Leseprobe aus: Susan Niessen Fips Fidibus Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright © 2015 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Susan Niessen Fips Fidibus Rowohlt Taschenbuch Verlag Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2015 Copyright © 2015 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg «Fips Fidibus und das Geheimnis des Schwarzen Haderich» Copyright © 2012 by Verlag Friedrich Oetinger GmbH, Hamburg «Fips Fidibus und der verflixte Zauberkelch» Copyright © 2014 by Verlag Friedrich Oetinger GmbH, Hamburg Umschlag- und Innenillustrationen SaBine Büchner Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke & Cordula Schmidt Satz Dolly PostScript, InDesign, bei Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin Druck und Bindung GGP Media GmbH, Pößneck, Germany ISBN 978 3 499 21323 6 Fips Fidibus und das Geheimnis des Schwarzen Haderich Inhalt Ein Zauberer verschwindet 9 Eine Prüfung mit Zwischenfall 12 Direktor Zwirbel fasst einen Entschluss 20 Fips Fidibus bricht auf 24 Im verwunschenen Wald 29 Nichtschwimmer 36 Komische Hüte 41 Ritter und Knappe 48 Auf der Landstraße 53 Der Schwarze Haderich 60 Edelfräulein und Zofe 64 Arthur hat eine Idee 70 Noch ein komischer Hut 74 Der Plan des Schwarzen Haderich 78 Ein Fuhrwagen trifft ein 82 Weinfässer unter sich 87 Das geheimnisvolle Pfand 90 Drachengelächter 98 Zwischenfall im Kerker 105 Die Erlösung 109 Ein Goldfisch schlägt zurück 114 Mahlzeit um Mitternacht 118 Ein Zauberer verschwindet Z um – letzten – Mal», sagte Ferdinand Fidibus langsam. «Den Zauberspruch für die magische Mauer, aber dalli!» Er stand in seinem Arbeitszimmer im Südturm von Schloss Flunkerfels und betrachtete mit einer steilen Falte auf der Stirn sein Zauberbuch, das aufgeschlagen vor ihm lag und widerspenstig mit den Seiten raschelte. «Ich protestiere», antwortete das Zauberbuch, «der doppelte Schutzzauber ist viel besser geeignet für dieses Schloss.» Das hatte es schon drei Mal gesagt, und der Zauberer hatte schon drei Mal erwidert, dass er anderer Meinung sei. Nun war er am Ende seiner Geduld. «Tu endlich, was ich dir sage, du aufgeblasenes Blätterwerk!», rief er zornig. «Ich bin hier der Zauberer, du bist nur das Buch!» «Phhh», machte das Zauberbuch beleidigt. «Dann finde doch erst mal deinen Zauberstab, du alter Schussel.» Nanu, dachte der Zauberer und hörte mit seinem Gefuchtel auf. Hielt er denn seinen Zauberstab nicht in der Hand? Erstaunt stellte er fest, dass er die ganze Zeit versucht hatte, mit dem Löffel zu zaubern, mit dem er eben sein Mittagessen zu sich genommen hatte. Na, dann musste der Zauberstab wohl in der Suppe liegen. Sofort eilte der Zauberer in die Küche seines Schlosses. Im Suppentopf war der Zauberstab allerdings nicht. Auf dem Küchentisch lag er auch nicht. Wo war er dann? Besorgt warf Ferdinand Fidibus einen Blick aus dem 9 Fenster. Ein kräftiger Wind war aufgekommen, und eine riesige pechschwarze Wolke wälzte sich vom Horizont heran. Diese Wolke war es, die ihn schon beim Mittagessen beunruhigt hatte. Irgendetwas an ihrer Form sagte Ferdinand Fidibus, dass es keine normale Gewitterwolke war. Nein, das sah verdächtig nach einem bevorstehenden Anschlag seines Erzfeindes Ambrosius Übelwurz aus. Sehr verdächtig sogar. Deshalb wollte er sein Schloss vorsichtshalber mit einem Schutzzauber sichern, und der verlorene Zauberstab kam da gerade etwas ungelegen. Ferdinand Fidibus begann, jeden einzelnen Raum des Schlosses nach seinem Werkzeug abzusuchen. Zum Glück war es nur ein kleines Schloss. Außer ihm selbst wohnte nur noch sein Sohn hier. Der konnte den Zauberstab allerdings nicht genommen haben, denn er war gerade auf der Grundschule für Hokuspokus. Unterdessen verfinsterte sich der Himmel weiter, und der Sturm nahm zu. Schaurig heulte und pfiff der Wind um die steinernen Mauern von Schloss Flunkerfels. Ein Blitz durchzuckte das Zwielicht und tanzte über die windgepeitschten Wipfel der Tannen, die das Schloss umgaben. Sogleich folgte ein Donnerschlag, dass die Gemäuer erzitterten und die Fledermäuse vor Schreck von der Decke fielen. Dann schlug jemand an das Schlosstor. Bumm – bumm – bumm. Ferdinand Fidibus spürte, wie sich seine Nackenhaare langsam sträubten. Er lief zum Fenster und sah hinaus. Draußen war es jetzt tintenschwarz, nichts war zu sehen. Äußerst beunruhigt rannte er zurück in den Südturm und öffnete sein widerspenstiges Zauberbuch. 10 «Die magische Mauer!», rief er. «Ich bitte dich, liebes Zauberbuch, es ist dringend.» Wenn ihm bloß der verflixte Zauberspruch wieder einfallen würde, könnte er es auch ohne Zauberstab versuchen! «Wo ist dein Zauberstab?», fragte das Buch streng. Alles, was recht war, aber seit wann wurde ohne Zauberstab gezaubert? Es war entschlossen, seinem schlampigen Herrn und Meister eine Lehre zu erteilen. Da flog mit lautem Krachen die Tür des Arbeitszimmers auf. Der Zauberer fuhr herum. Ein weiterer Blitz erhellte den Raum – und im Türrahmen erschien eine schwarze Gestalt. «Nanu!», rief Ferdinand Fidibus. «Was …?» Weiter kam er nicht. Die Gestalt hatte den Arm gehoben und einen langen grünen Zauberstab auf Ferdinand Fidibus gerichtet. «Fidibus Verschwindibus!», donnerte es durch das Turmzimmer. Der Zauber traf Ferdinand Fidibus wie ein heftiger Schlag. Kurz darauf war der Spuk vorbei. Ferdinand Fidibus war verschwunden. Der Sturm war verebbt. Schloss Flunkerfels lag still und völlig verlassen auf seinem Felsen, als wäre nichts geschehen. Und die Reste einer schwefelgelben Rauchwolke senkten sich langsam auf ein geöffnetes Zauberbuch, das vor Scham weinte. Eine Prüfung mit Zwischenfall E in halbes Jahr nach den bedauerlichen Ereignissen auf Schloss Flunkerfels öffnete sich eines sonnigen Morgens lautlos die schwere Eichentür des Prüfungssaals der Grundschule für Hokuspokus. Ein etwa achtjähriger Junge in einem blauen Umhang kam heraus. Er trug einen spitzen Hut, der schief auf seinem Kopf saß, und war hochrot im Gesicht, aber er grinste von einem Ohr zum anderen. «Herein mit dem nächsten Prüfling!», donnerte es von drinnen. Von der Bank auf dem langen Flur erhob sich daraufhin ein weiterer Junge in einem blauen Umhang. Er hatte den gleichen spitzen Hut auf, unter dessen Rand ein Kranz von blonden Locken hervorquoll. Im Gegensatz zu seinem Mitschüler war er allerdings ziemlich blass um die Nase. «Wie ist er gelaunt?», flüsterte er. «Hörst du ja», flüsterte der andere zurück. «Wie immer. Viel Glück!» Der Junge holte tief Luft und betrat den Saal. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Der Prüfungssaal war leer bis auf einen Tisch am Ende des Raumes, an dem drei Männer saßen. In der Mitte thronte, bewegungslos wie ein Reptil, das auf Beute wartet, Hie ronymus Bonk, der große Vorsitzende. Hieronymus Bonk war schon sehr lange Prüfer an der Grundschule für Hokuspokus. Und genauso lange hatte er schon keine Lust mehr dazu. Das war einer der Gründe dafür, warum er meistens 12 schlecht gelaunt war. Denn tief in seinem Inneren wusste Hieronymus Bonk, dass er zu Höherem berufen war. Seit fünfzig Jahren schrieb er an einem Lehrbuch der Zauberei. Er hatte es «Der Große Bonk – Zaubern für Künstler» genannt und zweifelte nicht daran, dass es als Meilenstein in die Geschichte der Zauberei eingehen würde. Allerdings kam er mit seinem Werk nicht so recht voran. Ganze zwanzig Seiten hatte er bisher geschrieben, und vierhundert sollten es werden. Das war der zweite Grund für Hierony- 13 mus Bonks schlechte Laune. Unterdessen hatte nämlich ein anderer Zauberer ebenfalls ein Lehrbuch verfasst. Es hatte nur hundert Seiten und hieß «Die Grundlagen der Zauberei». Obwohl Hieronymus Bonk es für nichts Außergewöhnliches hielt, galt dieses Werk nun schon seit Jahren als das wichtigste Lehrbuch an allen Grundschulen. Sein Verfasser war Ferdinand Fidibus von Flunkerfels – niemand anders als der Vater des Prüflings, der gerade in diesem Moment den großen Saal betrat. Das hätte eigentlich schlagartig zu einer weiteren Verschlechterung von Hieronymus Bonks schlechter Laune führen müssen – aber der große Vorsitzende lächelte nur still in sich hinein. Rechts neben ihm saß Professor Hagelkorn, der zweite Prüfer. Hagelkorn war Fips Fidibus’ Klassenlehrer während seiner beiden ersten Jahre an der Grundschule für Hokuspokus gewesen. Er war außerdem sehr gut mit Fips’ Vater befreundet, der vor einem halben Jahr unter rätselhaften Umständen verschwunden war. Professor Hagelkorn war immer noch dabei, die Angelegenheit zu untersuchen, tappte aber völlig im Dunkeln. Steckte der Zauberer Ambrosius Übelwurz dahinter? Hatte Ferdinand Fidibus sich in einem Moment der Verwirrung selber weggehext? Und was hatte es zu bedeuten, dass sein Zauberstab in der Petersilie gelegen hatte? Das Zauberbuch hatte leider nichts zur Aufklärung beitragen können. Seit der große Fidibus verschwunden war, hielt es die Buchdeckel eisern geschlossen und sprach nur noch mit sich selbst. Man hatte es Fips Fidibus übergeben, zusammen mit dem Zauberstab und dem Schlüssel von Schloss Flunkerfels, das nun einsam und verlassen vor sich hin moderte. 14 Professor Hagelkorn hatte seitdem ein behütendes Auge auf Fips geworfen. Das kleine, boshafte Lächeln im Gesicht des großen Vorsitzenden war ihm nicht entgangen. Professor Hagelkorn beschloss, bei dieser Prüfung ganz besonders wachsam zu sein. Der Dritte am Tisch war der Schreiber, der jedes Wort der Prüfung und alle Ergebnisse sorgfältig mitschreiben musste. Er schien allerdings bereits sehr müde zu sein, denn seine Augen waren halb geschlossen, und er war kurz davor, mit der Stirn auf den Stapel Pergamente zu sinken, der sich vor ihm auftürmte. Die Luft im Raum war warm und stickig. Aber Professor Bonk hatte das Öffnen der Fenster ausdrücklich untersagt, denn auf der Liste der Dinge, die er aus ganzer Seele hasste, kam die Zugluft direkt nach den Zauberlehrlingen. Fips Fidibus blieb vor dem großen Tisch stehen und wünschte fröhlich einen Guten Tag. Hieronymus Bonk richtete seinen Reptilienblick auf ihn und knurrte: «Ob es ein guter Tag für dich ist, das wird sich noch zeigen.» Professor Hagelkorn lächelte beschwichtigend. Der Schreiber gähnte. «Die Prüfung beginnt», sagte Hieronymus Bonk mit lauter Stimme, um den Schreiber zu wecken. «Erste Aufgabe: das Bewegen von Gegenständen.» Fips Fidibus umklammerte seinen Zauberstab und wartete darauf, dass ihm mitgeteilt wurde, welchen Gegenstand er bewegen sollte. Aber Hieronymus Bonk sah ihn nur lauernd an und schwieg. Professor Hagelkorn verdrehte die Augen, als wolle er Fips etwas mitteilen. Dann sah er Richtung Fenster. Fips 15 überlegte. Sollte er vielleicht die Fenster öffnen? Das war einfach. Er richtete seinen Zauberstab auf die Fenster und befahl: «Öffnet euch!» Im nächsten Moment flogen alle sieben Fenster gleichzeitig auf. Ein frischer Luftzug traf den Nacken des großen Vorsitzenden. Er pustete kurz durch das schüttere graue Haupthaar, lüftete einmal kräftig seinen Umhang und fuhr schließlich mit Schwung in die sorgfältig aufgeschichteten Pergamente des Schreibers, die daraufhin wie Herbstlaub durch den Raum wirbelten. Hieronymus Bonk gab ein empörtes Grunzen von sich. Ach herrje, dachte Fips Fidibus. Kein guter Anfang. Schnell schloss er die Fenster wieder. «Tut mir leid», murmelte er zerknirscht. «Ich bringe es wieder in Ordnung.» Plopp! – die Pergamente des Schreibers landeten ordentlich gestapelt wieder auf dem Tisch. Aufräumen beherrschte er im Schlaf. Das hatte er zum Glück tausend Mal in seinem eigenen Zimmer geübt. Er atmete auf. Ein Blick auf seine Prüfer sagte ihm allerdings, dass es vielleicht tatsächlich kein so guter Tag für ihn werden würde. Das Gesicht von Hieronymus Bonk hatte einen dunkelroten Farbton angenommen, und Professor Hagelkorn wirkte besorgt. Sogar der Schreiber war aus seinem Halbschlaf erwacht. «Die Aufgabe ist bestanden», sagte Professor Hagelkorn schnell. «Auch wenn sie etwas unglücklich gewählt wurde.» «Schreiber», bellte Hieronymus Bonk. «Aufgabe eins bestanden. Aufgabe zwei: Zaubere etwas herbei.» 16 Fips dachte nicht lange nach, hob den Zauberstab und murmelte: «Hokus-Pokus, Zauberei, ich zaubere ein Schwein herbei.» Sogleich erschien ein großes, schlammverkrustetes Schwein vor ihm. «Oink!», machte das Schwein. Verdutzt sah es sich im Raum um. Wo war es denn hier gelandet? Doch weil es gerade sehr hungrig war, hielt es sich nicht lange mit Grübeleien auf, sondern senkte den Rüssel auf den Boden und suchte laut grunzend den Raum nach etwas Essbarem ab. Professor Bonk runzelte die Stirn. Tiere mochte er ebenso wenig wie Zauberlehrlinge. Genaugenommen standen sie auf Platz drei seiner Liste der Dinge, die er am meisten hasste. Aber die Aufgabe war leider bestanden, das konnte er wohl nicht ändern. Zähneknirschend stellte er Fips die dritte Aufgabe – ein Bann. Fips hob den Zauberstab, richtete ihn auf das Schwein und sagte: «Steh.» Das Schwein erstarrte mitten in der Bewegung. «Bann aufheben», befahl Hieronymus Bonk. «Geh!», flüsterte Fips Fidibus. Sofort setzte das Schwein seine Suche fort. Damit war die dritte Aufgabe ebenfalls bestanden. Hie ronymus Bonk sah jetzt sehr unzufrieden aus. «Aufgabe vier», knurrte er. «Eine Verwandlung.» Fips schluckte nervös. Verwandlungen waren nicht gerade seine Stärke. Er musste auf jeden Fall etwas Ungefährliches wählen. Das Schwein schnüffelte inzwischen am anderen Ende des Raumes herum, und mit einem Finger- 17 schnipsen dirigierte Fips es vor den Tisch der Prüfer. Dann richtete er seinen Zauberstab auf das Schwein. «Oink!», sagte das Schwein und sah ihn erwartungsvoll an. Gab es jetzt endlich etwas zu fressen? «Wasser zu Wein, Erde zu Stein, ein Sack Gerste …», begann Fips. In diesem Augenblick setzte sich das Schwein in Bewegung, um an den Füßen des Prüflings zu schnüffeln. Sie hatten einen sehr interessanten Geruch. Unwillkürlich trat Fips einen Schritt zurück. «… sollst du sein!», vollendete er seinen Zauberspruch. Aber nichts passierte. Das Schwein war immer noch ein Schwein und beschnüffelte seine Füße. «Seltsam …», sagte Fips verwirrt. Dann fiel sein Blick auf den Prüfertisch. Dort, wo eben noch der große Vorsitzende gesessen hatte, stand nun, mit gefährlicher Schlagseite, ein großer Sack Gerste. Ach herrje, dachte Fips. Das war ja mal wieder ordentlich danebengegangen. «Verzeihung!», rief er. «Ich mach’s wieder rückgängig!» «Halt!», rief Professor Hagelkorn alarmiert. Die Verwandlungszauber des kleinen Fidibus hatten es in sich. Hier galt es Schlimmeres zu verhindern. Er sprang auf. «Du tust gar nichts. Das erledige ich.» Leider stieß er dabei mit dem Ellenbogen an seinen verzauberten Tischnachbarn. Der Sack Gerste kippte zur Seite und plumpste auf den Boden. Da er nicht zugebunden war, ergoss sich die Gerste prasselnd auf die Holzdielen. «Oink, oink!», grunzte das Schwein erfreut. Dieses Ge- 18 räusch war ihm vertraut. Es machte eine erstaunlich flinke Kehrtwendung, trippelte eilig unter den Tisch und machte sich über die Gerste her. Professor Hagelkorn fiel vor Schreck rückwärts über seinen Stuhl. Der Schreiber sprang auf, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. Nur Fips Fidibus stand wie vom Donner gerührt da. Mit weit aufgerissenen Augen sah er zu, wie der große Vorsitzende im Magen des Schweins verschwand.
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