Schweiz Sonntag, 9. August 2015 / Nr. 32 Zentralschweiz am Sonntag 7 «Schweizer Asylsystem ist beispielhaft» FLÜCHTLINGE Von wegen «Asylchaos»: Die Schweiz mausert sich zum Vorbild für Europa. Auch der bayrische CSU-Politiker Thomas Kreuzer will mehr darüber erfahren. INTERVIEW SERMÎN FAKI [email protected] Thomas Kreuzer, Sie interessieren sich für das Schweizer Asylsystem. Wieso? Thomas Kreuzer: Weil es nach allem, was ich bisher gelesen habe, wirklich hervorragend ist und wir etwas lernen können. Allein in Bayern kommen derzeit täglich 1000 bis 1300 Asylsuchende an. Bei diesem Ansturm können wir nicht viel mehr tun, als die Leute zu registrieren, auf das Land zu verteilen und in Schulen, Turnhallen, Zelten unterzubringen. Alle sind überfordert, und der Bund kommt mit den Verfahren nicht mehr nach. Wir müssen also etwas ändern. Was die Schweiz vorzuweisen hat, ist beispielhaft: So schliessen sie die Verfahren deutlich schneller ab als wir in Deutschland. Die Schweiz könnte tatsächlich ein Vorbild für Bayern werden. Deshalb möchte ich in den kommenden Wochen das Testzentrum in Zürich besuchen. Was versprechen Sie sich davon? Kreuzer: Ich bin überzeugt, dass man mit der zentralen Abwicklung der Asylverfahren an einem Ort viel Zeit sparen kann. Das nützt allen: Zum einen werden die Bundesländer und Kommunen entlastet, die dann nur noch anerkannte Flüchtlinge aufnehmen müssen. Zum anderen sind schnelle Verfahren auch zum Nutzen derer, die hier bleiben können. Sie haben Rechtssicherheit und können sofort in den Arbeitsmarkt integriert werden. In Zürich möchte ich mehr darüber erfahren, wie genau die Schweiz das macht. Wie konkret sind Ihre Pläne für ein bayrisches Zentrum nach Schweizer Vorbild? Kreuzer: Unsere Planungen sind fortgeschritten. Mit einer alten Kaserne haben wir bereits eine Liegenschaft für ein solches Zentrum gefunden, eine zweite werden vielleicht schon nächste Woche bekannt geben. Wir wollen dort alles abwickeln und sogar Richter installieren, die Klagen gegen negative Bescheide bearbeiten. Ein grosser Vorteil ihres Systems liegt darin, dass man jene, die kein Bleiberecht erhalten, schnell wieder in die Blick auf die temporäre Wohnsiedlung für Asylsuchende in Zürich Leutschenbach. Keystone/Steffen Schmidt Heimat schicken kann. Das müssen wir auch tun, beispielsweise mit den vielen Kosovaren und Albanern, die keine Chance haben, zu bleiben. Die Schweiz kennt seit 2012 48-Stunden-Verfahren für Personen vom Westbalkan. Auch das ein Modell für Sie? Kreuzer: Schön wäre es! Wir werden die Verfahren beschleunigen, aber ich wäre schon glücklich, wenn wir zum Schluss auf vier bis sechs Wochen kämen. Schweizer Verhältnisse sind mit unserer grundgesetzlichen Garantie von Einzelfallprüfungen wohl kaum machbar. Rechtsweg steht ebenfalls allen Asylsuchenden offen. Kreuzer: Umso mehr bin ich auf die Gespräche und Informationen in Zürich gespannt. Wir müssen alle Möglichkeiten prüfen, die Verfahren unter Einhaltung rechtsstaatlicher Standards schneller durchzuführen. HINWEIS Thomas Kreuzer (56) ist Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayrischen Landtag. Auch in der Schweiz wird jedes Gesuch im Einzelfall geprüft, und der Bund verlangsamt Kampf gegen die Zersiedelung der Schweiz RAUMPLANUNG Die angedachte Reform wird auf 2020 verschoben. Umweltverbände sind besorgt, Initiativkomitees wittern Morgenluft. Ende Juni hat das Bundesamt für Raumplanung (ARE) die Kantone klammheimlich darüber informiert, dass vor 2020 oder 2021 keine neue Regeln gegen die Zersiedelung der Schweiz in Kraft treten werden. Die Arbeiten an der zweiten Reformetappe des Raumplanungsgesetzes sollen «mit verlangsamtem Tempo» fortgesetzt werden. Nachdem die erste Etappe, die Kantone zur Rückzonung von überdimensionierten Baulandreserven zwingt, im März 2013 vom Stimmvolk gutgeheissen wurde, ist das Ziel der zweiten Etappe, wertvolles Kulturland wie Fruchtfolge- flächen – also Ackerland und Wiesen – besser zu schützen und die Zersiedelung der Schweiz durch eine koordinierte Planung zu stoppen. Doch mit der Vernehmlassungsvorlage, die der Bundesrat Ende letzten Jahres vorgelegt hatte, war niemand zufrieden. Kantone, Gemeinden und die Wirtschaft forderten gar einen Übungsabbruch. «Kapitulation des Bundes» «Die Kantone sind durch die Umsetzung der ersten Etappe sehr herausgefordert», erklärt Thomas Kappeler, Leiter des ARE-Rechtsdiensts und für das Dossier verantwortlich, die nun angekündigte Verzögerung. Raumplanung könne nur funktionieren, wenn Bund und Kantone eng zusammenarbeiteten. «Wer hier gegen den Willen der Kantone vorgeht, riskiert das Scheitern.» Im Klartext: Der Bund ist unter dem Druck der Kantone eingeknickt. Das sieht auch Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz so: «Der Brief ist eine Kapitulationserklärung des Bundes», sagt er. Die Zeit, die sich der Bund jetzt nehme, habe man nicht. Weil die erste Etappe die Richtlinien innerhalb der Bauzone verschärft hat, wachse nun der Druck auf die Flächen ausserhalb dieser. «Wir brauchen schnell eine Regelung für Bauten ausserhalb der Bauzone, für Fruchtfolgeflächen und weitergehenden Kulturlandschutz», so Rodewald. Dies sei auch im Sinn der Kantone, denn die zweite Etappe sehe vor, dass Einzonungen von Fruchtfolgeflächen kompensiert werden müssen. «Die Kantone müssen so schnell wie möglich wissen, wie weit die Kompensationspflicht geht», so Rodewald. Dies gilt insbesondere für das Mittelland, wo die meisten ackerfähigen Flächen liegen und wo alle mit weiteren Einzonungen rechnen. Kulturlandschutz wird abgekoppelt Beim Bund ist man sich der Situation bewusst und will die Regelungen zum Kulturlandschutz daher von der Gesetzesvorlage abkoppeln. Stattdessen soll der 20-jährige Sachplan Fruchtfolge- Weniger Beschwerden TESTBETRIEB red. Schnellere Entscheide, weniger Rekurse: Seit Januar 2014 testet das Staatssekretariat für Migration im Verfahrenszentrum in Zürich-Altstetten das beschleunigte Asylverfahren, das im Rahmen der Neustrukturierung des Asylbereichs künftig flächendeckend angewandt werden soll. Die wichtigste Neuerung: Im Testzentrum arbeiten alle Akteure unter einem Dach. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es möglich ist, die Verfahren schnell und fair durchzuführen: Rund flächen, der Mindestumfang und Qualität der Flächen festlegt, modernisiert werden. Das ARE glaubt, dass dies wahrscheinlich keine gesetzlichen Anpassungen braucht und daher schneller zu Ergebnissen führt. «Beim Kulturlandschutz wollen wir vorwärtsmachen», verspricht Kappeler. Doch wie aus dem Brief hervorgeht, ist auch damit frühestens 2018 zu rechnen. Für Umweltorganisationen ist das zu spät. Rodewald weist auf eine weitere Gefahr hin: «Die Verzögerung ist Einladung an das Parlament, mit Vorstössen für allerlei Ausnahmeregelungen das Bauen ausserhalb der Bauzone auszuweiten.» Das passiert bereits: So hat der Solothurner CVPStänderat Pirmin Bischof eine Motion eingereicht, die die hobbymässige Kleintierhaltung in der Landwirtschaftszone erlauben will. Der Bundesrat lehnt das Ansinnen ab – mit der Begründung, dass dies den Kulturlandschutz untergraben würde. Das ARE versteht die Bedenken der Umweltverbände denn auch, Kappeler sagt jedoch: «Letztlich brauchen wir tragfähige Lösungen, die funktionieren. Das kostet eben Zeit.» Warnung vor «Scherbenhaufen» Doch die Umweltverbände haben weitere Zweifel am Vorgehen des Bundes: «Kulturlandschutz ist mehr als der Sachplan Fruchtfolgeflächen und darf nicht auf die landwirtschaftlich besten Böden reduziert werden», so Pro-Natura-Zentralsekretär Urs Leugger-Eggimann. Rodewald warnt zudem vor einem weiteren «Scherbenhaufen», weil in der geplanten Expertengruppe nur 35 Prozent der Asylgesuche konnten im beschleunigten Verfahren erledigt werden, bei 25 Prozent waren weitere Abklärungen nötig. Der Rest waren Dublin-Verfahren. Bis Ende 2014 wurden im Testbetrieb 1504 Asylsuchende aufgenommen und 1012 Verfahren erledigt. Dabei erhielten 133 Asylsuchende einen positiven, 140 einen negativen Entscheid mit Wegweisung, 145 wurden vorläufig aufgenommen. Die Beschwerdequote lag mit 18 Prozent niedriger als im regulären Verfahren. Vertreter der staatlichen Ebenen vertreten sind, die Verbände hingegen nur punktuell herbeigezogen werden sollen. Auftrieb für Initiativen? Auf den Plan gerufen hat die Verzögerung der Reform auch die Jungen Grünen. Der Kampf gegen die Zersiedelung verkomme zu einer «Farce», sagt Präsident Andreas Lustenberger. «Ich bin sicher, dass die zweite Etappe nie umgesetzt wird», so der Zuger. «Offenbar wartet der Bund lieber zu, bis auch die letzte Wiese zubetoniert ist, anstatt das Problem der Zersiedelung endlich anzupacken.» Lustenberger setzt nun darauf, dass der Entscheid des Bundes der «Zersiedelungsinitiative» der Jungen Grünen Auftrieb gibt. Das Volksbegehren, für das seit drei Monaten Unterschriften gesammelt werden, fordert, dass Einzonungen nur noch dann erlaubt sind, wenn anderswo eine entsprechende Fläche ausgezont wird. «Ich hoffe vor allem, dass die grossen Umweltverbände einsehen, dass es unsere Initiative braucht, und uns unterstützen.» Die Unterschriftensammlung sei auf Kurs. Lustenberger ist nicht der Einzige, dem der neue Langsam-Fahrplan entgegenkommt. Bauernpräsident Markus Ritter geht davon aus, dass die «Ernährungsinitiative» des Bauernverbandes spätestens 2017 an die Urne kommt. «Sagt das Volk Ja, gibt es endlich eine ausreichende Verfassungsgrundlage für den Kulturlandschutz», so der St. Galler CVP-Kantonsrat. «Das wäre ein starkes Zeichen an den Bund.» SERMÎN FAKI [email protected]
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