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www.dkk2016.de
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
KONGRESSZEITUNG
Transparenz: Die DKG stellt die
Frage nach der Qualität der
onkologischen Versorgung
Seite 3
Neuroblastom: Aktuelle Studie
untersucht die genetischen
Ursachen der Krankheitsverläufe
Seite 4
Hautkrebsscreening: Der Nutzen
der gezielten Hautkrebsvorsorge
wird kontrovers diskutiert
Seite 8
Lebensqualität: Geriatrische
Onkologie muss auf alternde
Gesellschaft reagieren
Seite 10
Forschung an den Schnittstellen vorantreiben
Prof. Dr. Angelika Eggert über die Top-Themen des 32. Deutschen Krebskongresses
D
as Motto des 32. Deutschen Krebskongresses
lautet „Krebsmedizin heute:
präventiv, personalisiert, präzise und partizipativ“. Wieso haben Sie sich für dieses Motto
entschieden?
Prof. Dr. Angelika Eggert:
Wenn wir über Onkologie sprechen, stehen die moderne Präzisionsmedizin und die neuen
Behandlungsstrategien der personalisierten Medizin häufig im
Fokus. Diese Aspekte sind zweifelsohne für die weitere Verbesserung der Heilungsraten von
Krebspatienten enorm wichtig.
Wir müssen aber auch die
Krebsprävention im Blick behalten und darüber nachdenken, welche Informationen unsere Patienten brauchen, um an
der Entscheidung über eine
Therapie aktiv teilhaben zu
können und sich nach einer Behandlung im Alltag zurechtzufinden. Die vier Ps aus unserem Motto wurden in Anlehnung an das Konzept der
P4-Medizin von Leroy Hood
ausgewählt, um auf die Bedeutung einer umfassenden Strategie gegen Krebs aufmerksam zu
machen. Hood, ein Pionier der
biomedizinischen Forschung,
hat viele Technologien mitentwickelt, die die Medizin verändert haben, zum Beispiel die
erste automatische DNA-Sequenziermaschine in den
1980ern. Heute ist die Gensequenzierung eine wesentliche
Voraussetzung für personalisierte Behandlungsstrategien.
Ich glaube, die P4-Medizin birgt
große Chancen für unsere Patienten, hält aber auch Herausforderungen bereit, über die wir
auf dem Kongress diskutieren
wollen. Im Übrigen freue ich
mich sehr darüber, dass Leroy
Hood als Redner auf dem Deutschen Krebskongress zugesagt
hat, selbst eine Einführung in
die P4-Medizin zu geben.
Was sind Ihrer Meinung nach
die bedeutungsvollsten neuen
Erkenntnisse und Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre, die auf dem Kongress diskutiert werden?
Eggert: Insgesamt hat die
Krebsmedizin in den letzten
Jahren vor allem in zwei Bereichen riesige Fortschritte gemacht: einerseits in der molekularen Diagnostik und der entsprechenden zielgerichteten
Therapie und andererseits auf
dem Gebiet der Immuntherapie. Bei den molekular gezielten
Medikamenten denke ich zum
Beispiel an die Entwicklung von
BRAF- oder MEK-Inhibitoren
zur Behandlung von MelanomPatienten mit einer BRAF-Mutation im Tumor. Auf dem Gebiet der Immuntherapien wird
ebenso sehr intensiv und erfolgreich geforscht. Hier sind
neben gentechnisch maßgeschneiderten Immunzellen,
den sogenannten CAR-T-Zellen, vor allem die ImmunCheckpoint-Inhibitoren zu nennen. Diese Medikamente lösen
quasi die Bremse bei den körpereigenen T-Zellen, die vom
Tumor an der erfolgreichen Bekämpfung der Krebszellen gehindert werden, und regen so
das Immunsystem an, den
Krebs zu attackieren. Es deutet
sich an, dass die Immun-Checkpoint-Inhibitoren der zweiten
Generation bei einer Vielzahl
von Tumorerkrankungen wirken. Diese breite Wirksamkeit
war das Top-Thema unter den
Onkologen 2015.
Wie kann der Krebskongress
zum Fortschritt in der Onkologie beitragen?
Eggert: Der Kongress ist ein
ausgezeichnetes Forum, um
das Wissen über neue diagnostische und therapeutische Entwicklungen interdisziplinär zu
diskutieren. Dabei geht es nicht
nur um die rein wissenschaftliche Sicht, sondern auch um die
Umsetzung im klinischen Alltag und um die gesundheitspolitischen Voraussetzungen
für eine gute Krebsversorgung.
Deshalb werden wir auch über
den aktuellen Umsetzungsgrad
des Nationalen Krebsplans und
die Herausforderungen und
Chancen durch neue Gesetze
sprechen.
Die translationale Onkologie
ist das Schwerpunktthema des
Kongresses. Welche Herausforderungen sehen Sie in diesem
Bereich?
Eggert: Für eine qualitativ
hochwertige translationale Onkologie brauchen wir vor allem
gute „Physician Scientists“, die
die Forschung an der Schnittstelle zwischen Klinik und Labor
vorantreiben. Leider mangelt es
in Deutschland, anders als in
den USA, häufig an entsprechenden Arbeitsmodellen, die
genügend Freiraum für diese
Forschung lassen. In einer rein
ökonomisch dominierten Pa-
privat
BERLIN – Die Redaktion
sprach mit Kongresspräsidentin Prof. Dr. Angelika
Eggert über die Top-Themen und ihre persönlichen
Erwartungen an den Kongress.
Pixabay
Die translationale Forschung ist eines der wichtigsten Themen des Kongresses.
Kongresspräsidentin Prof. Dr.
Angelika Eggert
tientenversorgung bleibt oft keine Zeit für translationale Forschung. Außerdem fehlen Finanzierungsmodelle für die zielgerichtete molekulare Medizin
und die zelluläre Immuntherapie. So kommen neue wissenschaftliche Erkenntnisse nur
sehr langsam ans Krankenbett.
Einer
Ihrer
Forschungsschwerpunkte ist Krebs bei
Kindern. Was können Kongressbesucher in diesem Bereich erwarten?
Eggert: Die pädiatrische Onkologie war in der Vergangenheit
häufig Vorreiter in der Krebsmedizin, insbesondere in der
Strukturentwicklung flächendeckender klinischer Studien
und in der interdisziplinären,
ganzheitlichen Versorgung bis
hin zur jahrelangen Nachsorge.
Dieses gemeinsame, strukturierte Vorgehen hat wesentlich dazu
beigetragen, dass krebskranke
Kinder heute eine Heilungschance von mehr als 80 Prozent
haben. Auch heute sind klinische Studienkonzepte der personalisierten Therapie auf der
Basis molekularer Diagnostik
wieder zuerst in der Kinderonkologie flächendeckend auf
den Weg gebracht worden, wie es
das Beispiel der deutschen INFORM-Studie für Rezidive kindlicher Krebserkrankungen ein-
drucksvoll belegt. Die Kongressbesucher können also nicht nur
neue, spannende Ergebnisse aus
der translationalen und präklinischen Forschung erwarten, sondern bereits erste Ergebnisse der
personalisierten Therapie und
der Immuntherapie miterleben.
Welche Veränderungen wird es
gegenüber den Vorjahren im
Programm geben? Gibt es
neue Angebote?
Eggert: Die Themen Prävention und Patientenorientierung
sind deutlich stärker vertreten
als auf den vergangenen Kongressen. Den Bereich „Translationale Onkologie“ bilden wir
erstmals in einem eigenen Programmteil mit sehr attraktiven
Sitzungen ab. Dort geht es zum
Beispiel um die molekulare Charakterisierung von Tumorproben durch Omics-Technologien,
um den Stellenwert von Liquid
Biopsies, um präklinische Modelle zur Simulation der Therapieeffizienz sowie um neue Erkenntnisse zu Mechanismen der
Therapieresistenz, zur Tumorheterogenität und zu TumorWirt-Interaktionen.
Die Bedeutung gut ausgebildeter und motivierter
Nachwuchsonkologen hatte ich
bereits erwähnt: Beim Tag der
Jungen Medizin können sich
junge Kolleginnen und Kollegen über Karriereplanung und
Fördermöglichkeiten für ihre
Arbeit informieren. Der Kongress bietet dem Nachwuchs
außerdem zahlreiche Möglichkeiten, sich mit Postern und in
Vorträgen zu präsentieren. Erstmals beim Kongress vertreten
sind auch die onkologisch tätigen Sozialarbeiter mit einem eigenen Programmangebot.
Abschließend: Was erhoffen
Sie sich persönlich von diesem
Kongress?
Eggert: Ich freue mich sehr,
wenn das Programm des DKK
2016 den Anstoß zu einem intensiven, konstruktiven Austausch unter den Teilnehmern
gibt und dieser Input auch noch
nach dem Kongress, im beruflichen Alltag, nachwirkt. Neue
wissenschaftliche Erkenntnisse
sollten in kürzester Zeit am
Krankenbett umgesetzt werden. Wenn der DKK 2016 dazu
beiträgt, ist schon viel gewonnen!
KOMMENTIEREN, EVALUIEREN, TED: DIE INTERAKTIVE
KONGRESS-APP DKK 2016
Die Kongress-App zum DKK 2016
gibt es kostenfrei für alle iOS- und
Android-Geräte. Neben den allgemeinen Kongressinformationen
bietet sie drei interaktive Funktionen: Kommentieren, Evaluieren
und TED. Integriert sind außerdem
die Kongresszeitung, eine Communityfunktion und ausgewählte
Presse-News vom Kongress.
KONGRESSZEITUNG | 2
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
P4-MEDIZIN
Die Deutsche
Krebsgesellschaft
Schmiegel: „Herausforderungen
in der Onkologie meistern“
D
Gesundheitspolitik ....Seite 3
Translationale
Onkologie ....................Seite 4
Gynäkologie......... .......Seite 5
Kopf-Hals-Tumoren und
Immunologie ..............Seite 6
Uroonkologie und
Lungenkrebs ................Seite 7
Hauttumoren ..............Seite 8
Ethik ..............................Seite 9
Nachsorge und Krebs
bei Jugendlichen ......Seite 10
Große Chance
Pflege, Supportiv- und
Palliativmedizin ........Seite 11
Tag der Jungen
Medizin .......................Seite 12
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ISSN print: 1863–9410
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Im Einsatz der personalisierten
Medizin liegt also eine große
Chance für unsere Patienten.
Wenn wir diese Chance nutzen
wollen, müssen wir verschiedene Herausforderungen meistern: Die wichtigen sogenannten Treibermutationen für
Krebs sind mittlerweile bekannt. Sie triggern nur etwa
zehn Prozent aller Tumorerkrankungen. Jetzt geht es vor
allem um diejenigen Mutationen, die funktionierende Gene
außer Kraft setzen und dadurch
Stoffwechselwege entgleisen
lassen. Ihre Erforschung ist eine komplexe Aufgabe. Wir erwarten dabei eine Fülle von Daten, deren Analyse nur mithilfe
der entsprechenden Bioinformatik-Werkzeuge gelingt. Im
Forschungsumfeld sind Fortschritte erkennbar, aber die direkte klinische Anwendung
steht noch am Anfang. Schon
jetzt gibt es z. B. in den USA
„molekulare Tumorboards“, in
denen Molekularbiologen, Bioinformatiker und Pathologen
die Kliniker bei der Auswahl
maßgeschneiderter Therapien
beraten.
Neben diesen fachlichen
Aspekten stehen auch gesellschaftliche und gesundheitspolitische Fragen zur Diskussion: Kommen diese Innovationen beim Patienten an? Bewähren sie sich im Versorgungsalltag, z. B. bei älteren multimorbiden Patienten? Wie lässt sich
die Qualität der Krebsversor-
privat
D
ie moderne Onkologie ist
geprägt von einem enormen Zuwachs an Wissen. Zum
einen sind Operations- und Bestrahlungsverfahren heute deutlich schonender und präziser
als noch vor wenigen Jahren.
Zum anderen haben neue Erkenntnisse der Tumorbiologie
zur Entwicklung zielgerichteter
Medikamente geführt und die
therapeutische Bandbreite zur
Tumorbekämpfung
deutlich
vergrößert. Bei einigen Tumoren nutzen wir mittlerweile das
genetische Profil, um eine präzisere Therapieentscheidung
zu treffen. Möglicherweise tragen gendiagnostische Marker
sogar zur rascheren Entwicklung neuer Arzneimittel bei.
Denn mit ihrer Hilfe lässt sich
heute die Entscheidung, ob ein
Medikament weiterentwickelt
wird oder nicht, schon relativ
früh fällen.
Prof. Dr. Wolff Schmiegel, Präsident
der Deutschen Krebsgesellschaft
gung angesichts dieser Neuerungen nachhaltig sichern?
Und wie können wir die Patienten bei der Entscheidungsfindung für die „richtige“ Therapieform unterstützen?
Enge Zusammenarbeit
Bei der Beantwortung dieser
Fragen arbeiten wir eng mit der
Deutschen Krebshilfe zusammen. Beide Organisationen gehören zu den Mitinitiatoren des
Nationalen Krebsplans. Gemeinsam engagieren wir uns
im Leitlinienprogramm Onkologie, in der Entwicklung von
Patienteninformationen und
für die Implementierung klinischer Krebsregister. Gemeinsam sorgen wir auch dafür, dass
das Gespräch mit den gesundheitspolitischen Gremien nicht
abreißt.
Eine gute Gelegenheit zum
Austausch bietet der 32. Deutsche Krebskongress. Erstmals
ist die translationale Onkologie,
also die Schnittstelle zwischen
Grundlagenwissenschaft und
klinischer Forschung, mit einem eigenen Programmstrang
auf dem Kongress vertreten. In
den gesundheitspolitischen Sitzungen geht es unter anderem
um die Fortschritte und Aufgaben im Nationalen Krebsplan, beim Aufbau klinischer
Krebsregister und bei der Finanzierung der personalisierten Medizin. Ich freue mich gemeinsam mit Ihnen auf ein
spannendes
Kongressprogramm und viele interdisziplinäre Diskussionen auf dem
DKK 2016.
Ihr Wolff Schmiegel
Präsident der Deutschen
Krebsgesellschaft
ie Deutsche Krebsgesellschaft e. V. (DKG) – eine
Nachfolgeorganisation des 1900
gegründeten „Comité für Krebssammelforschung“ – ist die
größte wissenschaftlich-onkologische Fachgesellschaft im
deutschsprachigen Raum. In
der DKG vertreten sind über
7 500 Einzelmitglieder in 24 Arbeitsgemeinschaften, die sich
mit der Erforschung und Behandlung von Krebserkrankungen befassen; dazu kommen 16
Landeskrebsgesellschaften und
36 Fördermitglieder. Die DKG
engagiert sich für eine Krebsversorgung auf der Basis von
evidenzbasierter Medizin, Interdisziplinarität sowie konsequenten Qualitätsstandards.
Sie setzt sich außerdem für die
Sicherstellung von Innovation
in der Krebsmedizin ein. Die
Deutsche Krebsgesellschaft ist,
gemeinsam mit der Deutschen
Krebshilfe und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren, Mitinitiator des
Nationalen Krebsplans.
www.krebsgesellschaft.de
Die Deutsche
Krebshilfe
S
eit über 40 Jahren setzt sich
die Deutsche Krebshilfe für
krebskranke Menschen ein. Mit
30 bis 40 Mio. Euro jährlich ist
sie der bedeutendste private
Förderer der Krebsforschung in
Deutschland. Die Deutsche
Krebshilfe unterstützt Projekte
zur Prävention, Früherkennung, Diagnose, Therapie,
Nachsorge und psychosozialen
Versorgung einschließlich der
Krebs-Selbsthilfe. Sie informiert die Bevölkerung über
Krebs und die Möglichkeiten,
eine Erkrankung zu vermeiden
bzw. früh zu erkennen. Die private Hilfsorganisation engagiert sich auf allen Ebenen der
Medizin und der Gesundheitspolitik, damit Betroffene in
Deutschland optimal versorgt
werden. Sämtliche Aktivitäten
finanziert die Deutsche Krebshilfe ausschließlich aus Spenden und freiwilligen Zuwendungen. Sie erhält keine öffentlichen Mittel.
www.krebshilfe.de
Im Sinne des
Patienten handeln
Pleitgen: „Neue Erkenntnisse rasch
in die Klinik bringen“
A
ls die Deutsche Krebshilfe
1974 von Mildred Scheel als
Bürgerbewegung im Kampf gegen den Krebs gegründet wurde,
war die Behandlung krebskranker Menschen alles andere als
vorbildlich. Die Heilungschancen waren schlecht, niemand
fühlte sich für eine Verbesserung
der Versorgung krebskranker
Menschen wirklich zuständig.
Keiner sprach über Krebs – das
Thema war tabu. Die Betroffenen verschwiegen ihre Erkrankung und auch zwischen Arzt
und Patient fand kein Austausch
statt. Die Krankheit Krebs von ihrem Tabu zu befreien und in das
Bewusstsein der Bevölkerung zu
rücken, krebskranken Menschen
zu helfen und ihnen Hoffnung zu
geben, war von Anfang an der
Kerngedanke der Deutschen
Krebshilfe – er galt vor 40 Jahren
und gilt auch heute noch.
Inzwischen hat sich an der
damaligen Situation erfreulicherweise vieles geändert. Etwa
die Hälfte der Krebs-Neuerkrankungen in unserem Land kann
heute geheilt werden. Die Deutsche Krebshilfe hat hierzu – dank
Hilfsbereitschaft und Unterstützung der Bevölkerung – durch
Projektförderungen und Initiativen auf allen Feldern der Krebsmedizin und –forschung einen
erheblichen Beitrag geleistet.
Aber auch die vor fast vier
Jahren eingegangene und intensiv gelebte Allianz mit der Deutschen Krebsgesellschaft als wissenschaftlicher Fachgesellschaft
hat zu den Fortschritten beigetragen. Die Entwicklung der
Zentrumsstrukturen, das gemeinsame und von der Deutschen Krebshilfe geförderte Leitlinienprogramm Onkologie, der
gemeinsam betriebene telefonische Beratungsdienst INFONETZ KREBS mit seinen verlässlichen, unabhängigen Informationen zum Thema Krebs für Patienten und deren Angehörige,
sind nur einige Beispiele für die
Früchte dieser sinnvollen Kooperation, ebenso wie zahlreiche gemeinsame gesundheitspolitische Aktivitäten, wie die
Mitwirkung im Nationalen
Krebsplan oder die Begleitung
des Aufbaus der Klinischen
Krebsregister in den Bundesländern, der ebenfalls von uns finanziell gefördert wird.
Dennoch: Trotz aller Fortschritte ist das Krebsproblem
lange nicht gelöst und wir haben
bei weitem noch nicht alle Ziele
erreicht. Die Zahl der Krebs-
privat
Enormer
Wissenszuwachs
INHALT
Dr. h. c. Fritz Pleitgen, Präsident der
Deutschen Krebshilfe
erkrankungen wird aufgrund der
demographischen Entwicklung
weiter steigen. Investitionen in
die Krebsforschung – insbesondere mit dem Ziel, das Patienten
rasch von wissenschaftlichen
Kenntnissen und Innovationen
profitieren – sind weiterhin notwendig und zwingend, um die
Versorgung zu verbessern. In der
Entwicklung der Krebszentren
sehen wir ebenfalls noch Verbesserungsbedarf. Experten gehen
zudem davon aus, dass ein erheblicher Teil der Krebserkrankungen bei gesundem Lebensstil
vermieden werden könnte. Gute
Ernährung, viel Bewegung und
der Verzicht auf das Rauchen
sind nur einige der Faktoren, die
das Krebsrisiko senken können.
Die Bevölkerung darauf noch
stärker zu sensibilisieren und
aufzuklären, aber auch die Forschung auf dem Gebiet der
Krebs-Prävention zu fördern, sehen wir ebenfalls als wichtige
Aufgabe in Zukunft an.
Die Deutsche Krebshilfe will
mit Hilfe ihrer Spender und gemeinsam mit der Deutschen
Krebsgesellschaft die Situation
krebskranker Menschen weiter
verbessern. Um die künftigen
Herausforderungen zu diskutieren und um diesen im Sinne der
vielen Krebspatienten in unserem Land zu begegnen, bietet
der gemeinsam von Deutscher
Krebsgesellschaft und Deutscher Krebshilfe veranstaltete
32. Deutsche Krebskongress eine
ideale Plattform.
Ich wünsche Ihnen allen aufschlussreiche und spannende
Kongresstage in Berlin.
Ihr Fritz Pleitgen
Präsident der
Krebshilfe
Deutschen
3 | KONGRESSZEITUNG
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
Wie misst man Qualität und was kostet sie?
Die Deutsche Krebsgesellschaft plädiert für eine freiwillige Transparenzoffensive
D
aten liefern bisher im Wesentlichen freiwillige Initiativen engagierter Einrichtungen. Wer die Qualität der Krebsversorgung systematischer erfassen will, muss dafür auch die
Voraussetzungen schaffen.
Onkologische Versorgungsqualität zu messen ist anspruchsvoll. Eine ganze Reihe
von Parametern kommt dafür
prinzipiell infrage. Ganz vorne
steht die Sterblichkeit bei bestimmten Tumoren. Aber auch
Komplikationsraten bei operativen Eingriffen, die Häufigkeit
unerwünschter Wirkungen der
Therapie, die Leitlinientreue einer Einrichtung und nicht zuletzt die Patientenzufriedenheit
erlauben zumindest im Prinzip
Rückschlüsse darauf, wie gut
die Qualität der onkologischen
Versorgung in einer bestimmten Einrichtung ist.
Vergleiche sind freilich nur
dann möglich, wenn das Messinstrumentarium
standardisiert ist. „Daran arbeiten wir seit
einigen Jahren. Die Zertifizierungsprogramme der Deutschen Krebsgesellschaft, aber
auch der Ausbau der Krebsregister tragen dazu bei“, betont Dr. Johannes Bruns, der
Generalsekretär der Deutschen
Krebsgesellschaft (DKG). „Letztlich entwickeln wir im Moment
ein Sensorium für die Messung
von Qualität und kommen da
gut voran.“
Am weitesten ist die
Schaffung von Qualitätstransparenz beim Brustkrebs gediehen. Das hängt eng mit der
Etablierung von Brustkrebszentren zusammen: „80 Prozent der Patientinnen werden
heute in 250 Brustkrebszentren versorgt. Die restlichen
20 Prozent verteilen sich auf
mehr als 500 weitere Kliniken“, so Bruns. Zentren, die
sich zertifizieren lassen, können an Benchmarking-Programmen teilnehmen und erfahren so, wie sie im Vergleich
zu anderen Zentren dastehen.
Versorgungsqualität
messbar machen
festlegen und die Qualität damit messbar machen.
„Wir tasten uns da heran
und versuchen, ein Gespür für
sinnvolle Parameter zu bekom-
Benchmarking reden. „Wir haben mittlerweile über 1 000 onkologische Netzwerke mit
knapp 440 Krankenhäusern da-
sind skeptisch, nicht zuletzt,
weil sie Sorge haben, dass sie im
Vergleich nicht bestehen und
dadurch finanzielle Nachteile
bekommen könnten.
Auch weil vonseiten der
Kostenträger Zurückhaltung
herrscht, hat der Gesetzgeber im Krankenhausfinanzierungsgesetz einen
ersten Versuch hin zu einer
an Qualität gekoppelten
Vergütung unternommen.
Eine tragende Rolle soll dabei dem Institut für Qualität
und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) zukommen. Die Frage ist allerdings, wie ein solches Konzept sinnvoll umgesetzt
werden kann.
Freiwilligkeit verbessert
die Akzeptanz
DKG
BERLIN – Wie gut ist die
Qualität der onkologischen
Versorgung in Deutschland? Diese Frage ist leicht
zu stellen, aber alles andere
als einfach zu beantworten.
Ein Kernpunkt aus Sicht der
DKG ist, dass die in langjähriger Arbeit etablierten Initiativen Berücksichtigung finden und dass den Einrichtungen nicht ein weiteres, externes
Programm zur Dokumentation
von Qualität übergestülpt wird.
„Aus unserer Sicht sollte auch
die Freiwilligkeit beibehalten
werden, weil das die Akzeptanz
verbessert“, erklärt Bruns.
Vorstellen kann sich die
DKG in einem ersten Schritt eine Art Transparenzbonus, einen motivierenden Zuschlag
auf die Vergütung für Einrichtungen, die bestimmte Standards erfüllen. „Einen Leis-
Zertifizierte Zentren sind Netzwerke aus stationären und ambulanten Einrichtun-
Bei anderen Tumoren geht gen, die möglichst die gesamte Behandlungskette für den Patienten abbilden.
die Entwicklung schrittweise
in dieselbe Richtung. Von der men“, beschreibt Bruns das bei. Aber das ist alles freiwillig“,
DKG zertifizierte Organkrebs- Vorgehen. „Durch das Bench- sagt Bruns.
zentren gibt es außer für den marking können wir den in der
Die Frage ist, wie sich dieses
Brustkrebs auch für den Darm- Versorgung tätigen Einrichtun- genuine Engagement der onkokrebs, den Lungenkrebs, den gen eine Orientierung geben. logischen Leistungserbringer
Hautkrebs, den Prostatakrebs Dass das gewünscht ist, sehen verbreitern und auf Dauer instiund für gynäkologische Tumo- wir daran, wie engagiert sich al- tutionalisieren lässt. Eine naheren. Zusätzlich werden immer le teilweise seit Jahren betei- liegende Antwort lautet, entwemehr übergreifende Onkologi- ligen. Es gibt in vielen Einrich- der Qualität oder die Dokumensche Zentren zertifiziert, in de- tungen ein echtes Interesse an tation von Qualitätsparametern
nen es auch für seltenere Tu- Verbesserungen.“
an die Finanzierung zu kopmorerkrankungen Module gibt,
Wer über Qualität in der on- peln. „Aufseiten der Kostenträdie für die Versorgungsqualität kologischen Versorgung reden ger gibt es da bisher aber nur
beispielsweise der Patienten will, darf freilich nicht nur über ein latentes und noch kein wirkmit neuroonkologischen oder die Zertifizierungsprogramme liches Interesse“, so Bruns.
Kopf-Hals-Tumoren Standards und das mit ihnen verknüpfte Auch viele Leistungserbringer
tungsausschluss für nicht teilnehmende Einrichtungen, wie
er derzeit im Gesetz vorgesehen
ist, halten wir dagegen nicht für
den richtigen Weg, da viele das
Potenzial haben sich verbessern zu können“, so Bruns.
Schon allein der finanzielle Anreiz dürfte dazu führen, dass die
Bereitschaft der Einrichtungen,
Transparenz zu schaffen, steigt.
Dass sich eine nennenswerte
Zahl an Einrichtungen einem
solchen System der Qualitätserfassung auf Dauer entzieht,
ist unwahrscheinlich, wenn die
Zuschläge entsprechend gestaltet werden.
Qualitätsentwicklung ist
noch nicht am Ziel
Klar ist aber auch, dass nichts
übers Knie gebrochen werden
sollte. „Wir haben begonnen,
Qualität besser zu definieren.
Wir müssen Transparenz schaffen und die Ergebnisse erklärbar machen, erst dann können
wir sie auch bewerten. In der
Onkologie sind wir besser als in
vielen anderen Disziplinen,
aber am Ziel sind wir noch
nicht. Dieser Prozess der versorgungsnahen Qualitätsentwicklung, wie wir ihn über viele
Jahre aufgebaut haben und weiterentwickeln werden, muss finanziell begleitet und durch
Beitragsmittel unterstützt werden“, fordert Bruns. pg
Raum Budapest
Mi., 24.02.
16 Uhr
Besserer Zugang zu innovativen Therapien
Für personalisierte Medizin sollen Zulassungen beschleunigt und Kommunikation verbessert werden
P
atienten erhalten derzeit in
Europa oft etwas später Zugang zu innovativen Krebsmedikamenten als in den USA.
Zudem ist die Verfügbarkeit der
Krebsmedikamente auf den nationalen Märkten extrem unterschiedlich. Neue Initiativen für
eine raschere Zulassung und eine bessere Abstimmung zwischen nationalen und internationalen Behörden sollen das
ändern.
Viele Jahre lang waren innovative Krebsmedikamente in
Europa und den USA ähnlich
schnell verfügbar. In den letzten Jahren ist die Schere allerdings auseinandergegangen, zu
Ungunsten von Europa. Das
hat zwei Gründe: Zum einen
sind die Zulassungsprozesse in
Europa bei onkologischen Medikamenten derzeit langsamer
als in den USA. Zum anderen
setzen europäische Länder besonders stark auf nationale Bürokratien, die nach der europaweiten Zulassung ein Health
Technology Assessment (HTA)
durchführen, im Rahmen dessen mit dem Ziel einer Kostendämpfung entweder der Zu-
satznutzen neuer Medikamente oder das Kosten-Nutzen-Verhältnis separat bewertet wird.
In einem aktuellen Review diskutieren Experten aus Zulassungsbehörden um Francesco
Pignatti von der European Medicines Agency (EMA) die derzeitige Zulassungs- und Erstattungssituation in Europa und
stellen Initiativen vor, mit denen der Zugang zu innovativen
Onkologika für europäische Patienten verbessert werden
könnte (Annals of Oncology
2016; 276: 1–10).
Beschleunigte Zulassung in
den USA
Der Artikel liefert Zahlen, die den
Unterschied zwischen Europa
und den USA gut illustrieren. So
wurden fast alle in den Jahren
2013/14 erstmals zugelassenen
Krebsmedikamente erst in den
USA und dann in Europa zugelassen. Bei Präparaten wie Pomalidomid, T-DM1, Trametinib,
Obinutuzumab, Ibrutinib, Ceritinib oder Nivolumab erfolgte
die europäische Zulassung zwischen 150 und knapp 400 Tagen
später. Ein Hauptgrund: In den
USA wurde die große Mehrheit
der Onkologika im Rahmen des
beschleunigten Zulassungsverfahrens der FDA (Accelerated
Approval, AA) zugelassen. In
Europa gab es eine beschleunigte Zulassung im Rahmen der seit
2006 existierenden Conditional
Marketing Authorisation (CMA)
dagegen nur bei einem verschwindend geringen Anteil der
Medikamente.
Pignatti und Kollegen führen
das auf unterschiedliche Anforderungen bei den AA- und CMAZulassungen zurück. Zu den Kriterien, die erfüllt sein müssen,
damit ein neues Krebsmedikament in Europa eine CMA
durchlaufen kann, gehört die
Formulierung eines klaren Bedarfs (Unmet Need) in Verbindung mit präliminären Daten,
die einen großen therapeutischen Fortschritt durch das betreffende Medikament erwarten
lassen. Kritiker halten das für zu
restriktiv. Aber auch das CMAVerfahren selbst ist verbesserungsfähig: So hat eine Auswertung der ersten elf im CMAProzess zugelassenen Onkologika gezeigt, dass die klinische
Entwicklung zwar verkürzt werden kann. Der Zeitgewinn wurde aber weitgehend durch längere regulatorische Bewertungsprozesse aufgezehrt.
Deutlich an Dringlichkeit gewinnt die Frage einer beschleunigten Zulassung angesichts der
zunehmenden Personalisierung
der Therapien – nicht nur, aber
auch in der Onkologie. Die personalisierte Krebsbehandlung
führt dazu, dass die Zielgruppen
für klinische Studien kleiner werden, was die Patientenrekrutierung und damit die klinische
Entwicklung tendenziell verlangsamt.
Vor diesem Hintergrund hat
die EMA ein neues Verfahren
der beschleunigten Zulassung
meldet. Andersherum ausgedrückt: Jedes dritte Medikament im Adaptive-Pathway-
gleich sind mit jenen, die die
nationalen HTA-Instanzen anlegen, um über Zusatznutzen
oder Kosten-Nutzen-Relation
zu entscheiden.
Frühzeitig in gemeinsamen
Dialog treten
nmann77 – Fotolia
LONDON – Beschleunigte
Prozesse und eine bessere
Kommunikation sollen dazu beitragen, dass Patienten in Europa schneller und
effektiver von neuen Krebsmedikamenten profitieren
können.
Die Zulassung personalisierter Medizin soll beschleunigt werden.
entwickelt, das sich „adaptive
Zulassung“ oder Adaptive Pathway Licensing nennt. Dabei
wird die klassische Zulassung
ersetzt durch einen Prozess, bei
dem Daten aus präliminären
Studien systematisch und nach
klar festgelegten Regeln durch
reale Versorgungsdaten ergänzt
werden, die den Zulassungsstatus dann unmittelbar verändern, ihn beispielsweise auf
bestimmte Patientengruppen
beschränken.
Das Pilotprojekt der EMA
zum Adaptive Pathway Licensing läuft seit 2014. Immerhin
20 Krebsmedikamente wurden
innerhalb des ersten Jahres für
diese Form der Zulassung ange-
Pilotprojekt ist ein Krebsmedikament. Um abschätzen zu
können, ob das neue Zulassungsprozedere funktioniert,
ist es noch zu früh. Aber die
Branche wartet mit Spannung
auf die ersten Erfahrungsberichte der EMA.
Neben einer langsamen Zulassung sind die Entscheidungsprozesse der nationalen
HTA- bzw. Kostenerstattungsbürokratien der zweite wichtige
Faktor, der den Zugang von Patienten zu innovativen Krebstherapien in Europa verzögern
kann. Ein Hauptproblem ist,
dass die Kriterien, nach denen
die europäische Zulassung vergeben wird, nicht deckungs-
Diese Kriterien können wegen
der unterschiedlichen Zielsetzungen und der unterschiedlichen methodologischen Herangehensweisen der HTA-Instanzen auch gar nicht deckungsgleich sein. Schwierig
wird es aber dann, wenn die
nachgelagerten HTA-Instanzen
Parameter wünschen, die in
den Zulassungsstudien nicht
erhoben wurden. Um hier Abhilfe zu schaffen, gibt es mehrere europäische Initiativen, die
auf einen frühen Dialog zwischen EMA und nationalen
HTA-Instanzen einerseits und
pharmazeutischen Unternehmen andererseits zielen. So gibt
es zum Beispiel schon seit 2010
eine gemeinsame wissenschaftliche Beratung von EMA
und nationalen HTA-Instanzen,
die sich an jene richtet, die klinische Studien durchführen.
Neueren Datums ist die Initiative Shaping European Early Dialogues (SEED), in deren Rahmen unterschiedliche Dialogszenarien verglichen werden
sollen. pg
Raum Budapest
24.02.
17:30 Uhr
KONGRESSZEITUNG | 4
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
Erforschung des Tumorgenoms Nichtinvasive Verlaufskontrolle
HEIDELBERG – Die Gesamtgenomsequenzierung
von Tumoren ist zwar noch
nicht in der Klinikroutine
angekommen, sie kann
aber ein wichtiges Werkzeug der Prognose und der
Prädiktion des Therapieerfolgs sein.
N
eue Methoden wie das
Next Generation Sequencing können vielen Patienten zu
wirksamen Therapien verhelfen, die sonst gar nicht in Betracht gezogen würden. Sie haben der Erforschung des Tumorgenoms einen Schub gegeben: Heute genügen theoretisch zwei bis drei Tage, um
bei einem Krebspatienten das
vollständige Tumorgenom und
zum Vergleich das Genom der
gesunden Körperzellen zu bestimmen. Die Gesamtkosten
liegen bei rund 3 000 Euro pro
Patient.
Mutationen, die in den Tumorzellen vorkommen, in den
gesunden Zellen derselben Patienten aber nicht, sind mutmaßlich Treibermutationen der
Krebsentstehung und Proliferation und verdienen besondere
Aufmerksamkeit. Nach ihnen
wird international arbeitsteilig
gesucht, das macht die Forschung effektiver: 2008 wurde
das International Cancer Genome Consortium gegründet, seit
2010 sind vier deutsche Projekte Teil dieses Konsortiums geworden.
Das Konsortium hat sich
zum Ziel gesetzt, bei den 50 häufigsten Tumorarten das Tumorgenom und das Genom der gesunden Zellen von je 500 Patienten vollständig zu sequenzieren.
Inzwischen sind statt 50 bereits
78 Projekte in Arbeit. Deutschland hat die Erforschung kindlicher Hirntumoren sowie bestimmter Lymphome, früh einsetzender Prostatakarzinome
und einiger seltener Lungenkrebsarten übernommen.
Dabei gibt es bereits beachtliche Erfolge zu verzeichnen,
wie Prof. Dr. Peter Lichter, Abteilung Molekulare Genetik, Deutsches Krebsforschungszentrum
(DKFZ) Heidelberg, erklärt: „Es
wurden bereits zahlreiche Genmutationen und Mutationssignaturen in kindlichen Hirntumoren gefunden, auch seltenere
Varianten bis hinunter zu einer
Häufigkeit von einem Prozent.“
Wichtige Rolle seltener
Mutationen
Lichter erläutert, warum auch
so seltene Mutationen eine
wichtige Rolle spielen können:
„Die Genmutationen sind in
den verschiedenen Krebsentitäten, aber auch innerhalb einer Entität unterschiedlich verteilt“, so Lichter. Mutationen,
die in einer Krebsart häufig
sind, können in der anderen
ebenfalls vorkommen, womöglich aber seltener.
Das eröffnet völlig neue Optionen. So könnte etwa eine
Brustkrebspatientin mit einer
seltenen Mutation, die aber
beim Kolorektalkarzinom häufig ist, mit einem dazu passenden (bereits verfügbaren) zielgerichteten Darmkrebsmedikament behandelt werden. Ohne
vollständige Sequenzierung des
gesamten Tumorgenoms hätte
man nach der beim Brustkrebs
seltenen Mutation schlichtweg
nicht gesucht.
Deshalb wird die Gesamtgenomsequenzierung außer in
der Forschung auch bei Patienten angewendet, die ansonsten
nur noch wenige Optionen haben. Zu diesen „bevorzugt“ untersuchten Patienten gehören
Kinder mit Krebsrezidiven.
Denn während die Aussichten
bei Kindern mit Krebs allgemein gut sind, haben die etwa 20 bis 25 Prozent Kinder mit
Rezidiven kaum noch echte
Heilungschancen.
Im Rahmen des INFORMProjekts koordiniert deshalb
Lichter zusammen mit Prof. Dr.
Stefan Pfister, Prof. Dr. Olaf Witt
vom DKFZ sowie Prof. Dr. Angelika Eggert (Berlin) mit der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie die
Analyse des Gesamtgenoms
von Krebsrezidiven junger Patienten. „Das betrifft in
Deutschland etwa 500 Kinder
pro Jahr“, so Lichter auf Nachfrage, „derzeit gelingt es uns, etwa die Hälfte von ihnen in das
INFORM-Projekt einzuschließen und nach zielgerichteten
Therapien für ihren individuellen Tumor zu suchen.“
Aussagen über Prognose
und Therapieansprechen
Die Krebsgenomsequenzierung hat aber noch weitere Vorteile, die direkt dem Patienten
zugute kommen. Dazu Lichter:
„Die Kenntnis der Mutationssignatur in den Tumoren eines
Patienten erlaubt oft unmittelbare Aussagen über seine Prognose, so dass Personen mit ungünstiger Prognose von vornherein aggressiver therapiert
werden können. Zudem kann
sie in einigen Situationen auch
prädiktive Aussagen über das
Ansprechen eines Patienten
auf zielgerichtete Therapien
ermöglichen – wir können absehen, ob eine bestimmte Behandlung bei einem Patienten
sinnvoll ist.“
Nach einzelnen, bekannten Mutationen – wie BRAF,
KRAS, HER2neu- und WNTVariationen – wird auch jetzt
bereits gesucht, dies gibt aber
nur begrenzte Informationen.
Lichter ist überzeugt: „Die Gesamtgenomsequenzierung der
Tumoren ist das richtige Prinzip. Wir werden die Therapie
künftig mehr auf die molekularen Profile abstimmen und weniger auf die Zellmorphologie.“ sr
Raum Helsinki 2
Sa., 27.02.
8:00 Uhr
Liquid Biopsies – Fortschritte und Herausforderungen
HAMBURG – Liquid Biopsies könnten schon bald
nichtinvasive Verlaufskontrollen der häufigsten
Krebserkrankungen
ermöglichen.
B
ei der Metastasierung solider Tumoren spielen in der
Blutbahn zirkulierende Tumorzellen (CTC) eine entscheidende Rolle. Deren Zahl und Eigenschaften können mit einigem
Aufwand in Blutproben bestimmt werden.
Anders als bei Leukämien
und Lymphomen finden sich bei
Patienten mit soliden Karzinomen nur wenige Krebszellen im
peripheren Blut; sie gelangen
vermutlich durch die tumoreigenen Gefäße in den Kreislauf. Man
nimmt an, dass auf etwa 106 bis
108 Leukozyten eine maligne
Zelle kommt. „Aber gerade diese
wenigen Tumorzellen sind Ausgangspunkt krankheitsentscheidender Rezidive und Fernmetastasen“, betont Prof. Dr. Klaus
Pantel, Direktor des Zentrums
für Experimentelle Medizin, Institut für Tumorbiologie, Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf (UKE).
Zwar werden zielgerichtete
Therapien heute bereits auf die
Treibermutationen des Primärtumors maßgeschneidert. Dessen Abkömmlinge können aber
ihr genetisches Profil verändern, um außerhalb des Tumors zu überleben. Zahl und
Profil der CTC zu kennen und
zu beobachten wäre also von
Vorteil, um den Krankheitsverlauf zu beurteilen und die Therapie wenn nötig anzupassen.
Neue Methoden der
Anreicherung
Ein Hauptproblem der Gewinnung und Verarbeitung von
CTC aus Liquid Biopsies ist die
große Zahl störender Leukozyten und auch Erythrozyten. Zur
Anreicherung der CTC (positive
Selektion) oder Entfernung der
Blutzellen (negative Selektion)
wurden etliche neue Methoden
entwickelt. So sieben Nanofilter
oder Mikrofluidsysteme die
größeren und eher starren
Krebszellen aus; bei der FicollZentrifugation wird stattdessen
die unterschiedliche Dichte
von CTC und Blutzellen ausgenutzt und bei der Dielektrophorese ihre abweichende elektrische Ladung.
Andere Systeme basieren
auf typischen Oberflächenproteinen: Karzinome entstehen
aus Epithelzellen und tragen
deren Stützproteine sowie deren Bindeglied, das Epithelial
Cell Adhesion Molecule (EpCAM). Diese werden von Antikörpern erkannt, die an mikro-
halb eine Kombination die besten Erfolgsaussichten haben
dürfte. Mit einigen Methoden
gelingt sogar die Suche nach lebensfähigen CTC, die weiter angezüchtet und untersucht werden können, oder das Erkennen
zellfreier DNA-Fragmente und
mikroRNAs sowie zirkulierender Mikrovesikel (Exosomen)
der Tumorzellen.
Nachweis und
Charakterisierung der CTC
Sind die CTC auf wenigstens eine pro 1 000 Zellen angereichert, werden sie – wiederum
anhand ihrer Oberflächenproteine – mittels Fluoreszenz-Immunozytochemie (ICC), Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung
motorolka– Fotolia
Krebsgenomsequenzierung kann wichtiges Werkzeug sein
Liquid Biopsies klären Zahl und Profil
von zirkulierenden Tumorzellen.
skopisch kleine Eisenkügelchen
gebunden und damit magnetisch abgefiltert werden.
Der Selektionsdruck kann
jedoch dazu führen, dass einige
CTC eine Transformation von
Epithel- zu Mesenchymzellen
(EMT) durchlaufen. Solche Zellen sucht und findet man nach
dem gleichen Prinzip, aber anhand anderer Antigene, etwa
Vimentin oder Plastin-3.
Umgekehrt können auch
die Leukozyten anhand ihrer
Oberflächenproteine erkannt
werden: Nur sie exprimieren
CD45, dieses kann zur negativen Selektion (Abreicherung
der gesunden Zellen) dienen.
Alle genannten Verfahren
haben Vor- und Nachteile, wes-
(FISH) oder Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) nachgewiesen
und gezählt. Technische Weiterentwicklungen ermöglichen
die halbautomatische Durchführung dieser Arbeitsschritte:
Erst wenn verdächtige Zellen
gefunden werden, wird ein
hochqualifizierter Mitarbeiter
zur Bestätigung benötigt. Am
UKE führt Pantels Team CTCAnalysen im Rahmen von klinischen Studien und als diagnostische Leistung bei ausgewählten Indikationen mit einem
FDA-zertifizierten Testsystem
durch. sr
Raum A3
Fr., 26.02.
11:15 Uhr
Gentranslokation hilft Tumoren, die Zellalterung zu umgehen
Neuroblastom: Genetische Ursachen der Krankheitsverläufe
B
isher waren nur wenige genetische Veränderungen
im Neuroblastom bekannt, darunter Amplifikationen des Proto-Onkogens MYCN und inaktivierende Mutationen des Gens
ATRX. Die Kölner und Heidelberger Wissenschaftler entdeckten nun Translokationen
des Chromosoms 5 in etwa 13
Prozent aller Neuroblastome1.
Diese Mutationen führen zu einer veränderten Positionierung
regulatorischer Elemente des
Erbguts und haben dadurch eine massive Aktivierung des
Gens Telomerase-Reverse-Transkriptase (TERT) zur Folge.
Das Gen TERT codiert für
die katalytische Einheit des En-
zyms Telomerase, das die
Chromosomenenden, die sogenannten Telomere, stabilisiert. In den meisten gesunden
Zellen kommt es mit jeder Zellteilung zu einer fortschreitenden Verkürzung der Telomere,
die schließlich zu einem Zellzyklusarrest oder zur Apoptose
führt. Stammzellen und Krebszellen aktivieren das Enzym Telomerase, um die Telomere
wieder zu verlängern und somit unsterblich zu werden.
beobachten. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Veränderungen dieser drei Gene
fast nie gemeinsam auftreten,
jedoch alle ähnliche Folgen haben: Auch MYCN-Amplifikationen führen zu einer starken
Induktion der TERT-Expression, während Tumoren mit
ATRX-Mutationen eine Aktivierung des Mechanismus des
„Alternative Lengthening of
Telomeres“ aufweisen. In Neuroblastomen, die sich spontan
zurückbilden, ließen sich solche Veränderungen dagegen
nicht nachweisen.
Schlechte Heilungschancen
bei aggressiven Tumoren
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass TERT-Translokationen nur in aggressiv wachsenden Neuroblastomen auftreten,
und dass Patienten, deren Tumoren eine solche Veränderung
aufweisen, schlechte Heilungschancen haben. Auch MYCNAmplifikationen und ATRXMutationen lassen sich nur in
Hochrisiko-Neuroblastomen
Dr. Larissa Savelyeva, DKFZ
KÖLN – Wissenschaftler aus
Köln und Heidelberg sind
den genetischen Ursachen
der
unterschiedlichen
Krankheitsverläufe
von
Neuroblastomen auf der
Spur.
Zellen eines Hochrisiko-Neuroblastoms: Zwei normale Kopien des TERTGens (grün) in ihrer normalen Umgebung (nahe dem CLPTM1L-Gen, rot).
Die dritte Kopie des TERT-Gens ist auf Chromosom 20 umgelagert und hat
ihren normalen „Nachbarn“ CLPTM1L verloren.
Neues Verständnis der
Pathogenese
„Unsere Ergebnisse verändern
unser Verständnis der Pathogenese des Neuroblastoms fundamental“, sagt Prof. Dr. Matthias Fischer (Universitätskinderklinik
Köln/Max-PlanckInstitut für Stoffwechselforschung Köln), Initiator der Stu-
die. Das klinische Verhalten
des Neuroblastoms wird offenbar von Telomer-Verlängerungsmechanismen bestimmt:
Werden diese durch spezifische genetische Veränderungen aktiviert, kommt es zu einem aggressiven Tumorwachstum. Fehlen sie, bildet sich die
Erkrankung komplett zurück.
„Der Nachweis der aktiven
Telomer-Verlängerungsmechanismen im Tumor könnte zur
Prädiktion des Krankheitsverlaufs und damit zur Auswahl der
richtigen Therapie genutzt werden“, erklärt der Experte. Auch
die Entwicklung von Medikamenten zur Inhibition der
Telomerase könne in Zukunft
vielversprechende Ansätze liefern. sr
1
Peifer M, et al.: Nature. 2015;
526(7575):700–704
Raum A1
Do., 25.02.
18:10 Uhr
5 | KONGRESSZEITUNG
Positive Trends und Kontroversen
Die Rolle der Ärzte
Neues aus dem Bereich der gynäkologischen Tumoren
Primäre Prävention am Beispiel der HPV-Impfung
E
ine Steigerung der Inzidenz
ist beim Endometriumkarzinom zu erwarten, sagt Prof. Dr.
Barbara Schmalfeldt, Universiäts-Frauenklinikum HamburgEppendorf und stellvertretende
Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO). Die Gründe sind das
allgemein zunehmende Körpergewicht der Frauen und der zunehmende Anteil älterer Frauen
in der Gesellschaft. Beide Faktoren sind mit einem erhöhten
Risiko für die Tumorentwicklung
und damit auch für die Entstehung eines Gebärmutterkarzinoms assoziiert.
Vor diesem Hintergrund ist
es laut Schmalfeldt erfreulich,
dass die operative Tumorentfernung inzwischen in aller Regel
laparoskopisch und somit mittels eines minimalinvasiven Vorgehens zu realisieren ist. Unklar
ist beim Endometriumkarzinom
nach wie vor jedoch, bei welchen
Patientinnen ein hohes Rezidivrisiko besteht und welche Frauen von einer Chemotherapie
profitieren. Diese Fragestellung
soll deshalb nunmehr in Rahmen einer internationalen Studie untersucht werden.
Beim Ovarialkarzinom, das
nach wie vor mit einer allgemein
schlechten Prognose behaftet
ist, geht es aktuell darum, die
molekularen Hintergründe noch
besser zu verstehen und neue
Strategien der zielgerichteten
Therapie zu entwickeln. Neuerungen hat es in jüngster Zeit
durch die Zulassung des Angiogeneseinhibitors Bevacizumab
gegeben, doch, so Schmalfeldt,
„wir brauchen dringend weitere
innovative Behandlungsansätze, um die Prognose der Frauen
verbessern zu können“. Hoffnungen gründen sich vor allem
auf die sogenannten PARP-Inhibitoren, die jedoch bislang nur
beim erblichen Ovarialkarzinom und damit nur bei rund 20
Schmalfeldt
HAMBURG – Im Bereich der
gynäkologischen Tumoren
gibt es einige neue Erkenntnisse. Das reicht vom Endometriumkarzinom über das
Ovarialkarzinom bis hin
zum Gebärmutterhalskrebs
und zum Vulvakarzinom.
Intraoperativer Situs bei Laparoskopie: Uterus und beide Adnexe
Prozent der betroffenen Frauen
zur Anwendung kommen.
Kontrovers diskutiert wird
nach den Worten der Medizinerin weiterhin die Frage, ob beim
fortgeschrittenen Ovarialkarzinom zuerst eine Chemotherapie
erfolgen sollte, gefolgt von einer
Operation, oder ob zunächst der
Tumor möglichst weitgehend
chirurgisch entfernt werden
sollte mit einer anschließenden
Chemotherapie. „Unsere Erfahrungen in Deutschland sprechen für ein primär operatives
Vorgehen. Dies deckt sich jedoch nicht unbedingt mit den
internationalen Erfahrungen“,
so Schmalfeldt. Im Rahmen des
Studienprogramms TRUST soll
diese Frage nun möglichst abschließend beantwortet werden.
Neuerungen wird es in absehbarer Zukunft auch beim
Screening auf Gebärmutter-
halskrebs geben, der in seiner
Häufigkeit rückläufig ist. Denn
ab 2017 werden die Frauen bei
der gesetzlichen Früherkennungsuntersuchung zwischen
einem jährlichen Abstrich mit
zytologischer
Untersuchung
und einem HPV-basierten
Screening wählen können, wobei das HPV-Screening bei negativem Befund nur alle fünf
Jahre vorgesehen ist. „Auch dieses Thema wird derzeit noch
heiß diskutiert“, berichtet
Schmalfeldt.
Noch deutlich zu selten
wird aus ihrer Sicht in Deutschland die Chance der prophylaktischen HPV-Impfung genutzt.
Intensiv gearbeitet wird daher
nunmehr an der Entwicklung
therapeutischer Impfstoffe.
Eine zunehmende Inzidenz
ist laut Schmalfeldt derzeit auch
beim Vulvakarzinom zu registrieren. Eine potenzielle Ursache dafür kann die zunehmende
Prävalenz der humanen Papillomaviren sein. Die Studiengruppe der AGO hat in Deutschland
ein großes Studienprojekt zur
Therapie des Vulvakarzinoms
durchgeführt: In der CARE-Studie wurde gezeigt, dass Frauen
mit Vulvakarzinom und Lymphknotenbefall von einer adjuvanten Strahlentherapie profitieren.
An die Studie schließen sich
nunmehr translationale Projekte an. Es geht dabei vor allem
auch darum, anhand molekularer Marker besser zu charakterisieren, welche Frauen hinsichtlich der Rezidivbildung besonders gefährdet sind und aller Voraussicht nach von einer Bestrahlung und einer adjuvanten
Chemotherapie profitieren werden. cv
Raum Helsinki 2
Mi., 24.02.
17:00 Uhr
BERLIN – Obwohl die meisten Ärzte die HPV-Impfung
bei Mädchen aktiv ansprechen, ist die Impfrate niedrig. Was kann unternommen werden, um diese zu
verbessern?
Ä
rzte spielten für Mädchen
und ihre Mütter eine bedeutende Rolle bei der Entscheidung für eine HPV-Impfung. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
befragte 2011 circa 3 000 Eltern
von Kindern zwischen 0 und 13
Jahren zum Thema „Impfen im
Kindesalter“. Als potenzielle Informationsquelle wurden mit
98 bzw. 90 Prozent die Ärzte und
die Medizinischen Fachangestellten (MFA) genannt; genutzt
wurden die Ärzte von 93 Prozent; die MFA wurden aber nur
in 40 Prozent der Fälle angesprochen. MFA sollten daher
viel häufiger auch bei der Impfberatung eingesetzt werden.
Ähnlich niedrig wie die
HPV-Impfrate ist auch die Beteiligungsquote bei der J1-Vorsorgeuntersuchung, die seit
Jahren bei circa 33 Prozent liegt.
Dies erklärt teilweise, warum so
wenige Mädchen gegen HPV
geimpft werden. Mädchen mit
einer vollständigen HPV-Impfserie waren häufiger beim Gynäkologen oder hatten häufiger
an der J1 teilgenommen. Ärzte
beschreiben ihr eigenes Verhalten als „aktiv“, d. h. nahezu jede
Patientin unter 18 Jahren wird
von ihnen zur HPV-Impfung direkt angesprochen.
Im Fall der Kinder- und Jugendärzte sind aber weitere
Maßnahmen zur Verbesserung
der Beteiligungsquote bei der
HPV-Impfung zu überlegen:
• Kostenübernahme der U10
und U11 durch alle Kassen,
• Hilfe bei der Implementierung eines modernen Recallsystems,
• Erinnerungssystem an bestehende Termine (Reminder).
2014 wurden über vier Wochen die Mitglieder des Bundesverbandes der Kinder- und
Jugendmedizin (BVKJ) befragt.
Es galt herauszufinden, warum
ministerien und Gesundheitsämter gefordert, sich
mehr für die HPV-Impfung zu
engagieren.
Die wichtigste Argumentation pro Impfung ist die Verhinderung von Krebserkrankungen, gefolgt von der STIKOEmpfehlung. Frustrierend ist
die Angabe von 80 Prozent der
Über aktive Recalls müssen Ärzte
die Patienten motivieren, sich
impfen zu lassen.
eine von der STIKO empfohlene
Impfung so niedrige Impfquoten aufweist. Etwa 1 000 Pädiater beantworteten den Fragebogen: 90 Prozent sind vom Sinn
vollständig überzeugt, sieben
Prozent teilweise. Das von der
STIKO empfohlene Alter sehen
96 Prozent der Ärzte als besten
Zeitpunkt für die Impfung an.
Negative Presseberichte bzw.
die Einstellung der Eltern und für
einige auch die Honorierung der
Impfleistung sind Gründe für die
niedrigen Impfquoten. 80 Prozent und mehr der Ärzte erwarten eine Verbesserung der Impfakzeptanz durch:
• mehr Informationen über die
Schulen,
• Aufforderung und Einladung
zu Impfungen durch Krankenkassen,
• positivere Berichte zum Thema durch Presse, Internet etc.
• Knapp über 60 Prozent sahen
auch die BZgA, Gesundheits-
Ärzte, dass nur jede zweite Patientin sich nach Beratung impfen ließ.
• Ärzte müssen mehr tun, um
Patienten in dieser Altersgruppe zu erreichen – Stichwort „aktives Recall“.
• Aufklärung: Die HPV-Impfung ist keine Eintrittskarte
zur Sexualität, sondern eine
Prävention gegen Krebs.
Männer werden als Betroffene nicht ausreichend wahrgenommen.
• Geduld zeigen: Viele lassen
sich trotz Aufklärung nicht
impfen, die Impfung ist
schlecht bezahlt, der Zeitaufwand zur Aufklärung ist groß.
Einige wichtige „Player“ sprechen sich gegen die Impfung
aus oder unterstützen diese
nicht offen. jg
Raum London 1
Sa., 27.02.
10:15 Uhr
Mammakarzinom – was gibt es Neues?
Hoffnung auf weitere therapeutische Fortschritte
W
elche Neuerungen beim
Deutschen
Krebskongress (DKK) diskutiert werden,
erläutert Prof. Dr. Tanja Fehm,
Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) und Direktorin der
Universitäts-Frauenklinik Düsseldorf.
Vor allem bei der Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms zeichnen sich
laut Fehm relevante therapeutische Fortschritte ab. Vermittelt
werden diese durch innovative
Behandlungsstrategien,
beispielsweise mit den CDK4/6-Inhibitoren und auch der dualen
Antikörperblockade mit Trastuzumab und Pertuzumab. Ein
zunehmend hoher Stellenwert
kommt ferner der Immuntherapie beim metastasierten Mammakarzinom zu. So wird durch
den
Einsatz
sogenannter
Checkpoint-Inhibitoren ange-
strebt, das Immunsystem gezielt im Kampf gegen den Tumor zu aktivieren.
Weitere Fortschritte sind
durch die zunehmende Realisierung des Konzepts der personalisierten Medizin beim metastasierten Mammakarzinom
zu erwarten. „Es geht darum,
die Tumoren weiter molekulargenetisch zu charakterisieren
und individuelle, also personalisierte Behandlungskonzepte
zu erarbeiten“, so Fehm.
Liquid Biopsy – die
Zukunft?
Im Rahmen einer Spezialsitzung werden beim DKK zudem
die Möglichkeiten der sogenannten Liquid Biopsy diskutiert werden. Bei dem innovativen
Diagnostikverfahren
werden frei im Blut zirkulierende DNA oder Tumorzellen auf
spezifische genetische Veränderungen untersucht. Die
Befunde sollen dann als Basis
für die individualisierte Behandlung der Frauen genutzt
werden können.
„Das Verfahren kann möglicherweise eines Tages die her-
kömmliche Biopsie ersetzen“,
erklärt Fehm. Es hat den Vorteil,
dass für die Analysen keine Gewebeproben entnommen werden müssen, sondern lediglich
eine Blutuntersuchung erforderlich ist. Das ist für die Frauen
weniger belastend und die Untersuchung kann zudem beliebig oft wiederholt werden.
Weiter Diskussionsbedarf
zum erblichen Brustkrebs
Ein Thema, das derzeit vor allem in der Öffentlichkeit auf
großes Interesse stößt, ist laut
Fehm das Vorgehen beim erb-
lichen Mamma- oder Ovarialkarzinom. Es besteht aus Sicht
der Frauenärztin nach wie vor
Aufklärungsbedarf, wie Mutationsträgerinnen zu behandeln
und wann prophylaktische
Brustamputationen indiziert
sind. Diskutiert wird zudem der
Stellenwert der sogenannten
PARP-Inhibitoren, die bereits
beim erblichen Ovarialkarzinom, nicht aber beim erblichen
Mammakarzinom zur Therapie
zugelassen sind.
Neuerungen gibt es auch
beim nicht metastasierten
Mammakarzinom, bei dem inDer Aufklärungsbedarf
beim erblichen Brust- und
Eierstockkrebs wird in der
Öffentlichkeit diskutiert.
Guschenkova – Shutterstock
DÜSSELDORF – Bei der
Diagnostik und Therapie
des Mammakarzinoms ist
einiges im Fluss. Es werden
derzeit viele neue Konzepte
und Strategien geprüft.
zwischen die duale Blockade
mit Pertuzumab und Trastuzumab auch für die neoadjuvante Therapie verfügbar ist.
„Wir können mit diesem Ansatz
bei deutlich mehr Patientinnen
eine pathologische Komplettremission erreichen“, so Fehm.
Neuer Trend: postneoadjuvante Konzepte
Als neuen Trend bei der Therapie des Mammakarzinoms
nennt die AGO-Sprecherin außerdem post-neoadjuvante Behandlungskonzepte bei Patientinnen, bei denen durch die
neoadjuvante Therapie keine
komplette Remission erreicht
wurde. Fehm: „Wir diskutieren
derzeit, inwieweit wir diesen
Frauen nach der Operation eine
zielgerichtete Therapie anbieten müssen, um die langfristigen Heilungschancen zu verbessern.“
Neue Entwicklungen gibt es
ferner beim operativen Vorgehen. „Wir haben bislang routinemäßig
eine
Wächterlymphknotenbiopsie auch bei
klinisch unauffälligem Lymphknoten vorgenommen. In der
aktuellen Studie INSEMA wird
nunmehr geprüft, ob dies tatsächlich mit Vorteilen für die
Frau verbunden ist“, so Fehm.
Beim DKK werden außerdem potenzielle Fortschritte bei
der Strahlentherapie des Mammakarzinoms diskutiert. Immer
häufiger erfolgt die Behandlung
in Form der hypofraktionierten
Bestrahlung, also mit kürzerer
Bestrahlungszeit bei zugleich
höherer Strahlendosis. Dieses
Vorgehen wird von vielen Strahlentherapeuten ebenso wie die
zusätzliche intraoperative Bestrahlung als Ersatz für den sequenziellen Boost als sicher und
zugleich effektiv bewertet.
Als weiteres beim DKK zu
diskutierendes Highlight hinsichtlich der Diagnostik und
Therapie des Mammakarzinoms nennt Fehm die Neuerungen bei den Genexpressionsprofilen, anhand derer das
Rezidivrisiko abgeschätzt und
konkreter die Indikation zu einer adjuvanten Chemotherapie
gestellt werden kann. cv
Raum A3
Fr., 26.02.
15:30 Uhr
tashatuvango – Fotolia
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
KONGRESSZEITUNG | 6
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
„Der Traum wäre eine wirklich tumorspezifische Immuntherapie“
Wie neue Ansätze helfen können, den Krebs mit dem Immunsystem zu bekämpfen
elluläre Therapien in der
Onkologie bestanden lange
Zeit vor allem in der Transplantation unveränderter autologer
oder allogener Immunzellen,
manchmal auch ausgewählter
Subtypen davon. Was ist das Besondere an den neuen Techniken wie z. B. den T-Zellen mit
chimärem Antigen-Rezeptor
(CAR-T-Zellen)?
Pezzutto: Zunächst sind die
CAR-T-Zellen autologe Zellen,
die also vom Patienten selbst
stammen – daher gibt es nicht
das Risiko einer Abstoßung
oder einer Graft-versus-HostReaktion. Zweitens sind die Zellen genetisch verändert, sodass
sie einen Antigen-Rezeptor tragen, der spezifisch gegen ein
Tumor-assoziiertes Antigen auf
der Oberfläche der Tumorzellen
gerichtet ist und dadurch eine
Art Graft-versus-Tumor-Reaktion verursacht, die allerdings
viel spezifischer ist als das, was
wir gewöhnlich bei einer allogenen Stammzelltransplantation
sehen. Kurz gesagt, haben wir
hier eine Technologie, die die
allogene Transplantation hinsichtlich ihrer positiven Eigenschaften übertreffen kann,
während gleichzeitig ihre problematischen Nachteile vermieden werden – vor allem die
aggressiven Konditionierungsregimes und die schweren
Graft-versus-Host-Reaktionen,
die bei fast einem Drittel der Patienten die Lebensqualität
schwer beeinträchtigen.
Können Sie kurz zusammenfassen, was mit dieser Methode
Was sind die größten Probleme bei diesem Ansatz?
Pezzutto: In der Tat kann
diese Therapie, auch wenn sie
extrem effektiv ist, schwere
Nebenwirkungen hervorrufen:
Das größte Problem ist ein Zytokin-Release-Syndrom (CRS).
Interessanterweise ist das eigentlich ein Hinweis auf die extreme Wirksamkeit der Behandlung, weil es durch den raschen
Zerfall einer großen Menge leukämischer Blasten verursacht
wird. Kausal mit diesem unerwünschten Ereignis verknüpft
sind hohe Konzentrationen des
Zytokins Interleukin 6 (IL-6),
das man allerdings durch rekombinante monoklonale Antikörper neutralisieren kann. Indem sie diese Art supportiver
Therapien anwenden, haben
die Kollegen das CRS wirksam
unter Kontrolle gebracht. Während es zu Beginn für schwere
Morbidität gesorgt hat, ist es
durch frühes Erkennen und frühe Intervention mit anti-IL6-Antikörpern mittlerweile gelungen, die Häufigkeit eines
schweren CRS dramatisch zu
reduzieren.
Das CD19-Antigen wird auf
allen B-Lymphozyten exprimiert, auch auf normalen
B-Zellen, und deshalb verursachen diese CAR-T-Zellen auch
T-Zellen unterstützen
das Immunsystem und
greifen Krebszellen an.
eine B-Zell-Aplasie. Ist das mit
großen Problemen verbunden,
und wie geht man damit um?
Pezzutto: Patienten, die mit
gegen CD19 gerichteten CART-Zellen behandelt werden,
entwickeln in der Tat unweigerlich eine B-Zell-Aplasie und
müssen mit intravenösen Immunglobulinen substituiert werden. Das ist aber eine Routinebehandlung, die im Allgemeinen unproblematisch ist. Da jedoch reife, langlebige Plasmazellen kein CD19 exprimieren,
können gewisse Titer an Immunglobulinen aufrechterhalten werden, die in manchen
Fällen eine Substitution unnötig machen. Eine meiner Patientinnen, die vor etwa 15 Monaten wegen eines therapierefraktären Non-Hodgkin-Lymphoms in Philadelphia mit
CD19-CAR-T-Zellen behandelt
wurde, weist ungefähr die Hälfte der normalen Immunglobulinspiegel auf und benötigt keine Substitution, obwohl sie im
peripheren Blut eine B-ZellAplasie hat.
Vor Kurzem wurde zur
Behandlung der rezidivierten
ALL des Erwachsenen ein anderer Ansatz zugelassen, der
das CD19-Antigen attackiert –
ein bispezifischer T-Zell-Engager-(BiTE)Antikörper. Was sind
die Vor- und Nachteile dieser
beiden Ansätze?
Pezzutto: Um mit den
CD19-CAR-T-Zellen zu beginnen: Ihr Vorteil ist, dass es sich
um lebende Zellen handelt, die
im Körper theoretisch unbegrenzt lange persistieren können und eine Gedächtnisfunktion haben. Der Erfolg der sogenannten Drittgenerations-CART-Zellen geht in der Tat auf ihre
Persistenz in vivo zurück. Das
heißt, im Falle eines Rezidivs einer CD19-positiven Leukämie
können die Zellen diese höchst-
wahrscheinlich wieder angreifen, ohne dass sie noch einmal
gegeben werden müssen (solange das Rezidiv noch
CD19-positiv ist). Nachteile
sind die komplizierte Logistik,
weil die Zellen für jeden Patienten individuell zubereitet werden müssen, sowie die persis-
privat
Z
bisher bei der pädiatrischen
B-ALL erreicht worden ist?
Pezzutto: Verschiedene Studiengruppen an der University
of Pennsylvania in Philadelphia, am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New
York, in Seattle und an anderen
US-amerikanischen Universitäten, haben Methoden entwickelt, um CAR-T-Zellen zu erzeugen, die B-Lymphozyten attackieren. B-Zellen ebenso wie
die meisten B-Zell-Leukämien
und -Lymphome exprimieren
auf ihrer Oberfläche das
CD19-Antigen, gegen das sich
der chimäre Antigen-Rezeptor
dieser CAR-T-Zellen richtet.
Ich denke, die Gruppe aus
Philadelphia um Dr. Steffen
Grupp, der bei unserem Symposium am Mittwochnachmittag eine Keynote Lecture geben
wird, hat derzeit die meiste Erfahrung mit derartigen Methoden bei Kindern in weit fortgeschrittenen Stadien einer
Prä-B-ALL. Die Ergebnisse
übertreffen bei weitem alles,
was man bisher bei diesen Patienten gesehen hat: So wurden
zum Beispiel komplette Remissionen – sogar auf molekularer
Ebene – bei Patienten erzielt,
die gegenüber allen zuvor angewandten Therapien refraktär
gewesen waren.
royaltystockphoto – Fotolia
BERLIN – Prof. Dr. Antonio
Pezzutto, Charité Berlin,
erklärt im Interview mit der
Redaktion, was von zellulären Immuntherapien in
den nächsten Jahren zu erwarten ist.
Prof. Dr. Antonio Pezzutto
tierende B-Zell-Aplasie, die die
Gabe von Immunglobulinen erforderlich macht. Ein Vorteil der
BiTE-Antikörper ist hingegen,
dass es sich hier um ein serienmäßig hergestelltes Produkt
handelt, und dass sie nicht zu
einer permanenten B-ZellAplasie führen, weil ihre Verweildauer im Körper begrenzt
ist. Andererseits ist die Applikation kompliziert mit einer kontinuierlichen Infusion über
mehrere Wochen, und sie haben keine Gedächtnisfunktion.
Das bedeutet, dass sie im Fall
eines Rezidivs der Leukämie
wieder appliziert werden müssen.
CD19 ist nur ein mögliches
Ziel für CAR-T-Zellen, und es
gibt Bemühungen, ähnliche
Ansätze für andere Zielmoleküle zu entwickeln ...
Pezzutto: Einige wenige Beispiele sind CAR-T-Zellen gegen
das CD30-Antigen, die derzeit
bei CD30-positiven Hodgkinund Non-Hodgkin-Lymphomen
getestet werden, sowie Zellen,
die sich gegen das auf Myelom-
Zellen zu findende B-Cell Maturation Antigen (BCMA) richten,
und bei Patienten mit multiplem
Myelom erste vielversprechende
Ergebnisse erzielt haben – darüber wurde beim ASH-Kongress
im Dezember berichtet.
Ist es auch vorstellbar, solide Tumoren mit dieser Technologie anzugreifen?
Pezzutto: Ein Nachteil der
CAR-T-Zellen ist, dass sie sich
nur gegen Oberflächenmoleküle auf Zellen richten. Bisher gibt
es keine wirklich tumorspezifischen Antigene auf der Oberfläche von Zellen: CAR-T-Zellen
können daher wahrscheinlich
gut gegen Tumoren angewendet werden, die ihren Ursprung
in „entbehrlichen“ Organen haben, z. B. das B-Zell-Kompartment, vielleicht einige endokrine Organe, die Prostata, Hoden
oder Ovarien. Es wird aber
schwierig sein, Antigene zu finden, die selektiv etwa auf Lungen- oder kolorektalen Tumoren exprimiert werden. Es gibt
einige Tricks, mit denen man
vielleicht verschiedene solide
Tumoren attackieren könnte,
aber das wird derzeit noch präklinisch geprüft. Ich glaube persönlich, dass bei bestimmten
Tumoren die Anwendung von
T-Zellen attraktiver sein wird,
bei denen der T-Zell-Rezeptor
genetisch verändert wird: Sie
haben den Vorteil, dass sie intrazelluläre Antigene erkennen
können, die durch MHC-Moleküle auf den Zellen präsentiert
werden. Besonders attraktiv erscheint die Idee, mutierte Epitope anzugreifen, wie man sie
in vielen malignen Tumoren in
großer Zahl antrifft. Damit
könnte sich der Traum einer
wirklich tumorspezifischen Immuntherapie erfüllen. jg
Raum A1
Mi., 24.02.
15:00 Uhr
Neue Therapiestrategien
Kopf-Hals-Tumoren beim Deutschen Krebskongress
E
inen Überblick über die
Symposien und Diskussionen, die allesamt am Donnerstag, 25.02., stattfinden, gibt Prof.
Dr. Rainer Fietkau, Erlangen,
Sprecher der Interdisziplinären
Arbeitsgruppe Kopf-Hals-Tumoren in der Deutschen Krebsgesellschaft (IAG-KHT).
In einer Veranstaltung zum
„State-of-the-Art beim Plattenepithelkarzinom“ soll insbesondere erörtert werden,
weshalb in bestimmten Fällen
keine standardisierte Behandlung erfolgen kann, sondern die
Behandlung individualisiert auf
den Patienten zugeschnitten
werden muss. Zusätzlich wird
erörtert, in welchen Situationen
Leitlinien nicht berücksichtigt
werden, obwohl dies eigentlich
deutlich angezeigt ist. Dabei
sollen die jeweiligen Diskussionspunkte aus der Sicht von
Pathologen, diagnostischen Radiologen, Hals-Nasen-OhrenÄrzten, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen,
Radioonkologen
und internistischen Onkologen
dargestellt werden.
Lebensqualität und
Funktionserhalt
In einem Symposium zu „Lebensqualität und Funktionalität bei Kopf-Hals-Tumoren“
geht es um die Rolle von Lebensqualität und Funktionserhalt bei Kopf-Hals-Tumoren
und darum, wie sie gemessen
und durch Therapiemodalitäten beeinflusst werden können.
Auch dies wird aus Sicht der einzelnen Fachdisziplinen (MKGChirurgie, HNO-Medizin, Radioonkologie und internistische Onkologie sowie Psychoonkologie) diskutiert.
Eine Plenarsitzung beschäftigt sich mit „HPV-positiven Tumoren – Änderung der Therapiestrategie“: In den letzten Jahren ist klar geworden, dass ein
HPV-positiver Status bei Tumoren des Oropharynx mit einer
besseren Prognose einhergeht.
Allerdings bleibt noch offen, ob
diese Patienten genauso intensiv wie andere Patienten behandelt werden müssen oder ob
man die Therapie im Sinne einer Deeskalation zurückfahren
kann. Auch dies wird aus dem
Blickwinkel der verschiedenen
Fachgebiete dargestellt.
Nicht jeder Tumor im KopfHals-Bereich muss operiert werden, auch Strahlen- und Chemotherapie können bei der Behandlung helfen, wie in einer
weiteren Plenarsitzung „Nicht-
operative Therapiekonzepte bei
Kopf-Hals-Tumoren“ ebenfalls
unter Beteiligung der verschiedenen Fachdisziplinen deutlich
werden wird. Allerdings ist es gelegentlich problematisch, das
Therapieansprechen optimal
festzustellen, der genaue Ablauf
der Therapien ist noch nicht op-
Ein HPV-positiver Status bei Tumoren des Oropharynx
geht mit einer besseren Prognose einher.
Dr_Kateryna – Fotolia
ERLANGEN – Beim Deutschen Krebskongress sind
Kopf-Hals-Tumoren und
ihre Behandlung in unterschiedlichem Kontext Gegenstand von Symposien
und Diskussionen.
timiert, Bestrahlungsvolumina
sind derzeit ebenso in der Diskussion wie neue Therapieverfahren, vor allem immunmodulatorische Medikamente.
Rauchen und Alkohol bei
Kopf-Hals-Tumoren
Im Rahmen eines Seminars
„Treatment Modifiers bei KopfHals-Tumoren“ soll dargestellt
werden, welche Rolle Rauchen
und Alkohol bei der Behandlung
von Kopf-Hals-Tumoren spielen,
welchen Einfluss die Viruslast hat
und wie das Tumorstroma das
Ansprechen auf Chemo- und
Strahlentherapie beeinflusst. Bei
einer interaktiven Tumorkonferenz sollen interdisziplinär verschiedene Beispiele von Tumoren der Haut (Basalzellkarzinome, maligne Melanome und Merkelzell-Karzinome) in der KopfHals-Region präsentiert und interdisziplinär von Vertretern der
verschiedenen Fachdisziplinen
diskutiert werden. jg
Raum Helsinki 1
Do., 25.02.
09:00 Uhr
7 | KONGRESSZEITUNG
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
Immuntherapie und Co
Wann messen?
Neue Therapien und Genanalytik in der Uroonkologie
PSA-Screening soll durch frühe Messung optimiert werden
B
eim Deutschen Krebskongress 2016 werden aktuelle
Forschungsprojekte diskutiert
und vorgestellt.
Das Blasenkarzinom gehört
sowohl bei Männern als auch
bei Frauen zu den häufigsten
soliden Tumoren. Bei etwa 30
Prozent der Betroffenen kommt
es zur Metastasierung. Die Erkrankung ist dann unheilbar
und wird mit eher mäßigem Erfolg chemotherapeutisch behandelt. Für diese Patienten
mit fortgeschrittenen Tumoren
deutet sich allerdings ein Wandel an. „Das Blasenkarzinom
gehört zu den Tumoren, die
auf eine Immuntherapie mit
PD1-Inhibitoren sehr gut ansprechen. Derzeit laufen bei
dieser Indikation zahlreiche
Studien in nahezu allen Erkrankungsstadien“, betont Professor Dr. Peter Albers von der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.
PD1-Inhibitoren setzen einen Mechanismus außer Kraft,
der die T-Zellen normalerweise
bremst. Ein PD1-Inhibitor verstärkt demnach die zelluläre
Immunreaktion, was bei manchen Tumoren zu außergewöhnlichen therapeutischen
Erfolgen führt. „Bisher sind wir
beim Blasenkarzinom nach
Zweitlinienchemotherapie von
einem Überleben von sechs
Monaten ausgegangen. Erste
Daten zu PD1-Inhibitoren deuten darauf hin, dass wir das mediane Überleben verdoppeln
können. Etwa jeder zweite Patient hat in Pilotstudien auf diese Behandlung angesprochen“,
so Albers.
Aktuelle Phase-III-Studien
testen PD1-Inhibitoren in der
First-Line- und in der SecondLine-Therapie. Sogar Studien
zur adjuvanten Therapie sind
schon unterwegs. In diesen Studien wird untersucht, ob Patienten, die bei lokal fortgeschrittenem Blasenkarzinom
primär operiert werden, ein
längeres rezidivfreies Überleben haben, wenn sie mit
PD1-Inhibitoren behandelt werden. „Bei diesen Patienten nach
Zystektomie waren bisher alle
adjuvanten Protokolle ohne
signifikanten Erfolg. Wenn wir
jetzt die Rezidivrate senken
könnten, wäre das eine tolle
Sache, zumal die Monotherapie
mit
einem
PD1-Hemmer
vergleichsweise gut vertragen
wird“, so Albers.
PREFERE-Studie untersucht
Prostatakarzinom
Nicht um das Blasenkarzinom,
sondern um das Prostatakarzinom geht es in der deutschen
Prostatakrebs-Studie PREFERE.
In dieser Studie werden vier Behandlungsoptionen zur Therapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms verglichen, nämlich die radikale Prostatektomie, die perkutane Strahlentherapie, die Brachytherapie und
eine aktive Überwachung mit
regelmäßigen Kontrollen, bei
der die Behandlung einsetzt,
wenn die Erkrankung fortschreitet.
Die unter anderem von
der Deutschen Krebshilfe und
von Krankenkassen geförderte
PREFERE-Studie war wegen
langsamer Rekrutierung in die
Diskussion geraten. In Medienberichten war sogar von einem
möglichen Abbruch der Studie
die Rede. Mittlerweile wurden
freilich bis Ende 2015 über 320
Patienten eingebracht. „Damit
rekrutiert die Studie schneller
als eine britische Studie, die für
1 600 Patienten zehn Jahre gebraucht hat. Ich denke, die
PREFERE-Studie wurde schlecht
geredet. Sie ist wichtig, und sie
wird das therapeutische Vorgehen beim lokal begrenzten
Prostatakarzinom ändern“, so
Albers.
Früh einsetzendes
Prostatakarzinom
Neben dem Blasenkarzinom
und dem lokal begrenzten Prostatakarzinom ist das früh einsetzende Prostatakarzinom bei
Männern unter 50 Jahren ein
weiteres „heißes“ Thema in der
Uroonkologie. Das mag zunächst paradox klingen, weil es
sich um eine vergleichsweise
seltene Erkrankung handelt.
Von ihr könnten aber wichtige
Impulse ausgehen, nicht zuletzt
für das Prostatakrebs-Screening.
Konkret wird in einem
Großprojekt unter deutscher
Leitung im Rahmen des internationalen Krebsgenomkonsortiums Gewebe von jungen
Patienten mit Prostatakarzinom genetisch untersucht.
Ziel ist es, frühe molekulare
Veränderungen zu identifizieren, die einen besonders aggressiven Verlauf des Karzinoms erwarten lassen. Gelingt
das, ließe sich das Prostatakarzinom-Screening deutlich stärker personalisieren: Bei jenen
Patienten, bei denen auf der
Basis des PSA-Werts eine Biopsie gemacht wird, könnten anhand molekularer Marker Tumoren mit hohem und weniger hohem Risiko unterschieden werden. „Gerade in jungen
Jahren könnte das die Entscheidung für oder gegen
eine radikale Prostatektomie
deutlich erleichtern“, betont
Albers. pg
Raum Budapest
Mi., 24.02.
10:30 Uhr
DÜSSELDORF – Prof. Dr.
Peter Albers, Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Düsseldorf, diskutiert, ob die Risikostratifizierung durch eine frühe
PSA-Messung
optimiert
werden kann.
D
afür, dass die Mortalität
des
Prostatakarzinoms
durch ein PSA-Screening gesenkt werden kann, gibt es mittlerweile gute Daten. „Ein Meilenstein war die im Jahr 2009
publizierte europäische Screening-Studie, in der die gescreente Population einen über
dreißigprozentigen Mortalitätsvorteil hatte“, so Albers. Weitere
Studien haben das seither bestätigt. „Ein Problem bleibt
aber, dass wir bei einem populationsbasierten Ansatz sehr
viele Männer regelmäßig screenen müssen, um einige vor dem
Tod zu bewahren.“
Das ist aus mehreren Gründen nicht ideal. Einerseits ist es
ein erheblicher logistischer und
auch finanzieller Aufwand. Andererseits droht die Gefahr einer
Überdiagnostik mit nachfolgender, nicht notwendiger Therapie.
Lässt sich das PSA-Screening
durch andere Messalgorithmen
möglicherweise spezifischer und
effizienter machen? Das soll in
der in Deutschland stattfindenden PROBASE-Studie herausgefunden werden. „Es handelt
sich um die zurzeit weltweit
größte rekrutierende Studie zum
PSA-Screening“, so Albers. Hintergrund der PROBASE-Studie
sind Daten aus einer schwedischen Kohortenstudie, bei der
bei Männern im Alter zwischen
45 und 50 Jahren im Rahmen eines primär kardiovaskulär ausgerichteten Vorsorgeprogramms
auch der PSA-Wert gemessen
wurde. „Dabei zeigte sich, dass
mit dieser frühen Messung das
spätere Krebsrisiko möglicher-
weise deutlich besser gefasst
werden kann“, sagt Albers.
Der prinzipielle Vorteil der
frühen PSA-Messung besteht dabei darin, dass sie in einem Alter
erfolgt, in dem normalerweise
noch keine benigne Prostatahyperplasie (BPH) vorliegt. Die
BPH kann den PSA-Wert ebenfalls in die Höhe treiben und die
Interpretation dieses Laborwerts
erschweren. Mit einem einmaligen oder zweimaligen, frühen
Screening könnten also die Män-
und 3 ng/ml alle zwei Jahre erneut gemessen wird. Weiterführende Untersuchungen erfolgen
bei Männern mit PSA-Werten ab
3 ng/ml.
Projektiertes Studienende
ist jeweils im Alter von 60 Jahren. „Wir gehen davon aus, dass
mehr als 90 Prozent der Probanden zur Niedrigrisikogruppe
gehören. Für diese Gruppe wäre
das PSA-Screening dann ab einem Alter von 60 Jahren nach
heutigen Daten nicht mehr not-
Hilft eine frühe PSA-Messung, die Risikostratifizierung zu optimieren?
jarun011 – Fotolia
BERLIN – Personalisierte
Therapiestrategien und der
Einsatz neuer, nicht zytotoxischer Therapien – das
sind in der Uroonkologie
derzeit die heißen Forschungsthemen.
ner, die tatsächlich ein erhöhtes
Risiko haben, identifiziert und
dann engmaschig begleitet werden, ohne dass die BPH zu einem
hohen Anteil an falsch positiven
Befunden führt.
Ob das so funktioniert, soll
die PROBASE-Studie zeigen, eine prospektive, randomisierte
Studie, die in Düsseldorf gemeinsam mit dem Deutschen
Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ), der Medizinischen Hochschule Hannover,
dem Universitätsklinikum Heidelberg und dem Klinikum
rechts der Isar der TU München
stattfindet. In der PROBASE-Studie wird randomisiert entweder
im Alter von 45 Jahren oder im
Alter von 50 Jahren ein BasisPSA-Wert ermittelt. Danach erfolgt in beiden Gruppen ein risikoadaptiertes Screening, bei
dem bei Männern mit einem
PSA-Wert unter 1,5 ng/ml nur alle fünf Jahre und bei Männern
mit PSA-Werten zwischen 1,5
wendig“, so Albers. Bei Beginn
der Messung im Alter von beispielsweise 50 Jahren wären
demnach drei PSA-Tests ausreichend, um die Entstehung eines Prostatakarzinoms im Alter
von über 60 Jahren weitgehend
auszuschließen.
Dass dieses Modell nicht
unattraktiv ist, zeigt nicht zuletzt die bisher sehr gute Rekrutierung der PROBASE-Studie.
Infrage kommende Männer
werden über die Einwohnermeldeämter
angeschrieben,
um einen möglichst repräsentativen Querschnitt zu erreichen. Knapp 15 Prozent der Angeschriebenen sagen zu. Bis
Ende 2015 wurden über 14 000
Teilnehmer rekrutiert. Nötig
sind insgesamt 50 000 Männer,
die über einen Zeitraum von
fünf Jahren rekrutiert werden
sollen. pg
Raum A5
Fr., 26.02.
16:45 Uhr
Innovation und Kommunikation
Stratifizierung bei Lungenkrebstherapie vorantreiben
D
ie Pneumologisch-Onkologische Arbeitsgemeinschaft (POA) spannt beim
Krebskongress 2016 in drei
Symposien den Bogen von der
State-of-the-Art-Therapie zu
innovativen
Behandlungsansätzen.
Im Spektrum der bösartigen
Erkrankungen nimmt der Lungenkrebs noch immer eine Sonderstellung ein. Mit über 50 000
Neuerkrankungen pro Jahr gehört er nicht nur zu den häufigsten Tumorerkrankungen in
Deutschland. Es handelt sich
auch nach wie vor um einen der
am schwersten therapierbaren
Tumoren: „Nur etwa 20 Prozent
der Patienten überleben langfristig. Damit ist klar, dass eine strukturgebende Kommunikation mit
den Patienten eminent wichtig
ist, um bei den Patienten und ihren Angehörigen Sicherheit und
Klarheit zu schaffen“, betont
POA-Vorsitzender Prof. Dr. Michael Thomas von der Thoraxklinik der Universität Heidelberg.
Schrittmacher in der Versorgung sind in Deutschland
die zertifizierten Lungenkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft. „Sie etablieren eine Qualitätskontrolle der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, gewährleisten durch klinische Studien,
dass innovative Therapien Verbreitung finden, und etablieren
Standards für eine interdisziplinäre Versorgung“, so Thomas.
Als Leuchttürme sind sie auch
für die breite Versorgung wichtig. Denn sie geben Orientierung und liefern den Vergleichspunkt, an dem sich Einrichtungen, die nicht an Lungenkrebszentren angebunden sind, messen lassen können und müssen.
Interdisziplinarität und die
Diskussion im Tumorboard
sind für die optimale Behandlung beim Lungenkrebs ein
zentrales Element. Im Einzelfall
gehen hier auch Erfahrung und
zwischen den Disziplinen ist.
Nur wenn wir über die Patienten gemeinsam diskutieren,
können wir aus dem Spektrum
Prof. Dr. Michael Thomas:
„Strukturgebende Kommunikation ist eminent wichtig.“
privat
HEIDELBERG – Die Verwendung neuer Diagnoseund Therapieverfahren sowie die interdisziplinäre
Zusammenarbeit
sind
beim Lungenkrebs besonders wichtig.
Expertise ein, die sich nicht allein in Leitlinien abbilden lassen. Beim Krebskongress trägt
die POA dem mit einem Symposium Rechnung, in dem in Form
einer Pro-und-Kontra-Diskussion über den Stellenwert der
Operation beim kleinzelligen
Lungenkarzinom
debattiert
wird. „Das ist eines von vielen
Beispielen, die deutlich machen, wie wichtig der Austausch
der
systemtherapeutischen,
strahlentherapeutischen und
chirurgischen Therapieoptionen die optimalen Behandlungen auswählen und den individuellen Bedürfnissen der Patienten gerecht werden.“
Dass der Bedarf an Abstimmung zwischen den Disziplinen
beim Lungenkrebs in den nächsten Jahren abnehmen wird, ist
kaum anzunehmen. Im Gegen-
teil: Die Zahl der insbesondere
medikamentösen
Therapieoptionen steigt und steigt, die
Versorgung wird immer komplexer. „Für die anhand molekular
definierter Subgruppen stratifizierte Krebsversorgung ist der
Lungenkrebs in den letzten Jahren zu einer echten Modellerkrankung geworden“, so Thomas. Die auf Patientengruppen
zugeschnittene Behandlung mit
Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs)
und Antikörpern ist bei kaum einer anderen Krebserkrankung
derartig ausdifferenziert.
Spätestens seit 2015 ist klar,
dass TKIs und Antikörper beim
Lungenkrebs in Zukunft auch
noch durch immunonkologische
Therapieansätze ergänzt werden. Klinische Studien mit
Checkpoint-Inhibitoren zeigen,
dass die Ansprechraten zumindest teilweise doppelt so hoch
sind wie bei konventionellen
Chemotherapien. „Das Besondere an diesen Therapien ist aber
vor allem, dass die Erkrankung
bei etwa der Hälfte der Patienten,
die ansprechen, wesentlich länger stabil bleibt als bei der Chemotherapie“, betont Thomas.
Weiteren Forschungsbedarf
gibt es dennoch: Zum einen gilt
es, die Einsatzfelder der unterschiedlichen immunonkologischen Therapien besser zu beschreiben. Tumorvakzinen beispielsweise könnten für ausgewählte Patienten eine interessante immunonkologische
Therapieoption werden. Vor allem aber müsse es jetzt darum
gehen, die bei den molekularen
Therapien bewährte Stratifizierung auch in den immunonkologischen Kontext zu übertragen. Thomas: „Wir müssen daran arbeiten, die Mechanismen
der immunonkologischen Therapien besser zu verstehen, um
jene Patienten möglichst schon
im Vorfeld zu identifizieren, die
davon langfristig profitieren.
Erst dann sind wir richtig
gut.“ pg
Raum A4
Mi., 24.02.
10:30 Uhr
KONGRESSZEITUNG | 8
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
Je früher Tumoren entdeckt werden, desto besser
Mohr (4)
Vom Nutzen der gezielten Hautkrebsvorsorge
Malignes Melanom
BUXTEHUDE – Seit Juli
2008 haben gesetzlich Versicherte ab 35 Jahren alle
zwei Jahre Anspruch auf ein
Hautkrebsscreening. Dessen Nutzen wird kontrovers
diskutiert.
B
ei dieser Diskussion spielen die Number Needed to
Screen und die Number Needed
to Excise eine wichtige Rolle.
Letztlich werden mit relativ wenig Aufwand bei etwa 80 000
Personen pro Jahr Frühstadien
der malignen Hauttumoren
entdeckt. Mit strukturierter
wissenschaftlicher Begleitung
könnte der Benefit der Screeningmaßnahmen hinsichtlich
Mortalitäts- und Morbiditätssenkung künftig genauer evaluiert werden.
Etwa 30 Prozent der infrage
kommenden Personen nehmen
am Hautkrebsscreening teil,
Tendenz gleichbleibend. Auf
die Frage, wie viele Personen
untersucht werden müssen, um
eine maligne Neoplasie zu finden, entgegnet Dr. Peter Mohr,
Chefarzt der Klinik für Dermatologie, Elbe Kliniken Buxtehude: „Die Number Needed to
Screen, um ein malignes Melanom zu entdecken, ist circa
620.“ Für ein Basalzellkarzinom
Plattenepithelkarzinom
(Basaliom) müssen circa 184
und für ein Plattenepithelkarzinom (Spinaliom) circa 920 Personen untersucht werden. „Betrachtet man alle malignen
Hauttumoren gemeinsam, so
findet sich bei jedem 116., der
zum Check in die Praxis kommt,
eine Neoplasie“, so Mohr.
Volkserkrankung
Hautkrebs
Zahlenmäßig erscheint also der
Aufwand recht hoch, denn auf
einen entdeckten Hautkrebs
kommen 115 Personen, die
„umsonst“ untersucht wurden.
Doch das scheint vertretbar,
denn Aufwand und Kosten pro
Person sind gering. Und wegen
der hohen Prävalenz der Hauttumoren werden trotzdem viele
Läsionen entdeckt, sodass sich
die Suche auf jeden Fall lohnt.
„Bundesweit wird mit etwa
30 600 Melanomen, 150 000 Basaliomen und 84 000 Spinaliomen pro Jahr gerechnet, dies
sind Hochrechnungen, die auf
Zahlen aus Schleswig-Holstein
basieren“, erklärt Mohr. Die Inzidenz des Melanoms ist durch
das gezielte Screening noch von
15 auf 19 pro 100 000 Einwohner und Jahr „gestiegen“.
„Hautkrebs ist eine Volkserkrankung“, stellt Mohr klar,
„und je früher die Tumoren entdeckt und entfernt werden, desto besser ist es für die Patienten,
auch wenn wir noch keine Studien haben, die etwa eine Senkung der Melanom-Mortalität
infolge des Screenings beweisen könnten.“
Der Check selbst ist schnell
erledigt und auch die Exzision
einer Läsion im Frühstadium
ist wenig belastend, so Mohr.
Nehmen weiterhin 30 Prozent
der Berechtigten am Screening
teil, so können immerhin bei
etwa 80 000 Personen jährlich
die Hauttumoren bereits im
Frühstadium entdeckt und
entfernt werden.
Jeder Tumor stört die
Lebensqualität
„Ein nicht erkanntes Melanom
dagegen kann auch schon bei
geringer Dicke einen tödlichen
Erkrankungsverlauf nehmen“,
erinnert der Experte. „Neben
der Sterblichkeit sollten wir
aber auch die Morbidität nicht
vernachlässigen: Unentdeckte
Basaliome oder Spinaliome
machen in späteren Stadien oftmals größere Operationen im
Gesicht notwendig. Das führt
zu entstellenden Narben, was
die Lebensqualität der Patienten stark beeinträchtigt.“
Malignes Melanom
Basalzellkarzinom
Naturgemäß werden beim
Screening auch Läsionen entfernt, die sich letztlich als benigne erweisen. Doch die Treffsicherheit der deutschen Dermatologen ist relativ hoch und
die Number Needed to Excise
gering. Dazu Mohr: „Jedes
zweite vermutete und exzidierte Basaliom und jedes vierte
Spinaliom wird histologisch
bestätigt.“ Bei den Melanomen
ist immerhin jede 15. Exzision
ein Treffer.
Plattenepithelkarzinom
lässt sich oft vermeiden
Ein weiterer Vorteil des Screenings ist die Möglichkeit, gezielt schon vor der malignen
Entartung einzugreifen, zumindest bei Plattenepithelkarzinomen. Denn während maligne Melanome und Basaliome
keine klar definierten Vorstufen haben (Naevi gelten zwar
als Risikofaktor, aber nicht als
Vorläufer der Melanome), kündigen sich Spinaliome oftmals
durch aktinische Keratosen an.
„Aus etwa 10 bis 15 Prozent der
durch chronische Lichtschäden entstandenen aktinischen
Keratosen werden Plattenepithelkarzinome“, so Mohr. Diese sollten in den meisten Fällen
direkt entfernt oder – falls dies
nicht möglich ist – lokal behandelt werden.
Ob das Screening allgemein
das Risikobewusstsein der Bevölkerung verbessert hat und
somit Prävention in ganz neuen
Größenordnungen stattfindet,
ist noch nicht abzusehen. Prinzipiell besteht aber in den letzten Jahren bei vielen eine Tendenz zu vorsichtigerem Verhalten, das wurde schon vor Einführung der Vorsorgemaßnahme deutlich: „Noch Anfang der
1990er Jahre hatte jeder Vierte
jährlich mindestens einen
schweren Sonnenbrand; im
Jahre 2005 war es nur noch jeder Sechste“, erklärt Mohr auf
Nachfrage.
Geschulter Hausarzt kann
Screening übernehmen
Das Hautkrebsscreening kann
vom Hautarzt oder vom speziell
geschulten Hausarzt durchgeführt werden; diese Regelung
soll die Dermatologen in der
Routine entlasten. Spätestens
bei unklaren Befunden oder
malignen Verdachtsdiagnosen
ist jedoch eine Überweisung
zum Dermatologen angezeigt.
Er kann sich mithilfe spezieller
Ausrüstung, etwa des Auflichtmikroskops, ein detaillierteres
Bild machen, und er sollte es
sein, der, wenn nötig, die Exzision vornimmt, fordert Mohr.
Ein zielgruppenspezifisches
Screening in kürzeren Abständen – etwa für Personen mit
bestimmtem Hauttyp, höherer
UV-Exposition oder familiärer
Vorbelastung – hält er derzeit
nicht für sinnvoll: „Das wäre
den Zielpersonen vermutlich
schwer zu vermitteln, letztlich
würden dann wohl noch weniger Menschen am Screening
teilnehmen.“
Fachärzte anderer
Disziplinen sensibilisieren
Stattdessen sei es sinnvoll,
Fachärzte anderer Disziplinen
wie Gynäkologen und Urologen, die ihre Patienten regelmäßig unbekleidet sehen, für
die Hautkrebsproblematik zu
sensibilieren. Außerdem sollten
die Ergebnisse des aktuellen
Screeningsprogramms und aller künftigen Hautkrebsscreeningmaßnahmen
flächendeckend erfasst und wissenschaftlich begleitet werden,
wünscht sich der Experte:
„Dann werden wir endlich belastbare Zahlen zum Nutzen der
Vorsorge haben.“ sr
Raum Helsinki 2
Do., 25.02.
15:30 Uhr
Vielversprechende Therapien bei fortgeschrittener Erkrankung
Der Stand der Forschung bei malignen Melanomen
I
n der Therapie des fortgeschrittenen malignen Melanoms brachte die CheckpointBlockade mit dem CTLA4-Hemmstoff Ipilimumab vor
wenigen Jahren einen Durchbruch. Die Monotherapie mit
Ipilimumab ist indes schon wieder überholt: Kombinationen
mehrerer Immuntherapien oder
mit zielgerichteten Small Molecules ermöglichen nun Ansprechraten um 60 Prozent. Wir
sprachen mit Prof. Dr. Dirk
Schadendorf, Direktor der Klinik
für Dermatologie am Universitätsklinikum Essen und Vorstand der Arbeitsgemeinschaft
Dermatologische Onkologie.
Herr Prof. Schadendorf, von
welchen neuen Therapieoptionen profitieren Patienten mit
fortgeschrittenem malignem
Melanom heute?
Schadendorf: Zum einen
haben wir Kombinationen aus
selektivem BRAF-Inhibitor und
MEK-Inhibitor, etwa Dabrafenib/Trametinib oder Vemurafenib/Cobimetinib. Sie erzielen
ein sehr gutes und nachhaltiges
Ansprechen. Zum anderen wurden im Sommer 2015 mit Pembrolizumab und Nivolumab
zwei Checkpoint-Blockierer der
neuen Generation zugelassen.
Ihr Therapieprinzip ist die
Hemmung des Signalproteins
Programmed Cell Death 1
(PD1). Ipilimumab lässt sich mit
diesen Wirkstoffen kombinieren. In einer aktuellen Studie
war die Wirkung von Ipilimumab plus Nivolumab der Ipilimumab-Monotherapie überlegen.1 In Europa wird diese
Kombination allerdings voraussichtlich erst im Frühsommer
2016 zugelassen.
Welche Remissionsraten lassen
sich mit solchen Kombinationstherapien erreichen?
Schadendorf: Auf Ipilimumab allein sprechen etwa zehn
Prozent der Patienten an und auf
die PD1-Antikörper etwa 40 Prozent. Mit der Kombination aus
beiden haben wir Ansprechraten von etwa 60 Prozent, sie haben also zumindest additive,
wahrscheinlich sogar synergistische Effekte.
Eine in Entwicklung befindliche individuelle Vakzinierung
(IVAC) soll den Immuntherapeutika helfen, Krebsmutationen gezielt aufzuspüren. Wie
sind die Aussichten dieser neuen
Methode?
Schadendorf: Es muss sich
erst noch zeigen, ob sie ähnlich große Verbesserungen
bringen kann wie die Checkpoint-Inhibitoren oder einen
Miriam Dörr – Fotolia
ESSEN – Prof. Dr. Dirk
Schadendorf sprach im
Interview mit der Redaktion über den aktuellen
Stand der Forschung zum
Thema maligne Melanome.
Therapien mit zielgerichteten Small Molecules erzielen beim fortgeschrittenen malignen Melanom Ansprechraten um 60 Prozent.
zusätzlichen Nutzen. Ein
Nachteil ist, dass für die IVAC
eine komplette Sequenzierung
des Tumorgenoms benötigt
wird; diese ist derzeit noch
nicht flächendeckend verfügbar und zudem kostenintensiv.
Auch die Herstellung der individuellen Vakzine braucht Zeit.
Kürzlich wurde TalimogenLaherparepvec zugelassen, ein
gentechnisch
modifiziertes
Herpes-simplex-Virus. Welche
Rolle spielt es in der Melanomtherapie?
Schadendorf: T-VEC, wie es
kurz genannt wird, ist ein abgewandeltes Herpesvirus. Es wird
direkt in oberflächliche Hautund Lymphknotenmetastasen
injiziert, zerstört diese und
setzt ihre abgetöteten Bestandteile frei. So kann die systemische Immunabwehr die Tumorantigene erkennen und attackieren. Dies gilt sowohl für die
körpereigene Immunabwehr
als auch für die CheckpointTherapien: Auch deren Wirkung wird durch T-VEC ver-
stärkt. Kombinationstherapien
mit T-VEC und PD1-Antikörpern werden derzeit untersucht, die Ergebnisse sind frühestens in zwei Jahren zu erwarten.
Gibt es auch Neuentwicklungen für die Therapie anderer
maligner Hauttumoren?
Schadendorf: Für das Basalzellkarzinom wurde ein zielgerichtetes
Therapieprinzip
entwickelt: Vismodegib und Sonidegib inhibieren den Hedgehog-Signalweg. Zudem werden
die PD1-Inhibitoren auch für
den Einsatz gegen das fortgeschrittene Merkelzellkarzinom geprüft. Erste Daten dazu
waren vielversprechend, es
wird aber sicherlich noch 12 bis
18 Monate dauern, bis die Ergebnisse größerer Studien vorliegen. sr
1
Larkin J, et al.: NEJM 2015;
373(1):23–34
Raum Helsinki 2
Do., 25.02.
14:05 Uhr
9 | KONGRESSZEITUNG
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
Viele offene Fragen
Informierter Umgang
Ethik in der personalisierten Medizin
Wie kommuniziert man Risiken in der Medizin?
ie umfangreiche Anwendung der Genomsequenzierung in der Krebsforschung
hat zu der Erkenntnis geführt,
dass es nicht „das“ Mammakarzinom oder „das“ nichtkleinzellige Lungenkarzinom (NSCLC)
gibt; vielmehr zerfallen nahezu
alle Tumorarten in eine Vielzahl
verschiedener, molekular definierter Untergruppen, die sich
im Hinblick auf die für das Tumorwachstum verantwortlichen
genetischen Defekte unterscheiden. Das gestattet die Entwicklung von immer mehr zielgerichteten Therapien für die
einzelnen Subgruppen.
In der Klinik geht es vor allem
um die Frage, wie der einzelne
Patient optimal bei einer personalisierten Therapieentscheidung begleitet werden kann, in
der Forschung geht es um die
Verantwortung im Umgang mit
genetischen Daten und dem
Wissen um den Patienten. Diese
wird Prof. Dr. Dr. Eva Winkler
vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg im Rahmen einer Plenarsitzung zu neuen Entwicklungen in der Therapie des Lungenkarzinoms am Mittwoch in
einer Keynote Lecture diskutieren. Immer häufiger werden
nämlich Tumorbiopsien heute
in Biobanken gelagert, die für eine Vielzahl von Forschungsprojekten zur Verfügung stehen. Daher ist auch mit der Möglichkeit
zu rechnen, dass an diesem Material beispielsweise das gesamte
Genom des Patienten und nicht
nur die für den betreffenden Tumor relevanten Gene sequenziert werden. Ziel der Forschung
ist es, dabei möglichst große Datenkohorten zu bilden, um in
diesen nach statistischen Zusammenhängen und Auffällig-
Informationsbedarf der Patienten untersucht, und die Patienteninformation entsprechend
der Ergebnisse optimiert.
• Patienten werden zu ihren
Präferenzen bezüglich der
Rückmeldung von Zusatzbefunden befragt: Abhängig
davon werden sie kontaktiert
bei validierten krebsbezogenen Befunden, die für Prävention oder Therapie relevant
sein können. Nicht onkologische Zusatzbefunde sollen in
einem besonderen Gremium
beraten werden.
• Ein Forscherkodex für alle an
der Genomsequenzierung beteiligten Wissenschaftler for-
Wie sichert man sensible Daten bei der Genomsequenzierung?
rung des Patienten angesichts
der vielen potenziell krankheitsrelevanten Anlagen gelingen?
Und wie kann andererseits das
Recht des Patienten auf Nichtwissen gewahrt werden? Wie
lässt sich der (inter-)nationale
Datenaustausch mit dem Schutz
der Privatsphäre vereinbaren?
Diesen Fragen widmet sich
in Heidelberg das EURAT-Projekt zu „Ethischen und rechtlichen Aspekten der Totalsequenzierung des menschlichen
Genoms“. Aus den bisherigen
Ergebnissen, so Winkler, hat das
NCT für das Präzisionsonkologie-Programm ein Leitbild abgeleitet. Darin werden folgende
Dinge berücksichtigt:
• Aufklärung und Einverständniserklärung werden an die Bedürfnisse der Patienten adaptiert. Beispielsweise wurde in
einem Forschungsprojekt der
muliert neue Formen der Verantwortung im Umgang mit
genetischem Wissen über Patienten und sieht vor, dass Forscher Zusatzbefunde an den
behandlungsführenden Arzt
weitergeben, wenn sie darauf
stoßen.
• Die Keimbahn-Rohdaten werden pseudonymisiert und außerhalb von im Internet zugänglichen Netzwerksystemen
gespeichert. Jedes Forschungsprojekt, das auf solche Informationen zugreifen möchte,
benötigt dafür eine zusätzliche,
explizite, schriftliche Einwilligung des Patienten.
Dieses Leitbild soll den verantwortlichen Umgang aller beteiligten Mitarbeiter mit sensiblen
genetischen Daten prägen. jg
Raum A4
Mi., 24.02.
15:00 Uhr
BERLIN – Eine effiziente
Gesundheitsversorgung erfordert informierte Ärzte
und Patienten. Nicht zu unterschätzen ist dabei das
Wissen um statistische
Sachverhalte.
M
edizinische Entscheidungen fallen heute – oder sie
sollten es zumindest – auf der
Grundlage wissenschaftlicher
Evidenz. Diese wird in erster Linie in klinischen Studien generiert, für deren Interpretation eine gewisse Vorstellung von statistischen Zusammenhängen
unerlässlich ist. Mangelndes
Verständnis für Statistik kann
daher sehr leicht zu falschen
Entscheidungen führen.
Das große wissenschaftliche Thema von Prof. Dr. Gerd
Gigerenzer, Direktor des Harding Zentrums für Risikokompetenz und des Forschungsbereichs Adaptives Verhalten
und Kognition am Berliner
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, ist „Risk Literacy“, d. h. der informierte Umgang mit Risiken – gerade auch
da, wo man sie nicht exakt berechnen kann, etwa weil Entscheidungen unter Zeitdruck
getroffen werden müssen.
In der Onkologie beginnen
die Unklarheiten bereits bei der
Vorsorge: Ist es wichtiger, die
Teilnehmerzahlen an Früherkennungsprogrammen zu erhöhen, oder sollte man lieber
versuchen, die Bürger besser zu
informieren? Beides zugleich ist
nicht möglich, meint Gigerenzer,
der beispielsweise in einem Editorial für das British Medical
Journal (BMJ 2015; 350: h2175)
deutlich macht: Wer für bessere
Information von Bürgern plädiert, riskiert einen Rückgang
der Teilnehmerraten an der
Krebsfrüherkennung, weil besser informierte Bürger erkennen
würden, dass bei den meisten
Tumoren unklar ist, ob ein Screening mehr Nutzen oder mehr
Schaden bringt. Empirische Erhebungen zeigen, dass etwa in
Deutschland und England, wo
das Brustkrebs-Screening lange
mit ambitionierten Zielen propagiert wurde, nur zwei bis vier
Prozent der Frauen den Nutzen
des Screenings tatsächlich verstehen, wogegen der Rest ihn bis
zu 200-fach überschätzt oder gar
nichts darüber weiß.
Mit dem 2008 initiierten Nationalen Krebsplan, der Screening und Behandlung von Tu-
Dietmar Gust
D
keiten zu suchen. Daher sind
Forscher darauf angewiesen, Genomdaten gemeinsam zu sammeln und in großen nationalen
oder internationalen Konsortien
auszutauschen.
Daraus ergeben sich zahlreiche ethische Fragen: Soll zum
Beispiel die Rückmeldung von
Zufallsbefunden erfolgen, die
sich im Rahmen eines Forschungsprojekts im Genom des
Patienten ergeben? Darf man das
Grundprinzip der humangenetischen Beratung verlassen, wonach die Aufklärung vor der genetischen Testung erfolgen
muss? Verneint man diese Frage,
wie kann dann die Vorab-Aufklä-
Eisenhans – Fotolia
HEIDELBERG – Die personalisierte Medizin wirft
aus ethischer Sicht Fragen
in den beiden Bereichen
Klinik und Forschung auf.
Prof. Dr. Gerd Gigerenzer
morerkrankungen koordinieren soll, zeichnet sich ein in der
Gesundheitspolitik bislang beispielloser Paradigmenwechsel
ab, so Gigerenzer. Laut den Ergebnissen eines Workshops im
Februar 2015 wird dafür eine
Reihe von Änderungen erforderlich sein.
Informationsmaterial – ob
schriftlich oder online – muss
seinen bisherigen, vor allem
werblichen Charakter verlieren
und ganz auf evidenzbasierte
und transparente Information
setzen. Argumente für und gegen ein Screening sollten genauso offen genannt werden wie etwa in Cochrane-Reviews und die
Vor- und Nachteile sollten als absolute Risiken aufgezeigt werden
anstelle der üblichen irreführenden relativen Risiken und FünfJahres-Überlebensraten.
Ärzte und andere im Gesundheitswesen Tätige benötigen ein effizientes Training in
medizinischer Statistik: Studien
zufolge verstehen auch die
meisten Ärzte den Nutzen von
Screening-Programmen nicht
und fallen sehr häufig irreführenden Statistiken zum Opfer.
Das erfordert eine fundierte statistische Ausbildung sowohl
künftiger Medizinstudenten im
Studium als auch bereits praktizierender Ärzte bei deren kontinuierlicher Fortbildung – die
überdies unabhängiger von der
Industrie werden sollte.
Eine gute öffentliche Gesundheitserziehung sollte jedem Bürger zugute kommen,
nicht nur Patienten mit Krebs
bzw. solchen mit einem erhöhten Krebsrisiko. Der effektivste
Weg dazu beginnt im frühen Leben, am besten in der Schule,
wo Kinder und Heranwachsende auf interessante und ansprechende Weise Wissen über Gesundheit und vor allem die dazugehörigen Fertigkeiten wie
zum Beispiel Kochen vermittelt
bekommen sollten.
Gigerenzer zufolge sind in
Deutschland einige Fortschritte
beim ersten Punkt zu verzeichnen: Irreführende Statistiken,
früher weit verbreitet, sind weitgehend aus Patienteninformationen verschwunden. Zum
zweiten Ziel, der Ausbildung von
im Gesundheitswesen Tätigen,
wurde beim Workshop im Februar 2015 ein landesweites Programm vorgeschlagen, dem zufolge Medizinstudenten eine
bessere Ausbildung in der Kommunikation mit Patienten erhalten sollen. Ein Kinderspiel wird
der Paradigmenwechsel hin zu
informierten Patienten (und
Ärzten) nicht sein, so Gigerenzer. Der Umsetzung stehen erhebliche finanzielle Interessen
in Medizin ebenso wie Industrie
entgegen. Der Nationale Krebsplan wird Wege finden müssen,
mit diesen Interessenkonflikten
umzugehen. jg
Raum A4
Fr., 26.02.
09:30 Uhr
Enge Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient
Der informierte Patient: Ethik aus der Sicht der Betroffenen
I
mmer deutlicher setzt sich
die Erkenntnis durch, dass
gerade bei Krankheiten mit einer genetischen Prädisposition
nicht nur der einzelne Patient,
sondern ebenso dessen Angehörige Berücksichtigung finden
müssen. Genetische Testungen
können für Klarheit sorgen.
Ursächlich für eine genetische Prädisposition können
Mutationen in einem Hochrisikogen (z. B. BRCA1/2) oder das
variierende
Zusammenspiel
mehrerer Mutationen in verschiedenen Genen sein. Oft erkranken Betroffene in jungen
Jahren und haben im Fall von
Brustkrebs zudem ein erhöhtes
Risiko für eine weitere Erkran-
kung in der bislang gesunden
Brust sowie in anderen Organen.
Aufgrund der Komplexität
eines erblichen Tumorsyndroms ergeben sich sowohl für
die bereits erkrankten als auch
für die nicht erkrankten Familienangehörigen, die eine genetische Prädisposition tragen, jeweils sehr unterschiedliche Voraussetzungen für individualisierte Behandlungsoptionen,
sei es eine intensivierte Früherkennung, eine mögliche vorbeugende Operation oder eine
akute onkologische Behandlung.
Gesundheitspolitisch rückt
somit zunehmend die Verantwortung des Einzelnen für sich
selbst in den Vordergrund.
Durch eine umfassende Beratung kann und muss der Patient
von ärztlicher Seite unterstützt
werden, diese Verantwortung
autonom und selbstbestimmt
wahrzunehmen.
Die Arzt-Patienten-Kommunikation charakterisiert in
erster Linie, dass es sich um eine Beziehung zwischen ärztlichem Fachpersonal und zumeist medizinischem Laien
handelt. Für einen erfolgreichen Austausch sind beide Parteien gefragt. Der Patient kann
im Rahmen seiner Möglichkeiten durch offene Kommunika-
tion im Behandlungsverlauf
zum Gelingen beitragen. Aufgrund des Ungleichgewichts an
Fachwissen sind aber vor allem
die Ärzte gefragt, den Patienten
kompetent, verständlich und
umfassend aufzuklären. Ein
umfassendes Abwägen, das
Einholen verschiedener Arztmeinungen, aber auch der Austausch mit Betroffenen können
Auch die Angehörigen von Krebspatienten
rücken in den Fokus.
Hahne/BRCA
BONN – Bei genetischen Prädispositionen rücken auch
Angehörige des Patienten in
das Blickfeld des Arztes. Im
gemeinsamen Dialog muss
die richtige Vorgehensweise
erörtert werden.
dazu beitragen, eine informierte und nachhaltige Entscheidung zu treffen.
Ziel ist die gemeinsame Entscheidungsfindung für mögliche (gen)diagnostische, therapeutische und präventive Maßnahmen. Ärzte unterstützen
Patienten darin idealerweise
durch eine empathische und
nichtdirektive Beratung. Dabei
ist es notwendig, über das
individuelle Erkrankungsrisiko,
ebenso über Behandlungsalternativen, aber auch über langfristige Konsequenzen aufzuklären. Dies gilt im Besonderen bei operativen Maßnahmen
wie der prophylaktischen Mastektomie bei Frauen mit
Nachweis einer pathogenen
BRCA1/2-Mutation. Zumeist ist
es dabei vertretbar, Entscheidungen ohne Zeitdruck und in
der für die Betroffenen passenden Lebensphase, z. B. unter
Berücksichtigung der Familienplanung, zu treffen.
Ein Beispiel, wie weitreichend die Aufklärung des Patienten und seiner Angehörigen
gehen sollte, kann anhand der
personalisierten Therapien mit
PARP-Inhibitoren gegeben werden
(„Stellungnahme
des
BRCA-Netzwerks zur Aufklärungspflicht von Patienten vor
genetischer Diagnostik am Tumorgewebe“, BRCA-Netzwerk
e. V., 2015, Bonn). Ist es vertretbar, vor genetischer Tumordiagnostik auf eine umfassende
Beratung zu verzichten? Sind
Gesetzgebung und Behandler
auf Innovationen und Konsequenzen ausreichend vorbereitet? Die Beiträge des
BRCA-Netzwerks während des
Kongresses und im Rahmen des
Krebsaktionstags gehen aus Patientenperspektive umfassend
auf die komplexen Problemfelder ein. jg
Raum A2
Sa., 27.02.
11:00 Uhr
KONGRESSZEITUNG | 10
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
Strukturierte Nachsorge fehlt
Die Lebensqualität erhalten
Langzeitüberleben nach Krebs
Die Zahl älterer Menschen mit Krebserkrankungen steigt
BERLIN – Kongresspräsidentin Prof. Dr. Angelika
Eggert, Berlin, fordert spezielle Nachsorgekonzepte
für die Patientengruppe der
Langzeitüberlebenden
nach Krebs.
N
ach
Abschluss
einer
Krebstherapie sind die gesundheitlichen Probleme nicht
völlig behoben. So können zum
Beispiel nach einem Knochentumor orthopädische Probleme
bestehen. Es kann durch den
Tumor und seine Behandlung
zu endokrinologischen Veränderungen ko–mmen und zur
Entwicklung von Folgeschäden
der Therapie im Bereich der
Niere, des Herzens oder auch
anderer Organe. Nicht selten
belasten die Patienten außerdem Fertilitätsprobleme, wenn
aktuell ein Kinderwunsch besteht und vor Behandlungsbeginn keine fertilitätserhaltenden Maßnahmen erfolgt
sind.
Hinsichtlich der Nachsorge
bei Langzeitüberlebenden nach
Krebs gibt es nach Eggert aber
noch erhebliche Defizite. Die
notwendigen Untersuchungen
erfordern oft zahlreiche Arztkonsultationen und Kontrolltermine. „Die Betroffenen wünschen sich aber einen einzigen
Ansprechpartner, der die Nach-
sorge regelt, und wollen nicht
von Arzt zu Arzt gereicht werden“, so Eggert. Leider besteht
nach den Worten der Medizinerin in diesem Punkt noch eine
deutliche Versorgungs- und Beratungslücke. Auch fehlen noch
klare Konzepte, wann bei den jeweiligen Tumoren und entsprechender Behandlung welche
Untersuchungen angezeigt sind.
Nicht nur aus Sicht der Betroffenen, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht sind die
fehlenden Nachsorgekonzepte
ein Dilemma. „Es geht uns ein
großer Datenschatz verloren,
wenn wir nicht bald damit beginnen, die bei den Langzeitüberlebenden
auftretenden
Konsequenzen
der
Krebsbehandlung systematisch zu untersuchen“, gibt Eggert zu bedenken. „Wenn wir in den klinischen Krebsregistern nur
Überlebensdaten erheben, können wir nicht nachverfolgen und
nicht beurteilen, welche Spätfolgen die jeweiligen Behandlungskonzepte nach sich ziehen.“
Ist jedoch bekannt, dass eine spezielle Behandlungsmethode das Risiko für bestimmte Spätkomplikationen
steigert, kann im Rahmen
strukturierter Nachsorgepläne
gezielt nach solchen Folgeschäden gefahndet werden. Das eröffnet die Chance einer Früh-
Raum A4
Fr., 26.02.
15:00 Uhr
JENA – Der steigenden Zahl
älterer Menschen mit einer
Krebserkrankung ist diagnostisch und therapeutisch
Rechnung zu tragen, sagt
PD Dr. Ulrich Wedding,
Sprecher der AIO-Gruppe
Geriatrische Onkologie.
V
or dem Hintergrund der
demografischen Entwicklung dürfte der geriatrischen
Onkologe auch künftig eine
weiter zunehmende Bedeutung
zukommen. So wird hinsichtlich der Krebsinzidenz bis zum
Jahr 2035 in Deutschland mit
jährlich zusätzlich 110 000
Krebspatienten gerechnet. Das
entspricht grob gerechnet einem Anstieg der Krebshäufigkeit um rund 25 Prozent. Die
zunehmende Zahl von Krebserkrankungen pro 100 000 Einwohner basiert auf einer Zunahme der Erkrankungen bei
Menschen über 65, während bei
den unter 65-Jährigen sogar ein
Rückgang zu sehen ist.
Die Krebsmedizin steht damit vor erheblichen Herausforderungen. Es gibt jedoch auf
vielen Ebenen Bestrebungen,
die Diagnostik und Therapie
von Krebserkrankungen im Alter so zu optimieren, dass die
Patienten eine effektive und ihre Lebensqualität erhaltende
Therapie bekommen.
Dreh- und Angelpunkt ist
dabei das geriatrische Assessment. Es zielt darauf ab zu eruieren, welche Therapie im individuellen Fall optimal und zudem im Hinblick auf die Möglichkeiten und auch die Lebensqualität des Patienten zu
realisieren ist. Zwar würde man
sich klare Grenzwerte als Ergebnis des geriatrischen Assessments und damit eindeutige
Handlungsanweisungen wünschen, dies aber erscheint nicht
als realistisch. Die Unter-
suchungen können jedoch relevante Hinweise auf die individuellen Gegebenheiten des Patienten liefern, beispielsweise
auf eine eingeschränkte Mobilität. So besteht die Möglichkeit,
die Behandlung an diesen Defiziten auszurichten und gegebenenfalls kompensatorische
Maßnahmen zu veranlassen.
Die Untersuchungen können zudem Hinweise darauf liefern, wie durch eine der Krebsbehandlung vorgeschaltete Rehabilitation, quasi eine „Prähabilitation“, die klinische Situation zu stabilisieren ist, sodass
der Patient die Behandlung besser durchstehen kann. Möglicherweise lassen sich durch
steigt dabei nicht nur der Anteil
älterer Menschen, die Entwicklung ist auch verbunden mit einem Rückgang des Anteils junger Menschen an unserer Bevölkerung. Damit erhebt sich
zwangsläufig die Frage, wie gesichert werden kann, dass künftig ausreichend qualifizierte
Mitarbeiter für die Versorgung
von Tumorpatienten verfügbar
sein werden. Die Frage, wie die
personellen Ressourcen zu sichern sind, die benötigt werden, um die Versorgung älterer
und alter Menschen mit Krebs
zu gewährleisten, ist derzeit
noch offen.
Es hat in den vergangenen
Jahren erhebliche Fortschritte in
Die zunehmende Zahl älterer und alter
Menschen mit Krebs ist eine der zukünftigen Herausforderungen der Onkologie.
entsprechende, sich direkt an
den bestehenden Defiziten orientierende Maßnahmen sogar
Limitationen der Therapie
überwinden. Das könnte positive Auswirkungen auf den Therapieerfolg haben. In diesem
Sinne können auch rehabilitative Maßnahmen begleitend zur
Krebstherapie sinnvoll sein.
Allerdings stehen immer
wieder die Kosten der Krebsmedizin in der Diskussion und
das dürfte sich wohl auch künftig nicht ändern. Es ist somit
fraglich, inwieweit zusätzliche
therapeutische Maßnahmen zu
realisieren sind. Infolge der
demografischen Entwicklung
Photographee.eu – Fotolia
photopitu – Fotolia
Die Zahl der Langzeitüberlebenden
nach Krebs nimmt zu – doch was
passiert nach der Heilung?
erkennung sich entwickelnder
Folgekomplikationen.
Mit strukturierten Nachsorgeprogrammen ist zudem die
Früherkennung von Tumorrezidiven möglich, was eine frühzeitige Behandlung mit verbesserten Heilungschancen ermöglicht. Zudem ließen sich so
generell Tumorneuentwicklungen, die durch die erste Krebsbehandlung gefördert werden
können, frühzeitig entdecken.
Hilfreich kann auch die Testung auf eine tumorfördernde
Prädisposition sein, ein Phänomen, dessen Bedeutung bislang
unterschätzt wird. Dabei zeigen
die genetischen Untersuchungen am Tumorgewebe, dass die
Zahl der krebsdisponierenden
Gene in der Keimbahn höher ist
als lange Zeit angenommen. So
sind bei rund zehn Prozent der
Patienten in der Kinderonkologie Auffälligkeiten nachzuweisen, die auf ein insgesamt erhöhtes Krebsrisiko hinweisen.
Die Identifizierung solcher
tumorfördernder Gene ermöglicht die Etablierung von Nachsorgeprotokollen, die direkt angepasst sind an das individuelle
Risiko des Patienten. Das eröffnet weitere Chancen der Früherkennung von Zweittumoren
und/oder Spätfolgen der Krebsbehandlung. Eggert: „Diese
Möglichkeiten, die Nachsorge
individuell anzupassen und die
langfristige Prognose der Patienten zu verbessern, werden
noch nicht adäquat genutzt.“ In
den Fachgesellschaften sollte
laut Eggert daher diskutiert werden, inwieweit es sinnvoll ist,
bei Kindern nach überstandener Krebserkrankung generell
nach solchen tumorfördernden
Mutationen in der Keimbahn zu
fahnden. cv
der Krebsmedizin gegeben, primär jedoch bei der Entwicklung
innovativer Medikamente. Es resultiert eine deutliche Verlängerung der Lebenserwartung bei
verschiedenen Tumorarten. Dies
hat in vielen Bereichen auch einen erhöhten Betreuungsbedarf
zur Folge. Was bislang fehlt, sind
realistische Konzepte, wie dieser
Situation auch künftig Rechnung getragen werden kann. Die
geriatrische Onkologie wird daher mit Sicherheit eines der
wichtigsten Zukunftsthemen
sein. cv
Raum London 2
Fr., 26.02.
17:15 Uhr
Es mangelt an geeigneten Versorgungsstrukturen
Krebs bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen
S
owohl bei Kindern als auch
bei älteren Menschen mit
Krebs hat es in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gegeben, was bei verschiedenen Tumoren Niederschlag in verbesserten Heilungschancen gefunden hat.
Am wenigsten haben von den
Fortschritten bislang Jugendliche und junge Erwachsene
profitiert. In dieser Altersgruppe gilt es laut Kongresspräsidentin Prof. Dr. Angelika
Eggert, Berlin, noch erheblichen Handlungsbedarf.
Die Behandlung von Kindern mit einer Krebserkrankung liegt im Wesentlichen in
den Händen der Kinderonkologen. In der Erwachsenenmedizin stehen in der Onkologie da-
gegen eher ältere Menschen im
Fokus. Es fehlen bislang jedoch
adäquate Versorgungsstrukturen für Jugendliche und junge
Erwachsene (AYA, Adolescents
& Young Adults), die an Krebs
erkranken. „Es ist nicht vernünftig, Jugendliche mit Krebs
zusammen mit dreijährigen
Krebspatienten oder aber zusammen mit 70-jährigen Tumorpatienten zu behandeln.
Wir brauchen vielmehr altersgerechte Betreuungsmöglichkeiten“, moniert Eggert.
Andere Länder wie die USA
und Großbritannien sind in
dieser Hinsicht weiter; dort gibt
es spezielle Krebsstationen für
Jugendliche und junge Erwachsene. Entsprechende Strukturen für 15- bis 25-Jährige aufzubauen ist nunmehr auch an
der Berliner Charité geplant.
„Patienten dieser Altersgruppe
sollen während der Zeit in der
Klinik unter sich sein, und es ist
daher unsere Aufgabe, die notwendigen Versorgungkonzepte
zu etablieren“, so Eggert. „Wir
brauchen Räumlichkeiten, in
denen den Jugendlichen auch
Computer und weitere adäquate Unterhaltungsmöglichkeiten
zur Verfügung stehen und wo
sie nicht mit der Erzieherin
ten mit der Peergroup und auch
mit dem anderen Geschlecht
kommen und auch hinsichtlich
der sich eigentlich in diesem
Alter entwickelnden zuneh-
Archie Bleyer
BERLIN – Die Versorgung
von Krebspatienten im Kindes- sowie im höheren Alter
verzeichnet stetig Fortschritte. Jugendliche und
junge Erwachsene fallen
bisher aber meist noch
durch das Raster.
Expertenversorgung und Studienteilnahme nach Alter, USA
konfrontiert werden, die die Patienten zum Basteln animiert.“
Denn für Jugendliche und
junge Erwachsene stellt die
Krebserkrankung eine besondere Herausforderung dar. Sie
kann den physischen und sexuellen Reifungsprozess beeinträchtigen. Es kann zu Problemen bei den sozialen Kontak-
menden Selbstständigkeit und
Unabhängigkeit von den Eltern. Kinder und Jugendliche
mit Krebs brauchen deshalb eine spezielle Unterstützung
auch hinsichtlich ihrer Berufswahl, möglicherweise auftretender finanzieller Probleme
und eventuell bei Diskriminierungen in der Schule oder im
Berufsleben aufgrund möglicher Entstellungen infolge der
Erkrankung.
Davon abgesehen müssen
die Behandlungskonzepte dahin gehend geprüft werden, ob
sie auch für die Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen optimiert werden
müssen. Denn die Tumorbiologie ist anders als bei Kindern,
was vermutlich auch unterschiedliche Therapieprotokolle
erfordert. Dabei sind auch die
Unterschiede in der körperlichen Entwicklung, dem Stoffwechsel und dem Hormonhaushalt zu berücksichtigen, da
sie Auswirkungen auf die Pharmakokinetik und die Toxizität
der eingesetzten Medikamente
haben können.
Das erklärt möglicherweise
die deutlichen Überlebensunterschiede: Während zum Beispiel
Kinder mit einer akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) eine
Heilungschance von 80 Prozent
haben, liegen die Heilungsraten
bei den AYA nur bei 50 Prozent.
Auch beim Ewing-Sarkom gibt es
erhebliche Unterschiede mit
Fünf-Jahres-Überlebensraten
von 70 Prozent bei den unter
Zehnjährigen gegenüber 60 Prozent bei den 10- bis 17-Jährigen
und sogar nur 44 Prozent bei den
über 18-Jährigen.
Es gibt zudem nur vergleichsweise wenige klinische
Studien bei den AYA. So werden
mehr als 95 Prozent der Kinder,
jedoch nur ein bis fünf Prozent
der AYA im Rahmen klinischer
Studien behandelt. Die Mehrzahl der 20- bis 30-Jährigen mit
einem malignen Tumor wird
zudem nicht an einem Zentrum
betreut.
Unbedingt zu begrüßen ist
laut Eggert deshalb die Etablierung von Organisationen und
speziell Stiftungen, die sich für
AYA mit Krebs engagieren wie die
„Aline Reimer Stiftung – Netzwerk für Jugendliche und junge
Erwachsene mit Krebs“ sowie die
„Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs“. cv
Raum London 2
Do., 25.02.
09:15 Uhr
11 | KONGRESSZEITUNG
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
Etablierung auf breiter Basis
Hausärzte in der Onkologie
Pflegeforschung in der Onkologie
Unterstützer und Lotsen für ihre Patienten
ie deutsche Pflegewissenschaft befindet sich derzeit in der Phase des Aufbaus
von Pflegeforschung und versucht, gegenüber den internationalen Entwicklungen – z. B.
in den USA, Großbritannien
oder Skandinavien – aufzuholen, so Kerstin Paradies, Sprecherin der Konferenz Onkologischer Kranken- und Kinderkrankenpflege.
Wichtigste Voraussetzung
für Pflegeforschung ist eine Akademisierung der Pflegeausbildung, um Forschungsdenken
und -methoden in die Berufsrolle zu integrieren. Dazu wurden
in den letzten 20 Jahren etwa 90
Pflegestudiengänge zumeist an
Fachhochschulen etabliert, daneben einige universitäre, auf
Forschung ausgerichtete Studiengänge. Damit einhergehen
muss die Entwicklung der onkologischen Pflegeforschung, damit die Pflege innerhalb des therapeutischen Teams ihre eigene
Identität weiter entwickeln
kann. Um sie zu etablieren, sollten die pflegewissenschaftlichen Studiengänge an einer
medizinischen Fakultät verortet
sein. Durch die Kopplung mit
der Universitätsklinik ergibt sich
ein besonders günstiges Umfeld
für die Entwicklung klinischer,
patientenbezogener Pflegeforschung. Die Robert-Bosch-Stiftung empfiehlt daher dieses Organisationsmodell in einem Memorandum zur Verankerung der
Pflegewissenschaft und Pflegeforschung an medizinischen Fakultäten und Universitätskliniken in Deutschland.
Ärzte und Pflegekräfte treffen sich somit im Hörsaal und
von theoretischen Modellen
und Praxiskonzepten.
Zukünftige Strategien werden heute vielfach in nationalen Forschungsagenden abgestimmt, in Deutschland seit
Herbst 2012 in der Agenda Pflegeforschung, gefördert durch
die Robert-Bosch-Stiftung. Es
werden darin keine speziellen
Erkrankungen oder Indikationen genannt. Für die onkologische Pflegeforschung sind Themenbereiche wie „Leben mit
einer chronischen Erkrankung“ und „Pflege in akuten
Krankheitssituationen“ beson-
Studien zur Pflege können zu einer besseren Versorgung beitragen.
punktmäßig auf die Förderung
des Selbstmanagements der Patienten. In der Onkologie fokussiert sie vor allem auf die Reduktion der Belastung durch
Symptome oder Therapie, wie
etwa Fatigue, Schmerz oder
Übelkeit. Untersucht wird die
Wirksamkeit spezifischer Interventionen im Vergleich zu anderen Maßnahmen oder kliniküblicher Versorgung. Pflegekräfte werden in allen Studien beratend tätig. Darüber hinaus gibt es aber viele Bereiche,
in denen sich onkologische
Pflegeforschung weiter entwickeln kann, z. B. breite Bereiche der Versorgungsforschung
oder der grundlagenorientierten Forschung zur Entwicklung
ders relevant. Im nächsten
Schritt ist es dann notwendig,
aus den Studienempfehlungen
der Themenbereiche die spezifisch onkologischen Fragestellungen abzuleiten.
Beim Kongress werden onkologische Pflege und Pflegeforschung in verschiedenen Veranstaltungen der Konferenz Onkologischer Kranken- und Kinderkrankenpflege (KOK) thematisiert, so in einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Breast Cancer
Nurse am Mittwoch um 11:00
Uhr oder in einer Sitzung über
„Das multiprofessionelle Team“
am Mittwoch um 16:45 Uhr. jg
Raum M 1-3
Mi., 24.02.
16:45 Uhr
BERLIN – Genaue Zahlen
sind nicht bekannt, aber
der Deutsche Hausärzteverband schätzt, dass die
meisten Krebspatienten in
der Palliativphase vom
Hausarzt versorgt werden.
D
och welche Aufgaben
übernimmt der Hausarzt
in der Versorgung von Krebspatienten? Und welche Abläufe
zwischen Haus- und Facharzt
oder Klinik garantieren eine optimale Betreuung der Patienten?
Infolge der Verlagerung der
Gesundheitsleistungen vom stationären in den ambulanten Sektor werde die Zusammenarbeit
zwischen Fach- und Hausärzten
immer wichtiger, so Dr. Anne
Dahlhaus vom Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt. In einem Forschungsprojekt untersuchte sie
das Rollen- und Kooperationsverständnis des Hausarztes in
der Onkologie. Die qualitativen
Interviews im Rahmen dieser
Untersuchung zeigen: Hausärzte
verstehen sich selbst als Unterstützer und Lotsen für ihre Patienten; sie kennen das familiäre
Umfeld sowie die psychosomatischen Aspekte der Erkrankung
und können deshalb einen wertvollen Beitrag zur Entscheidungsfindung bei der Therapie
leisten, besonders bei multimorbiden oder dementen Patienten.
Kurze Wege zählen
Was die Zusammenarbeit mit
Onkologen und Kliniken angeht,
so greifen Hausärzte in der Regel
auf ein persönliches Netzwerk
zurück, bei dem gute Erreichbarkeit und unkomplizierte
Kommunikationswege im Vordergrund stehen. „Ein Telefonanruf zur raschen Verständigung
mit dem Kollegen in der Klinik,
keine langen Wartezeiten auf einen Facharzt- oder Kliniktermin
für meine Patienten sowie Strukturen, die die Trennung zwi-
Edler von Rabenstein – Fotolia
D
am Krankenbett beim Patienten
und können dort in der Ausbildung, der Forschung und insbesondere in der Krankenversorgung zu einer neuen partnerschaftlichen Kooperation finden. Die Supportivtherapie in
der Onkologie ist dabei ein Bereich, in dem pflegerisches und
ärztliches Handeln besonders
eng ineinandergreifen und bietet sich daher an, pflegerische
Fragestellungen in eine interprofessionelle patientenbezogene Forschung zu integrieren.
Klinische Pflegeforschung
bezieht sich bisher schwer-
Syda Productions – Fotolia
BERLIN – Wissenschaftliche
Studien zur Pflege sind selten, in der Onkologie ebenso
wie in der Medizin allgemein, obwohl sie durchaus
zur Verbesserung der Versorgung beitragen könnten.
Krebspatienten werden häufig
von ihrem Hausarzt versorgt.
schen Krankenhaus und niedergelassenem Bereich überbrücken, das wünsche ich mir für eine bessere Versorgung“, so Dr.
Stephan Bernhardt, Facharzt für
Allgemeinmedizin mit eigener
Hausarztpraxis in Berlin.
Mobiler Dienst gefragt
Auch in ländlichen Gebieten seien die Patienten auf eine gute
Zusammenarbeit zwischen Onkologen und Hausärzten angewiesen, bestätigt Dr. Ursula Vehling-Kaiser, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und
Onkologie und Leiterin einer
onkologischen Tagesklinik in
Landshut. Im Einzugsgebiet ihrer Praxis nehmen Patienten für
eine Chemotherapie weite Wege
in Kauf. Für einige Indikationen
stehen zwar mittlerweile zielgerichtete orale Medikamente zur
Verfügung, aber nicht immer
kommen die Patienten zu Hause
gut damit zurecht. Deshalb hat
Vehling-Kaiser einen mobilen
onkologischen Dienst mit speziell weitergebildeten onkologischen Facharzthelferinnen oder
Krankenschwestern ins Leben
gerufen, die die Patienten zu
Hause aufsuchen. Das Projekt
wird vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit gefördert; gedacht ist es vor allem für multimorbide Tumorpatienten. „Die
Kassen konnten wir damit überzeugen, dass der Dienst an vielen Stellen Kosten spart: weniger
Krankentransporte, weniger Therapieabbrüche und sinkende
Therapiekosten“, erklärt Vehling-Kaiser. „Unser wichtigster
Pluspunkt ist der intensive Kontakt zwischen uns und den jeweiligen Hausärzten. Der Rücklauf von den Hausärzten ist sehr
positiv.“
Bürokratie abbauen
Trotz dieser positiven Erfahrungen ist es aufwendig, die integrierte onkologische Versorgung für einzelne Krebsarten in
die Fläche zu bringen. Das liegt
unter anderem daran, dass
Brust-, Darm- oder Lungenkrebs nur einen kleinen Teil aller in einer Hausarztpraxis betreuten Indikationen ausmachen. Zwar können Hausärzte, die an der Integrierten
Versorgung teilnehmen wollen,
mit einzelnen Kassen Selektivverträge abschließen. „Mehr
Selektivverträge bedeuten für
uns oft mehr Bürokratie, aber
nicht automatisch eine bessere
Patientenversorgung“, so der
Kommentar eines Hausarztes
anlässlich einer gesundheitspolitischen
Diskussionsveranstaltung der Deutschen
Krebsgesellschaft 2015. Die optimale Vernetzung von Hausärzten, Fachärzten und Klinik
ist offensichtlich noch lange
nicht erreicht. km
Raum M8
Sa., 27.02.
08:00 Uhr
Integrale Bestandteile der Onkologie
Frühzeitige Integration von supportiven und palliativen Maßnahmen
BERLIN – Ohne eine an die
individuelle
therapeutische Situation angepasste
Supportivtherapie sind viele moderne Therapien gar
nicht durchführbar.
S
upportive Maßnahmen sind
schon seit vielen Jahren ein
grundlegender Bestandteil des
onkologischen Behandlungskonzepts. Prinzipiell will die
Supportivtherapie vorhersehbare Nebenwirkungen durch geeignete Prophylaxemaßnahmen
verhindern. Treten dennoch Nebenwirkungen auf, müssen validierte Strategien für die Behandlung von Nebenwirkungen und
Symptomen vorliegen.
Die klassischen Themen der
Supportivtherapie – Antiemese,
Infektionsprophylaxe, Schmerztherapie, Mukositis u. v. m. – sind
gut erforscht und mit Therapieempfehlungen und Leitlinien
hinterlegt. Dennoch gibt es immer wieder Risikokonstellationen, bei denen die Supportiv-
therapie unzureichend ist. Hinzu kommen viele neue Therapieverfahren und Medikamente, die mit neuen Nebenwirkungen behaftet sind oder in Kombination mit anderen Methoden deren Nebenwirkungen
verstärken. Daher ist die Supportivtherapie ein sich stetig
weiterentwickelndes und wandelndes Feld in der onkologischen Medizin.
Die ASORS (Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in
der Onkologie, Rehabilitation
und Sozialmedizin der Deutschen Krebsgesellschaft) nimmt
innerhalb der Deutschen Krebsgesellschaft den Auftrag wahr,
supportive und rehabilitative
Themen zu entwickeln, zu koordinieren und zu kommunizieren.
Ziel ist die Förderung der Supportivmedizin sowie der Rehabilitation und Sozialmedizin als integrale Bestandteile der Onkologie
in Praxis, Lehre und Forschung.
„Supportive Maßnahmen sollen
unsere Patienten von der Diagno-
sestellung über alle Phasen der
Behandlung hinweg und darüber
hinaus schützen wie ein Regenschirm vor Regen“, sagt Prof. Dr.
Petra Feyer, Vorsitzende der
ASORS. „Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob das Therapieziel
kurativ oder palliativ ist.“
Wenn die Therapie nicht
kurativ sein kann
Die Palliativtherapie setzt
dann an, wenn die Therapie
nicht mehr kurativ sein kann
und vermehrt krankheitsbedingte Symptome auftreten.
Dies kann einen langen Zeitraum umfassen und nicht nur
die Phase unmittelbar am Lebensende, erklärt Feyer. „Gemeinsam zum Wohle des Patienten“ – so beschreibt sie den
Synergismus zwischen der onkologischen Supportivtherapie
und der Palliativmedizin. Gemeinsames Ziel sei die Verbesserung der Lebensqualität.
Die Supportivtherapie begleitet den Patienten von der Di-
agnosestellung an und verhindert oder lindert krankheitsbedingte Symptome und Nebenwirkungen der aktiven Tumortherapie. Die Palliativmedizin setzt im nicht mehr heilbaren Stadium einer Erkrankung an. Palliativmedizinische
Maßnahmen werden heute bei
allen schweren und unheilbaren Erkrankungen angewandt. Überschneidungen zwischen den Bereichen sind naturgemäß und sinnvoll. Während die Supportivtherapie heute von Anfang an in die Therapieplanung einbezogen wird,
wurden palliative Maßnahmen
über viele Jahre hinweg erst
dann eingesetzt, wenn die Erkrankung weit fortgeschritten
war und starke Symptome wie
Schmerzen oder Dyspnoe auftraten. Dass eine frühzeitige Integration palliativer Maßnahmen die Lebensqualität von
Patienten mit einer nicht heilbaren Tumorerkrankung verbessert und zudem das Über-
leben verlängern kann, zeigten
mehrere Studien beim Bronchialkarzinom.
Palliative Versorgung parallel
zur Therapie initiieren
Daher empfiehlt die amerikanische Krebsgesellschaft
ASCO seit 2012 die frühzeitige
Integration palliativer Maßnahmen in das onkologische
Behandlungskonzept. Die vorläufige klinische Empfehlung,
der ASCO lautet, dass Patienten mit metastasiertem nichtkleinzelligem Bronchial-karzinom ab Diagnosestellung eine
palliative Versorgung zeitgleich zur onkologischen Therapie erhalten sollen. Dafür
gibt es eine klare Evidenz aus
einer randomisierten PhaseIII-Studie.
Für andere Tumorentitäten
konnte bisher noch kein Überlebensvorteil gezeigt werden,
jedoch spricht eine breite Datenlage dafür, dass eine frühzeitige Palliativversorgung zu
einer Besserung von Symptomen, Lebensqualität und Zufriedenheit sowie einer geringeren Belastung der Angehörigen führen kann. Im weiteren
Verlauf der Erkrankung könnte
dieses Vorgehen zudem zu einem effektiveren Einsatz von
Hospiz- und Palliativstrukturen
führen und dazu beitragen, unnötige stationäre Aufnahmen,
intensivmedizinische Maßnahmen und invasive Tumortherapien am Lebensende zu vermeiden.
Auch die 2015 erschienene
S3-Leitlinie „Palliativmedizin
für Patienten mit einer nicht
heilbaren
Krebserkrankung“
des Leitlinienprgramms Onkologie empfiehlt unter anderem
eine frühzeitige palliativmedizinische Behandlung der Betroffenen und geeignete Behandlungspfade dafür. Dr. Petra Ortner
Raum A5
Mi., 24.02.
15:00 Uhr
KONGRESSZEITUNG | 12
CityCube Berlin, 24.-27.02.2016
Hilfe zur Selbsthilfe
Aufstiegstipps vom Chef
Krebsaktionstag 2016 für Patienten und Angehörige
Tag der Jungen Medizin zu Karrieren der Generation Y
m Interview erklären Ralf
Rambach, Vorstandsvorsitzender vom Haus der KrebsSelbsthilfe – Bundesverband
und PD Dr. Jutta Hübner von
der Deutschen Krebsgesellschaft, was die Besucher erwartet.
Was ist das Besondere am
Krebsaktionstag 2016?
Ralf Rambach: Der Krebsaktionstag ist ein wesentlicher
Bestandteil des Krebskongresses – Patienten haben die Möglichkeit, mit Experten zu sprechen und sich über Brandaktuelles vom Kongress zu informieren. Viele Krebs-Selbsthilfeorganisationen haben das anspruchsvolle Programm durch
die Auswahl von Themen und
Referenten mitgestaltet.
Dr. Jutta Hübner: Die Veranstaltung bietet einen breiten
Überblick über die Krebsdiagnostik und -behandlung. Sie
zeigt aber auch, wie viele Möglichkeiten Patienten heute haben, in Selbsthilfegruppen aktiv
zu werden und dort auch Unterstützung zu finden.
Wie kann die Selbsthilfe Patienten unterstützen?
Rambach: Selbsthilfegruppen wollen Hilfe zur Selbsthilfe
vermitteln und Mut machen.
Diese Aufgabe kann am besten
von den Betroffenen selbst und
deren Angehörigen geleistet
werden – das eigene Erleben ist
der entscheidende Kompetenzfaktor. Der Schicksalsschlag der
Diagnose und die Belastungen
der Therapie lassen sich leichter ertragen, wenn man nicht
alleingelassen wird. Auf der
Ebene der Bundesorganisationen unterstützen wir z. B. mit
patientengerecht aufbereiteten
Welche Vorteile bietet eine solche Organisation wie das
„Haus der Krebs-Selbsthilfe –
Bundesverband“?
Rambach: Um die Interessen
der Krebspatienten gegenüber
den Playern im Gesundheitssystem zu vertreten, haben sich
kürzlich neun große Bundesorganisationen der Krebs-Selbsthilfe zu diesem Dachverband zusammengeschlossen. Auf diese
jeweiligen Informationsbedarf
einzelner Patientengruppen.
Was wünschen Sie sich, damit
Patienten künftig besser an
Therapieentscheidungen teilhaben können?
Rambach: Inhaltlich geht es
vor allem um mehr Zeit – etwa,
um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient aufzubauen, das zur Therapieentscheidungsfindung nötig ist. Das erfordert vom Arzt Empathie und Flexibilität. Beides ist nicht umsonst
zu haben und setzt eine bessere
Vergütung der „sprechenden Me-
Am Samstag, 27.02., findet der
Krebsaktionstag 2016 statt.
Weise können wir unsere Arbeit
besser harmonisieren, Synergien
schaffen und Kräfte bündeln.
Bei diesem Krebsaktionstag
werden erstmals auch Sitzungen in Türkisch angeboten.
Haben Patienten aus anderen
Kulturkreisen einen anderen
Informationsbedarf?
Hübner: Patienten weisen,
abhängig von ihrer Kultur, ihrem Bildungsstand und ihren
religiösen Überzeugungen sehr
unterschiedliche Informationsbedürfnisse auf. Das gilt für die
deutsche Bevölkerung genauso
wie für fremde Kulturkreise. So
ist z. B. der bei uns geforderte
offene Umgang mit ungünstigen Krankheitsverläufen und
Tod in vielen anderen Ländern
unüblich. Es genügt nicht, Patienteninformationen in andere Sprachen zu übersetzen, wir
müssen einen sensiblen Umgang mit anderen Lebenseinstellungen finden. Leider wissen wir noch zu wenig über den
dizin“ voraus. Auch die Gremienarbeit der Selbsthilfevertreter
kostet Zeit und stößt an Grenzen,
vor allem, wenn die notwendige
administrative Entlastung nicht
bezahlt werden kann.
... und aus der Sicht des Behandlers?
Hübner: Der erste Schritt
besteht darin, dass wir Patienten
fragen, wie und in welchem Umfang sie an der Entscheidungsfindung beteiligt sein möchten.
Insgesamt ist ein sensibles Herangehen aller an der Behandlung Beteiligten gefragt, um die
Patienten zu begleiten und ihnen mit Informationen zur Seite
zu stehen. Dazu müssen wir immer wieder abgleichen, welche
Informationen wann und in
welcher Form benötigt werden.
Nur dann kann es gelingen, dass
Patienten sich an der Entscheidung beteiligen. km
Raum A2
Sa., 27.02.
09:00 Uhr
BERLIN – Der 32. Deutsche
Krebskongress will mit dem
Tag der Jungen Medizin Wege nach oben aufzeigen und
für die Attraktivität der onkologischen Fächer werben.
W
ie fast alle Disziplinen in
der Medizin sorgt sich
auch die Onkologie um den medizinischen Nachwuchs. „Der
Nachwuchs in der Hämatologie
und Onkologie ist wie in der gesamten Medizin frauengeprägt
und insgesamt gibt es für den
zukünftigen Versorgungsbedarf
zu wenig junge Kolleginnen und
Kollegen“, sagt Prof. Dr. Diana
Lüftner, Vorstandsmitglied der
Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische
Onkologie (DGHO) und Oberärztin am Charité Centrum Tumormedizin in Berlin. Zahlenmäßig interessant wird es in der
Dekade ab dem Jahr 2020. Dann
geht die Generation der Babyboomer in Rente und reißt Löcher in die Versorgungslandschaft, die es zu stopfen gilt.
Um den Nachwuchs von der
Attraktivität einer Karriere in
der Krebsmedizin zu überzeugen und auch um vielversprechende Karrierewege aufzuzeigen, bietet der Deutsche Krebskongress 2016 erneut einen Tag
der Jungen Medizin. Am Freitag, dem 26. Februar, gibt es einen kompletten Nachmittag
lang ein Programm, das sich direkt an die Nachwuchskräfte
richtet, sowohl an jene mit wissenschaftlichen als auch an jene mit klinischen Interessen.
Drei Vortragsblöcke werden
dabei durchlaufen. Zunächst berichten Experten aus Klinik, Wissenschaft und Krankenhausmanagement über die unterschiedlichen Karrierewege in die Führungspositionen in der Forschung, der Krankenversorgung
und der Verwaltung. Danach
steht die Attraktivität des Fachs
Onkologie für die Generation Y
im Fokus, für jene Ärzte also, die
am Ende ihres Medizinstudiums
oder in den ersten Jahren der
klinischen Tätigkeit stehen.
Schließlich gibt es einen wissenschaftlichen Vortragsblock, in
dem sich Nachwuchsforscher
über Fördermöglichkeiten von
Forschungsprojekten und Forschungszeit informieren können.
Weiterbildung in der Hämatologie/Onkologie falle vielen Frauen
weiterhin schwer, so Lüftner: „Es
mangelt nach wie vor generell an
Teilzeitpositionen und insbesondere an Teilzeitpositionen auf
Oberarztebene.“
Die gute Nachricht sei aber,
dass diese Befragung auch zeige,
dass flexiblere Arbeitszeitmodel-
Der Tag der
Jungen Medizin
wendet sich an
den Nachwuchs.
lenets_tan – Fotolia
I
Informationsangeboten, mit
Patiententagen und indem wir
Patienteninteressen in Gremien
vertreten.
kasto – Fotolia
BERLIN – Am letzten Kongresstag öffnet der Deutsche Krebskongress mit
dem Krebsaktionstag 2016
seine Pforten für Patienten
und Angehörige.
Als habilitierter Hämatologin/Onkologin liegt Lüftner naturgemäß vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs am Herzen. Jungen Kolleginnen und
Kollegen, die in diese Richtung
denken, empfiehlt sie unter anderem den Vortrag ihres Berliner Kollegen Professor Jalid Sehouli zum wissenschaftlichen
Karriereweg mit dem Ziel Habilitation und Professur. Hoch relevant ist aus ihrer Sicht auch
der Übersichtsvortrag zu den
Nachwuchsförderprogrammen
der Deutschen Krebshilfe, die
für viele künftige Habilitanden
am Anfang der Karriere stehen.
Lüftner selbst beschäftigt
sich in ihrem Vortrag mit der Attraktivität des Fachs Hämatologie/Onkologie, genauer mit einer
Mitgliederbefragung der DGHO
zur Arbeits- und Lebenszufriedenheit in den internistisch-onkologischen Fächern. Dabei sind
durchaus Defizite festgestellt
worden: Der Spagat zwischen
Kindern und Familie einerseits
und der relativ zeitaufwendigen
le in der Hämatologie und Onkologie prinzipiell umsetzbar sind:
„Es gibt Einrichtungen, die das
besser hinbekommen als andere.
Wir haben mittlerweile zum Beispiel in einigen Einrichtungen
funktionierende geteilte Oberarztmodelle. Von solchen Angeboten brauchen wir viel mehr.“
Mittelfristig könnten die internistisch-onkologischen Fächer sogar zu Vorreitern bei Arbeitszeitmodellen werden, die
den Bedürfnissen der jungen
Ärzte aus der Generation Y entgegenkommen. Einer der Vorteile, die diese Fächer haben, ist
das relativ große Interesse des
weiblichen Nachwuchses: Es
studieren nach wie vor sehr viel
mehr Frauen als Männer Medizin. Traditionell männerdominierte Fächer haben es da wesentlich schwerer. Letztlich ist
die Nachwuchspolitik aber ein
Thema, das alle medizinischen
Disziplinen angeht. pg
Raum London 3
Fr., 26.02.
15:00 Uhr
Forschung voranbringen, Versorgung verbessern
BERLIN – Krebserkrankungen haben nicht nur eine medizinische und eine psychologische, sondern auch eine
soziale Dimension. Beim
Deutschen Krebskongress
soll das stärker in den Vordergrund gerückt werden.
S
oziale Folgen von Krebserkrankungen werden den
Betroffenen nach einer Krebsdiagnose oft erst schrittweise
bewusst. Vergleichsweise häufig
thematisiert werden Fragen zur
finanziellen Absicherung und
zur beruflichen Zukunft. „Die
soziale Dimension einer Krebserkrankung geht aber über das
Finanzielle hinaus“, betont Marie P. Rösler, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Soziale Arbeit in der Onkologie (ASO).
Der Verlust sozialer Kontakte kann zum Beispiel ein großes
Thema werden. Freunde ziehen
sich zurück. Wer nicht im Alltag
präsent ist, nicht mehr so viel
leisten kann, gehört irgendwann nicht mehr dazu. „Auch
der ganz normale Alltag wird
durch die Krebserkrankung und
die Krebsbehandlung gravierend verändert und erschwert,
für die Betroffenen, aber auch
für nahestehende Menschen
wie Partner oder Kinder“, so
Rösler. Um all diese Aspekte
kümmert sich die Soziale Arbeit
in der Onkologie.
Rösler engagiert sich in diesem Feld seit vielen Jahren: „Der
Bedarf dafür steigt, auch weil
die sozialen Härten zunehmen.
Der finanzielle Druck bei Krebspatienten ist heute größer als
vor zehn oder 20 Jahren.“ Zu
den Gründen dafür zählen das
sinkende Rentenniveau und die
Zuzahlungen zu den Behandlungskosten. Auch an sich positive Entwicklungen wie jene,
dass Krebspatienten heute wegen besserer Therapie länger
mit und nach ihrer Erkrankung
leben, sorgen dafür, dass sich
Soziale Arbeit spielt auf dem
Kongress eine wichtige Rolle.
soziale Fragen heute in anderer
Intensität stellen: „Die Betroffenen und ihre Familien fühlen
sich mit den Problemen und
dem Management ihrer Erkrankung oft weitgehend allein“, betont Rösler.
Hinzu kommt, dass das auf
Kostenminimierung getrimmte
Versorgungssystem mitunter
Entwicklungen anstößt, die für
die Betroffenen nicht ideal sind.
„Die Kostenträger fragen heute
oft sehr früh nach der mittelfristigen beruflichen Perspektive“,
weiß Rösler aus Erfahrung. „Da
werden dann teilweise lange
Andrey Popov – Fotolia
Soziale Arbeit in der Onkologie
vor Ablauf der Krankengeldzeit
die Weichen in Richtung Erwerbsminderungsrente gestellt.
Das ist für die Betroffenen finanziell in der Regel ein weiterer Schritt nach unten und
mit zusätzlichen Unsicherheiten
und Ängsten verbunden.“
Ein wichtiges Ziel, das die
im Februar 2015 gegründete
ASO auf dem Deutschen Krebskongress 2016 gemeinsam mit
Fachverbänden, der Deutschen
Krebsgesellschaft, den Landeskrebsgesellschaften und der
Deutschen Krebshilfe verfolgt,
ist der flächendeckende Ausbau
und die geregelte Finanzierung
von ambulanten Krebsberatungsstellen. Bisher läuft die Finanzierung der bestehenden
lückenhaften Angebote in
Deutschland weitgehend über
Spenden. „Der Deutsche Krebskongress ist ein geeignetes Forum, mit vereinten Kräften in
Richtung Politik zu kommunizieren, dass die ambulante
Krebsberatung in Deutschland
flächendeckende, verlässliche
Strukturen benötigt“, so Rösler.
Neben dem Versorgungsaspekt und der Qualitätssicherung ist die Forschung zur sozialen Arbeit in der Onkologie
ein wichtiges Anliegen der ASO.
„Eine zentrale Frage ist dabei
die nach dem Bedarf an sozialer
Unterstützung. Da sind noch
viele Fragen offen“, betont Rösler. Ein weiteres Forschungsgebiet im Kontext der sozialen
Onkologie beschäftigt sich mit
den langfristigen finanziellen
Auswirkungen von Krebs-
erkrankungen auf die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen.
Beim Deutschen Krebskongress können Besucher sich zu
Ausbildungs- und Forschungsfragen einen Überblick verschaffen. Im Rahmen des Thementags Soziale Arbeit in der
Onkologie geht es auch um die
Stärkung der Patientenorientierung und den Beitrag der Sozialen Arbeit in diesem Zusammenhang. Soziale Auswirkungen von Krebserkrankungen
und Unterstützungsbedarfe werden in unterschiedlichen Sitzungen während des gesamten
Kongresses thematisiert. Außerdem ist die Soziale Arbeit mit der
Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) in der Ausstellung
mit einem eigenen Informationsstand vertreten. pg
Raum M8
Do., 25.02.
09:45 Uhr