10 Titelthema „Deutschland guckt den Landarzt – ich werde einer“. Mit diesem frechen Statement, einem breiten Lächeln und einer lässig über den Kopf gezogenen Kapuze wirbt der Berliner Medizinstudent David Janke seit Mitte vergangenen Jahres für die Kampagne „Lass Dich nieder“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Medizinstudierenden soll eine Karriere als niedergelassener Arzt schmackhaft gemacht werden. Doch wer sind diese Nachwuchsärzte, die schon im Studium so viel Begeisterung für die Niederlassung zeigen? Was sind ihre Wünsche und Erwartungen an den Arztberuf? Wie wichtig ist ihnen die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben? „Unser“ Student vom KBV-Plakat, David Janke, gewährte dem KV-Blatt einen Tag lang Einblicke in seinen Alltag zwischen Schlagzeug, Hörsaal und Seminarraum. KV-Blatt 05.2015 Titelthema KV-Blatt 05.2015 Ein Student über seine Zukunft Dieser Mann wird Arzt Ein Dienstag im April. Der große Hörsaal ist an diesem Morgen nur zu einem Drittel gefüllt. Dabei hat das Semester gerade erst angefangen und der „Prof“ hätte sich sicher über ein volles Auditorium gefreut – sollte man meinen. Ob es am Thema der Vorlesung liegt? Nein. David Janke klärt auf: „Ein Rotationsprinzip bei den Vorlesungen bzw. bei deren Themen soll verhindern, dass die Hörsäle aus allen Nähten platzen.“ Es gäbe jedoch auch genau solche Vorlesungen, in denen man kaum einen Sitzplatz finden würde. Dann könne es durchaus ungemütlich werden. Enge Stuhlreihen, schlechte Luft und unkonzentrierte, manchmal nervende Nachbarn. Eine Kommilitonin vor uns hat längst abgeschaltet, schaut sich auf Facebook um und „studiert“ Kochrezepte. Einfach nicht hinschauen. Foto: Klotz Schreibblöcke, wie sie Reportern im Einsatz heilig sind, scheinen nicht mehr in Mode zu sein: Die meisten Studierenden arbeiten mit Tablet-Computern oder einem Laptop, für die wackeligen Ausklapptische noch immer zu sperrig. Auf den Displays: die vom Dozenten ins Internet gestellten Skripte inklusive Tabellen und Fotos. David Janke hat heute keinen Laptop dabei: „Der Akku ist hinüber“, schmunzelt er. Irgendwo hinter uns plärrt ein Handy in die Stille der Vorlesung hinein, jemand lacht. Der Dozent nimmt davon keine Notiz. Er erklärt anhand einer Folie die Kosten von unterschiedlichen CT- und RöntgenAufnahmen. Die Budgetfrage in der medizinischen Versorgung ist längst auch in Deutschlands Hörsälen angekommen. Du willst kein Arzt werden? „Ein Arzt werden wie mein Vater? Viel zu langweilig! So dachte ich als Schüler“, antwortet Janke auf die Frage, ob Arztwerden schon immer sein Wunsch gewesen sei. Medizin studieren, das sei für ihn nach dem Abitur ü-b-e-r-h-a-u-p-t kein Thema gewesen: Filmemachen schon. Regie wollte der in Kreuzberg Geborene und in Reinickendorf Aufgewachsene studieren und damit sein Hobby zum Beruf machen. Doch nach einem Praktikum in einer Berliner Filmfirma sei ihm die Lust darauf gehörig vergangen: „Da musste ich auf Kommando kreativ sein. Das war dann doch nicht mein Ding“, gesteht sich der 23-jährige ein. David Janke gehört zu den letzten Geburtenjahrgängen, die zum Wehrdienst „eingezogen“ wurden. Zum „Bund“ wollte er nicht. Der Zivildienst in der Rettungsstelle der Vivantes-Humboldt-Klinik in Reinickendorf bot ihm eine Alternative – und gab ihm Einblick in die ärztliche Berufswelt. Nun war es nicht mehr nur „Papas Job“, keine bloßen Abendbrottisch-Erzählungen über schwierige Patienten und überhaupt … Plötzlich war der junge Mann mittendrin im Geschehen, erlebte, wie schwer verletzte, vor Schmerzen wimmernde Menschen in der Notaufnahme eingeliefert wurden und Ärzte alles gaben, um Leben zu retten oder Schmerzen zu lindern. 11 12 Titelthema Fortsetzung von Seite 11 Die Monate in der Notaufnahme vergingen. Der „Zivi Janke“ freundete sich mit Pflegern und jungen Assistenzärzten an, wurde Teil einer „irgendwie“ eingeschworenen Gemeinschaft. Seine Verweigerungshaltung gegen den Arztberuf schwindet: „Eines Tages habe ich mir eingestanden, dass dieser Beruf mir durchaus Spaß machen könnte“, sagt er und erinnert sich, wie die Assistenzärzte in der Notaufnahme sein Interesse für den Beruf bemerkten. Irgendwann kam die für ihn alles entscheidende Frage seiner Kollegen: „Ausgerechnet Du willst kein Arzt werden?“ Die Gespräche darüber wurden intensiver. KV-Blatt 05.2015 das Studium der Medizin an der Charité. Der Student besuchte Vorlesungen, führte heiße Diskussionen in Seminaren und paukte in der Uni-Bibliothek bis in die Abendstunden hinein. An den engen Zeitplan von Vorlesungen und Seminaren, an den spätabendlichen Aufenthalt in Lesesälen usw. musste er sich rasch gewöhnen. Die Zwänge eines ganz normalen Studiums? Es folgte die Pflichtfamulatur in einer Hausarztpraxis. Auch nichts Besonderes für Medizinstudierende. Für viele von ihnen, so wird gemunkelt, bedeutet eine solche Famulatur eher eine lästige Pflicht. Auch für David Janke vorerst, denn im Verlauf der Famu veränderte sich langsam sein Bild vom vermeintlichen „Langeweile-Job“ Hausarzt. Einer unter vielen Der Hausarzt: Nur ein Klischee? Die Diskussionen in der Rettungsstelle wollten dem jungen Zivildienstleistenden nicht mehr aus dem Kopf gehen. Warum nicht Arzt werden? Eigentlich keine so schlechte Idee, dachte er sich – und machte Nägel mit Köpfen: Seinen Zivildienst hat er freiwillig verlängert. Und dann folgte die Immatrikulation für „Viele Medizinstudierende haben ein sehr klischeebeladenes Bild von der Arbeit eines Hausarztes“, stellt David Janke fest: „Sie denken, dass beim Hausarzt am frühen Morgen die Omas und Opas mit schlecht eingestelltem Diabetes zum Onkel Doktor kommen und Schimpfe kassieren, wenn sie wieder mal zu viel Süßes gegessen haben. Das klingt alles irgendwie nicht sonderlich spannend, und tatsächlich werden Hausärzte häufig mit solchen Standards konfrontiert“, wie er auch selbst erfahren hat. Manches sei frustrierend, etwa, wenn ein älterer Patient sich allen Ratschlägen seines Arztes widersetze, nicht auf Alkohol, Zucker oder Nikotin verzichte und auch weiterhin als Stammgast in der Praxis mit schlechten Blutwerten aufmarschiere. Doch so viel Uneinsichtigkeit sei die Ausnahme gewesen, denn die meisten Patienten arbeiteten gut mit dem Hausarzt zusammen – auch wenn sich eine Behandlung häufig über Jahre hinziehen kann: „Wenn der Hausarzt einen Patienten stabilisiert, seine Medikation richtig einstellt und somit ein Menschenleben verlängert, dann ist das doch ein schöner Erfolg“, sagt Janke mit leuchtenden Augen. Nicht mit beiden Armen im Blut Dass nicht alle seine Kommilitonen das so sehen, erwähnt er ebenfalls: „Viele denken, dass es nur in den fachärztlichen Disziplinen so richtig Action gibt. Titelthema KV-Blatt 05.2015 13 Janke hat dies in seinem Hausarzt-Praktikum immer wieder erlebt und nennt ein Beispiel: „Da kommt eine ältere Dame mit einem total schlecht eingestellten Diabetes in die Praxis. Ich als Arzt muss mir die Zeit nehmen und Medizinstudent David Janke zu Besuch in der Redaktion des KVBlatts lange Gespräche führen, um herauszufinden, wo denn der sprichwörtliche Schuh drückt. Hat sie zu viele Süßigkeiten gegessen? Wie sieht es mit der Medikation aus?“ Freizeit: Ja, bitte! Patientendokumentationen wachsen … Und trotz Pauschalierungen haben viele Handgriffe auch in der Hausarztpraxis eigene Abrechnungsziffern, das hat der Famulant schnell begreifen müssen. Doch die Bürokratie in der Arztpraxis hat ihn nicht besonders abgeschreckt. Für ihn überwiegen die positiven Aspekte der Niederlassung: „Mir ist wichtig, dass ich meine Arbeitszeiten selbst organisiere und sagen kann, wann Feierabend ist. Diese Freiheit hat ein Klinikarzt nicht. Da müssen Nachtschichten geschoben werden, oder man haut sich regelmäßig das ganze Wochenende um die Ohren. Viele meiner Kommilitonen wollen spä- Anzeige Geduld, Empathie und Vertrauen, drei wichtige Aspekte im Verhältnis zwischen Arzt und Patient – auch für den Medizinstudenten Janke: „Mir ist es wichtig, dass ich später stets gut berate und behandele. Das Herstellen einer Vertrauensbasis empfinde ich in diesem Zusammenhang als eine besonders große Herausforderung, denn nicht jeder Patient öffnet sich mir gleich mit seinen Sorgen und Nöten.“ Foto: Klotz Da behandeln sie schwere Unfallverletzungen, da stecken sie mit beiden Armen im Blut und retten Leben.“ Was er sagt, klingt nicht gerade nach dem Alltag in einer Hausarztpraxis. Viele Diagnosen im allgemeinmedizinischen Bereich bedürfen längerer Gespräche mit dem Patienten, fordern sehr viel Geduld und ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen. Titelthema KV-Blatt 05.2015 Foto: Klotz 14 Wünscht sich genügend Zeit für Hobbys: David Janke bei der Probe mit „seiner“ Band Fortsetzung von Seite 13 ter eine Familie gründen und nicht unbedingt 60-Stunden-Wochen in einer Klinik abdrücken.“ Später, sagt Janke, kann er sich durchaus vorstellen, mit Freunden beispielsweise in einer Gemeinschaftspraxis zu arbeiten, aber auch in einem Medizinischen Versorgungszentrum: „Der fachliche Austausch sowie die persönlichen Kontakte zu potenziellen Kollegen sind mir sehr wichtig.“ Abends im Band-Keller Früher Abend, der Uni-Alltag geht zu Ende. Und heute steht kein Lesesaal mehr auf dem Programm, dafür Freizeit. Janke ist ein begeisterter Hobbymusiker, spielt Schlagzeug in einer Studentenband. Kaum Freizeit zu haben – für ihn undenkbar. Regelmäßige Proben mit seiner Band (alles Medizin Studierende) müssen einfach sein. Die Combo trifft sich mehrfach pro Woche in einem Keller auf dem Unicampus. Man erreicht den Raum durch verschlungene Gänge, Ortsunkundige verlaufen sich schnell, dann Famulaturbörse wird rege genutzt Die bundesweite Famulaturbörse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) entwickelt sich zum Renner. Bereits kurz nach der Freischaltung im Januar haben sich knapp 700 Haus- und Fachärzte registriert, die Famulaturen anbieten. Inzwischen ist die Zahl weiter gewachsen. Unter www.lass-dich-nieder.de finden Medizinstudierende deutschlandweit ganz einfach online freie Plätze. Das Angebot ist Teil des Informationsportals von KBV und KVen, auf dem sich Medizinstudierende und junge Ärzte rund um das Thema Niederlassung informieren. Mit der neuen Börse finden Studierende dort nun auch die passende Praxis, in der sie eine Famulatur absolvieren können. Die Suche ist sowohl nach dem Fachgebiet als auch nach dem Wohnort möglich. Motivation für die Niederlassung: „Die Famulatur ist gut geeignet, um schon während des Studiums Einblicke in den Praxisalltag zu bekommen“, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. „Mit der neuen Börse wollen wir junge Mediziner bei der Suche nach einem Famulaturplatz in einer Hausoder Facharztpraxis unterstützen und sie für den Weg in die Niederlassung motivieren.“ Registrierung schnell und einfach: Vertragsärzte mit Famulaturplätzen können sich im Internet eintragen. Dazu steht ein Onlineformular bereit, das schnell und unkompliziert ausgefüllt werden kann. Abgefragt werden unter anderem Name und Ort der Praxis sowie die Fachrichtung. Die Nachwuchskampagne: Die Famulaturbörse ist ein weiterer Service im Rahmen der im Mai vergangenen Jahres gestarteten Nachwuchskampagne. Die Aktion von KBV und Kassenärztlichen Vereinigungen richtet sich gezielt an den medizinischen Nachwuchs, um mehr angehende Ärzte für die Arbeit im ambulanten Bereich zu gewinnen. Herzstück der Kampagne ist das Online-Portal www.lassdichnieder.de. kbv/red muss halt die Geräuschkulisse die Führung übernehmen. Schon im Treppenhaus spürt man die Vibrationen der Bassgitarre: „Momentan proben wir für einen Kabarett-Abend für Erstsemester, den wir musikalisch begleiten. Da müssen wir zwar noch ein bisschen üben, aber es macht richtig Spaß.“ Musikalisch hat die Band einiges zu bieten: von Hardrock bis zum Schunkelschlager. An diesem Probeabend wird fast die gesamte Bandbreite der Popmusik abgedeckt. Enthusiastisch in die Zukunft Studentenalltag? Der Begleitung unseres Studenten – der Redaktionskollege nennt ihn wegen des KBV-Plakatmotivs immer den „Kapuzenmann“ – ging ein langes Gespräch in der KV-Blatt-Redaktion voraus. Eine ideale Kulisse, um über Versorgungspolitik zu reden. Ärztliche Standesvertreter schlagen seit Jahren Alarm: Die Niederlassung sei unter jungen Nachwuchsmedizinern nicht mehr „cool“. So manch besorgter Berufspolitiker befürchtet gar ein Aussterben der klassischen Hausarztpraxis. Die nachrückenden Jungärzte der „Generation Y“ wünschen mehr Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf. Der Nachwuchs hat da seine eigenen Vorstellungen, will in seinem späteren Arbeitsleben keine schlauchenden Überstunden und Bereitschaftsdienste „rund um die Uhr“. Manch abgeklärter Berufsveteran tut dies als jugendliche Naivität ab, meint, dass sich die gesundheitlichen Probleme der Patienten nicht an Uhrzeiten orientieren. Und wer gar auf dem Land praktiziert … Ob David Janke tatsächlich später Landarzt wird, wie sein Plakatspruch suggeriert, kann heute wohl noch niemand mit Bestimmtheit sagen. Fest steht: Er und viele seiner Kommilitonen blicken enthusiastisch in ihre berufliche Zukunft. Und immerhin schließen sie ja eine Niederlassung nicht aus. Dr. Christian Klotz
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