o - Gemeindebau

alles Zufällige oder Unwesentliche wegzulassen und das Allgemeingültige, Wesentliche herauszuarbeiten. Diese originär "sokratische" Methode ist besonders
für Definitionen und Begriffsbildungen geeignet.
Regressive Abstraktion bei Begritfbestimmungen. Die Regressive Abstraktion
wird bei Begriffsdefinitionen in fünf Schritten durchgeführt (vgl. Horster, 1994):
(1) Sammeln von Eigenschaften des untersuchten Begriffs,
(2) Zusammenfassen gesammelter Eigenschaften,
(3) Suche nach weiteren Eigenschaften (werden welche gefunden, zurück zu 2),
(4) Trennen von notwendigen und zufälligen oder hinreichenden Eigenschaften,
um Letztere zu entfernen (notwendige Eigenschaften sind die, die beim Weglassen dazu führen, dass sich das Wesen des betrachteten Begriffs verändert),
(5) Erarbeiten von wesentlichen Kriterien. Die gefundenen wesentlichen Kriterien ergeben die gesuchte Definition (wesentlich sind die Kriterien, die den
gesuchten Begriff von jedem anderen unterscheiden).
Regressive Abstraktion zur Entscheidungsfindung. Hier kann die Methode eingesetzt werden, um die Entscheidungsfindung zu erleichtern, indem unwesentliche und für die Entscheidung irrelevante Kriterien identifiziert und eliminiert
werden. Auch dieses Vorgehen erfolgt in fünf Schritten:
(1) Sammeln der ethisch-moralischen Argumente und Gegenargumente (beim
Auflösen von Moralkonflikten) bzw. der positiven und negativen Aspekte
(bei der Lösung von Zielkonflikten),
(2) ggf. Zusammenfassen der gesammelten Argumente bzw. Aspekte,
(3) Suche nach evtl. weiteren Argumenten bzw. Aspekten,
(4) ggf. erneutes Zusammenfassen der gefundenen Argumente bzw. Aspekte,
(5) Prüfen auf Entscheidungsrelevanz und Abwägen der einzelnen oder zusammengefassten Argumente und Gegenargumente bzw. der positiven und negativen Aspekte.
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26.2.5 Sokratische Gesprächsführung
Definition
Der psychotherapeutische Sokratische Dialog bezeichnet einen philosophisch
orientierten, durch eine nicht-wissende, naiv fragende, um Verständnis bemühte, zugewandte, akzeptierende Therapeutenhaltung geprägten Gesprächsstil, der chronologisch verschiedene Phasen durchläuft.
Er dient einzig der Zielsetzung, dass der Patient durch die geleiteten "naiven" Fragen des Therapeuten seine alte Sichtweise reflektiert, Widersprüche
und Mängel erkennt, selbständig funktionale Einsichten und Erkenntnisse erarbeitet und seine alte, dysfunktionale Ansicht zu Gunsten der selbst- und eigenverantwortlich erstellten aufgibt. Hierzu bedienen Therapeuten sich verschiedener Frage- und Disputtechniken und der Methode der regressiven
Abstraktion (vgl. Stavemann, 2007, S. 97ff.).
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Fragetechniken und Gesprächsführung in der KVT
Kennzeichen sokratischer Gesprächsführung
Die sokratische Dialogführung ist wegen ihres non-direktiven Vorgehens besonders bei allen lebensphilosophischen, metaphysischen Themen geeignet, in denen
Patienten ihre eigene wahre Lösung suchen.
Ein Sokratischer Dialog setzt ein Thema, eine dysfunktionale Grundüberzeugung, Lebensphilosophie oder Moralvorstellung voraus. Das typisch Sokratische
im Vorgehen besteht dabei nicht nur im Dialogstil mit seiner nichtwissenden,
naiv fragenden, um Verständnis bemühten, zugewandten, akzeptierenden Therapeutenhaltung, sondern auch in der Dialogstrategie: Das heißt in der Art und
Weise, wie der Therapeut behauptetes Wissen hinterfragt, um den Patienten in
den "Zustand innerer Verwirrung" zu führen und wie er seine Patienten zu funktionalen Erkenntnissen führt, ohne selbst neues Wissen oder eigene Ansichten zu
vermitteln. Schließlich soll der Patient selbst die Unstimmigkeiten oder Fehler
seiner alten Denkweise aufdecken, da der Erfolg einer Kognitiven Umstrukturierung entscheidend davon abhängt, wie sehr er von seiner neuen Ansicht überzeugt ist und die Dysfunktionalität der alten versteht.
Einzelne Disputmethoden und Techniken, wie der Einsatz von Analogien, Metaphern, Reframing, Humor, Ironie, Überzeichnungen, Rollentausch, Modellen
und Verhaltensübungen, wirken zwar sehr effektiv im Sokratischen Dialog, sind
aber nicht die Methode selbst, denn die ist mehr als eine Aneinanderreihung verschiedener Techniken. Sie verläuft strukturiert und prozesshaft.
Modelle sokratischer Gesprächsführung. Sokratische Gesprächsführung lässt sich
im Einzel-, Paar- oder Gruppensetting auf drei Arten für unterschiedliche therapeutische Ziele einsetzen: explikativ, zur Beantwortung der "Was ist das?"-Frage,
normativ, um die "Darf ich das?"-Frage zu klären und funktional, um die "Soll
ich das?"-Frage zu entscheiden.
Explikative sokratische Dialoge
Explikative sokratische Gesprächsführung dient der Beantwortung der "Was ist
das?"-Frage und gleicht der historischen begriffsbestimmenden Methode: Es geht
darum, dass Patienten bestimmte Wertbegriffe definieren oder Begriffsklärungen
erarbeiten. Der Dialog beginnt mit der Formulierung der Fragestellung und einem konkreten Beispiel hierzu aus dem Patientenalltag und schließt mit einer
funktionalen Definition, die in der Regel mit Hilfe der regressiven Abstraktion
erarbeitet wird. Ausnahme: Explikative Diskurse mit dem Ziel "negativer" Begriffsklärung enden im "Zustand innerer Verwirrung" und der Erkenntnis, dass
der gesuchte Begriff nicht real existiert (z.B. bei der Forderung nach Perfektionismus, Sicherheit oder Gerechtigkeit).
Die zuvor beschriebenen Disputtechniken kommen im explikativen Dialog in
den Phasen 5 und 6 zum Einsatz (Phasen siehe Arbeitsblatt 26-2 "Struktur des explikativen Sokratischen Dialogs"). Die Regressive Abstraktion kann ebenfalls in
der Dialogphase 6, der Hinführung, in fünf Schritten durchgeführt werden (zum
Vorgehen siehe Arbeitsblatt 26-5 "Vorgehen bei der Regressiven Abstraktion").
26.2 Therapeutisches Vorgehen und Strategien
I
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Explikative sokratische Gesprächsführung ist nicht nur bei Begriffsklärungen
indiziert. Besonders bei Selbstwertproblemen ist sie das Mittel der Wahl, um dysfunktionale Kriterien zur Selbstwertschöpfung zu verändern. Bei depressiven Patienten kann damit die oft unbeantwortete Frage nach dem Sinn des Lebens bearbeitet, bei Patienten mit Ärger- oder Wutreaktionen (dazu gehören viele
Patienten mit psychosomatischen Beschwerden) können rigide Normen und
Moralvorstellungen aufgeweicht, "richtig" und "falsch", "gut" und "schlecht" relativiert werden. Weitere Indizien für den sinnvollen Einsatz liegen vor, wenn Patienten Schlüsselbegriffe wie "Sicherheit", "Gerechtigkeit", "Perfektionismus",
"unbedingte Anerkennung" oder "Selbstwert" benutzen. Dann wird diese Methode für negative Definitionen angewandt, um aufzuzeigen, dass das Geforderte
real nicht existiert. Typische Fragestellungen sind:
.. "Was ist ein wertvoller Mensch?"
.. "Was ist ein erfülltes Leben?"
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.. "Was ist Gerechtigkeit?"
.. "Was ist sicher?"
Eine ausführliche Beschreibung der Methode und kommentierte Beispieldialoge
finden sich bei Stavemann (2007, Kapitel 7). Zum praktischen Vorgehen siehe
Arbeitsblatt 26-2 ("Struktur des explikativen Sokratischen Dialogs").
Normative Sokratische Dialoge
Normative sokratische Gesprächsführung dient der Beantwortung der "Darf ich
das?" -Frage und somit der Prüfung, ob bestimmte Einstellungen oder Handlungen von Patienten gemäß ihrer ethisch-moralischen GrundeinsteIlung moralisch
sind oder nicht sowie der Auflösung moralischer Konflikte durch Auswahl der
am wenigsten moralschädigenden Variante. Sie beginnen mit der Formulierung
der Fragestellung, die von konkreten Alltagsbeispielen ausgeht, und enden mit
der Entscheidung der Patienten.
Disputtechniken kommen im normativen Dialog in der Phase 4 zum Einsatz,
um zu prüfen, ob die zur Entscheidung herangezogenen Normen und Wertmaßstäbe sinnvoll und für die Entscheidung relevant sind (Phasen siehe Arbeitsblatt 26-3 "Struktur des normativen Sokratischen Dialogs"). Die Regressive Abstraktion zur Elimination unwesentlicher Kriterien kann in der Dialogphase 4
stattfinden. Das Vorgehen erfolgt dabei in fünf Schritten (zum Vorgehen siehe
Arbeitsblatt 26-5 "Vorgehen bei der Regressiven Abstraktion").
Normative Dialoge sind sowohl für Einzel-, als auch für Paar-, Familien- und
Gruppentherapien indiziert.
.. Typische Fragestellungen sind:
.. "Darf ich abtreiben?"
.. "Darf ich den unheilbar kranken Partner verlassen?"
.. "Darf ich den Ptlegewunsch der Mutter ablehnen?"
Eine ausführliche Beschreibung der Methode und kommentierte Beispieldialoge
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Fragetechniken und Gesprächsführung in der KVT
finden sich bei Stavemann (2007, Kapitel 8). Zum praktischen Vorgehen siehe
Arbeitsblatt 26-3 ("Struktur des normativen Sokratischen Dialogs").
Funktionale Sokratische Dialoge
Funktionale sokratische Gesprächsführung dient der Beantwortung der "Soll ich
das? "-Frage und damit der Prüfung, ob bestimmte Einstellungen oder Handlungen des Patienten gemäß seiner (Lebens-)Ziele sinnvoll sind oder nicht. Meist
geht es dabei um das Auflösen von Zielkonflikten durch das gegeneinander Abwägen widersprüchlicher Unterziele (mit anschließendem Aufbau einer Zielhierarchie) und der Entscheidung, welche(s) davon vor dem Hintergrund der übergeordneten Lebensziele als wichtiger angesehen werden soll(en). Funktionale
Sokratische Dialoge beginnen mit der Formulierung der Fragestellung, die von
konkreten Alltagsbeispielen ausgeht, und enden mit der Entscheidung der Patienten.
Disputtechniken kommen im funktionalen Dialog in der Phase 4 zum Einsatz
(Phasen siehe Arbeitsblatt 26-4 "Struktur des funktionalen Sokratischen Dialogs"), um zu prüfen, ob die herangezogenen Entscheidungskriterien und Aspekte sinnvoll und entscheidungsrelevant sind. Die regressive Abstraktion zur Elimination unwesentlicher Kriterien kann in der Dialogphase 4 stattfinden. Das
Vorgehen erfolgt dabei in fünf Schritten (zum Vorgehen siehe Arbeitsblatt 26-5
"Vorgehen bei der Regressiven Abstraktion"). Typische Fragestellungen in funktionalen Dialogen sind:
"Soll ich heiraten?"
"Soll ich dieses Kind abtreiben?"
"Soll ich diese Beziehung aufgeben, um nach einer besseren zu suchen?"
"Soll ich weiter studieren?"
Eine ausführliche Beschreibung der Methode und kommentierte Beispieldialoge
finden sich bei Stavemann (2007, Kapitel 9). Zum praktischen Vorgehen siehe
Arbeitsblatt 26-4 ("Struktur des funktionalen Sokratischen Dialogs").
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26.2.6 Differentialindikation: Disput oder sokratischer Dialog?
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Dispute. Dispute sind immer dann die Methode der Wahl,
wenn emotionale Probleme in erster Linie durch einzelne übertriebene oder
unrealistische Behauptungen, Erwartungen oder unlogische Schlussfolgerungen oder überzogene Bewertungen entstanden sind,
wenn diese Behauptungen, Erwartungen oder Schlussfolgerungen von Patienten auf ihre (Eintritts-)Wahrscheinlichkeit, inhaltliche Logik, Zielgerichtetheit,
langfristig hedonistische Orientierung oder Normenverträglichkeit untersucht
oder widerlegt werden sollen oder
wenn sie innerhalb der sokratischen Gesprächsführung dazu dienen, einzelne
Behauptungen, Schlussfolgerungen oder Sichtweisen zu prüfen, zu widerlegen,
26.2 Therapeutisches Vorgehen und Strategien
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