ihr Kind bei uns im Babysprachlabor begrüßen zu dürfen. (!vor der!) Geburt – Präferenz für die Stimme der Mutter – Rhythmus und Melodie der Muttersprache sind bereits vertraut ab ca. 5 Monaten – Erkennen wiederkehrender Lautsequenzen (#Wörter#) im Sprachfluss und damit Beginn der „Segmentierung“ ab ca. 6 Monaten – Verständnis erster, einfacher, sehr häufiger Wörter (#z.#B. des eigenen Namens#) – erstes Babbeln: Kinder produzieren sprachähnliche Äußerungen, denen aber noch keine Bedeutung zugeordnet werden kann Kontakt Babysprachlabor Universität Konstanz FB Sprachwissenschaft Fach 180, D-78#457 Konstanz +49 75#31 88-25#87 [email protected] ab ca. 10 Monaten – das Gebabbel ähnelt in Intonation und Lautinventar zunehmend der Muttersprache – ling.uni-konstanz.de/bsl/ – facebook.com/babysprachlabor 16 17 ab ca. 12 Monaten – Produktion der ersten „richtigen“ Wörter – „sprachspezifische Lautwahrnehmung“ löst die „universelle Wahrnehmung von Lautkontrasten“ des ersten halben Lebensjahres ab ab 1,5"–"2 Jahren – Beginn der Satzproduktion: zunächst 2-Wort-Äußerungen, später kurze Sätze im Telegrammstil (#ohne Funktionswörter wie der!/!die!/ das!/!in!/!auf!/.#.#.#) – ca. 50 Wörter im aktiven Wortschatz ab 2"–"2,5 Jahren – erste Generalisierungen und sogenannte Überregularisierungen (#z.#B. gefliegt statt geflogen#) – schrittweise Integration von Funktionswörtern – ca. 400!–!900 Wörter im aktiven Wortschatz ab ca. 3 Jahren – korrekte Bildung einfacher Sätze – ca. 1.200 Wörter im aktiven Wortschatz ab ca. 3,5 Jahren – Erweiterung einfacher Sätze durch Nebensätze – erstes Verständnis für Zahlen – ca. 1.500 Wörter im aktiven Wortschatz ab ca. 4 Jahren – Farbbezeichnungen werden (#meist#) korrekt verwendet – ca. 1.900 Wörter im aktiven Wortschatz ab ca. 5 Jahren – die wesentlichen Satzstrukturen werden beherrscht, Grundlagen der muttersprachlichen Grammatik sind vorhanden ab ca. 6 Jahren – stilistisch und formal komplexere Sätze – ca. 14.000 Wörter im aktiven Wortschatz, ständige Erweiterung mit ca. 18 Jahren – ca. 60.000 Wörter im aktiven Wortschatz
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