Untitled

Gr
oß
e
ak
R
H
U
0 0 03 N
9: 3 BE
| 1 UM O
16 A NZ
20 | R A
1. 6 | G
.0 R . E
25 S T PP
.| K E
O R TR
PA KE
N
LI
d
Re
M
tio
z
sit
ns
un
Bleib, nimm den heuler in die Hand, du und dein Volk und lies ihn
von der ersten bis zur letzten Seite. Wir wollen vor dir her senden
einen Engel und ausstoßen die Kanaaniter anderer Studierendenmagazine, die Pharisäer, die sonst noch schreiben und die Heviter,
die dich zu beeinflussen suchen und dich bringen in die Redaktion,
darin Milch und Honig fließen.
Und die Chefredaktion spricht weiter: Hier haben wir dir alle
interessanten Texte gegeben, die es gibt, und jedes Thema, nach dem
es dich dürstet. Dir diene es als Erkenntnis.
2. Mose, 33. Die Chefredaktion (Wiegand und Lea)
heuler -Autor_innen
Anzeige
Redaktion
Fritz Beise
Jenny Pariser
Tom Seiler
Michel Wiedecke
Isabell Kilian
Anne Halbauer
Wiegand Körber
Theresa John
Michèle Fischer
Nu r ec ht m
Lea Kroos
Anja Heidepriem
Steffen Dürre
Timo Breski
Tim Drechsel
Loni Zacher
Ole Schulz
Martin Fietze
Tom Putensen
Kristin Eichner
Ich bin heuler – und du?
Melde dich per E-Mail: [email protected]
Maris Pedaja
Marcus Neick
Marie von Berg
Felix Barthelmes
3
... un d au f Ök
it 52 Se ite n
op ap ier !
...
g
Und die
Chefredaktion
spricht zu dir:
6
30
heuler – Das Studierendenmagazin
Parkstraße 6, 18057 Rostock
Tel/Fax: 0381-498-5608 / -5603
www.heulermagazin.de
Nr. 112 | Januar 2016
Herausgeber
Studierendenschaft der Uni Rostock
Redaktionsleitung
Wiegand Körber (V.i.S.d.P.)
Lea Kroos
[email protected]
40
18
Ressortleitungen
Michèle Fischer (Uni)
[email protected]
Isabell Kilian (Leben)
[email protected]
Tom Seiler, Michèle Fischer (Politik)
[email protected]
Anne Halbauer (Kultur)
[email protected]
Michel Wiedecke (Online)
[email protected]
Layout, Grafik, Illustration
Steffen Dürre
Illustration (soweit nicht anders angegeben)
Theresa John
Fotografie (soweit nicht anders angegeben)
Jenny Pariser
Korrektorat/Lektorat
Anja Heidepriem, Lea Kroos
INHALT // AUSGABE 112
LEBEN
6 Wir bauen einen Club um die Musik herum
9 Deutschland durch die fremden Augen
10 Faszination Drogen
12 Obdachlosikeit
14 Pro und Kontra. Veganismus
15 Nächstenliebe „to go“
16 Schwanger!
Uni
18 Lieber Scharia-Schareck als Shrek
Interview mit dem Rektor der Universität Rostock
22 Geht jetzt wieder alles von vorne los!?
23 Die fürnehmen und gar alten Traditionen deutscher Hochschulen
24 Dezernat 3 – Büro Bildungsbau
25 Alumnivereine – Verstaubte Traditionen oder
wertvolle Angebote?
26 Poster zum Rausnehmen
28 Die Suche nach NS-Raubgut
POLITIK
30 Politische Fassaden Rostocks
Geschäftsführung
Fritz Beise
[email protected]
32 Ein Interview mit Geflüchteten
34 Finanzielle Förderung durch die Studierendenschaft
35 Du gewinnst nicht mit Klappe halten
Über die Studentische Prorektorin
36 Entwicklungen rassistischer Mobilmachung in MV
37 Landeskonferenz der Studierendenschaften
38 Zwischen Kleinigkeiten und Medienkontakten
Kultur
40 Mach Grau zu Bunt und höre zu!
43 Das Hadern mit der Geschichte
Eine Rezension
44 Madsen macht's maritim
Ein Interview
46 Laufen lernen auf den Brettern, die die
Welt bedeuten
48 Kultour
50 Rostock in 100 Worten
51 Theresas Campus-Comic
Szenen aus der Redaktion
4
Redaktionelle Mitarbeit
Tom Putensen, Bartholomäus Schink, Felix
Barthelmes, Loni Zacher, Martin Fietze, Timo
Breski, Maris Pedaja, Tim Drechsel, Leonie
und Vincent, Marie von Berg, Kristin Eichner,
Marcus Neick, Ole Schulz
Redaktionssitzung
gerade Woche, Dienstag, 19:30 Uhr
Die Meinung der Autor_innen muss nicht die
Meinung der Redaktion widerspiegeln. Den
Autor_innen wird freigestellt zu gendern.
Lizenz
Creative-Commons by-nd 3.0 DE.
Inhalte können unter Angabe von Urheber_in
und Magazinname verwendet werden. Ausnahmen sind durch © gekennzeichnet.
Druck
altstadt-druck GmbH Rostock
Auflage: 3.000 Exemplare
Erscheinungsweise: quartalsweise
Es gilt die Anzeigenliste 6/15.
ISSN 2363-8109
5
LEBEN
Das Ressort Leben hält in
Ausgabe 112 vielfältige Themen bereit. Eine Diskussion
über die Vor- und Nachteile
der veganen Ernährung und
einen satirischen Artikel zur
Drogenkultur.
Der wohl interessanteste
Text beschäftigt sich mit
Obdachlosigkeit.
Hierbei
suchten unsere Autoren das
persönliche Gespräch, um
aus erster Hand Antworten
auf Fragen zu erhalten, die
vermutlich schon jedem
durch den Kopf gingen. Passend dazu soll im Anschluss
ein aus Italien stammender
Brauch vorgestellt werden,
der den Alltag von Obdachlosen vielleicht angenehmer
gestalten könnte und zuletzt
ein Erfahrungsbericht zum
schwierigen Thema der ungewollten Schwangerschaft.
Viel Spaß beim Lesen!
Wir bauen
einen club
um die Musik
herum
Isabell Kilian
6
Techno in Rostock hat eine neue Heimstatt im gesichtslosen
Gewerbegebiet hinter dem Bahnhof: Das Kraftwerk. Im Inneren
des ehemaligen Heizhauses im stalinistisch-klassizistischen
Charme trifft elektronische Musik auf industrielles Äußeres und
verschmilzt zu einer faszinierenden Einheit aus Klang und Kulisse.
Autor Wiegand Körber wird das Gefühl nicht los, dass die Tür zum Kraftwerk der Eingang zum Fluxkompensator ist.
Manchmal ist der Bäckergeruch lecker genug
und lockt den müden Körper unaufhaltsam zum
Hauptbahnhof Süd und der Bäckerei, die schon
lange keinen Studierendenrabatt mehr anbietet.
Im Kopf dröhnt es nach, hartnäckig hämmert der
Beat zwischen linkem und rechtem Ohr weiter,
während die mittäglichen Reisenden geschäftig
umherwirbeln, wie Wesen aus einer anderen Dimension.
„Bässe, die dir die Füße wegschlagen und Höhen,
die dir den Kopf rasieren“, nennt Yavin den Grund
für dieses Phänomen, wenn die Kontaktaufnahme zum Alltagsleben der meisten Menschen
unmöglich ist, weil zu Tanz gewordene Nächte
Wahrnehmung und Empfinden gedreht haben.
Man kann sich gut vorstellen, wie Yavin, Mittvierziger mit Bauch und kahler Stelle auf dem
Kopf diesen Satz sagt, während er am Rand der
Tanzfläche steht und an einem Cola-Wodka nippt.
Sein Blick schweift zufrieden über die Leute, die
sich zur Musik bewegen, die aus seiner Anlage
schallt, in der „neuen Kirche des Techno“, wie
es Olli, Teil des Techno-Duos Maré nennt – dem
Kraftwerk Rostock.
Wenn man länger mit Yavin spricht, dann geht
es viel um Musik, das DJ-Handwerk und die Anfänge in MV, als es selbstverständlich war, die
Strecken nach Schwerin, Neukloster und Burg
Stargard für die zwei bis drei, sich elektronischer
Musik widmenden Veranstaltungen im Monat,
zurückzulegen. Weniger gern redet Yavin über
Behörden, Zulassungen und Auflagen, also all
das, was den Club schon seit über einem Jahr an
7
der Entfaltung hindert und ihn, den eigentlichen
Clubleiter, zu einem Vereinsvorsitzenden degradiert. Dabei ist Yavin ein Art Punk, zumindest
fällt dieses Wort in seinen Ausführungen auffällig
oft. „Punk“ erinnert an die wilde Zeit der neunziger Jahre, als der Techno nach der Wende von Berlin aus in die vereinigte Bundesrepublik strömte
und sich bei illegalen Raves in Industrieruinen
und Kellerräumen seinen Platz als Subkultur erarbeitete. Glaubt man Yavin, dann war Techno in
dieser Zeit wilder, anarchischer und weniger auf
Profit bedacht als heute. Was jedoch im Umkehrschluss die Etablierung verhinderte – die jungen
Leute, welche die Partys veranstalteten, waren
eher Punks als Unternehmer, die entsprechenden
Clubgründungen waren immer nur von kurzer
Dauer.
Vielleicht waren es die Gedanken an die Zeit der
anarchischen 90er und die damit verbundenen
schönen Erinnerungen, die dazu geführt haben,
dass der erste Versuch einer Clubgründung grandios scheiterte. Im Jahr 2013, nachdem Yavin und
seine MitstreiterInnen das sich in Auflösung befindliche Gebäude in der Erich-Schlesinger-Straße
49b notdürftig saniert hatten, fanden die ersten
Partys im Kraftwerk statt. Ganz im Geist der
90er, unangemeldet und ungeplant, mehr aus einer Laune heraus. Was dann aber geschah, ist wie
eine Metapher auf den Unterschied der Jahrzehnte selbst: Bei einer der ersten Partys hielten plötzlich mehrere Transporter der Polizei mit Blaulicht
und Sirenen nachts im Gewerbegebiet, in dem der
gedämpfte Bass zwischen Nordex und Sparre-
„Wir bauen einen Club um die Musik herum“, beschreibt Yavin seine
Vision, die durch diesen bürokratischen Zwischenschritt zwar einen
Dämpfer, nicht aber ein Ende erfahren hat. Und diese lautet weiterhin:
Den Geist aus den Anfängen der elektronischen Musik zu bewahren
und in die zweite Generation Techno zu tragen, zu den Nach-WendeKindern, die die Clubs nun bevölkern. Denn mit der Etablierung zog
auch der Kommerz in die Szene ein. Handelsübliche Veranstaltungen
elektronischer Musik gleichen oft Konfettischlachten bei denen besonders Wert auf bedruckte Turn- und Jutebeuteln gelegt wird und deren
TeilnehmerInnen weit weniger aus musikalischem, denn aus Interesse
an den großen Namen der Szene kommen. Im Kraftwerk ist das anders,
„hier zieht sich der old-school durch“, sagt Yavin stolz. Und: „Die DJs
sollen merken, dass wir sie wegen ihres Könnens holen“. Anders als in
herkömmlichen Clubs spielen die DJs nie unter 3,5 Stunden, denn, so
die Begründung Yavins: ein DJ braucht Stunden, um eine Geschichte
zu erzählen. All das lässt sich nur realisieren, weil die Gäste zum größten Teil auch selber als Mitglieder engagiert sind und ein Interesse am
Fortbestand ihres, der elektronischen Musik gewidmeten Domizils haben, so ließe es sich sagen. Yavin nennt es anders: „Die Leute kommen
hier nicht hin, um zu vögeln, sondern um zu tanzen.“ Das ist bei den
Partys als Gefühl allgegenwärtig: Niemand steht herum und glotzt, es
gibt keine Handgreiflichkeiten und nicht vermeidbare Rempler werden
beiderseitig mit großen Gesten entschuldigt oder ignoriert, weil Musik
und Konsum über derartige Nichtigkeiten hinwegsehen lassen. Dass
alle Partys Privatveranstaltungen sind und ein Verkauf alkoholischer
Getränke damit ausgeschlossen ist, trägt zu dieser Ausgelassenheit in
besonderem Maße bei. Letzte Frage daher an Yavin: Wie hältst du es mit
den Drogen? „Die Musik sollte immer die wahre Droge sein.“
Werk waberte. Dutzende Polizisten entsprangen den Wagen, stürmten
in filmreifem Auftreten den Club, stellten die Musik ab und beendeten
die Party rabiat. Doch anders als in den 90ern kam es weder zu Konflikten mit den anwesenden Polizeikräften, noch stellte das Eingreifen der
Staatsmacht das Ende des Clubs dar. Im Gegenteil: Die GründerInnen
beugten sich dem Ordnungsgebot deutscher Behörden und forcierten
fortan die Legalisierung über den vorher gegründeten Kunst- und Kulturverein Kraftwerk. Seitdem werden Veranstaltungen nur für Vereinsmitglieder und sogenannte Testmitglieder durchgeführt, wobei es von
ersteren um die 200 gibt und letztere für eine Testmitgliedschaft und
zum Kennenlernen einige Zeit am Vereinsleben teilnehmen dürfen. Das
ist nötig, denn die Auflagen der Ämter, die vor allem gastronomische
und bauliche Vorschriften betreffen, befinden sich noch in der formalen
Anerkennungsphase.
Anzeige
Dir wird eine Umzugsbeihilfe in Höhe von 150,Euro ausgezahlt.
Du kannst deinen neuen
Personalausweis oder Reisepass hier vor Or t im Ein
wohnermeldeamt
beantragen.
8
Bei Kommunalwahlen
und Volksabstimmungen
darfst du mitwählen
Einwohnermeldeamt
Stadtmitte
Neuer Mark t 1a
18055 Rostock
Deutschland durch die
fremden Augen
Die Gewohnneit, jeden Morgen warme Brezeln zu kaufen oder mit dem Fahrrad zur Uni
zu fahren, kann den deutschen Studierenden selbstverständlich sein. Wie sieht es aber für
ausländische Studierende aus?
Autorin Maris Pedaja hat sich jetzt an den Rostocker Rhythmus gewöhnt.
Regel nur außerhalb der Stadt. Hier gehöre ich
aber auch zu der „Fahrradfahrer_innenGruppe“ und fühle mich in der Stadt
wirklich wie eine Königin.
„Woher kommst du?“
„Aus Estland.“
„Aus…?“
Solche Reaktionen sind mir schon
bekannt, wenn ich mich neuen
Leuten vorstelle. Stimmt: Ich
komme aus dem Land mit
nur 1,3 Millionen (Komma
drei ist ziemlich wichtig!)
Einwohnern_innen
–
deswegen sank auch unsere prozentuale Einwohnerzahl
deutlich
nach meinem Umzug.
Ich komme aus dem
Land, das mit Mooren,
Sümpfen und Wäldern
bedeckt ist, aus dem
Land, wo es nur zwei
Städte gibt, die ein bisschen
größer sind als ein zwanzigminütiger Spaziergang von
einer Seite zur anderen. Zum
Vergleich: Die zweitgrößte Stadt
Estlands – meine Heimatstadt – ist
halb so groß wie Rostock.
Die ersten Eindrücke
Ich bin Ende September in Rostock angekommen und kann mir mein Leben
nicht mehr ohne warme Brezeln und dem
gemütlichen DHL Paketdienst vorstellen. Es
war gar nicht so schwer, sich an den Rostocker
Rhythmus zu gewöhnen, wie ich gedacht
hatte. Weil die Deutschen schon immer die
estnische Geschichte stark beeinflusst haben,
gab es keinen großen Kulturschock für mich:
Alles funktioniert hier wie zu Hause. Die Menschen sehen ähnlich aus, die Autos sehen ähnlich aus, die Fahrräder sehen ähnlich aus …
Eigentlich ist es nicht ganz wahr. Auf den ersten Blick können die Fahrräder und Autos natürlich genauso aussehen wie zu Hause, aber
wie das ganze Verkehrssystem funktioniert –
das ist schon etwas anderes. In Estland ist das
System so aufgebaut, dass Fußgänger_innen im
Verkehr am wichtigsten sind. In übertragener
Bedeutung könnte man Fußgänger_innen sogar mit den König_innen vergleichen, weil sie
viele Vorrechte genießen dürfen. Zum Beispiel
fällt mir ein, dass die Fußgänger_innen in Estland weniger auf die Autos achten. Hier gehört
der Status des Königs meiner Meinung nach
den Fahrradfahrer_innen. In Estland sollte
man ein bisschen selbstmörderisch sein, um
überhaupt die verrückte Idee zu haben, mit
dem Fahrrad in die Stadt zu fahren. Da gibt
es kaum ordentliche Fahrradwege und Parkplätze – deshalb nutzt man sein Fahrrad in der
9
Die Großzügigkeit der
Menschen
Wenn ich Rostock mit meiner Heimatstadt vergleiche,
fällt mir als Erstes auf,
dass die Menschen hier
viel liberaler sind. Ich
spreche natürlich über
die Art, wie die Flüchtlinge behandelt werden.
Ich habe bemerkt, dass
es hier eher eine überwiegende Tendenz gibt,
die Flüchtlinge zu unterstützen. Natürlich ist mein
Eindruck subjektiv, weil ich
hier in einer Campus-Blase lebe
– ich unterhalte mich fast nur mit
den zwanzigjährigen Studierenden,
die oft sowieso eine liberalere Lebenseinstellung haben als die Fünfzigjährigen.
Trotzdem habe ich auch in meiner Heimatstadt
zwischen den jungen Studierenden gewohnt.
Im Allgemeinen – natürlich gibt es auch Ausnahmen – sieht die Denkweise dort anders aus:
Man stimmt zu, dass das Problem dringend
eine Lösung braucht, aber zeigt selbst weniger
Initiative, um etwas zu ändern. Große Aktionen wie zum Beispiel Rostock hilft gibt es noch
nicht.
Mit jedem Tag wird mir Rostock immer lieber
und ich habe das Gefühl, dass ich im Moment
zwei Heimatstädte habe: Tartu und Rostock.
Wie ich mich in der Zukunft zwischen diesen Städten teilen werde – das ist eine Frage,
um die ich mich später sorge. Jetzt ist mein
Ziel, das Leben in Rostock möglichst viel zu
genießen.
Faszination Drogen
Drogenkultur ist so alt wie die Menschheit selbst. Ob im Neandertal oder dem antiken
Griechenland, der Wunsch nach Rauschzuständen begleitet die Menschheit schon immer.
So wundert es nicht, dass dieses Phänomen nie ganz ausgestorben ist.
Autoren Timo Breski und Tom Putensen trinken Doppelkorn und rauchen Bong wegen des Geschmacks.
momentan vertrag ich zu viel, da reicht das Geld nicht.“ „Guck mal,
dieser Rotwein kostet nur 1,59 Euro.“
Dem einen mögen diese Zitate sehr ungewohnt vorkommen, für andere
stehen sie nahezu auf der Tagesordnung. Darüber, dass sogar manche
sich ihre potentiellen PartnerInnen schön trinken müssen, brauchen wir
nicht zu sprechen. Ein sehr eleganter Weg, um sich in die unendlichen
Weiten des Rausches zu stürzen, sind Trinkspiele. Ob Looping Louie,
Kings Cup, Flunkyball oder Bierpong – jedes Spiel hat seine eigenen
Varianten, voll wird man bei allen. Kreative Köpfe haben den Motor
von Louie so modifiziert, dass er schneller fliegen und man sich noch
schneller besaufen kann. Andere spielen Flunkyball im Wohnungsflur.
Der festlichen Selbstzerstörung sind also offensichtlich keine Grenzen gesetzt. Doch wieso das Ganze? Müssen gute Abende oder Partys
immer mit Alkohol in Verbindung stehen? Kann man nicht auch einfach
so Spaß haben?
Alle hatten schon mal den Kater des Lebens und sich geschworen, nie
wieder auch nur einen Schluck zu trinken, denn das „tötet ja Gehirnzellen“ und „macht dumm“. Allerdings ist diese Tatsache umstritten.
Hier die Entwarnung in Form einer sehr wissenschaftlichen Erklärung:
Die Schmerzen des Katers werden nicht durch Absterben der Zellen,
sondern durch den Druck, der durch Anschwellen der Hirnhäute entsteht, hervorgerufen. Es lösen sich zwar die Verbindungen, die Dendriten, zwischen den Nervenzellen und sorgen so für eine Zellrückbildung,
Das Interesse an Natursubstanzen wie Fliegenpilzen, Holzrosen etc. hat
zwar abgenommen, doch wird der Markt heute von extrahierten oder
komplett synthetisierten Wirkstoffen überschwemmt. Hochentwickelte
Chemie, die nur dazu dient, einem Menschen das größte Maß an Genuss vorzuspielen und durch die Technologisierung des Konsums immer
potentere und leider auch gefährliche Mittel hervorbringt. Eine rituelle
Fliegenpilzzeremonie in steinzeitlichen Kreisen lässt sich ebenso wenig
mit moderner Konsumkultur vergleichen, wie sich natürliches Cannabis mit den ausschließlich zu Rauschzwecken gezüchteten Pflanzen in
Hydroponikkulturen vergleichen lässt.
Der Mensch wird in seinem Konsumwillen sich selbst gegenüber
immer rücksichtsloser und vernachlässigt Gefahren der modernen
Vergnügungsindustrie. Die Gesetze in Deutschland vermögen es nicht,
den Konsumenten zu schützen, sondern liefern ihm vielmehr den Gefahren des Schwarzmarktes aus und bestrafen ihn im Zweifel für seinen menschlichen Vergnügungsdrang. Dem Konsumenten bleibt nur,
sich selbst zu schützen und einen verantwortungsvollen Umgang mit
Drogen zu pflegen. Zwar kann dies die gesundheitlichen Gefahren
leicht verringern, sie jedoch nie eliminieren. Wieweit sich jemand von
Stimmungsaufhellern beeinflussen lässt, bleibt ganz unterschiedlich
und folgt ganz eigenen Regeln.
„Nüchtern kann ich nicht ins LT gehen.“ „Noch eine Mische und
dann können wir tanzen.“ „Ich muss mal ’ne Alkoholpause machen,
10
jeglicher Art, größere Mengen Cannabis oder einfach nur das Pech besitzen, einen konservativen Kommissar vor euch zu haben, könnt ihr
mit einem aufwendigen Gerichtsprozess und im Zweifel hohen Strafen
rechnen. Ebenso wenig kann man sich bei Drogenkonsum im Straßenverkehr, Schmuggel, Verkauf oder Herstellung von Rauschgiften herausreden. Teilt man sich mit zwei Freunden eine Cannabispflanze, so zählt
dies bereits zur organisierten Kriminalität und kann mit hohen Strafen
belangt werden.
In der Welt der Handrückentätowierten treten all diese Probleme nicht
auf. Jene bezeichnen sich als Straight Edge. Sie lehnen jegliche Form
von Drogen und freier Liebe ab und sind oft überzeugte Vegetarier. Ursprünglich wurden Minderjährige von Türstehern in Clubs mit einem
„X“ auf der Hand versehen, damit sie keinen Alkohol und keine Zigaretten kaufen konnten. Ein Vertreter der Hardcoreszene, welche eigentlich
eine Einstellung pro Exzess und pro Drogen ausstrahlt, machte sich
dieses Prinzip zu eigen und gründete 1981 diese Jugendbewegung. In
Deutschland gibt es etwa 15.000 Vertreter. Ob die Straight Edger mit
dieser Lebenseinstellung glücklicher sind, sei dahingestellt, auf jeden
Fall kann man sie sich zum Vorbild nehmen.
Zu behaupten, man habe nur schlechte Erfahrungen mit Rauschmitteln
gemacht, wäre genauso gelogen, wie alle Mittel zu verherrlichen. Was
immer im Vordergrund stehen sollte, ist das Besondere.
allerdings können sich diese nach langjähriger Abstinenz wieder neu
verknüpfen. Also kein Grund zur Sorge, sondern: Prost!
Noch viel mehr scheiden sich die Geister beim Cannabiskonsum. Überzeugte Langzeitkonsumenten befürworten das Kiffen und sprechen den
Marihuanapflanzen Eigenschaften zu, die denen einer Wunderheilpflanze ähneln. Viele Websites, Blogs und auch YouTube-Kanäle verharmlosen die Auswirkungen und argumentieren für Cannabis, indem sie
es mit anderen Drogen vergleichen, es als unschädlich einstufen und
somit die Harmlosigkeit nahezu erzwingen. Generell hat die ältere Bevölkerung eine ausgeprägte Anti-Haltung. Dafür sorgte die vor allem in
den 30er Jahren betriebene Propaganda gegen Marihuana, welche die
Droge als weitaus gefährlicher darstellte, als sie ist. Außerdem tragen
die Medien auch heute noch einen erheblichen Teil dazu bei. Fest steht,
so gesund sie sich auch „ernähren“, viele Kiffer sind phlegmatisch, prokrastinant und vergessen manchmal gern die Pizza im Ofen. Nicht alle
sind sich der möglichen Auswirkungen ihres Verhaltens bewusst.
Allein die rechtliche Grundlage wäre Grund genug, sich diesen Bereich
des Lebens vorzuenthalten. Besonders Mecklenburg-Vorpommern fährt
für den norddeutschen Raum eine relativ restriktive Drogenpolitik. So
hält es sich vor, jedes Betäubungsmittelvergehen, also auch Besitz eines Beutels mit Restanhaftungen Cannabis, zu verfolgen. Zwar ist die
Regel, dass bei Besitz von weniger als 5 Gramm Cannabis die Anzeige
fallen gelassen wird, solltet ihr aber noch andere illegale Substanzen
11
Wenn man will,
kann man überleben
Obdachlosigkeit ist leider ein Thema, dass bei jedem Stadtspaziergang durch die Innenstadt
erneut Fragen in uns aufwirft. Warum? Was tun? Lächeln oder weggucken? Geld geben
oder nicht? Welche Schicksale und welche Hoffnungen verbergen sich hinter den von Kälte
geröteten Gesichtern?
Autoren Timo Breski und Tom Putensen gingen der Sache auf den Grund und waren positiv überrascht.
Wir haben ein Interview mit einer Obdachlosen geführt. Ihr Name ist Viola. Sie ist schon
viele Jahre auf der Straße und lebt aktuell
davon, vor einem Supermarkt die Obdachlosenzeitung „Strohhalm“ zu verkaufen. Sie erzählte uns von ihrem Leben auf den Straßen
Deutschlands, über Rostock, über ihre Hunde,
ihre Freunde und was sie sich von den Menschen in den Städten wünscht.
Viola: Ich bin Viola, komme gebürtig aus Sachsen und lebe schon längere Zeit auf der Straße.
Ich war schon in ganz Deutschland unterwegs
und habe leider immer wieder schlechte Erfahrungen gesammelt. Des Öfteren wurden wir
im tiefsten Winter aus unbewohnten Kellern
rausgeworfen, in die wir uns eingenistet haben.
Heuler: Von den Hausbesitzern?
Viola: Meistens von der Polizei. Man hat allgemein den Eindruck, die Polizei hätte etwas
gegen Obdachlose. Wenn wir irgendwo Zelte
aufbauen, wo sie niemanden stören, werden
wir nachts von der Polizei aus dem Park vertrieben, sie verbieten es einem seine Einkaufswagen einfach irgendwo abzustellen und wir
dürfen keine Gaskocher verwenden, da sie
eine Brandgefahr bilden. Ich hab also kein
warmes Essen.
Wie sieht dein Tagesablauf aus bzw. was
machst du so generell?
Ich bin ein Engel. Deswegen bin ich auch so
angezogen, wie ich es bin. Ich helfe anderen
Menschen, das ist meine Aufgabe. Und es ist
auch ganz egal aus welcher Sozialschicht die
kommen oder aus welchem Land die sind.
Ich bin da, wo die Armut ist und wo Hilfe gebraucht wird. Ab und zu bin ich auch bei einer
Obdachlosenhilfestelle und berichte davon,
wie es momentan auf den Straßen aussieht.
Ich habe letztens auch mal einen Bericht über
Obdachlosigkeit für eine Zeitung in Berlin geschrieben. Ich war bei vielen Stellen und habe
teilweise auch keine guten Erfahrungen mit
den Behörden gemacht. Aber die machen ja
auch nur ihren Job.
Wie ist denn der Umgang der Zivilgesellschaft mit den Obdachlosen, kommt es
oft zu Übergriffen?
Leider immer wieder ... Einmal wurde ein
schlafender Obdachloser am Steintor mit einer
Zigarette beworfen, woraufhin er bei lebendigem Leibe verbrannt ist. Das liegt zwar schon
ein paar Jahre zurück, aber Pöbeleien kommen
auch immer wieder vor. Außerdem werden in
Berlin die Hunde von Obdachlosen weggenommen, um diese zu Mützen zu verarbeiten.
Die Leute haben einfach ein sehr schlechtes
12
Bild. Deswegen haben es viele auch so schwer
eine Wohnung zu finden. Vermieter wollen
keine Obdachlosen in ihrer Wohnung, aus
Angst die Miete würde nicht gezahlt, auch
wenn diese teilweise ein festes Einkommen
haben.
Ist das das Hauptproblem?
Es gibt viele Probleme. Ein Großes Problem ist
auch die Kaution. Wie soll jemand, der 5 Euro
am Tag erschnorrt jemals 1.000 Euro Kaution
bezahlen können?
Deshalb sind auch Hilfsvereine extrem wichtig. In Berlin gibt es einen Bus, der nachts
umherfährt und die Obdachlosen mit Decken,
Tee und warmem Essen zur Seite steht. Man
braucht einfach auch ein warmes Essen, sonst
macht man es grade im Winter nicht lange.
Da muss man auch mit dem Alkohol besonders vorsichtig sein. Man merkt nicht, wie
man friert und wenn man einschläft, ist es oft
schon zu spät. Ich bin allerdings kein Fan von
Alkohol. Ich kenne aber viele, die abhängig
sind und nicht ohne können. Ich habe vielen
gesagt, dass es nicht die Lösung des Problems
ist, aber die ließen nicht mit sich reden. Dafür
rauche ich aber meine paar Zigaretten am Tag.
Hast du eine Familie?
Ja, ich habe vier Kinder. Allerdings habe ich
keinen Kontakt zu ihnen, weil sie schon damals zu Pflegeeltern gebracht wurden. Die
wissen auch gar nicht, wo ich momentan lebe.
Das letzte Mal ist schon länger her. Ich glaube,
sie schämen sich auch für mich. Das möchte
ich ihnen auch nicht antun. Aber solange es
ihnen gut geht, bin ich glücklich. Ich weiß
aber, dass mein einer Sohn studiert und meine
Tochter was Soziales macht.
Wie ist es eigentlich dazu gekommen,
dass du auf der Straße lebst?
Das ging alles damals in Chemnitz los, kurz vor
der Wende. Ich habe demonstriert und geriet
in Streit mit der Polizei. Damals haben sich die
Leute noch getraut den Mund aufzumachen,
heute tuscheln alle nur noch und lassen alles
über sich ergehen. So genau weiß ich das auch
gar nicht mehr. Ich bin dann aus der Wohnung
geflogen, mein Mann war eh ein Messi. Und
die Kinder haben sie mir dann auch weggenommen. Dann habe ich erst mal versucht das
Beste aus der Situation zu machen. Daran habe
ich mich schnell und gut gewöhnt und bin seitdem auf der Straße. Das kann jeden schnell mal
treffen. Wenn du mit einem Mal alles verlierst,
dann weißt du nicht, was du machen sollst. Da
landest du schnell mal auf der Straße. Es ist
nicht das tollste Leben, aber ich finde mich damit ab und mache das Beste daraus.
Hast du vor, wieder in einer Wohnung zu
wohnen?
Na klar! Ich habe teilweise auch in einer Wohnung gewohnt. Allerdings wollte der Vermieter
nicht, dass ich meine Hunde in der Wohnung
habe und deswegen wurde ich rausgeschmissen. Das habe ich dreimal durch und will mich
aber nicht gegen die Hunde entscheiden, dafür
sind die mir zu wichtig. Ich kann mich auch
gar nicht mehr ins Bett legen. Das letzte Mal
war bestimmt vor 30 Jahren. Ich habe mich
dann immer mit einem Schlafsack davor gelegt. Ich möchte gern in einer Wohnung wohnen. Ich glaube aber, dass die Vermieter ein
Problem mit Obdachlosen haben und nicht
wollen, dass sie in ihren Wohnungen leben. Jedenfalls hatte ich immer den Eindruck. Das ist
sehr schade, dass Menschen solche Vorurteile
haben. Eine andere Familie konnte auch mit
einem Hund einziehen. Das ist nicht fair.
Viola hat uns im Interview einige Einblicke in
das Leben auf der Straße gegeben. Es ist schwer
vorstellbar, dass das Leben einen solchen Weg
gehen kann, dass man obdachlos wird und aus
diesem Teufelskreis nicht mehr rauskommt.
Viola wirkte auf uns als eine einerseits hoffnungsvolle, andererseits aber auch verzweifelte Person. Um Menschen, die sich in einer
solchen Situation befinden, zu helfen, bedarf
13
es einer intensiven, wie auch fundamentalen
Hilfestellung, damit jene wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden und einen geregelten Alltag genießen können.
Auf die Frage, was Viola sich wünsche, antwortet sie, dass sie es schön fände, wenn die
Menschen nicht mit angeekeltem Blick an ihr
vorbeigehen, sondern sich eher für sie interessierten. Sie steht meistens vor dem Rewe in
der Nähe vom Doberaner Platz und freut sich,
gerade jetzt im Winter, über ein paar aufwärmende Wortwechsel oder auch einen heißen
Becher Kaffee!
Wie ist die Situation der Obdachlosen in Rostock und welche Hilfsangebote gibt es? Antworten auf heulermagazin.de!
Veganismus
pro & Kontra
Dass vegane Ernährung nicht nur etwas mit komischem Hipstertrend und
Katjes-Vital-Öko-Schlankheitswahn zu tun hat, sondern auf einer rationalen Begründungsbasis steht, ist womöglich noch kein Allgemeinwissen. Im
Folgenden habe ich die wichtigsten Argumente, welche ohne waghalsige
Zahlenspiele und esoterische Annahmen auskommen, zusammengefasst.
Ethisch: Dass der Mensch eine ethische Sonderstellung genießt, geht
wohl auf Descartes und Kant zurück. Allerdings wackelt das Fundament,
wir seien die einzigen Lebewesen, die über Intelligenz, Selbstbewusstsein,
Fähigkeiten des strategischen Planens etc. verfügen. Bestimmte mentale
Aufgaben erledigen Affen z. B. besser als wir. Wenn wir also die Kriterien für ethische Berücksichtigung bei mentalen Fähigkeiten ansetzen,
so schneiden vor allem Kleinkinder, Säuglinge und mental Beeinträchtigte schlecht ab im Vergleich mit Tieren, deren auferlegtes Lebensziel die
Transformation zu einer Currywurst ist. Aber Säuglinge haben doch immerhin das Potenzial zu diesen mentalen Fähigkeiten, möchte man erwidern. Erstens kann man eine Entwicklung nie sicher voraussagen und
zweitens, wie Peter Singer einbringt, gibt es keine Regel dafür, dass ein
potenzielles X den gleichen Wert hat wie ein X. Ein Kronprinz habe nicht
die gleichen Rechte wie ein König. Oder: auch wenn wir alle schon eine
Menge ECTS gesammelt haben, wird es uns dennoch nicht gestattet sein,
uns einfach Bachelor oder Master zu nennen.
Ökonomisch: Konsequente Vertreter des Mini-Max-Prinzips werden erkennen, dass es ökonomisch paradox und ineffizient ist, eine Unmenge an
Pflanzen und Getreide an Tiere zu verfüttern, damit diese es in eine geringe Menge Fleisch verwandeln. Alle Nahrung direkt aufnehmen, anstatt
durch den verlustreichen Umweg über den Tiermagen wäre eine Maßnahme gegen Welthunger. Selbiges gilt übrigens auch für Trinkwasser.
Ökologisch: Dass ein Löwenanteil der menschengemachten Klimaerwärmung durch die Massentierhaltung verursacht wird, ist hinlänglich
bekannt. Grund dafür sind nicht nur die Transporte, sondern der Methanausstoß, vor allem durch Rinder. Die Industrie treibt die Zahl der Tiere
übermäßig in die Höhe.
Gesundheitlich: Zunächst sei erwähnt, dass fast alle Studien zur Schädlichkeit von Ernährung Korrelationsstudien sind, denn Experimente ließen sich ethisch nicht vertreten. Dennoch stehen Fleisch und vor allem
Milchprodukte dringend im Verdacht, Krebs zu erregen. Des Weiteren
sollen sie, sofern man nicht immens viel Ausdauersport betreibt, das Hirn
daran hindern, Serotonin zu produzieren. Dieses Hormon ist auch als das
„Glückshormon“ bekannt. Andere Faktoren wie die zunehmende Laktoseintoleranz, lassen ebenfalls Raum für Spekulationen.
Immer mehr Menschen reflektieren ihr Essverhalten und besonders
unter Studierenden finden diverse Trends großen Anklang. Kein
Fleisch zu essen ist längst nicht mehr so ungewöhnlich, wie es einmal
war. Doch viele verzichten vollkommen auf tierische Produkte. Dies
ist meist ethisch begründet: das Leiden von Tieren soll beendet werden. Viele Menschen, die vegan leben, versprechen sich aber auch eine
bessere Gesundheit und weniger Umweltschäden.
Veganismus ist noch nicht lange ein massentaugliches Phänomen,
weshalb wissenschaftliche Untersuchungen zu den gesundheitlichen
Implikationen bisher selten und unzuverlässig sind. Der Einfluss auf
die Lebenserwartung ist unklar, könnte jedoch verglichen mit pescetarischer Ernährung (kein Fleisch, aber Fisch) sogar negativ sein. Warum? Der Körper benötigt manche tierische Lebensmittel. Gewisse
Stoffe (Vitamin B12, Vitamin D, Omega-Fettsäuren, Calcium usw.)
werden nicht oder nur in unzureichender Menge durch den menschlichen Körper produziert und können nur schwierig durch rein pflanzliche Ernährung aufgenommen werden.
Das Leiden von Tieren beenden zu wollen ist unbestreitbar ein ehrenwertes Vorhaben, nur stellt sich die Frage, wie realistisch es ist. Moderne Milchkühe beispielsweise sind dahingehend gezüchtet, jeden
Tag Milch zu geben. Tatsächlich warten sie darauf – wird ihnen die
Milch nicht abgenommen, erzeugt das starke Schmerzen. Die meisten
Nutztiere sind darauf ausgerichtet, Menschen mit Eiern, Milch etc.
zu versorgen. Fiele der Konsum dieser Produkte weg, könnten diese
Tiere in der heutigen Form kaum mehr existieren. Außerdem stellt
sich die Frage des Ersatzes. Ein Großteil der weltweiten Sojaproduktion ist genetisch manipuliert, es wird viel Regenwald dafür gerodet
und die Anzeichen verdichten sich, dass Soja in größeren Mengen zu
gesundheitlichen Nachteilen bis hin zu Unfruchtbarkeit bei Männern
führen kann.
Zuletzt ist die Auswahl von rein veganem Essen im Alltag sehr schwierig, was oft Stress und Verzicht bedeuten kann, während andere ihr
reichhaltiges Essen genießen. Das klingt zynisch, aber es steckt ein
wahrer Kern dahinter. Zum Beispiel muss Mensch erst das Geld (zum
Einkaufen), die Zeit (zum Zubereiten) und die Informationen über alle
möglichen Produkte haben, um durchgehend vegan leben zu können.
Und am Ende möchte ich kein schlechtes Gewissen haben, nur weil
ich etwas mit Ei- oder Milchbestandteilen gegessen habe.
Autor Tom Seiler könnte einfach niemals auf Käse verzichten.
Autor Tim Drechsel hofft, dass der Vegan- und Ökotrend bald vorbei ist,
damit er endlich wieder in einen Big Mac beißen kann.
14
Ein aus Neapel stammender Brauch, dessen
Ursprung in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
liegt, blüht nun weltweit wieder auf: die Idee des
aufgeschobenen Kaffees.
Autorin Isabell Kilian möchte auch in Rostock Kaffee aufschieben.
In Neapel ist er seit dem ersten Weltkrieg überall zu haben – auch einige Cafés
in Bulgarien, Spanien, Südamerika und Australien bieten ihn schon an: den aufgeschobenen Kaffee. Zwar ist er auch im Westen Deutschlands bereits zu haben,
grundsätzlich ist die Idee allerdings noch recht unbekannt. Dabei ist der Leitgedanke einfach wunderbar: der Kunde bestellt eine Tasse Kaffe und bezahlt – wenn
er möchte – für zwei. Der zweite aufgeschobene Kaffee wird notiert und später
einem Bedürftigen auf Nachfrage kostenlos ausgeschenkt, der so sein vermutlich einziges warmes Getränk des Tages erhält. Dieser sogenannte Caffè sospeso
entstand zur Zeit des ersten Weltkriegs in Neapel. Damals war nur die reiche
Oberschicht imstande, sich den täglichen Kaffee zu leisten. Wer sich jedoch einen
leisten konnte, konnte sich auch einen zweiten genehmigen. Auf diese Weise entstand die Idee und jemand, dem das nötige Kleingeld fehlte, konnte vorbeikommen und nach einem aufgeschobenen (oder auch schwebenden) Kaffee fragen.
Vor allem zur Weihnachtszeit ist dieses Prinzip üblich.
Für die Nörgler und Pragmatiker unter euch: Dass ein solcher Kaffee nicht die
Lösung des Kernproblems jener Hilfsbedürftigen ist, ist vermutlich jedem klar.
Und auch, dass jemand, der Hunger hat, sich aus einem Kaffee wohl eher wenig
macht (Einige Cafés setzen dieses Konzept jedoch auch leicht verändert um – statt
Kaffee gibt’s ein Wurstbrot). Und ja, auch die Frage nach der Bedürftigkeit bleibt –
wer fällt in diese Kategorie? Jedoch muss man nicht immer gegen alles sein und
jede Kleinigkeit zerfleischen. Worum es bei dieser Idee geht ist Nächstenliebe,
Empathie und vor allem das Gefühl, in dieser abgestumpften Gesellschaft nicht
von Gleichgültigkeit umgeben zu sein. All jene, die darüber klagen, ein aufgeschobener Kaffee wäre nur rausgeschmissenes Geld und an andere Stelle besser
zu gebrauchen: ja, vielleicht. Dennoch ist es ein kleines Zeichen der Anteilnahme und nicht nur für ein Café leicht umzusetzen – auch der Kunde kann mal
eben schnell und unkompliziert etwas Gutes tun. Per Mundpropaganda sollte ein
solches Angebot auch schnell bekannt werden. Daher: eine kleine Tasse aufgeschobener heißer Kaffee in der kleinen Bäckerei nebenan – was spricht dagegen?
Eine tolle Geste, die als Entwurf super ausbaufähig ist.
15
Anzeige
Nächstenliebe
to Go
Schwanger!
Mitte 20, es ist kompliziert,
schwanger
Autorin Leonie wünscht sich den Pragmatismus
ihrer Großmutter.
Mitte März in einer fremden Stadt: den Arzt
mir gegenüber kenne ich nun exakt sieben
Minuten, das verrät mir zumindest die Uhr
hinter seinem Rücken. Er starrt mir in die
Augen – gleichzeitig bilden sich um seine
Augen kleine Fältchen – er zögert einen Moment bis ihm die mit Bedacht gewählten Worte über die Lippen kommen: „Das sind keine
einfachen Magenschmerzen. Hast du dir
schon einmal Gedanken über eine mögliche
Schwangerschaft gemacht?“ Wahrscheinlich
fällt mir erst im Nachhinein auf, dass er mich
in diesem Augenblick geduzt hat – aber spielt
das überhaupt eine Rolle? Ich, schwanger,
jetzt? Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft ist natürlich nicht gerade gering,
wenn Frau seit Tagen ein ungutes Gefühl
hat und auch die monatliche Periode ausfällt.
Doch spätestens als ich das mir unbekannte
Krankenhaus betrete und am Empfang von
der Krankenschwester gefragt werde, ob wir
dieses Utensil benötigen und sie dabei einen
weißen Plastikbecher in die Höhe hält, wird
mir bewusst, dass ich nun in einer absolut
misslichen Lage stecke. Versteht mich nicht
falsch: ich habe weder etwas gegen Kinder
während des Studiums noch gegen Kinder im
Allgemeinen einzuwenden, aber die Vorstellung an mich heranzulassen, ein Leben unter
meiner Brust zu tragen, überfordert mich zunehmend.
Aber anstelle dem Arzt augenblicklich weinend in die Arme zu fallen, schlucke ich
die Verzweiflung hinunter und verlasse im
gleichen Tempo, wie ich vor ungefähr einer
Stunde dieses Klinikum betreten habe, die
Räumlichkeiten und gehe – wie in einem Delirium – zur nächstgelegenen Bäckerei. Als ich
am Morgen die Wohngemeinschaft meiner
Freundin verlassen hatte, hielt ich es nicht für
nötig noch zu frühstücken, schließlich wollte
ich bis vor wenigen Minuten meine Magenbeschwerden untersuchen lassen. Eigentlich
kann ich ab diesem Punkt gar nicht mehr so
genau rekonstruieren, wie meine nächsten
Schritte aussahen. Ich setzte mich ziellos in
irgendeine Bahn, zwischenzeitlich auch in
verschiedene Buslinien und fuhr quer durch
die Stadt. Immer wieder verließ ich das Verkehrsmittel, weil ich nicht auffallen wollte. Ja
– ich hatte in einer Millionenstadt das Gefühl,
dass meine unerwartete Schwangerschaft nun
in Leuchtsymbolen auf meiner Stirn prangte.
Irgendwann erreichte ich einen Platz, der
mich durch viele Veranstaltungsplakate und
eine Steintreppe angezogen hatte. Ich setzte
mich auf die Stufen, entnahm meinem Stoffbeutel meine Wasserflasche und starrte vor
mich hin. Es dauerte nur wenige Minuten bis
ich von einem älteren Mann angesprochen
wurde. Zunächst vermutete ich, dass er meine
mittlerweile leere Pfandflasche haben wollte und reichte sie ihm mechanisch. Doch er
verneinte und setze sich neben mich. Hatte
ich erwähnt, dass ich mittlerweile weinte?
Mir war es selbst nicht bewusst, aber dem
Herren war es wohl sofort aufgefallen: „Es ist
Samstagvormittag und ein junges, hübsches
Mädchen wie sie sitzt hier und vergießt Tränen. Gibt es wirklich einen unvermeidlichen
Grund oder bloß in dieser Sekunde keine einfache Antwort?“
Ich war mir durchaus bewusst, dass ich diese
Frage nicht so schnell beantworten konnte,
glücklicherweise war es auch nicht sein An-
16
spruch an mich. Im Gegenteil – wir saßen nun
gemeinsam da und er erzählte mir, was er so
an seiner Stadt schätzt. Die vielen Leute, unterschiedlichen Kulturen und Stadtteile und
vor allem die schier unbegrenzten Möglichkeiten, die gerade uns jungen Menschen offen
stehen. Ebenso eindringlich wie vor wenigen
Stunden der Arzt schaute er mir direkt in Augen und sagte: „Es gibt nicht nur einen Weg.
Suche dir deine Abbiegung, laufe die Straße
entlang, akzeptiere deine Entscheidungen
und vor allem – liebe dich selbst.“ Mit dieser Botschaft verabschiedete er sich, legte mir
sanft die Hand auf die linke Schulter, stand
auf und ging bis zur nächsten Ecke, wo er
kurz noch einmal zurückschaute, bevor er
endgültig verschwand.
Ich blieb noch einen kurzen Moment sitzen.
Dann stand auch ich auf, ging zur nächsten
Haltestelle und kehrte in die Wohnung meiner Freundin zurück. Ich weckte sie aus ihrem verkaterten Schlaf, bestellte Pizza für uns
beide ohne ihr etwas von den Ereignissen des
Morgens zu berichten. Ich brauchte nun Ablenkung – wir fuhren gemeinsam in ein Einkaufszentrum, bummelten durch die Läden,
aßen Eis und gingen am Abend ins Kino. Erst
als wir am Abend zu ihr zurückkehrten und
sie mich fragte, wann ich am kommenden Tag
abreisen würde, wurde mir bewusst, dass ich
dem Gespräch mit dem werdenden Vater nicht
aus dem Weg gehen konnte. Ich buchte mir
einen Bus und stellte mir den Wecker auf halb
sieben, bevor ich schlafen ging.
Die Angst vor neuen Wegen
Autor Vincent würde gerne pragmatisch
träumend leben.
Monate danach habe ich erfahren, dass ich alles
falsch gemacht habe. Druck erzeugt, obwohl da
eigentlich nur Verständnis sein sollte. Zu einer
Entscheidung gedrängt, obwohl es keine schwierigere Entscheidung geben kann. Dabei dachte
ich, ich hätte mich richtig verhalten, in den 44
Tagen, in denen ich glaubte, Vater zu werden.
Ich hätte mich zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Schwangerschaft umstandslos als
Feminist bezeichnet, der durch Judith Butlers
Werk und Peter Singers Thesen zur ethischen
Güterabwägung des Themas mächtig war. In
privaten Diskussionen hatte ich die Fragen
schon oft erörtert, mir erklären lassen, ab wann
ein Embryo Schmerzen empfinden kann und
daraus Rückschlüsse für meinen eigenen Standpunkt gezogen. Ich schien moralisch und argumentativ für eine solche Situation gewappnet zu
sein. Dem war nicht so.
Die Fragen, die sich mir nun stellten, trafen
mich vollkommen unvorbereitet. Denn sich mit
einer möglichen Vaterschaft auseinanderzusetzen, bedeutet nicht nur, über das Leben eines
ungeborenen Wesens zu entscheiden. Es zieht
auch eine Analyse der Fragen nach sich, die in
unserer Generation der Hedonisten und verkappten Freiheitsfanatiker meist nur mit einem
Achselzucken oder karriereorientiertem Idealismus beantwortet werden: Was willst du und
wo siehst du dich in ein paar Jahren? Zu beiden
Fragen hatte ich für mich relativ schnell Antworten gefunden, die sich mit einer plötzlichen
Vaterschaft nicht vertrugen. Jedoch gehört zum
Schicksal des Erzeugers, dass er einen Gedanken denken kann, der der Partnerin nicht in den
17
Sinn kommen wird: Ich fliehe. Vielleicht liegt
es daran, dass ich meine feministische Pflicht
schon darin erledigt sah, diesen Gedanken nie
ernsthaft in Erwägung gezogen zu haben und
dass ich auch ein Leben als bloßer Überweiser
monatlicher Beträge nie mit meinem Weltbild
vereinbaren konnte – jedenfalls muss ich an
diesem Punkt aufgehört haben, in einem der
Situation angemessenen Maß an Rücksicht zu
agieren. Bis heute weiß ich jedoch nicht, worin
meine Fehler genau lagen. Erst einmal sah ich
es als meine Pflicht an, meine bedingungslose
Unterstützung zu garantieren, im Fall, dass das
Kind geboren, wie auch in dem Fall, dass es am
Aufleben gehindert werden sollte. Zu allem anderen hatte ich vor, mir keine Meinung zu bilden. Ich glaubte daran, dass nur die Mutter eine
Entscheidung treffen sollte, denn mir selbst fehlte ja der originär physische Kontakt zu dem, was
dort heranwuchs. Doch so leicht war es natürlich nicht, denn obwohl ich mir Mühe gab, meine eigene Meinung zu verbergen, gelang es mir
nicht. Zu groß war die Angst davor, sich vom
vorgefertigten Lebensentwurf zu verabschieden
und sich ins Ungewisse zu stürzen. Denn der
Traum von ewiger Jugend und grenzenlosem
Exzess wäre in diesem Fall scheinbar aus gewesen. Obwohl all das vor dem Hintergrund des
größtmöglichen Ereignisses menschlichen Daseins – der Menschwerdung selbst – verblasst.
Eine Entscheidung gegen ein Kind ist damit immer ein Einknicken vor der Ungewissheit und
nichts worauf ich stolz sein kann.
Im Endeffekt löste die Natur die Frage ohne
menschliches Zutun. Eine Entscheidung, obwohl getroffen, war nicht mehr nötig. Ich selbst
bin mittlerweile Onkel. Wenn ich meine Nichte auf dem Arm trage, dann durchzuckt mich
manchmal der Gedanke, dass es auch mein
Baby sein könnten. Ich weiß in solchen Momenten nicht, ob ich lachen oder weinen möchte.
Uni
Egal ob Studierende*r kurz
vor dem Abschluss, Erstsemestler*in,
Universitätsmitarbeiter*in oder Rektor
– jede*r betrachtet das Konstrukt Universität Rostock aus
der eigenen Perspektive. Auf
den kommenden Seiten haben wir nun einige Sichtweisen für euch komprimiert.
Augen auf für die Berichte
und Aussichten von Rektor
Wolfgang Schareck, Herrn Dr.
Lehmann vom Dezernat 3
und dem ewigen HogwartsSympathisanten Felix.
Lieber
SchariaSchareck
als Shrek
Mimi Fischer
18
Proteste gegen die Einführung von Verwaltungsgebühren, Verteilung
der BAföG-Millionen, Geflüchtetenengagement bei hrohilft oder
einen Besuch vom Außerminister – das Jahr 2015 hat im Rektorat für
viel Trubel gesorgt. Der heuler ist zu Besuch im Universitätshauptgebäude.
AutorInnen Mimi Fischer und Wiegand Körber bedanken sich für Kaffee und Tee. // Fotos: Mimi Fischer
heuler: Anfang des vergangenen Jahres: Die
große Diskussion um das Semesterticket. Sie
haben sich öffentlich zugunsten der Studierendenschaft positioniert. Im Endeffekt gab
es doch eine deutliche Erhöhung und das bei
sinkenden Studierendenzahlen in Rostock.
Enttäuscht Sie das persönlich?
Schareck: Ja, mich enttäuscht das. Ich könnte mir
vorstellen, dass man das Semesterticket doch noch
etwas teurer macht, aber dafür auch wesentlich
mehr Leistung schafft. Ich habe einen Sohn, der
noch studiert, in Bielefeld, und jetzt mit seiner
Freundin in Köln wohnt. Mit seinem Semesterticket der Uni Bielefeld kann er durch ganz NRW
fahren. Er zahlt mehr dafür, aber hat damit auch
ganz andere Möglichkeiten der Mobilität und ich
wäre froh, wenn es ein solches Ticket in Rostock
gäbe, mit dem man z. B. auch nach Berlin oder
nach Hamburg fahren könnte. Ich habe das an den
AStA weitergegeben.
Zu den Studierendenzahlen: Gerade wird im
StuRa der nächste Haushalt diskutiert. Da
geht man von 12.600 Studierenden im nächsten Jahr aus. Sie haben allerdings gesagt, wir
hätten 14.000 Studierende. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären?
Wir haben nicht ganz 14.000 Studierende, aber wir
liegen jetzt bei ca. 13.600. Wir haben allerdings einen Zuwachs von Studierenden gehabt, ich glaube
von 6 Prozent bei den Studienanfängern und wenn
ich höre, dass auch in anderen Bundesländern die
Zahlen steigen, habe ich immer noch die Hoffnung, dass auch wir noch mehr Zuzug aus anderen
Bundesländern bekommen und damit vielleicht die
Talsohle des letzten Jahres überschritten haben.
Das nächste Thema, das die Hochschulpolitik beschäftigt hat: Die versuchte Einführung
der Verwaltungsgebühr von 10 Euro pro StudentIn und Semester. Der Senat lehnte damals ab. Was denken Sie ein knappes halbes
Jahr später über die Idee, diese einzuführen?
19
Ziel war es, ein student service center einzuführen. Dafür habe ich mich damals hinter die Verwaltung gestellt, auch. Heute betrachte ich den
Versuch, Gebühren für studiumsassoziierte Verwaltungsleistungen einzuführen, als einen Fehler.
Vom Prinzip her ist es doch eine Einführung von
Studiengebühren, wenngleich in sehr geringer
Höhe.
„Heute betrachte ich den
Versuch als einen Fehler“
Waren Sie überrascht über die Kritik, die
Sie dann auch von allen Ecken bekommen
haben? Die Unterschriftensammlung, die
Demonstrationen ‒ im Endeffekt hat sich der
Senat relativ klar dagegen entschieden.
Es bestand eine etwas unsichere Haltung, die uns
aus dem Bildungsministerium vermittelt wurde. Es
hieß, ihr seid ermächtigt, diese Gebühren einzuführen und, wenn ihr das nicht macht, dann gehen
wir davon aus, ihr habt genug Geld, ihr könnt euch
das leisten – Greifswald habe schließlich auch eine
Verwaltungsgebühr. In der Relation habe ich zehn
Euro als nicht dramatisch angesehen und diese
prinzipielle Wirkung unterschätzt.
Außerdem gab es den Streit um das Gutachten vom Landesrechnungshof und über die
Verteilung der BAföG-Millionen. Die Kritik aus der Studierendenschaft lautet, dass
Sie mehr aus den Verhandlungen für die
Universität hätten rausholen können. Und
außerdem, dass der entstandene Ministeriumsfonds ein Eingriff in die Hochschulautonomie darstellt. Wie stehen Sie zu diesen
Vorwürfen?
Ich kann nicht in die Töpfe des Bildungsministeriums hineinschauen, aber ich habe relativ viel Kontakt zu den verschiedenen Ministerien und weiß,
dass das Bildungsministerium da offensichtlich an
die Grenzen seiner Möglichkeiten gegangen
ist. Herr Brodkorb und ich haben uns vor zwei
Jahren noch vorgeworfen, uns gegenseitig in
die Irre zu führen. Der eine sagt, wir haben
genug Geld und der andere sagt, wir haben
nicht genug Geld. Wir haben dann selber den
Prozess angestoßen, das zu überprüfen und
einen möglichst unabhängigen Überprüfer zu
organisieren, den Rechnungshof. Die Konsequenz war, dass ein sehr transparentes System
der Finanzierung geschaffen wurde.
Die diesjährigen Zielvereinbarungen haben
sich von den letzten ganz deutlich unterschieden. Wir haben eine Haushaltsplanung, die
für die nächsten fünf Jahre transparent ist.
Die Zielvereinbarungen haben sich deswegen
auf zwei Themenfelder reduziert und zwar
zum einen auf die Lehrerbildung, zum anderen auf das Thema Hochschulbau. Für die
Lehrerbildung, also die Aufgaben des Landes,
bekommen wir jetzt zusätzliche Stellen. Beim
Thema Bauen ist unser Traum, ein Ulmicum
zu verwirklichen, um beispielsweise die Bildungswissenschaften aus Lichtenhagen endlich in die Innenstadt zu holen und um die
Philosophische Fakultät zusammenzuführen.
Das sind Projekte, die mir immer noch viel zu
lange dauern, die aber eine Planung über das
Jahr 2020 hinaus erfordern.
Wir können uns mehr wünschen, aber ich
glaube, es ist finanziell nicht mehr drin. Und
wenn ich jetzt in meiner neuen Funktion als
Präsident des Kuratoriums für die Gesundheitswirtschaft gesagt habe, ich würde gerne
einen Forschungsfond für die Gesundheitsforschung im Bildungsministerium haben, dann
ist mir aus anderen Ressorts gesagt worden,
dass man das durchaus mittragen könne, weil
das Bildungsministerium noch mehr Geld
brauche.
Rektor sein
heißt Netzwerken
Dass Sie diese Position innehaben, ist ja
gerade erst öffentlich geworden. Sie sind
außerdem noch Sprecher der Arbeitsgemeinschaften Technischer Universitäten. Wo ist ihre Leistungsgrenze?
Ich muss immer überlegen, wie viel Arbeit
das tatsächlich bedeutet und wie viel davon
Koordination und Netzwerken ist. Ich möchte natürlich viele Dinge machen, die letzten
Endes der Uni Rostock zugutekommen. Dass
ich Sprecher der AG Technischer Universitäten
bin, wird die Wahrnehmung der Ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten in Rostock er-
höhen, das ist ein Prestige für die Uni Rostock,
dass ihr Rektor diese Funktion übernimmt.
Unterm Strich ist das keine große Arbeitsbelastung. Ähnlich ist es auch mit der Präsidentschaft des Kuratoriums für Gesundheitswirtschaft, aber ich habe damit eine einflussreiche
Stimme in der Politik.
Der Eindruck, der dadurch immer besteht, ist, dass Sie enger mit der Politik
verbandelt sind, was einerseits natürlich gut ist, weil es den Einfluss stärkt,
aber andererseits natürlich auch problematisch ist, wenn sie beispielsweise
mit Herrn Brodkorb so eng zusammenarbeiten, dass für Außenstehende ein
Verhandlungsprozess dort nicht mehr ersichtlich ist. Das war ja auch das Problem
an den BAföG-Millionen. Von außen sah
das so aus, als hätten Sie sich schon im
Vorfeld geeinigt.
Ich kann das verstehen, dass man da misstrauisch ist, ob irgendwas unter der Hand
vereinbart würde. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich all diese Dinge auch gern
transparent mache und dass auch alle Dinge,
die wir besprechen, durchaus bekannt sind.
Ich persönlich bin politisch ungebunden, was
sicherlich ein Vorteil ist, andererseits bin ich
auch Landesbediensteter und habe eine Loyalitätspflicht meinem Arbeitgeber, dem Bildungsministerium, gegenüber.
Verärgerung
über die Jusos
Im Juni forderten die Jusos öffentlich
ihren Rücktritt, weil sie glaubten, dass
Sie nicht mehr genügend Rückhalt in
der Universität besitzen. Ausgangspunkt
war, dass Herr Göbel nicht bestätigt wurde. Wie haben Sie von dieser Meldung
erfahren und wie haben Sie darauf reagiert?
Ich glaube, dass ich aus der Presse davon erfahren habe und natürlich stellt man sich die
Frage: Ist das vielleicht tatsächlich so, bist du
betriebsblind geworden? Mir haben ganz viele MitarbeiterInnen versichert, dass ich den
Rückhalt der Universität weiterhin hätte, sie
mich durchaus weiter im Amt haben möchten,
mich unterstützen würden. Ich habe die Jusos
dann eingeladen, um ein offenes Gespräch
miteinander zu führen. Das wurde dann als
ein Eingeständnis meiner Schwäche bezeichnet. Ich schätze, ich bin jemand, der sein Han-
20
deln auch selbstkritisch infrage stellt und auch
Schuld bei sich selbst sucht, wenn irgendetwas
nicht so läuft, wie man es sich vielleicht vorgenommen hat. Aber ich denke, diese Forderung
gehört auch der Vergangenheit an.
Da stand unter anderem auch drin, Sie
würden wie das Politbüro im Endstadium
agieren.
Ja, diese Formulierung hat bei mir Verärgerung hervorgerufen. Aber trotzdem muss man
natürlich jede Äußerung ernst nehmen und
auf den kritischen Prüfstand stellen.
Am 25. November war die Podiumsdiskussion mit Frank-Walter Steinmeier. Sie
wirkten etwas aufgeregt, ist das richtig?
Ich wollte nicht, dass hier irgendwie das Gefühl entsteht, dies sei eine Wahlveranstaltung.
Umgekehrt sah ich es natürlich als eine große
Chance, Außenpolitik aus erster Hand unseren Studierenden zu vermitteln. Aber ich war
auch erleichtert, als Herr Steinmeier Rostock
wohlbehalten wieder verlassen hat. Abgesehen davon fand ich es sympathisch, dass wir
anschließend noch in´s „Humboldt“ gegangen
sind, um ein Bier zu trinken.
Ist es richtig, dass das IPV (Institut für
Politik- und Verwaltungswissenschaften)
dank dieser Veranstaltung zusätzliche
Lebenszeit erhalten hat?
Ja, wir haben eine gut aufgestellte Politikwissenschaft – mit Herrn Dosch für die internationale Politik, mit Herrn Bizeul für die Theorie- und Ideengeschichte und vor allen Dingen
auch mit Herrn Werz in der vergleichende
Regierungslehre. Auch für Good Governance
ist es gut, dass wir über dieses breite Feld von
Politologie, Soziologie und unsere juristische
Fakultät verfügen.
10.000 Euro
für den Außenminister
Alleine die Ausgaben für das Sicherheitspersonal dieser Veranstaltung sollen bei
rund 10.000 Euro liegen. Wie können Sie
das rechtfertigen?
Wir hätten das auch eine Partei bezahlen lassen können, was aber nicht in meinem Sinne gewesen wäre. Umgekehrt war ich damit
aber für die Sicherheit persönlich verantwortlich. Das Bundeskriminalamt hatte gefordert,
für zusätzliche Sicherheitskräfte zu sorgen.
Sie müssen letzten Endes alles tun, um eine
Gefährdung zu verhindern und das ist dann
schon teurer. Ich habe das im Vorfeld mit
meinem Kanzler besprochen und der war der
Ansicht, diese Kosten seien bei der Außenwirkung einer solchen Veranstaltung vertretbar.
Es gab vor dem Audimax teilweise heftige
Diskussionen mit den MitarbeiterInnen
der Universität, die unbedingt hineinkommen wollten. Fürchten Sie dort noch
ein Nachspiel oder haben Sie selbst wütende E-Mails bekommen?
Ich persönlich habe keine wütenden E-Mails
bekommen. Ich habe einige Kollegen gesehen,
die gern hineinkommen wollten. Ich hatte
den Studierenden jedoch zugesagt, dass im
Audimax 400 Plätze für sie reserviert werden.
Ich hatte auch Herrn Steinmeier darauf aufmerksam gemacht, dass leider nicht alle Platz
hätten und allen Sicherheitsempfehlungen
zum Trotz, hat er ja „das Bad in der Menge“
gesucht.
Thema Ehrendoktorwürde für Edward
Snowden: Der Prozess darum, dass Sie
den Antrag der Philosophischen Fakultät
abgelehnt haben, läuft ja noch. Haben
Sie Angst vor dem Urteil?
Nein ich habe keine Angst vor dem Urteil. Das
Landeshochschulgesetz sieht vor, dass ein Ehrendoktor – anders als in anderen Bundesländern – in MV für besondere wissenschaftliche
Leistungen vergeben wird. Ich habe durchaus
ein Angebot gemacht, die sicher anerkennenswerte Leistungen von Snowden anders
anzuerkennen. Ich habe, so wie auch der Bildungsminister, den alternativen Nobelpreis
vorgeschlagen oder auch eine universitäre
Medaille. Wir sind in Rostock stolz, dass Einstein 1919 die Ehrendoktorwürde bekommen
hat. Jetzt sollen Juristen darüber verhandeln.
Der Haupteffekt war doch, dass überhaupt in
Rostock eine solche Ehrung diskutiert wurde. Ich weiß nicht, ob Herr Snowden jetzt
noch Freude daran hätte, wenn er nach
so vielen Diskussionen die Ehrendoktorwürde bekäme. Das sehe ich gelassen,
wundere mich nur, warum mich so
viele Leute immer zunächst mit
Snowden in Verbindung bringen.
Rostock hilft. Was nehmen Sie aus diesen
Umständen für sich persönlich mit?
Ich glaube, dass die Universität in Rostock eine
besondere Verpflichtung hat, sich für Internationalität und Vielfalt einzusetzen. Und ich
halte es abgesehen davon für eine humanitäre
Pflicht, Hilfesuchenden auch Hilfe zu gewähren. Wichtig ist, dass man sich ganz frühzeitig
auch schon Gedanken macht, wie wir integrieren können. Ich finde es großartig, dass sich
vor allem die Studierenden so hilfsbereit an
der Organisation von Rostock hilft beteiligen
und da wirklich effektive Hilfe geleistet haben.
Wir hatten gute Möglichkeiten, akut zu helfen
mit dem leeren Physikgebäude am Universitätsplatz. Das hat auch gezeigt, dass dort eine
Integration bestens funktioniert, wenn sie
mitten in der Stadt ist. Die Therapie braucht
jedoch viel länger, als die erste Operation und
deswegen ist es notwendig, dass wir die Hilfe
auch so fortsetzen, dass sich die vielen Helfenden nicht völlig erschöpfen. Wir haben deswegen versucht, mit den Urlaubssemestern, mit
der Anerkennung von Praktika [für Studierende, die sich bei Rostock hilft engagiert haben;
Anm. d. Red.] Unterstützung zu leisten.
SMS vom Bürgermeister:
Brauche Hilfe!
Spätestens mit der Übergabe des Physikgebäudes waren Sie da ganz nahe dran
an der Sache. Wie fand das überhaupt
statt? Haben Sie eine SMS bekommen,
nachts von Herrn Methling mit dem Inhalt „Brauche Hilfe“ oder wie kann man
sich das vorstellen?
(lacht) Es ist tatsächlich so, dass Herr Methling
und Herr Bockhahn mit mir immer wieder
in Kontakt getreten sind. Aber für die Physik
ging es ausschließlich über Rostock hilft. Und
dann sind wir tatsächlich am Wochenende
mit Herrn Tamm, der selbst aktiv angepackt
hat [Leiter der Universitätsverwaltung; Anm.
d. Red.] hingefahren und haben geguckt, was
da noch alles gemacht werden müsste. Ich war
schon auf dem Weg Richtung USA, als die Physik leer geräumt wurde und alle kaputten Leitungen und Lampen repariert wurden.
Dennoch ist Ihre Rolle in der Flüchtlingsfrage zum Teil kritisch beäugt worden,
auch an der Universität. Beim heuler haben wir immer mal wieder gehört, dass
man sie „Scharia Schareck“ nennt. Ist
das ein Spitzname mit dem sie sich anfreunden können?
(lacht) Mit der Scharia kann ich mich weniger
anfreunden, aber es freut mich, weil ich oft
über meine Zugehörigkeit zur katholischen
Kirche definiert werde. Nein, ich habe sicher
auch den Wunsch, tolerant und offen zu sein,
Gastfreundschaft zu üben. Und das ist, finde
ich, durchaus auch eine vornehmliche Aufgabe der Universität auf solche Dinge aufmerksam zu machen und mit gutem Beispiel voranzugehen.
Ich glaube es geht darum, dass sie den
Flüchtlingen so offen gegenüberstehen.
Der Rückschluss, der dann bei Flüchtlingsgegnern einsetzt, ist Flüchtlinge
gleich Muslime, gleich islamistisch,
gleich Scharia. Also den Spitznamen
„Scharia Schareck“ schreiben Sie sich
jetzt nicht in ihren Briefkopf?
(lacht) Nein, natürlich nicht. Aber lieber Scharia Schareck als Shrek.
Nächstes Thema: Flüchtlingskrise,
21
Geht jetzt wieder alles
von vorne los?!
Wir Ersties haben es geschafft:
Den Studienstart – ein wahrer
Quantensprung in unserer
Bildungskarriere! Zeit, an ihren
Anfang zurückzublicken und
zu vergleichen: Ist jetzt wirklich alles anders? Ein Artikel
über Odysseen, Schultüten
und einen Holzdino.
Autor Felix Barthelmes wartet seit
13 Jahren auf einen ganz
bestimmten Brief.
Es war einmal vor langer Zeit, mitten in einem
Sommer unserer Kindheit, da bekamen wir
einen Brief. Nein, leider nicht aus Hogwarts,
sondern von unserer Grundschule: „Lieber …,
du kommst in Klasse 1a bei Frau Müller. Wir
freuen uns auf dich!“ Von etwaigen Formularen, die Mama und Papa vorher ausfüllen
mussten, wussten wir natürlich gar nichts.
Voller Vorfreude haben wir uns einige Zeit später auf den Weg zur Schule gemacht, Mama an
der einen Hand, die Schultüte in der anderen.
Manche konnten gar nicht schnell genug da
sein, so wie mein Kindergartenfreund, dessen
Knie kurz vor dem Schulgebäude direkt Bekanntschaft mit dem Asphalt machte.
In der Aula wurden wir herzlich begrüßt und
folgten dann unserer Klassenlehrerin durch
die Schule. Mit großen Augen bestaunten wir
die heiligen Hallen unserer Kindheit, bis wir
uns im Klassenraum auf Miniaturmöbel setzten durften. Wir tauschten Namen aus und
lernten die Wochentage oder Ähnliches. Das
war dann aber auch schon genug, sodass wir
uns erst mal am Holzdino im Sandkasten austoben mussten. Zuhause haben wir uns dann
nach dem Festessen mit der Familie über unsere Pferde- oder Rennwagenschultüte und
ihre Süßigkeiten, Stifte und Pixi-Bücher hergemacht. Ein unvergesslicher Tag.
Wir wurden älter, wuchsen, lernten viele Dinge, vergaßen sie wieder, probierten aus, schei-
terten, machten unseren Schulabschluss. Und
dann bekommen wir wieder mitten im Sommer einen Brief, diesmal zwar auf magischelektronische Weise, aber immer noch nicht
von Professor Dumbledore: „Sehr geehrter
Herr/Frau ..., sie sind für folgenden Studiengang zugelassen ... Ihre Matrikelnummer
... Die Immatrikulation, etc.“ Yeah, wir sind
durchnummeriert und dürfen uns endlich in
das bürokratische Meer aus Formularen stürzen! Da merken wir schnell: Jetzt sind wir auf
uns allein gestellt. Mama und Papa haben da
nämlich auch keinen Bock mehr drauf.
Wir reisen bis ans Meer, machen uns nach
umständlicher Wohnungssuche auf den Weg
zur Ulme, in einer Hand Google Maps, während die andere einsam herabhängt. Mama
und Papa sind ja gestern schon schweren Herzens vom Wohnheim abgefahren. Nach mehr
oder weniger langer Odyssee kommen wir in
der Parkstraße an und müssen nur noch dem
schier endlosen Studentenstrom bis zum Audimax folgen. Auf unsere Schultüte müssen
wir nicht lange warten. Statt galoppierenden
Pferden und schnellen Rennwagen in allen
Farben des Regenbogens, bestaunen wir diesmal eher ein Werk des Minimalismus: Eine
nachtschwarze „Omne initium difficile est“Papiertüte. Statt Süßigkeiten und Pixi-Büchern
gibt’s diesmal LT-Gutscheine und Bieröffner.
Viel praktischer!
22
Im Hörsaal begrüßen uns dann viel zu viele
fremde Personen „im schönsten Bundesland
der Welt“ (Zitat Schareck), nur damit wir sofort danach wieder jeden Namen und jede Einrichtung vergessen haben. Das ist aber auch
egal, man könne ja alles online finden. Der
Holzdino im Sandkasten reicht uns offenbar
nicht mehr aus, deshalb startet die Uni am
Tag darauf ein Festival namens „Campustag“,
mit Firmen und Parteien oder besser gesagt,
mit Kugelschreibern und Kondomen. Statt
Sandkasten-Spielgruppen formen wir diesmal
diverse Kommilitonenkreise auf dem Campus. Man lernt sich schnell kennen, um sich
dann in Kollektivpanik hinein zu steigern:
LICHTENHAGEN? FSR, ZPA, PVL, LVB, LSF,
VVS? Und leider sind Stundenpläne auch nicht
mehr hübsch bunt, sondern voller komplizierter Modulbezeichnungen. Eine Eskalation von
Studiengangs-WhatsApp-Gruppen ist nicht
mehr aufzuhalten. Da helfen nur noch FSR,
Studienguide, Stummschalten und Feiern.
Doch was sagt uns dieser Einschulungsvergleich? Sind wir jetzt im kühlen Erwachsenenleben angekommen? Oder doch im Feierstaat
Uni? Oder geht jetzt wieder alles von vorne
los?
Fest steht: Wir sind jetzt auf uns selbst gestellt
und müssen uns letztlich einfach überraschen
lassen. Hogwarts ist das hier jedenfalls wieder
nicht ...
Die fürnehmen und gar
alten Traditionen
deutscher Hochschulen
Universitäten und Universitätskultur existieren in Deutschland seit der Gründung der Uni
Heidelberg im Jahr 1386. Welche Strukturen und Traditionen, deren Ursprung so lange oder
zumindest lange zurückliegt, kennt die moderne Hochschule heute?
Autor Michel Wiedecke findet traditionsarme Uni entspannend.
Überlegt man, welche typischen Merkmale
universitäre Kultur momentan aufweist, fällt
auf, dass nicht viel davon alt zu sein scheint.
Manche deutsche Universitäten schmücken
ihren Tag der offenen Tür oder einen speziellen Feiertag mit dem historischen Titel
dies academicus, aber selbst dieser Tag hat
oftmals nicht viel mit seinem ursprünglichen
Zweck, der Identifikationsförderung und
Werbung neuer Studierender, gemein. Genauso unterliegt auch die Verleihung der Doktorwürde, der vielleicht wichtigste Schritt in
einer akademischen Laufbahn, selten besonderen Ritualen.
Bei dem Versuch, Traditionen zu finden,
mögen Bilder von Promotionsfeiern mit
Robe und Doktorhut vor dem geistigen
Auge auftauchen, aber beim genaueren Hinsehen wird klar: So etwas gibt es nicht in
Deutschland. Nicht mehr. Denn vor 50 Jahren existierten diese und andere Traditionen
hier noch. Seit dem 12. und 13. Jahrhundert
trugen Professoren und Studenten spezielle
Trachten. Die Robe symbolisierte bis ins 19.
Jahrhundert die Zugehörigkeit zur Geistlichkeit, die ebenfalls schwarze Gewänder
trug, und zusammen mit dem Hut (dessen
Ursprung weniger klar ist) verbreitete sich
dieser Habitus in alle Welt. Er ist bis heute
noch zu finden, aber in Deutschland sorgte
die 68er-Bewegung für die Abschaffung dieser und vieler anderen Traditionen.
Übrig geblieben ist aber zum Beispiel die
Taktung der Vorlesung und Seminare. Diese
beginnen normalerweise sine tempore (also
Viertel nach) statt cum tempore (Punkt), was
so typisch für die Uni ist, dass dieser Umstand
sogar mit der Bezeichnung Akademisches
Viertel versehen wird. Für dessen Entstehung gibt es zwei Gründe. Zum einen
fand früher der Unterricht zumeist in den
Privaträumen der Professoren statt, für deren
Erreichung den Studenten, nach dem Stundenschlag, noch 15 Minuten Zeit blieb. Zum
anderen diente bei einigen Lehrveranstaltungen die erste Viertelstunde der Rekapitulation
des alten Stoffes, und den Studenten war
freigestellt, ob sie dieser beiwohnen möchten
oder nicht.
23
Auch macht man hierzulande etwas, woran sich
neue Studierende und Gastdozierende aus anderen Ländern oftmals erst gewöhnen müssen.
Denn in anderen Kulturkreisen kann Klopfen
statt Beifall auch Ausbuhen bedeuten. Bei uns
war dies einmal ähnlich. Die Fäuste ersetzten
hier wahrscheinlich die im 18. Jahrhundert
zum gleichen Zweck eingesetzten Stöcke, die
auf den Boden gestampft wurden. Da allerdings
ebenfalls zum Ausbuhen bereits Zischen und
Scharren verwandt wurden, so die Theorie,
wurde die Geste in diesem Kontext obsolet und
verkehrte ihre Bedeutung ins Gegenteil.
Andere alljährliche Inszenierungen entspringen, gerade in ihren kontemporären Ausführungen, offensichtlich neuerer Federn. Wahrscheinlich jede Universität und jede Fakultät,
vielleicht sogar jedes Fach hat seine eigenen
Traditionen. Die Mathematik begeht regelmäßig Skatabende und am Abschluss jedes Medizinstudiums steht der Medi-Ball. Auch die
Orientierungswoche, obwohl ein omnipräsentes, alljährliches Phänomen in nahezu allen Fächern, gibt es in unterschiedlichsten Varianten.
Neben Kneipentouren, die schon seit geraumer Zeit mit von der Partie sind, stehen immer
häufiger auch Stadtralleys mit Trinkspielen und
Kleiderketten auf dem Plan. Ihr enthemmter
und teils stark sexualisierter Charakter vermag
es mittlerweile nicht mehr, die Öffentlichkeit
in Empörung zu versetzen und so steht es abzuwarten, ob diese und andere aktuelle Traditionen den Zahn der Zeit überdauern oder in
Zukunft nur noch Stoff für Anekdoten liefern
werden.
Dezernat 3 –
Büro Bildungsbau
Bauen – das ist etwas sehr Offensichtliches. Das scheint zumindest so, wenn wir zu völlig
unstudentischen Zeiten von Baggern und Hämmern geweckt werden oder auf dem Weg
in die Mensa kahle Flächen mit hektischen Handwerkern und brummenden Baumaschinen
ins Auge stechen. Was aber wissen wir schon vom universitären Baugeschehen, wenn wir es
nicht sehen, hören oder riechen können?
Autorin Marie von Berg blickt wortwörtlich hinter die Fassaden.
Seit Beginn der 1990er Jahre steht das bauliche
Konzept zur Konzentration der universitären
Einrichtungen an den vier Hauptstandorten
Universitätsplatz, Ulmenstraße, Südstadt, und
Schillingallee. Inzwischen ist wieder ein Meilenstein der Bauvorhaben geschafft, der Neubau
des physikalischen Instituts und des Departments Leben, Licht & Materie in der Südstadt
wurde fertiggestellt. Ein Großprojekt, das Dr.
Andreas Werner vom Dezernat für Technik,
Bau und Liegenschaften selbst seit 2009 betreut. Und obwohl er momentan nicht mit einer
neuen Großbaustelle aufwarten kann, ist ein
Gesprächstermin mit ihm schwer zu vereinbaren – das normale Tagesgeschäft hält auf Trapp.
Vom Konzept bis zu den vollendeten Bauarbeiten gibt es ein reges Wechselspiel zwischen der
Universität, dem Bildungsministerium und dem
Betrieb für Bau und Liegenschaften Mecklenburg-Vorpommern, kurz BBL, der für die Planung und Durchführung von Bauprojekten des
Landes zuständig ist. Bis 2020 sollen vier weitere Vorhaben von der Prioritätenliste des Rektors gestrichen werden. Da wäre zum einen die
Fortführung der Grundsanierung der Gebäude
in der Albert-Einstein-Straße 2, gefolgt von einem Neubau für die Chemie, mit dem schon
im nächsten Spätsommer begonnen werden
soll, dem „ULMICUM“, das durch Neubauten
in der Ulmenstraße Platz für die Philosophische
Fakultät, deren Bereichsbibliothek, sowie Bibliotheken der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen und Juristischen Fakultät schaffen
soll. Nicht zu vergessen ein Neubau für die
Elektrotechnik – also doch einiges zu tun.
Außerdem stellen sich derzeit die Mitarbeiter
vom BBL der Umsetzung des aktuell größten
Bauprojektes, dem Neubau ZMF, also den
Zentralen Medizinischen Funktionen für die
Universitätsmedizin und Andreas Werner
verschweigt nicht, dass er ganz froh ist, das
mehr als 100 Millionen Euro schwere Vorhaben nicht betreuen zu müssen. Ich werde an
Christian Hoffmann vom BBL verwiesen. Für
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig,
weiß dieser Genaueres zu dem Riesenprojekt,
rechnet beispielsweise noch einmal 43 zu den
grob genannten 100 Millionen drauf, was die
Investition unseres Bundeslandes noch gewaltiger erscheinen lässt. Er berichtet, wie
langwierig es zunächst war, überhaupt eine
Einigung zwischen Universitätsmedizin, Landesregierung und BBL über die Anforderungen
an das Gebäude zu erzielen, denn das Projekt
musste sowohl aus Nutzungs-, Planungs- und
Kostensicht betrachtet und vom Landesrechnungshof geprüft werden. Glücklicherweise
wurde dieser Prozess Ende vergangenen Jahres
24
beendet, sodass der Baustart am 9. November
erfolgen konnte. Wenn keine störenden Aktionen eintreten, wird 2019 mit der Fertigstellung gerechnet. Dann soll in dem Gebäude ein
zentraler Anlaufpunkt für alle Patienten entstehen, ob zu Fuß, mit dem Rad, im Krankenwagen oder aus der Luft, Christian Hoffmann
lässt in seiner Beschreibung keine Möglichkeit
aus. Der Pressesprecher bleibt aber realistisch:
„Die Umsetzung des Projektes birgt auch
Schwierigkeiten, das ist aber nichts Besonderes, sondern unser Tagesgeschäft.“ Vorsicht
sei dennoch geboten, denn während der Bauarbeiten wird der Klinikbetrieb aufrechterhalten, Rettungswege und Feuerwehreinfahren
müssen frei bleiben und trotzdem soll es mit
den Bauplänen vorangehen. Wer sich versichern möchte, dass dies auch geschieht und
ein Freund der Visualisierung ist, kann einfach
auf bbl-mv.de/zmf vorbeischauen, dort finden
sich drei Webcam-Aufnahmen, mit denen man
das Geschehen in der Schillingallee live verfolgen kann. Also, auch wenn im Moment noch
nicht viel zu sehen ist, die universitären Bauvorhaben liegen keinesfalls brach oder wie Anton Bruckner sagte: „Wer hohe Türme bauen
will, muss lange beim Fundament verweilen.“
Alumnivereine – Verstaubte
Tradition oder wertvolle
Angebote?
Alumniarbeit verbindet Uniangehörige nach ihrem Abschluss und manchmal schon davor.
Eigentlich ein altes Konzept, doch umso näher das Unijubiläum rückt, desto aktueller wird das
Thema und es kann ein Licht auf die bestehenden Angebote in Rostock geworfen werden.
Autor Tom Seiler ist seit dem ersten Semester Mitglied in seinem Alumniverein.
Wer auf der Webseite der Universität Rostock
nach Alumni-Angeboten sucht, sollte einige
Minuten einplanen. Einmal, weil die Homepage notorisch unübersichtlich ist, aber auch,
weil es durchaus einige Institutionen gibt,
die spannend sind. Mit dem 600-jährigen Bestehen unserer Hochschule im Jahr 2019 fest
im Blick, betont die Uni nicht nur ihre weit
zurückgehende Geschichte. Eine erstaunlich
große Anzahl auch aktuell bekannter Persönlichkeiten hat in Rostock studiert. Wenn wir
unser Studium abschließen, stehen wir in einer Reihe Rostocker Alumni von Tycho Brahe
über John Brinckman bis Joachim Gauck.
Auf der aktuellen Webseite findet man zuerst
eine interessante Erklärung, wofür Alumni
überhaupt steht, dass Alumnus die (männliche) Einzahl ist und dass es eben auch eine
weibliche Form gibt (Alumna bzw. Alumnae
im Plural). Nun mag das längst nicht alle interessieren, doch es wird auch auf die Alumnivereine verwiesen, deren Angebote durchaus
lebensnaher sind. In Rostock gibt es derzeit
sieben „echte“ Alumnivereine, die tatsächlich
als eingetragene Vereine organisiert sind. In
manche kann man schon als Student*in eintreten, in andere erst nach dem Abschluss. Dazu
kommen weitere Vereine, die das Ziel haben
Verbindungen zwischen aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Universität zu knüpfen
und aufrechtzuerhalten. Der mitgliederstärkste ist die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen
Fakultät der Universität Rostock e.V.
Warum Alumniarbeit? Zu dieser Frage habe
ich ein Gespräch mit Florian Lemke geführt.
Er ist studentisches Mitglied im Vorstand des
ALUMNI-Vereins Rostocker Politikwissenschaft e.V., der mit fast 200 Mitgliedern der
zweitgrößte der Uni ist. Es geht um mehr als
Jahrgangstreffen. „Wir bieten stetige Veranstaltungen für Studierende und Alumni an.“
Außerdem gibt es einen Stammtisch und einen Newsletter nur für Mitglieder, der z. B.
über Praktikumsmöglichkeiten informiert.
„Alumnivereine sind auf keinen Fall eine Sache, die einschläft“, betont Florian. Er berichtet, dass derzeit mehrere Gruppen aus anderen Fachrichtungen ebenfalls versuchen, feste
Vereinsstrukturen aufzubauen. Am Institut
für Politikwissenschaft hat sich der Alumniverein vor zehn Jahren auch aus dem Grund
gegründet, die Schließung des Instituts zu
verhindern. Florian sagt selbstbewusst, dass
dies wieder gelingen würde. Im nicht konkret
schließungsbedrohten Alltag bietet der Verein
die Möglichkeit für Alumni in Kontakt zu bleiben und auf eine Struktur zurückzugreifen,
die sie akademisch und beruflich unterstützen
kann. Studierende profitieren von hochkarätigen Veranstaltungen und guten Kontakten in
die Arbeitswelt. Die Rostocker Alumnivereine
haben teilweise unterschiedliche Angebote
und Beitrittsvoraussetzungen, ein Blick auf
die Webseite verrät, ob es auch für euren Studiengang einen Alumniverein gibt und welche
Möglichkeiten er bietet.
25
Außerhalb der Vereine versucht die Universität Rostock selbst Übersicht über ihre immer
zahlreicheren Alumni zu behalten. Derzeit
wird im dritten Anlauf in zehn Jahren ein
Alumniportal aufgebaut. Die Idee ist, dass
alle aktuellen und ehemaligen Studierenden
der Universität dort angeben, wohin es sie
verschlagen hat. Die Anmeldung ist über die
Webseite der Uni möglich; angegeben werden
müssen zwingend Name, E-Mail und Geburtsdatum. Darüber hinaus möchte das Portal
weitere Informationen, wie den Studiengang,
das Jahr der Immatrikulation und die aktuelle Adresse. Spätestens an dieser Stelle wird es
aus Datenschutzsicht schwierig. Entsprechend
skeptisch sind die Alumniinitiativen. Kaum
jemand meldet sich an, sodass das Portal weitgehend nutzlos bleibt. „Wichtiger ist, dass es
weiterhin Alumnivereine gibt“, meint Florian.
Der Fachbezug wäre ja auch ganz gut. Im Übrigen sei die Rückmeldequote im Verein interessant. Manche Alumni, die sich jahrelang
nicht gemeldet haben, erinnern sich später
an ihre Alma Mater zurück und treten einem
Alumniverein bei. Laut Florian treten solche
Mitglieder besonders selten wieder aus – vielleicht war das Studium ja wirklich die schönste Zeit des Lebens.
Die Suche nach NS-Raubgut
Die Universitätsbibliothek Rostock sucht in ihrem Bestand nach Büchern, die in der NSDiktatur durch Enteignungen meist jüdischen Familien entrissen wurden, und versucht die
Eigentümer_innen ausfindig zu machen.
Fritz Beise prüft jetzt sicherheitshalber seine Privatbibliothek.
Wenn ein Oberbürgermeister (OB) ganze Wagenladungen an Büchern einer Universitätsbibliothek spendet, wirft das Fragen auf. Vor allem, wenn dies im Jahre 1942 passiert. In den
Zugangsbüchern der Universitätsbibliothek
aus den Jahren der NS-Diktatur treten immer
wieder Behörden als Lieferanten auf. Die Nazis beschlagnahmten ganze Privatbibliotheken
ihrer Opfer und übergaben sie an öffentliche
Behörden, zumeist die Finanzbehörden oder
die Reichstauschstelle in Berlin. Aber auch
SS- oder SA-Stellen oder die Gestapo-Stellen
zeigen sich als Spender von Büchern.
In den 1990er Jahren werden erste Hinweise
auf mögliches Raubgut in Rostock entdeckt,
als man in der Bibliothek die Hebraica kontrolliert. Dort fällt eben jener Eintrag in den
Zugangsbüchern auf, der eine Lieferung vom
OB Rostock im Jahre 1942 zeigt. Vor zwanzig
Jahren fehlte es aber noch an personellen wie
finanziellen Kapazitäten, um die Suche nach
diesen gestohlenen Büchern auszuweiten und
deren eigentliche Besitzer_innen ausfindig
zu machen. Vor eineinhalb Jahren erhielt die
Bibliothek auf Antrag von der Stiftung Kulturgutverlust (ehemals Arbeitsstelle für Provenienzforschung) eine finanzielle Förderung zur
Einrichtung eines Projektes, das sich mit der
Suche nach NS-Raubgut an der UB beschäftigt.
Nun durchforsten die Mitarbeiter_innen um
Lisa Adam und Antje Strahl die Zugangsbücher – in erster Linie Tausch- und Geschenkbücher – der Jahre 1933 bis 1959 nach auffälligen Lieferanten. Dabei sind bisher circa 4.000
Verdachtsfälle aufgetaucht. Informationen
über Bücher, die verdächtig oder als Raubgut
gesichert wurden, können im Onlinekatalog
der UB gefunden werden, in das Suchfeld
wird einfach „lsw Raubgut“ eingetragen. Im
Katalog der UB Rostock sind bei 1.500 (Stand
November 2015) verdächtigen Büchern die
Herkunftsangaben verzeichnet. Diese werden,
sobald ein berechtigter Raubgutverdacht besteht, nicht mehr verliehen, um weitere Nachforschungen anstellen zu können.
Die Bücher müssen nach Provenienzen durchblättert werden: Hinweise auf Eigentümer_in,
Buchhandlung, Adressen etc. Dazu zählen
Stempel, Exlibris, Aufkleber, Notizen oder
Lesezeichen. Einige Bücher enthalten Widmungen, deren Beschränkung auf Vornamen
in den meisten Fällen ins Leere führt. Sind
vollständige Namen gegeben, macht sich Antje
Strahl an die Datenbanken: die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Ortsarchive, Einwohnermeldeämter. Manchmal
28
muss auch einfach die Internetsuchmaschine
aushelfen, deren Algorithmus sehr wählerisch
sein kann, je nachdem, in welcher Reihenfolge
Suchbegriffe eingegeben werden.
Das Beispiel Clara Fleischer
Frau Strahl erzählt vom Beispiel Clara Fleischer. Im Buch: ihr eigenhändig eingetragener
Name als Besitzvermerk und ein Aufkleber
einer Buchhandlung aus Göppingen. In den
Archiven findet sie eine Johanna Klara Fleischer, Jüdin, aus Göppingen. Das Buch sei mit
200 anderen innerhalb einer Lieferung gekommen, deren Herkunftsorte im geographischen
Dreieck Stuttgart, Nürnberg und Frankfurt
am Main lagen. Innerhalb dieses Gebietes
liegt der Ort Göppingen. Frau Strahl konnte
sich also relativ sicher sein, hier auf die passende Person gestoßen zu sein. Um zufällige
Namensgleichheiten auszuschließen, reicht
das aber noch nicht. Etwas später entdeckt
sie im Staatsarchiv Ludwigsburg den Antrag
auf ein Wiedergutmachungsverfahren mit der
Unterschrift einer Clara Fleischer, die sich mit
der Unterschrift aus dem Buch deckt. Die Eigentümerin war, das ist dort ersichtlich, in die
USA gegangen.
Um jetzt noch die Familie der vermutlich
schon verstorbenen Clara Fleischer ausfindig
zu machen, geht die Suche im Grunde in den
Vereinigten Staaten von vorne los. Letztlich
kann die Familie durch Anzeigen in einer
Immigrantenzeitung gefunden werden. Hierbei handelt es sich um einen von vier bisher
komplett gelösten Fällen. An den Wendungen
und Anlaufstellen wird vorstellbar, welcher
Aufwand dafür betrieben werden muss, überhaupt jemanden zu finden.
Bisher hätten sich alle über die Nachricht
gefreut und fast alle wollen auch die Bücher
haben. Manche reichen die Entscheidung an
ihre Kinder oder Enkel weiter. Für viele geht
es bei den Büchern aber nicht um den materiellen Wert, sondern es schwingt auch immer
ein emotionaler, ein biografischer Wert mit.
Diese Bücher wieder in den Händen zu halten,
auch wenn es vielleicht nur Kochbücher sein
mögen, scheint auch ein Symbol zu sein, letztlich das NS-Regime nicht nur überstanden,
sondern niedergeschlagen zu haben.
Nur ein Teil des Ganzen
Bisher hat man nur die Zugangsbücher der
Zentralbibliothek durchsucht. Früher hatten
die Institute jedoch zusätzlich ihre eigenen Be-
reichsbibliotheken, das heißt, auch eigene Zugangsbücher. Hinzu kommt, dass viele Bücher
jener Zeit auch gerade ausgeliehen sind. Man
bittet also nun darum, dass die Nutzer_innen
darauf achten, ob sie solche mit Erscheinungsjahren vor 1945 in Händen halten und diese
vielleicht auch gleich selbst auf verdächtige
Merkmale untersuchen, die auf frühere Eigentümer_innen hinweisen könnten. Das Buch
sollte dann so schnell wie möglich wieder zurückgegeben werden. Ein kleiner Hinweis an
der Theke, dass das gewisse Buch möglicherweise verdächtige Merkmale enthält, ist natürlich gern gesehen.
Bei der Suche im Internet entdeckt man
schnell, dass auch viele andere (Universitäts-)
Bibliotheken dieser NS-Raubgut-Suche nachgehen. Auf die Frage, ob man dazu rechtlich verpflichtet wäre, meint Antje Strahl: „Rechtlich
nicht, aber sicher moralisch.“
Momentan liegen 90 bis 100 recherchierbare
Namen vor Antje Strahl, es werden wahrscheinlich etwas mehr werden. Das Projekt
geht nun ins zweite Jahr. Die Finanzierung,
die jährlich neu beantragt werden muss, ist
auf drei Jahre begrenzt. Dann muss sich die
Bibliothek andere Möglichkeiten suchen.
Quellen: Hintergrundbild: Provenienzen aus dem Buch von Clara Fleischer, oben rechts ihre Unterschrift. UB Rostock
Widmung oben links: Eine Widmung, die keine Möglichkeit bietet, nach ursprünglichen Eigentümern zu suchen. UB Rostock
unten rechts: Dokument von 1954, das von Clara Fleischer unterschrieben wurde. Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 350 I Bü 26680.
29
Falls ihr Hinweise in den Büchern findet, die sehr eindeutig sind, könnt ihr euch natürlich auch direkt an Frau Strahl
wenden.
[email protected]
oder unter 0381-498-8623
Politik
Der Semesterbeitrag wurde
für das kommende Semester gerade wieder erhöht.
Für die studentische Selbstverwaltung (AStA, StuRa,
Fachschaftsräte) zahlen alle
Studierenden nun 9 Euro
pro Semester – statt bisher
8 Euro. Die winzige Erhöhung wird wohl kaum jemandem wehtun, manchen
fällt sie vielleicht nicht einmal auf. Dass es überhaupt
dazu gekommen ist, verweist jedoch auf vielfältige
Probleme, die auch bei dem
Konflikt um die Neubesetzung der Stelle der studentischen Prorektorin oder dem
vorerst gescheiterten Haushalt der Studierendenschaft
sichtbar wurden. Sie können
als nachdrückliche Erinnerung verstanden werden, alles kritisch zu hinterfragen –
selbst das, was gut zu laufen
scheint. Andererseits sollte
genauso das Positive hervorgehoben werden. Geflüchtete, die selbst neu ankommenden Flüchtlingen helfen,
zum Beispiel. Oder politische
Orte, die vielfältige Angebote an Studierende und die
Gesamtbevölkerung richten.
Tom Seiler
Mimi Fischer
Politische
Fassaden
Rostocks
s-Haus
Peter-Weis
Das Peter-Weiß-Haus (PWH) besitzt viele Facetten, unter anderem
hat der Verein „Soziale Bildung e.V.“, hier den „POLDO“ (Politischer
Donnerstag) ins Leben gerufen. Diese Veranstaltung findet jeden
Donnerstag im PWH statt, dort werden vor allem aktuelle und öffentliche Themen diskutiert. Hier ist Engagement von allen Seiten sehr erwünscht, zum Beispiel kann man die Diskussionen mit vorbereiten oder
in der Runde mit anderen in einen aktiven Austausch treten.
30
Ö ko h a u s
Frieda
Das Ökohaus zielt als Verein auf das ökologische Bewusstsein von Jung
Die Frieda 23 ist ein Ort, an dem verschieund Alt ab. So gibt es zum Beispiel Eltern-Kind-Initiativen oder Fördedenste Institutionen aufeinandertreffen.
rungen bis hin zur Berufsschule, um einen nachhaltigen und bewussBesonders interessant ist beispielsweise
ten Umgang mit der Natur zu vermitteln. Aber das Ökohaus bietet auch
die
Heinrich-BöllMöglichkeiten, sich mit entStiftung im Inneren.
wicklungspoltischen TheDie Stiftung organimen zu beschäftigen. Unter
siert viele politische
anderem hat man hier die
Rostock bietet eine Vielzahl politiWorkshops,
wie
Chance, nach Teilnahme an
scher Angebote, um sich weiterzuauch
Bildungsreieinem Workshop, Projekttabilden oder zu engagieren. Wo und
sen. Eines ihrer Ziele
ge zu diesen Themen mit zu
wie das möglich ist, kann man hier
ist es, Bürgern politiorganisieren und durchzusche Entwicklungen
führen.
etwas genauer erfahren.
zu vermitteln und
die AuseinandersetAutorin Kristin Eichner weiß gar nicht, wie sie all die
politischen Möglichkeiten unter einen Hut kriegen soll.
zung damit zu fördern.
Bei „Migra e.V.“ kümmert man sich vorrangig um Migranten und ihr Wohlergehen, von Integrations- bis Sprachkursen wird hier vieles angeboten.
Der Verein arbeitet dabei nicht nur allein mit den Migranten, sondern mit
allen, die helfen wollen und können. Somit ist es gerade angesichts der
momentanen Flüchtlingsproblematik ein interessanter Anlaufpunkt für
Menschen, die sich freiwillig engagieren wollen.
Migra e.V.
R at h au s
Wenn es um politische
Fassaden Rostocks geht,
darf man auf keinen Fall
das Rathaus vergessen.
Hinter den historischen
Mauern verbirgt sich das
politische Herz Rostocks,
hier wird verwaltet, gewaltet und diskutiert.
Zwar kann man hier vielleicht nicht aktiv mitwirken, allerdings sollte man
als Bürger dieser Stadt
wissen, wo die wichtigen
Dinge besprochen und
vielleicht auch mal entschieden werden.
31
Grünes Unge
heuer
Das sogenannte „Grüne Ungeheuer“ ist wohl jedem Studenten ein Begriff.
Das Unigebäude ist eine Schnittstelle vieler universitärer Institutionen.
Unter anderem befindet sich im Inneren der AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss), die Studierendenberatung und momentan auch Rostock hilft. Im Grünen Ungeheuer kann man sich somit vielseitig aktiv am
Unileben beteiligen und auch die Sitzungen des heuler finden hier statt.
Ein Interview mit helfenden
Geflüchteten aus Syrien
Autor Marcus Neick ist von Anfang an bei Rostock hilft dabei und hat auf diesem Weg viele engagierte Menschen kennengelernt.
Waail und sein Bruder Muntaser sind Anfang des Jahres
2015 auf dem wohl menschlichsten Weg von Syrien
nach Deutschland gekommen: mit dem Flugzeug.
Anders erging es jedoch
Waails bestem Freund Nidal, der erst am 20. Oktober
2015 den Fußweg von Syrien nach Rostock beendete.
Zufälligerweise kam er am
Rostocker Hauptbahnhof an,
als Waail dort half. Ein Interview über ein lang herbeigesehntes Wiedersehen, den
schönen Nebeneffekt von
Rostock hilft und Anekdoten syrischer Flüchtlinge in
Deutschland.
„Weißt du“, sagt Waail, „das Problem ist, dass
Menschen in Deutschland denken, wir in Syrien hätten alle kein Geld. Sie verstehen nicht,
warum wir mit guten Handys oder Geld nach
Deutschland einreisen. Diese Frage ist aber
sehr schnell beantwortet: Den meisten Menschen ging es finanziell nicht schlecht. Sie
fliehen einfach vor dem Krieg. Ich will, dass
das alle Menschen in Deutschland wissen. In
Syrien ist es einfach zu gefährlich.“
Ich habe ihm keine Frage gestellt, es brannte
ihm am Anfang auf der Seele, das zu sagen.
So sind wir ins Gespräch gekommen, auch
über die Proteste gegen die Flüchtlingspolitik
in Deutschland. Waail sagt, er könne verstehen, warum die Menschen demonstrieren. Er
sieht Parallelen zu seinem Heimatland, Syrien.
In Zeiten des Irakkriegs sind fast 3 Millionen
Irakis nach Syrien geflohen. „Die Syrer fanden
das schlimm. Sie fragten, was hier passiert
– der Wohnungsmarkt wurde knapp. Die Lebensmittel wurden teurer. Viele Syrer haben
protestiert. Aber mit der Zeit haben sich alle
daran gewöhnt. Wir haben uns mit den Menschen aus dem Irak unterhalten – sie wollten
Sicherheit. Deshalb sind sie geflüchtet. Die
gleiche Geschichte passiert heute mit den
Menschen aus Syrien selbst.“
Waail sieht dort das Problem bei den Menschen, die heutzutage in Deutschland gegen
die Flüchtlingspolitik auf die Straße gehen:
Diese Menschen kommunizieren nicht mit den
Flüchtlingen. Sie kennen nicht die einzelnen
Schicksale. Die Menschen sind nicht bereit, mit
32
Fremden zu sprechen: „Aus diesem Grund ist
Deutschland schon einmal untergegangen. Wir
haben das in Syrien mit den Irakis geschafft.
Warum schaffen das die Menschen nicht, die
in Deutschland gegen die Flüchtlinge auf die
Straße gehen und Flüchtlinge verprügeln?“
Ich finde darauf keine nicht-pauschalisierende
Antwort und schwenke um. Nidal, der den
Fußweg von Syrien nach Deutschland wagte,
ist noch sehr neu hier. Mich interessieren die
Eckdaten seiner Route. Nidal berichtet über die
Länder, die er sah. Durch sechs Länder sei er
gereist. Waail und Muntaser schütteln den Kopf
und sagen, das stimme nicht. Also wird nachgezählt: Syrien, Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich,
Deutschland. Neun Länder. Nidal ist überrascht
und berichtet über jedes einzelne Land, an das
er sich erinnert. Aufgrund der enormen Kälte
sah er mehrere Menschen auf der Fluchtroute
sterben – unter anderem zwei Kinder, direkt
vor seinen Augen.
„Diese Bilder bekomme ich nicht mehr aus
meinem Kopf. Das wird jetzt noch schlimmer.
Es wird kälter und kälter und viele Länder in
Osteuropa sind nicht so sozial wie Deutschland. Sie gehen mit Flüchtlingen schlecht um.“
Waail ist Übersetzer am Hauptbahnhof und
ist seit der ersten Woche des Bestehens des
Helfenden-Netzwerks Rostock hilft dabei.
Muntaser, Waails Bruder, hilft auch am Hauptbahnhof, allerdings nicht beim Übersetzen,
sondern bei der Essens- und Getränkeausgabe.
Er behauptet, er wäre zu schüchtern, um mit
so vielen Menschen zu reden und ihre Sprache zu übersetzen. Außerdem sei sein Deutsch
„noch nicht so gut“.
Mich interessiert, warum die drei in Deutschland bleiben wollen. Was sie hier anzieht.
Tatsächlich will Nidal das gar nicht. Im Gegensatz zu Waail und Muntaser sagt er, dass
viele Menschen in seiner Familie entgegen
der arabischen Tradition nicht an dem Ort
bleiben wollen, wo die restliche Familie lebt.
Sie wollen lieber nach Schweden weiter, denn
in ihren Augen sei Deutschland zu voll mit
Flüchtlingen. Außerdem sei das Asylgesetz in
Schweden viel einfacher.
„In Deutschland werden Flüchtlinge, warum
auch immer, schnell abgeschoben. In Schweden
ist das nicht so. Dort gibt es auch noch viele
freie Wohnungen. In Deutschland gibt es eine
richtige Wohnungskrise. Aber für viele Menschen, auch in meiner Familie, ist auch das Geld
entscheidend, was man dort verdienen kann. In
Schweden sind alle Menschen glücklicher.“
Waail aber sagt, dass er in Deutschland bleiben will, weil ihm die Kultur inzwischen
gut gefällt. „Viele Flüchtlinge wissen, dass
es in Deutschland Menschen gibt, die nicht
freundlich mit Flüchtlingen sind. Ich selbst
hatte noch nie ein Problem mit Deutschen.
Das Wichtigste ist, mit den Menschen, so
fremd sie auch sind, zu reden. Das konnte
ich aber anfangs nicht. Die Leute wollten das
auch nicht. Ich dachte erst, die Leute wären
nicht freundlich. Aber das ist nicht so. Die
Menschen sind freundlich. Das ist die Tradition. Die Menschen sind zurückhaltend und
schnell genervt. Das allererste Mal geredet mit
den Menschen in Deutschland – also richtiges
Reden, über ernste und tiefergehende Inhalte
– habe ich mit den Menschen vor 1 ½ Monaten bei Rostock hilft, nachdem ich schon acht
Monate in Deutschland lebte“, sagte Waail.
Auch Muntaser bestätigt das: „Am Bahnhof
sind viele nette Leute, mit denen habe ich nie
ein Problem gehabt. Und das ist sehr schön.“
Waail liegt es auf dem Herzen, mir zu erzählen,
wie er Deutsch gelernt hat. Wie er versuchte,
mit Menschen ins Gespräch zu kommen: Er
hat in Russland, der Türkei, in Syrien und im
Libanon gewohnt. Überall seien die Menschen
aufgeschlossen gewesen. Aber in Deutschland
hat er sich gefragt, warum niemand mit ihm
reden will. „Aber dann konnte ich das verstehen: Ganz im Gegenteil. Die Leute sind gut
und nett, aber sie reden wenig. Sie haben keine
Zeit zu reden und Spaß zu machen.“ In Syrien
sei das ganz anders gewesen. „Wenn du dort in
33
eine Cafeteria gehst, sprechen die Menschen
sehr laut und man bekommt schon Angst, dass
irgendwas Schlimmes ist. Aber das ist normal.
Die kannst du auf 100 Meter hören und dabei
reden sie nur über den Tag oder über ihre Emotionen oder das Wetter. In Rostock sitzen die
Menschen einfach in der Cafeteria und sitzen.
Sie sitzen einfach. Sie reden nicht, sie sitzen.“
Zum Abschluss will ich unbedingt wissen, ob
Rostock hilft tatsächlich Waails erster Kontakt
mit Deutschen war. Er denkt kurz nach und
gibt mir eine sehr erheiternde, aber auch verstörende Antwort: „Das erste Mal war in einer
Bäckerei am Neuen Markt in Rostock. Dort saßen sechs Frauen. ‚Wow, das ist meine Chance!‘, dachte ich. Ich musste das machen. Ich
sprach sie an und sagte ‚Hallo’ und die Frauen
haben mich angeguckt. Eine der Frauen hat
geantwortet, sie sagte ‚Hallo’. Ich habe gesagt
‚Ich heiße Waail, ich komme aus Syrien, ich
lebe hier seit drei Monaten und bin hier, um
Deutsch zu lernen und ich möchte mit euch
sprechen.’ Zwei haben gesagt ‚NEIN!’, drei haben nichts gesagt und eine hat gesagt: ‚Ja, gerne! Komm her.’ Dann habe ich mich lange mit
ihr unterhalten. Alle hatten erst vor mir Angst
und dann nach 10 Minuten haben alle gelacht
und mit mir gesprochen. Bis heute sehe ich die
Frauen auf der Straße und begrüße sie, sie begrüßen mich. Das ist toll.“
Money-Must-Haves
Finanzielle Förderung
durch die Studierendenschaft
Alle Halbjahre wieder wird es Zeit, die Semestergebühren zu überweisen! 45 Euro an das
Studentenwerk für günstige Wohnheime und das tägliche Mensen und zähneknirschend
auch 103 Euro für das Semesterticket, aber dann war da noch was ... 9 Euro für die Studierendenschaft. Was heißt das denn?
Autorin Lea Kroos hat es nicht so mit Ordnung(en).
Zur Studierendenschaft gehört schließlich jeder von uns. Aber an welcher Stelle profitiere
ich selbst von diesem Betrag? Vielen Studierenden ist nicht bewusst, dass die Studierendenschaft weitaus mehr finanziert als Campustag
und heuler. Der Haushaltsplan des StuRa sah
für die Förderung von Fachschaften und studentischen Initiativen, sowie Kultur- und Sozialförderung im Jahr 2015 eine Summe von
65.000 Euro vor.
Möchte zum Beispiel eure Fachschaft eine Einstandsfahrt veranstalten, kann sie die Kosten
hierfür in Teilen aus diesen Töpfen finanzieren, sodass die Fahrt für euch sehr günstig
bleibt. Bis zu einer Summe von 1.500 Euro
kann der AStA über den Antrag entscheiden.
Dieser muss im Voraus gestellt und in der
AStA-Sitzung besprochen werden. Dabei sollte die antragstellende Person, die an der Uni
Rostock eingeschrieben sein muss, anwesend
sein, um das Projekt, die Veranstaltung oder
Anschaffung vorzustellen. Soll eine Einstandsfahrt finanziert werden, gehören dazu die
Teilnehmerzahl, die genaue Verwendung des
Geldes – zum Beispiel für Bahntickets – und
natürlich eine Kalkulation der Gesamtantragssumme. Möchtet ihr finanzielle Unterstützung
für Shirts oder Werbematerialien für euer stu-
dentisches Projekt, solltet ihr natürlich mehrere Angebote eingeholt und verglichen haben.
Erst dann kann der AStA über die Fördersumme abstimmen. Dies sei „nicht ganz barrierearm“, gibt Martin Warning, AStA-Referent
für Finanzen, zu. Aber es sei notwendig, da
es sich schließlich um das Geld der Studierendenschaft handele. Auf diese Weise wurden
im letzten Jahr Benefizkonzerte, Chorwochenenden, Workshops und Podiumsdiskussionen
unterschiedlichster Hochschulgruppen und
studentischer Initiativen gefördert. Abgelehnt
werden Anträge zwar selten, aber es kommt
durchaus vor. Gründe hierfür können ein fehlender studentischer Bezug, aber auch unbegründet hohe oder ungenügend kalkulierte
Ausgabenposten sein.
Ein Versuch lohnt sich also – vor allem für
kleinere Fachschaften. Von den 9 Euro eures
Semesterbeitrages für die Studierendenschaft
geht 1 Euro anteilig an die Fachschaften – ist
diese allerdings nicht groß, sind die Beträge
natürlich klein und der Handlungsspielraum
sehr eingeschränkt. Von Einstandsfahrten
über Hörsaalkinos, bis hin zu Shirts für den
Fachschaftsrat kann die Studierendenschaft
über den normalen Fachschaftsetat hinaus finanziell unterstützen.
34
Nur wenig Gebrauch wurde bisher von der
Sozialförderung gemacht. Die Studierendenschaft gab sich bereits im November 2014 eine
neue Sozialordnung, die neben der Semesterticketrückerstattung z. B. die Finanzierung
von externen Beratungsangeboten, wie der
Sozialberatung regelt. Von den 15.000 zur Verfügung gestellten Euro wurden bis November
2015 allerdings nicht einmal ein Drittel genutzt und die Anzahl der Anträge auf Semesterticketrückerstattung aus sozialen Gründen
lag nur im einstelligen Bereich. Dass dies eher
ein schlechtes Zeichen sei, findet auch Martin
Warning. Er vermutet, dass weitaus mehr Studierende Probleme haben, das Semesterticket
zu bezahlen.
ZUM NACHLESEN: Sämtliche Anträge
und Förderungskriterien und vor allem
Fristen für die Beantragung der Semesterticketrückerstattung findet ihr auf der
Internetseite des AStA.
www.asta-rostock.de
Du gewinnst nicht mit
Klappe halten
Wer am 16. Dezember aufmerksam den StuRa-Ticker verfolgte, hat sicherlich mitbekommen,
dass der Studierendenrat die aktuelle AStA-Referentin für Hochschulpolitik, Katharina Wilke,
als neue Studentische Prorektorin nominiert hat. Doch was steckt hinter dem Konstrukt aus
Gegenwind und Karten spielen?
Autorin Mimi Fischer kann die Macht in der Luft förmlich schmecken.
der Posten ein Jahr vakant und wurde erst 2013 wieder neu gewählt.
Warum sich Isabelle auch dieses Jahr so vehement in die StuRa-Diskussionen eingebracht hat, ist ganz einfach: genauso wie Heiko Marski drei
Jahre zuvor im heuler-Interview (online – Januar 2012), ist auch sie der
Meinung, dass die Abschaffung des Amtes an politischen Selbstmord
grenzen würde. Es geht ihr nicht darum, den Geschmack von Macht zu
genießen, sondern zusammen mit AStA-Referaten, beispielsweise dem
Referat für Anti-Diskriminierung und Gleichstellung, wichtige Dinge in
Angriff zu nehmen. Selbstkritisch ist ihr bewusst, dass viele Ideen in
den vergangenen zwei Jahren nicht umgesetzt werden konnten, was
teilweise auch an bürokratischen Hürden lag. Dennoch möchte sie alle
Studierenden motivieren, kritische Fragen in Gremien zu stellen, sich
auf Veränderungen einzulassen und manchmal auch für einen Knall zu
sorgen – „Du gewinnst nicht mit Klappe halten.“
„Warum kam es für dich nicht in Frage, noch eine dritte Amtszeit in Angriff zu nehmen?“ – „Ehrlich gesagt, mache ich mir Gedanken über das
kommende Jahr und habe Angst, den Anschluss zu verlieren.“ Sie ist eindeutig dagegen, dass mittlerweile viele Kommiliton*innen ihr Studium
aussetzen, um die Arbeit der Studierendenschaft weiter zu professionalisieren. Zwar musste Isabelle im vergangenen Jahr nur wenige Seminare
und Vorlesungen besuchen, trotzdem möchte sie ihr Lehramtsstudium
beenden und freut sich, dass nun wieder eine Frau die Position übernehmen wird. Wobei an dieser Stelle noch ein entscheidender Schritt fehlt,
erst muss der Senat mit einer einfachen Mehrheit und das Konzil mit
einer Zweidrittelmehrheit die Nominierung von Katharina Wilke im Januar bestätigen, bevor sie Mitte April durch die Bestellung vom Rektor,
Wolfgang Schareck, mit der Rektoratsarbeit beginnen darf.
Isabelle Pejic, im zweiten Jahr Studentische Prorektorin, begegnet mir
zunächst mit einem starren Blick. Sie erzählt couragiert von ihrer Arbeit
im Rektorat und ihrem Anliegen, allen Studierenden ein Studium unter
den besten Bedingungen zu ermöglichen und viele Gremien beziehungsweise Projekte miteinander zu vernetzen. Ihre Rede ist klar strukturiert,
sie verwendet Wörter wie „Selbstständigkeit“, „Verantwortungsgefühl“
und „Ablehnung“. Gerade am Anfang musste sie lernen, sich in einer
auch heute noch stark von Männern dominierten Arbeitsatmosphäre
durchzusetzen. Doch spricht sie in solchen Momenten wirklich von einer studentischen Tätigkeit, oder aber einer Festanstellung, bei welcher
alle Dimensionen von Freizeit und Job miteinander verschmelzen?
Deutschlandweit wählte das Konzil der Universität Rostock im November 2006 mit Johannes Saalfeld (heute Abgeordneter der Partei Bündnis
90/Die Grünen im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern) den ersten
studentischen Vertreter ins Rektorat und schaffte so die Stelle „für studentische Angelegenheiten“ als Teil der Hochschulleitung. Von Anfang
an wurde die Idee dahinter so formuliert, dass diese Position dazu dienen
soll, die Perspektiven der Studierenden in die immer fortschreitenden
Hochschulveränderungen mit einzubeziehen. Das heißt konkret, dass
diese Person immer für Verbesserungen der Studierendenbedingungen
kämpft, ob es nun Neubauten, Ausstattung, Lehrpersonal oder andere
Bereiche betrifft. Ständige Präsenz in den Unigremien, sicheres Auftreten in der Öffentlichkeit und Netzwerken mit anderen Universitäten
steht auf dem Plan der 20-Stunden-Woche. Jedoch ist das Amt seit einigen
Jahren mit Beigeschmack zu genießen. Nachdem Heiko Marski 2010 und
2011 das Amt bekleidete und die Amtszeit mit einem Rechtsstreit um entsprechende Vergütung im Sinne des Arbeitsverhältnisses beendete, blieb
35
In der letzten Ausgabe des heuler konnte nur ein kleiner Teil dessen, was Antifa ausmacht,
umrissen werden. Nun folgt ein beispielhafter Einblick in ein wichtiges Themenfeld antifaschistischer Arbeit: die Analyse menschenverachtender Bestrebungen und Bewegungen.
Entwicklungen rassistischer
Mobilmachung in MV
Autor Bartholomäus Schink war am Rostocker Hauptbahnhof unter den
Helfer_innen der Initiative Rostock hilft , als sie von Teilnehmer_innen
rassistischer Demonstrationen angegriffen wurden.
Agenda gerückt. Demos, Kundgebungen und Infotische in vielen Städten beackerten das Thema und immer trugen die Veranstaltungen den
Stempel der NPD. So auch am 9. November 2013, diesmal in Friedland.
Gleichzeitig wurden aber auch verschiedene Bürgerinitiativen gebildet;
im Hintergrund standen dabei immer NPD-Mitglieder oder der Partei
nahestehende, kameradschaftlich organisierte Neonazis. Diese Organisationen tragen Namen wie „Schöner wohnen in Wolgast“ und betreiben Hetze gegen Asylbewerber_innen, alles im Tarnmäntelchen der
Bürgerlichkeit. Prominenter sind aber noch die Gruppen, die vorgeben,
sich gegen die von ihnen wahrgenommene „Überfremdung“ zu wehren.
In Pasewalk, Torgelow, Wismar und Schwerin wehren sich vermeintliche Bürger_innen. Vom letzten Kuhkaff bis zur Landeshauptstadt,
macht dieser Trend die Runde. Ganz in Manier der NPD geht es gegen
Asylmissbrauch, selbst graphisch lässt sich erkennen, woher der Wind
weht. Nach außen wird aber Distanz gewahrt, um niemanden zu verschrecken.
In dieses Gemisch stieß Ende 2014 die Entwicklung eines regionalen
PEGIDA-Ablegers. MVGIDA bildete schnell ein Sammelbecken für die
verschiedenen Gruppierungen und hatte von Anfang an keine Berührungsängste zu NPD-Kadern. Schnell wurde die Struktur der Demos
durch die NPD getragen und MVGIDA wurde zur NPD-Vorfeldorganisation. Nachdem MVGIDA im Sommerloch verschwunden ist, bildeten
sich verschiedene Gruppen, die sich allesamt über soziale Medien organisieren. Deren hohes Mobilisierungspotenzial zeigt sich momentan in
ganz MV, von Boizenburg bis Pasewalk und auch Rostock blieb nicht
verschont. Den bisherigen Höhepunkt der Mobilmachung konnte die
AfD am 17. Oktober 2015 erreichen, als mindestens 1.500 rassistische
Bürger_innen gemeinsam mit bekennenden Neonazis auf die Straße
gingen.
In der aktuellen Situation mischen sich Berührungsängste verschiedener rechter Gruppierungen, militanter Neonazis und unorganisierter
rassistischer Bürger_innen. Übrig bleibt ein Gemisch aus Unwissenheit
und Hass – ein Mob, zusammengeschweißt durch die Ablehnung des
vermeintlich Fremden.
Am 09. November 2012 veranstaltete die NPD eine Demonstration gegen „Asylmissbrauch“ in Wolgast. Diese war unschwer als rassistisch
und neonazistisch zu erkennen. Eine Anlehnung an die antisemitische
Pogromnacht im Jahr 1938 erzeugt die Wahl des Datums. Eine Provokation, die mehr als 1000 Menschen gegen die NPD auf die Straße gehen
ließ. Trotz Blockaden und des Scheiterns der Demonstration, lässt sich
an diesem Aufmarsch der Beginn einer neuen Kampagne der NPD ablesen. Das Thema Asyl und Flucht wurde wieder in den Mittelpunkt der
Aus antifaschistischer Perspektive ergeben sich zwei Mittel, um diesem
Mob zu begegnen. Erstens muss sich das gesellschaftliche Klima dergestalt verändern, dass die Rassist_innen sich wieder scheuen, ihren Hass
offen kund zu tun. Keine noch so unbedeutende rassistische Äußerung
oder Tat darf unwidersprochen bleiben. Das ist nicht immer einfach
und auch nicht ungefährlich, daher ist es wichtig, auf Konfrontationen
vorbereitet zu sein. Zweitens müssen sich langfristig gesellschaftliche
Strukturen entwickeln, die Rassismus von vornherein das Wasser abgraben und die Solidarität zwischen Menschen fördern.
In Zeiten rassistischer Großdemonstrationen,
massiven Terrors durch Brandstiftungen und
direkter körperlicher Angriffe auf Geflüchtete ist es wichtig zu beobachten, welche gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere im Spektrum von konservativen bis hin zu
offen neonazistischen Akteuren, der Gewalt
zu Grunde liegen.
36
Im Namen aller Studierenden –
Die Landeskonferenz der
Studierendenschaften
Die Landeskonferenz der Studierendenschaften
ist eine Vertretung aller Studierenden
Mecklenburg-Vorpommerns. Jede Hochschule schickt zwei Vertreter, in unserem Fall waren dies bisher Martin Warning und Katharina
Wilke. Martin war zu dieser Zeit zugleich auch
Sprecher der Landeskonferenz und vertritt
unsere Interessen in
der Hochschulpolitik.
Autorin Alexandra Wendt staunt nicht
schlecht über dieses politische Engagement.
sind sie bemüht, die Anliegen der Studierenden zu erläutern und deren
Relevanz deutlich zu machen. „Bisweilen ist es jedoch schwierig, dementsprechend wahrgenommen zu werden“, räumt Martin ein. Die LKS
hat keinerlei Stimmrecht in politischen Entscheidungen; ob die Sprecher
angehört werden oder nicht, ist eine reine Interessensfrage.
Zuletzt beteiligte sich die LKS an einer Überarbeitung des Studierendenwerksgesetzes. Dieses wurde noch im Dezember verabschiedet und soll
Anfang des Jahres in Kraft treten. Dabei setzt man sich besonders für
eine Förderung der Studierbarkeit ein: Das Studierendenwerk soll weiter
ausgebaut werden, neben den Kernaufgaben für Essen und Wohnraum
zu sorgen, soll auch verstärkt soziale und psychosoziale Beratung angeboten werden. Gerade in diesen Bereichen wächst die Nachfrage gerade stetig, eine angemessene Finanzierung bleibt jedoch aus. Der neue
Gesetzesentwurf, der bereits Mitte September vergangenen Jahres vor
dem Bildungsausschuss in Schwerin diskutiert wurde, sieht hier Änderungen vor. Auch Martin war zu diesem Termin eingeladen und trat
neben anderen als Sachverständiger auf, der im Sinne der Studierenden
für den Gesetzesentwurf argumentierte. Es gehe ihm darum, dass nicht
nur strukturelle, sondern auch inhaltliche Veränderungen vorgenommen und die Studienbedingungen verbessert werden.
Zukünftig will man an der gesellschaftlichen und hochschulpolitischen
Relevanz der Studierenden für das Land arbeiten. Zudem gilt es für die
Landtagswahlen im September 2016 die hochschulpolitische Positionierung der Parteien zu erfragen.
„Wir haben einen hohen politisch inhaltlichen Anspruch. Wir nehmen
unsere Arbeit ernst“, sagt Martin abschließend, „und wenn es läuft,
macht es auch Spaß.“
Die Landeskonferenz der Studierendenschaften, kurz LKS, ist eine Institution, die durch das Landeshochschulgesetz vorgegeben ist und die
Studierendenschaften des Landes Mecklenburg-Vorpommern vertritt.
Jeweils zwei Vertreter aus den sechs verfassten Studierendenschaften
der Universitäten Rostock und Greifswald, den Hochschulen in Wismar,
Neubrandenburg und Stralsund sowie der Hochschule für Musik und
Theater Rostock treffen sich alle zwei Monate, um gemeinsam über
die hochschulpolitische Situation zu diskutieren. Martin Warning und
Katharina Wilke, beide tätig im AStA, vertraten im vergangenen Studienjahr die Rostocker Studierendenschaft. „Die Hauptaufgabe besteht
darin, gemeinsame Interessen zu vertreten, voneinander zu lernen und
Projektideen auszutauschen“, erklärt Martin Warning, „wie unseren
Mensa-Ausschuss oder die Kindertagesstätte für studierende Eltern der
Uni Greifswald.“
Für die Arbeit der Interessenvertretung der Studierenden MecklenburgVorpommerns, insgesamt circa 38.000 Studierende, ist es dabei von
besonderer Bedeutung, sich über eine gemeinsame politische Positionierung auszutauschen und abzustimmen. Dazu wird unter anderem
alle fünf Jahre eine Zielvereinbarung formuliert.
Martin war zudem zusammen mit Michael Schulz von der Hochschule
Neubrandenburg Sprecher der LKS, bis die Vertreter Rostocks im November neu gewählt wurden. Nun hat Heiner Kolp den Platz in der
Delegation von Martin übernommen. Neben der Vertretung der LKS
in der Öffentlichkeit durch Pressemitteilungen, nehmen die Sprecher
auch Termine vor Ort mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern und
anderen hochschulpolitischen Institutionen wie der Landeskonferenz
der Rektorate wahr. In Gesprächen mit Abgeordneten und Ministern
37
Zwischen Kleinigkeiten
und Medienkontakten
Landtagswahlkämpfe als bundespolitische Signale – 2015 war in Mecklenburg-Vorpommern
ein spannendes Jahr für die politische Kommunikationsforschung. Zum einen befindet sich
die Politik im Jahr vor der nächsten Landtagswahl, zum anderen müssen gerade die oppositionellen Parteien medienwirksam ihre Arbeit verkaufen. Es folgt ein Vergleich zwischen
Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei.
Autorin Mimi Fischer offenbart den ganz persönlichen Fetisch von Politikwissenschaftler*innen.
52%
23,6%
7,2
förderung setzten die Grünen vor allem auf die traditionelle Besetzung
von Themenfeldern. Als besonderer Vorteil gilt in der Wahlforschung,
dass viele politische Aspekte bereits einen grünen Touch enthalten.
Beispielsweise werden Themen wie die Einführung von Flaschenpfand,
Abschaffung von Plastiktüten, Atomausstieg, Benzinart E10 und Tierschutz automatisch in der grün-politischen Ecke verortet. In diesem
Jahr haben die Grünen im Land 511 Pressemitteilungen veröffentlicht,
wovon 129 direkt in Artikeln der NNN verarbeitet wurden. Neben der
klassischen Vertretung von landwirtschaftlichen, energieorientierten
und infrastrukturellen Inhalten, konnten die Grünen vor allem im bildungspolitischen Bereich überzeugen. Mit der großen Präsenz von Johannes Saalfeld im Bereich Hochschulen und Ulrike Berger für Schulen
konnte sich die Partei landesweit gut darstellen. Immer noch schwach
werden die Bereiche Wirtschaft und Arbeitsmarkt bedient. Abgesehen
von der Werftendebatte und den typischen Haushaltsfragen, konnte die
Oppositionspartei kaum wahrgenommen werden.
Wenn ich Außenstehenden davon berichte, dass ich gerade meine Bachelorarbeit zum Thema „Mediale Kommunikation von Oppositionsparteien in MV“ abgegeben und dafür rund 1.000 Artikel der Norddeutschen
Neuesten Nachrichten (NNN) gelesen habe, fragen mich die meisten,
was tagespolitische Zeitungen noch mit Wahlkampfstrategien zu tun
haben. In Zeiten von Facebook, YouTube, Twitter und Co. scheint diese
Frage für viele Bürger*innen schlüssig, trotzdem sind die Entwicklungen im Bereich Web 2.0 nicht so ausgereift, um klassische Monologien
zu durchbrechen: In den vergangenen zehn Jahren haben 60 Prozent
der Wähler*innen angegeben, dass sie ihre Informationen zum größten
Teil aus regionalen Tageszeitungen ziehen. Stillschweigend möchten die
prototypischen Wähler*innen von landesinternen Themen unterrichtet
werden. Bleibt der Lokaljournalismus also Markt der Zukunft?
Trotz Grenzen bei der Analyse, ist eine sichtbare Aufteilung von
Kernthemen zahlenmäßig nachweisbar. Dabei treffen die zwei wichtigsten Thesen der Zeitungen aufeinander: Versuchen Parteien möglichst
viele politische Themen zu besetzen, um alle Bürger*innen anzusprechen? Oder: Versuchen die regionalen Tageszeitungen vermehrt beide
Oppositionsmeinungen einzubeziehen und so indirekt das AgendaSetting zu beeinflussen?
Linksabbiegen?
Als Partei der Nostalgiker*innen und Modernisierungsverlierer*innen
findet sich die Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern. Diese Beschreibung kommt allerdings deutlich zu kurz – dass die Linkspartei
durchaus regierungsfähig ist, hat sie in MV schon beweisen können.
Aus dem dadurch entstandenen Volksparteienanspruch versuchen sich
die Linken zu allen politischen Themen zu positionieren. Auch bei der
Auswertung der 736 Pressemitteilungen ist auffällig, dass die Linke über
ihre traditionelle Besetzung des sozialen Komplexes hinweg agiert. Dabei profitiert sie von der extrem hohen Parteibindung der Wähler*innen
in MV, der niedrigen Wahlbeteiligung von 51,5 Prozent und von unterschiedlichen Parteikonstellationen. Mit Erststimmenergebnissen
Jetzt wird es Grün
Die frühere „Anti-Parteien“-Partei Bündnis 90/Die Grünen konnte 2011
erstmals mit 8,6 Prozent und somit sieben Abgeordneten in den Schweriner Landtag einziehen. Angeführt durch die Doppelspitze Silke Gajek
und Jürgen Suhr, konnte die ehemalige Ökopartei mit einem aggressiven Newcomer-Wahlkampf besonders beim höher gebildeten Publikum,
den Bildungsbürger*innen, in urbanen Gebieten punkten. Mit dem
altbekannten Bindeglied zwischen Ökologie und alternativer Zukunfts-
38
zwischen 18 und 30 Prozent sind die Linken auch heute noch stark in
den ehemaligen SED-Hochburgen Schwerin, Greifswald, Stralsund und
Neubrandenburg etabliert. Die Themen, an denen die Linkspartei vor
allem gearbeitet hat, sind einerseits wirtschaftlicher bzw. sozialer Natur – Werftendebatte, Arbeitslosengelder, Mindestlohn – und betreffen
andererseits gesellschaftspolitische Themen der Gefahrenabwehr gegen
rechts. Darunter fallen MVgida, die Diskussion um V-Leute des Verfassungsschutzes und die Flüchtlingshilfe.
Journalist*innen fordern und
Bürger*innen einbinden
Das zeigt, dass es wahrscheinlich noch ein paar Jahre zu früh ist,
der Mediatisierung gänzlich zu vertrauen. Vielmehr befindet sich die
deutsche Politik auf den Spuren des personalisierten, amerikanischen
Wahlkampfes und übernimmt nach und nach einige Strukturmuster.
Momentan muss daher viel mehr die Integration von tagespolitischen
Artikeln in Online-Medien erfolgen und so von Beginn an die Beteiligung von Bürger*innen an Prozessen der Landespolitik gefördert werden. Durch doppelte Professionalisierung wird eine Brücke zwischen
den unterschiedlichen Wähler*innenaltersklassen geschlagen, nur so
können beide Parteien einen Generationenwechsel ohne spürbare Verluste überstehen. Agenda-Setting spielt in diesem Zusammenhang zwar
eine zentrale Rolle, trotzdem muss auch den Parteien bewusst sein, dass
die Zeitungen durch finanziellen Druck stark an die regionalen Interessen gebunden sind. Vielmehr müssen auch kleine Erfolge, wie die
Übermittlung von Antragsvorschlägen in Ausschüsse des Landtages,
medienwirksam besser verkauft werden. Also keine Angst, es ist ganz
normal, wenn die Linken eine Umweltrevolution planen und die Grünen plötzlich soziale Gerechtigkeit auf ihre Transparente drucken – Politik ist Kommunikation.
Krabbelgruppe World Wide Web
Beide Parteien versuchen sich knapp ein dreiviertel Jahr vor der Wahl
mehr zu definieren, wozu auch gehört, dass sie auf deutlich jüngere
Kandidat*innen setzen. Daraus könnte man schlussfolgern, dass nun
auch auf moderne Technologien wie der Mobilisierung übers Internet
gesetzt wird. Wie Julia Metag und Frank Marcinkowski in ihrer Studie zu messbaren Effekten von Online-Aktivitäten auf Wahlergebnisse
jedoch nachweisen, spielt das auf Landesebene kaum eine Rolle. Zwar
kann im Vergleich zur kommunalen Ebene eine leichte Veränderung
von zwei Variablen (Facebook-Likes und Erwähnung auf regionalen
Nachrichtenseiten) aufgezeigt werden, wovon besonders die Linkspartei
profitiert, trotzdem kann nur auf Bundesebene eine Verbesserung von
1,6 Prozent, vor allem durch persönliche Internetseiten, der Erststimmenverteilung bestätigt werden.
Sozialberatung
Probleme beim Job? Du möchtest mehr über deine Rechte erfahren?
Studienfinanzierung ungewiss? Kind und Studium unter einen Hut bringen?
Wir haben ein Offenes Ohr und versuchen dir zu helfen!
Weitere Infos unter: http://asta-rostock.de/sozialberatung/
Jeden Mittwoch 14:00 bis 16:00 Uhr
Parkstr. 6, EG auf der linken Seite im AStA-Sitzungsraum
Fragen per Mail an: [email protected]
39
Anzeige
KULTUR
Der Vorsatz für das neue Jahr: Kreativer sein.
Deswegen hochpoetische Lyrik
aus meiner Feder, ein Elfchen:
Menschen
ihre Ergüsse
auf elf Seiten
Graffiti, Madsen, Schauspiel, Rezensionen
Kulturressort
Anne Halbauer
Mach Grau
zu Bunt und
höre zu!
40
INK, ACS, IF, GF und SR – Buchstabenkombinationen in allen möglichen
und unmöglichen Farben schmücken Rostocks Wände und Bauwerke.
Was sich hinter ihnen verbirgt und welche Geschichten die Rostocker
Graffitiszene erzählt, wurde mir klar, als ich mit einem Sprüher durch
die Stadt ging.
Autor Wiegand Körber wünscht sich viele bunte Bilder an seiner Hauswand. // Fotos S. 41 und 42 unten: Wiegand Körber
Graffiti: Was mal schön, mal hässlich an Häuserfassaden, Containern und Rohren prangt, wird lebendig, wenn man mit einem Insider der Szene unterwegs
ist. Es offenbaren sich Geschichten, die dem einfachen SpaziergängerInnen verborgen bleiben. Aus Bildern entsteigen
Rostocks legendäre Sprüher, wie SYNDE oder TSOK, deren
illegale Schaffenszeit lange vorbei ist, doch deren Bilder
unangetastet bleiben – teilweise mit entsprechenden deutlichen Hinweisen versehen (etwa: „Du bleibst für immer
hier“). Diese Graffitis zu übermalen, wäre Blasphemie und
zöge körperliche Sanktionen nach sich.
Respekt voreinander ist ein, wenn nicht gar das wichtigste
Merkmal der Rostocker Graffitiszene. In Rostock sind drei
verschiedene Motive unterscheidbar, die sich hinter den
Zeichen und Bildern verbergen: der künstlerische Wettbewerb, die Vertretung gesellschaftlicher Gruppen und die
kurzfristige Mobilisierung zu bestimmten Zwecken.
Der künstlerische Wettbewerb spiegelt den, dem Graffiti
innewohnenden, Gedanken der Verbreitung des eigenen
Namens und seiner Crew aus rein ästhetischen Motiven
wider. Entscheidend ist hier nicht die, wie auch immer geartete, Botschaft, sondern der sichtbare Eindruck: Hinter
41
den Buchstabenkombinationen der größten Crews Rostocks – etwa 18,
20, INK, DMR, MFG & GOD, SIC oder WDS – nach einem Sinn zu suchen, ist daher müßig. Entscheidend für die Wahl der Buchstaben sind
einzig ästhetische Aspekte.
Anders stellt sich die Lage bei dem Motiv der Vertretung gesellschaftlicher Gruppen durch Graffiti dar. Denn Graffitis in Rostock haben zum
Teil einen Interessenbezug, der nicht nur die Verbreitung der eigenen
Kunst betrifft, sondern dezidiert gesellschaftlich ist – Graffiti in Rostock
ist damit auch oft ein Ausdruck der Artikulation von Gruppeninteressen.
Das größte und Stadtbild dominierende Gemeinschaftsinteresse ist ohne
Zweifel der Fußballclub Hansa Rostock. SR (Suptras Rostock), ILT (I love
trains), DF (Devil Fish), AC (Action Connection), GF (Ghettofans), PBR
(Plattenbau Rostock) und die Hansa Hools sind nur die bekanntesten
unter vielen Crews, die im Namen des Ostseeclubs die Stadt verzieren.
Auch international ist Hansa dadurch zu einem Begriff geworden. Zeugnis dieses Tuns sind die beiden sehenswerten Filme I love trains – der
Film und der seit Oktober 2015 unter anderem im Späti 66 erhältliche
Streifen Blau-Weiß-Rot. Mediales Echo erlangten dem FCH verbundene
Sprüher der ILT-Crew außerdem mit dem Bombing eines Zugs in Wien
in Vorbereitung auf ein geplantes Freundschaftsspiel zwischen Hansa
und dem österreichischen Club Rapid Wien. Dieses Graffiti war einer
der Gründe für die Absage des Spiels aus Sicherheitsgründen.
Die zweite im Stadtbild präsente gesellschaftspolitische Interessengruppe ist die Antifaschistische Aktion, kurz Antifa, die unter den Kürzeln
AFA oder ASC zu finden ist. Rivalität besteht zwischen diesen Gruppen
jedoch nicht, weil die Gruppen personelle Überschneidungen aufweisen
und weil sie einen gemeinsamen Feind in der Polizei haben. „ACAB“,
„1312“ oder „friends don’t let friends become cops“ sind einige der bekanntesten Botschaften.
Im Namen des dritten Motivs, dem Sprayen aus Mobilisierungsgründen, treffen sich KünstlerInnen und InteressenvertreterInnen, obwohl
die Teilung der Szene in reine Namenssprüher, Antifas und Hansafans
nicht trägt – die personellen Überschneidungen sind enorm und wer
im Namen der genannten Gruppeninteressen sprüht, verzichtet noch
lange nicht auf die Verbreitung seines Namens und dem seiner Crew.
In den vergangenen Jahren waren es vor allem drei Kampagnen, die,
aus dem Motiv der Mobilisierung heraus, das Stadtbild geprägt haben.
Im Jahr 2014 betraf das vor allem Botschaften mit Bezug auf das Gastspiel von Dynamo Dresden in Rostock, etwa „29.11 – alles ist erlaubt“
oder „Sachsen jagen“ bzw. „Sachsen raus“. Auf antifaschistischer Seite zeugen die Reste der Graffitis „Weißt du wer Mehmet Turgut war“
und „Mehmet Turgut – am 25.02.2004 von Neonazis erschossen“
von dem Versuch mittels Straßenbotschaften auf politische
Missstände hinzuweisen. Im Jahr 2015 kam es zu
einer bemerkenswerten Symbiose, als im Zuge
des Prozesses gegen einen Hansa-Fan und
Antifaschisten „Schubi“ genannt,
im Straßenbild „free Schubi“Schriftzüge auftauchten. Diese Dinge
sind in ihrer Botschaft offensichtlich und speziell für jene gedacht, die
in Kontakt mit der Szene stehen.
Doch hier ist das offensichtlich sichtbare lediglich die Kultur, die sonst
oftmals codiert und damit nach einem für Außenstehende nicht einsehbaren Codex funktioniert. Mit dem Blick eines Szene-Insiders durch die
Stadt zu gehen, ist daher auch ein Blick auf das, was die Anhänger der
Subkultur momentan bewegt. In der letzten Zeit war das vor allem eine
vierteilige Buchstabenkombination: MOEL. Der in jungen Jahren plötzlich verstorbene Sprüher war hochgeachtet, entsprechend groß fielen die
Reaktionen aus. „RIP MOEL“ oder „King MOEL“ Schriftzüge erschienen
seitdem über ganz Rostock verteilt. Bilder ihm zu Ehren entstanden an
zentralen Punkte, wie etwa dem Skaterpark in der August-Bebel-Straße
oder am Steintor. Nicht zu vergessen der meterhohe Schriftzug seiner
Lebensdaten am Margaretenplatz.
Was daran vor allem fasziniert, ist die Ernsthaftigkeit und – einmal mehr –
der Respekt, der sich in dieser Geschichte widerspiegelt. Ganz nebenbei
lösen diese beiden Elemente mögliche Fragen nach Sinn und Unsinn von
Graffitis und nach dem oft erhobenen Vorwurf der Kulturlosigkeit. Bei einer Szene, die derartige Mechanismen und Standards pflegt und die solch
eine Differenziertheit aufweist, stellt sich die Frage nach ihrer Berechtigung nicht – das Vorhandene beantwortet sie durch die bloße Materialisierung der genannten Motive. Soll heißen: Wenn eine so große Menge
von Personen so viel Energie in die Erstellung von Bildern steckt, dann ist
das Interesse allein durch die Anzahl legitimiert – demokratischer kann
Kunst nicht sein. Ein Spaziergang mit ihm ist daher eine Dekodierung der
Zeichen und der inhärenten Symbolik, die ohne Hilfe nicht erschlossen
werden kann. Und wie Opernbesucher darauf angewiesen sind, sich über
das Wissen von musikalischen Formen und textlichen Hintergründen ein
über das ästhetische Empfinden herausgehendes Erleben zu erarbeiten, so
ist Graffiti auch nur mit den Geschichten, die hinter den Bildern stehen,
als Kultur verständlich. Und Kultur fragt nicht nach Eigentumsverhältnissen, sondern ist allein der Kunst der Schaffenden verpflichtet. Wer Graffiti
verstehen möchte, sollte also nach der Kultur fragen – nicht nach der Legalität der Ausdrucksform. Denn Graffiti lebt von der durch die Illegalität
erzeugten Kurzweiligkeit und den damit verbundenen ständigen Veränderungen sowie dem Willen
dazu, was einzigartiges
Merkmal
dieser
Subkultur
ist.
42
Das Hadern
mit der Geschichte
Eine Buchbesprechung des Romans Das ist eine Geschichte.
Autor Martin Fietze verheddert sich auch mal im Hadern mit seinen Zweifeln.
Fangen wir mit einem Resümee an: Gerlof bietet guten Stoff, aber eine sperrige Geschichte.
Oder in Germanistendeutsch gesprochen: Das
ist eine gute Diegese, aber eine umständliche
Narration. So beginnt das Buch schon früh mit
einer denkbar langweiligen Konstruktion: Jüdische Tote kommen in einer Art Zwiegespräch
zu Wort, in dem sie nicht nur aus ihrem Leben
berichten und die aktuellen Geschehnisse im
Städtchen Warenberg kommentieren, sondern
sie reflektieren obendrein noch ihre Erzählkomplizenschaft mit der Autorin. So soll wohl dem
Eindruck eines moralisierenden Impetus des
Buches vorgebeugt werden, das in seiner multiperspektiven Erzählausrichtung Ausschnitte
aus dem Leben ausgewählter Figuren in der
Salomon-Weinreb-Straße wiedergibt, in deren
beschauliches ostdeutsches Dorfleben der Engel
der Geschichte hereingebrochen ist.
Gerlofs Konstruktion läuft leer, denn das Toten„Interview“ bildet nur einen Rahmen für das
eigentliche Geschehen, ohne eine bedeutsame
Rolle für die Figuren und ihre Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zu übernehmen. Stattdessen schickt eine jüdische Erbengemeinschaft ihren Anwalt vor, der deren
Ansprüche auf Land- und Hausbesitz in Warenberg geltend macht. Plötzlich sind fast alle
Bewohner des Ortes betroffen (außer dem zugezogenen Dönermann) und aufgerufen, sich mit
der Geschichte ihrer Heimat und ihrer Vorfah-
ren auseinanderzusetzen. Was hat mein Vater
im Krieg getan? Wie erwarben die Eltern oder
Großeltern das Haus, in dem ich heute lebe? Bin
ich als Tochter von Widerstandskämpfern den
Erben überhaupt etwas schuldig? Die Suche
nach Wahrheit und Reinwaschung von Sünden
fällt bei solchen Fragen oftmals zusammen.
Doch kann meist keine Wahrheit gefunden
werden, sondern nur eine Haltung, die dann
wiederum Auskunft über die Mentalität der jeweiligen Person gibt.
In Gerlofs Buch gerät nun das Warenberger Bürgerbündnis gegen die Erbengemeinschaft durch
die zermürbende Auseinandersetzung mit
deutscher Schuld, historischer Gerechtigkeit
und Verlustängsten in der Nachwendezeit ins
Wanken. Ob Lokaljournalist, Geschichtslehrer
oder junge Rechtsanwältin – die Figuren driften bisweilen ins Prototypische ab. Sie werden
nicht richtig lebendig und schmiegen sich so
sanft aufs Papier wie feuilletonistische Druckerschwärze. Der hochgelobte Tonfall Gerlofs ist
hier alles andere als schnörkellos.
Aber ist die erwähnte Erzählkonstruktion
wirklich so misslungen? Das Gespräch mit den
Toten wäre immerhin ein Verstoß gegen eine realistische Wirklichkeitsauffassung und ist doch
nur in der selbstreflexiven Wortsuppe möglich,
wo die Literatur sich selbst thematisiert und
Lesende wie Schreibende den Deckmantel der
Fiktion ein wenig zur Seite legen, während
43
sie den Vertrag fürs Weiterlesen ausgestalten.
Dieser fiktionale Pakt wird im vorliegenden
Fall auf die Erzählung der Toten verlagert und
müsste geradezu schmerzlich ausfallen, denn
der Lesende wird aufgefordert, sein Verhältnis zu der einen Geschichte zu definieren, an
der sich auch die Figuren abarbeiten müssen.
Doch irgendwie perlt das Geschilderte ab wie
Wasser. Es hinterlässt keine Schlieren und ohne
Shampoo macht es auch nicht wirklich sauber.
Man erwartet ja keine Gehirnwäsche, aber eine
emotionale Betroffenheit beim Lesen würde die
Tristesse greifbarer machen.
Die eine Geschichte, ist auch die, die Ost und
West verbindet. Es geht um die deutsche Schuld
und den Umgang mit den Nazigräueln. Nur
wurde diese Geschichte im Osten unter ganz
anderen Bedingungen verwaltet, als sie nach
der Wende vorzufinden waren. Das Umschreiben dieser Geschichte entzieht nun nicht nur
den Figuren den Boden, sondern auch uns Lesenden. Denn in unseren götzendämmerigen
Tagen hat sich zuletzt wieder gezeigt: Auch
hierzulande, in Ost wie West, hat der Engel der
Geschichte (neben der Abschaffung des eben
verwendeten Begriffspaares) noch einiges zu
tun.
Kathrin Gerlof: Das ist eine Geschichte
396 Seiten, Aufbau Verlag, 978-3-351-03563-1
19,99 Euro
:
im
it
r
a
m
's
t
h
c
a
m
M adse n
Musik mit Meerwert
Zum Ende des letzten Jahres gab sich
Madsen mal wieder die Ehre in Rostock. Der
heuler traf sich mit Drummer Sascha Madsen
und Bassist Niko Maurer zum Interview.
Niko: Es ist nur schade, dass im Winter diese Fähren hier nicht fahren.
Sascha: Das stimmt. Wir wollten nach Warnemünde raus, aber das war
nicht möglich. Ich wollte mir Rostock vom Boot aus angucken. Und das
Geländer, von dem aus man so einen schönen Ausblick hatte, ist auch
weg. Letztes mal, als wir gespielt haben, haben wir abends noch schön
darauf gesessen und Bier getrunken. Wo ist das hin?
Das war früher der Zugang zur Georg Büchner, die ja leider ganz
zufällig auf dem Weg ins litauische Klaipeda gesunken ist. Wenn ihr
in Rostock seid, dann spielt ihr immer im M.A.U. Wie kommt das?
Sascha: Na, die Stadthalle zum Beispiel ist zu groß. Dann spielen wir lieber noch mal hier, wo es rappelvoll und schwitzig ist. Wir haben es auch
im Moya probiert, aber das ist kein schöner Laden, das macht keinen Spaß
da zu spielen. Deswegen kommen wir wieder hier zurück.
Niko: Hier ist es schön, hier sind die Leute alle gut drauf, alle nett und
haben eine gute Einstellung. Auch wenn sie Hansafans sind.
Sascha: Na gut, in Rostock kann man das niemandem zum Vorwurf machen.
Von Hansa Rostock zurück zu eurer Musik. Das Album Kompass
ist im Vergleich zum letzten Album Wo Es Beginnt wieder rockiger geworden, die Texte hingegen poppiger: viele Liebeslieder.
Gibt es dafür eine Erklärung?
Sascha: Diese Stilentwicklung sieht jeder anders. Ich zum Beispiel sehe es
nicht so. Das hat aber überhaupt nichts zu bedeuten, es hält sich immer
so die Waage. Das finde ich total interessant, aber eine Erklärung habe
Autor*innen Anne Halbauer und Ole Schulz mögen Alliterationen. // Foto:
Marco Sensche
heuler: Gerade uns Rostocker*innen fällt auf, dass das neue Album Kompass viele maritime Motive hat, wie zum Beispiel Anker,
Sirenen, Leuchtturm. Wie kommt das?
Sascha: Wir haben schon sehr oft in Rostock gespielt. Ich glaube 2001 das
erste Mal als Vorband von „Die Happy“. Deswegen hat uns natürlich der
Norden inspiriert (lacht).
Das Album ist also als Hommage an Rostock zu verstehen?
Niko: Genau, das neue Album ist nur Rostock gewidmet (lacht), weil es
hier einfach so wunderschön ist.
Habt Ihr während der Tour überhaupt Zeit, die Stadt kennenzulernen?
Niko: Klar, wir kommen schon morgens an. Ich bin heute um halb elf aufgestanden, hab einen Kaffee getrunken und bin dann in die Stadt gelaufen.
Sascha: Was ich eigentlich immer hier mache, weil Rostock so schön ist
und wir oft in der Weihnachtszeit hier spielen, ist, noch mal über den
Weihnachtsmarkt zu flanieren und die letzten Weihnachtsgeschenke einzukaufen.
44
Sascha: Wenn sich die Gelegenheit bietet und wir uns sicher und einig
sind, dann machen wir das sofort. Wir haben uns auch für Flüchtlinge
ziemlich stark eingesetzt, haben Shirts verkauft – eigens entworfene „Refugees Welcome“-Shirts und haben da 10.000 Euro zusammengetrommelt und gespendet. Man kann sich allerdings nicht für jede gute Sache
einsetzen. Wenn es immer mehr wird, wofür man sich einsetzt, dann
wird es irgendwann unglaubwürdig.
Niko: Eben, es ist natürlich extrem wichtig, sich zu platzieren und seine
Meinung zu sagen, man sollte es aber nicht als Promotion für sich selbst
nehmen und es immer raushängen lassen.
Was habt ihr vor der Musik eigentlich so gemacht? Was uns als
Studierendenmagazin natürlich auch interessiert: Habt ihr Erfahrungen mit der Uni?
Sascha: Ich fang an, bei mir geht’s ganz schnell: Ich hatte eine Aufnahmeprüfung, bin sensationell durchgerasselt und das war meine Karriere
an der Uni.
Was wolltest du studieren?
Sascha: Musikpädagogik. Ich hatte im pädagogischen Prüfungsteil eine Zwei
und in den beiden musiktheoretischen Prüfungsteilen jeweils eine Fünf.
Niko: Ich hatte in der Schule in Musik auch immer eine Fünf. Nach dem Abi
habe ich erst Zivildienst gemacht, dann in Braunschweig ein Jahr Informatik studiert. Das war mir dann zu heftig und dann bin ich nach Magdeburg
gegangen und habe dort zwei Jahre Computervisualistik studiert. Dann
war mir Magdeburg zu heftig (lacht). Es hat mir schon gut gefallen, auch
die Uni und so, aber dann war einfach keine Zeit mehr dafür, weil es mit
der Band auch soweit los ging, dass wir 120 Konzerte im Jahr gespielt haben
und jede zweite Woche bei MTV zu sehen waren.
Sascha: Madsen hat dein Leben bestimmt.
Niko: Ja, du hast mein Leben bestimmt.
Kommt mit dem Bekanntheitsgrad auch ein gewisser Druck, z. B.
Erwartungen an neue Songs?
Sascha: Natürlich gibt es einen gewissen Druck und den braucht man
auch. Aber den meisten Druck legen wir uns selbst auf.
Niko: Eigentlich haben wir nie Druck gehabt, in dem und dem Zeitraum,
das und das geschrieben, aufgenommen und gemacht haben zu müssen.
Sascha: Wir hatten noch nie eine Plattenfirma, die gesagt hat: Im Vertrag
steht, das Album muss dann und dann fertig sein. Überhaupt nicht. Das
Album war fertig, wenn es die Songs dazu gab. Das dauert dann manchmal ein halbes Jahr und manchmal drei Jahre. Wir haben auch das Glück,
dass wir so viele Menschen erreichen und so viele zu den Konzerten kommen, auch wenn wir zwei Jahre mal kein Album machen ... obwohl das
selten vorkommt, dass wir in zwei Jahren mal kein Album machen.
Ihr spracht vorhin davon, jede zweite Woche bei MTV gewesen
zu sein. Ich habe euch durch den MTV Bandtrip entdeckt. Hättet
ihr darauf noch mal Lust?
Sascha: (lacht) Nee, auf keinen Fall. Dann fahren wir lieber mit dem
Goethe-Institut nach Japan. Aber wirklich, so einen Scheiß machen wir
nie wieder.
Anstrengend?
Sascha: Sau anstrengend und total sinnlos. Gib uns ein Auto, pack da unsere Instrumente ein und fahr mit uns – keine Ahnung – in den mittleren
Osten oder irgendwas. Aber nicht einfach gegen eine andere deutsche
Band und MTV denkt sich lustige Aufgaben auf. Bitte, bitte nicht.
Grüße an MTV an dieser Stelle.
Sascha: Ja Grüße, war schön mit euch. Viel Spaß beim Untergang. Obwohl das nehme ich zurück. MTV Unplugged, das machen wir, wenn ihr
uns fragt.
ich nicht. Wo Es Beginnt war das Album, mit dem wir zurück zu den
Wurzel wollten – selbstproduziert, rein ins Studio, Verstärker aufdrehen.
Kompass ist viel filigraner und auch gecheckter. Wir haben zwar auch die
Verstärker aufgedreht, haben dabei aber verschiedene Einstellungen ausprobiert. Was die Texte angeht, kommen wir zurück zur Anfangsfrage,
wegen des Maritimen. Kompass beschreibt ein Fernweh, oder einfach
eine Reiselust. Man sehnt sich an andere Orte, man sehnt sich danach,
in den Sturm zu geraten, nach Abenteuern. Sebastian – er schreibt ja
vornehmlich die Texte – hat mal gesagt, dass er einfach Bock auf Urlaub
hatte; sich woanders hin gedacht hat. Es war aber keine Zeit für Urlaub
und deswegen hat er das in die Texte gesteckt.
Dazu haben wir auch eine LeserInnenfrage.
Sascha: Jetzt bin ich gespannt. „Wie schafft ihr es immer so verdammt
gut auszusehen?“
Fast: „Ich liebe das neue Album und die Band, aber ich habe mich
schon mehrfach gefragt, ob der Song Fluten zu Zeiten ertrinkender Menschen im Mittelmeer nicht ein wenig zu makaber ist?“
Sascha: Überhaupt nicht. Natürlich, wenn man das Lied ertrinkenden
Menschen im Mittelmeer gegenüberstellt, kann es da makaber anmuten.
Aber wenn man es so sieht, dann müsste die Hälfte der gesamten Musik
verboten werden.
Niko: Es ist ja eine ganze Zeit vorher entstanden, bevor die Thematik
richtig aufgekommen ist.
Sascha: Wobei die Ertrinkenden im Mittelmeer gibt’s ja nicht erst seit
Kurzem.
Niko: Ja das stimmt natürlich. Aber dass es durch die Medien breitgetreten wurde, kam natürlich erst später.
Sascha: Ich kann die Frage verstehen. Aber das Lied ist aus einem völlig
anderen Motiv heraus entstanden.
Einige eurer Songs haben auch Motive, die man als politisch bezeichnen könnte. Allerdings sind diese oft unkonkret. Es wird
selten auf spezifische Situationen eingegangen, sondern allgemein über Probleme wie z. B. Krieg in dem Lied Sirenen gesungen. Warum seid ihr nicht direkter?
Sascha: Ich denke, Sirenen ist für uns schon eine Ausnahme, weil ich
das auch selbst als politisch bezeichnen würde. Da ist eine klare Message
drin. Bei so einem Lied wie Du schreibst Geschichte ist das eher versteckt. Es ist wahnsinnig schwer auf Deutsch wirklich politisch zu sein
und zu texten, weil es dann ganz schnell mit erhobenem Zeigefinger und
dem Motto „du sollst aber nicht“ einhergeht. Das wollen wir auf jeden
Fall vermeiden, das liegt uns auch nicht.
Du schreibst Geschichte wurde auch von einer sehr rechts angesiedelten Partei zu Wahlkampfzwecken genutzt, wogegen wir natürlich sofort
rechtliche Schritte eingeleitet haben – stillschweigend, um ihnen keine
Plattform zu bieten.
Niko: Letztendlich sind wir eine Band, die natürlich politisch ist. Wir sind
politisch denkende Menschen. Wir wollen die Leute zum Nachdenken
anregen, sodass sie sich eine eigene Meinung bilden können. „Bild dir deine Meinung.“ (lacht) Nein, genau so nicht! Aber wirklich, dass die Leute
nicht einfach mit Scheuklappen vor den Augen und Kopfhörern auf durch
die Welt laufen und nichts mitkriegen und sich nur von irgendwelchen
Idioten beeinflussen lassen.
Sascha: Genau, dann lieber mal auf einer Anti-Kastor-Demo spielen oder
auf einer Gegendemo zum 1. Mai. Lieber so darauf aufmerksam machen.
Man kann gar nicht oft genug sagen, dass Nationalsozialismus und rechtes Gedankengut nach wie vor – oder sogar mehr als zuvor – wieder in
Deutschland und überall auf der Welt ein riesen Problem ist.
Es gibt ja noch viele weitere wichtige Themen, für oder gegen die
mensch sich einsetzen kann, wie zum Beispiel gegen Sexismus
und Homophobie. Wie sieht es da bei euch aus?
Danke für das Interview und viel Spaß beim Konzert.
45
Laufen lernen
auf den Bret
die die Welt
An der Hochschule für Musik und Theater (hmt) werden jedes
Jahr zehn junge Menschen zu SchauspielerInnen ausgebildet.
Von dieser sehr besonderen und intensiven Zeit mit Höhen und
Tiefen berichtet ein diesjähriger Absolvent.
AutorInnen Anne Halbauer und Tom Putensen genießen die Schauspielerei aus der Zuschauerperspektive.
wie Mathilde. Andere kamen von der Uni so wie Jan, der Kultur und
Technik studierte hatte“, erinnert sich Caspar. Es einte sie der Wunsch,
den Schauspielberuf zu ergreifen.
Das anschließende Studium unterscheidet sich sowohl quantitativ als
auch qualitativ sehr von dem an einer Universität. „Auf jeden Studierenden kommen so ungefähr zwei Dozenten“, schätzt Caspar das Betreuungsverhältnis ein. In jedem Semester gibt es einen Stundenplan,
unterrichtet werden die Studierenden neben drei Stunden Hauptfach
Schauspiel am Tag auch musikalisch (Gesang und Chor) und sportlich.
Koordination und Kondition stehen beim Sport im Vordergrund, um ein
Bewusstsein für den eigenen Körper zu schaffen. Besonders spektakulär
gehe es in der Hochschule her, wenn die Schauspielstudierenden gerade
das Bühnenfechten trainieren und sich vor dem Katharinensaal oder in
der Mensa beim Kulturcafé spannende Showkämpfe liefern, so ein Musikstudierender der Hochschule. Doch auf dem Stundenplan stehe auch
trockene Theorie, die von der Geschichte des Schauspiels über Literaturstudien bis hin zu wissenschaftlicher Filmanalyse gehe. Gearbeitet
wird in verschiedenen Sozialformen: Einzelunterricht zum Beispiel bei
Stimmbildung und Gesang, Gruppenunterricht bei Szenenstudien und
im gesamten Jahrgang bei Theorieveranstaltungen oder Bewegung. Hinzu kommen besondere Projekte, die an den Wochenenden oder in der
vorlesungsfreien Zeit stattfinden. Im ersten Semester ist ein solches Projekt das Weihnachtsmärchen, das die zehn Studierenden erarbeiten und
an unterschiedlichen Theatern aufführen. Eine sehr prägende Veranstaltung, die ebenfalls im ersten Semester stattfindet, war der Ensemblekurs.
Zwanzig, so hoch ist die durchschnittlich empfohlene Anzahl an Semesterwochenstunden der Universität. Das
entspricht gerade mal zehn Veranstaltungen, locker verteilt zwischen Montag und
Donnerstag, denn ganz ehrlich, wer freitags in der Uni sitzt, hat irgendetwas falsch
gemacht. Wer aber regelmäßig auch samstags, sonntags und fast jeden Tag von 8 bis 23
Uhr am Institut ist, der studiert wahrscheinlich
an der Hochschule für Musik und Theater. Zum
Beispiel Schauspiel.
So wie Caspar Weimann (22 Jahre), der im November 2015 zusammen mit seinem Jahrgang nach
drei Jahren Schauspielstudium sein Diplomvorspiel
absolvierte, einer der Höhepunkte des Studiums. Den
gebürtigen Magdeburger verband seit seiner Kindheit
die Leidenschaft zum Theater, sodass für ihn schon früh
sein Berufswunsch feststand. „Als ich erfuhr, dass man
Schauspiel studieren kann, wollte ich es studieren“ Ein Studium an einer staatlichen Hochschule ist für die Zukunft als
SchauspielerIn wichtig, um sich zu legitimieren. „Das Problem
ist, dass der Beruf des Schauspielers nicht geschützt ist, jeder Arsch
kann sich so nennen“, echauffiert sich Caspar. Dass er im ersten Anlauf und direkt nach dem Abitur einen Studienplatz bekam, ist keine
Selbstverständlichkeit. An der hmt Rostock versuchen jedes Jahr um
die 700 BewerberInnen aus ganz Deutschland und Österreich einen der
zehn begehrten Plätze zu ergattern. In drei nervenaufreibenden Runden
zeigen die potentiellen Studierenden bei der Aufnahmeprüfung bis zu
acht verschiedene Rollen, außerdem werden sie in Bewegung und
Gesang geprüft. Nach der dritten Runde, die morgens um 9 Uhr
startete, erfuhr Caspar nach insgesamt 18 Stunden Vorspielen
und Warten zusammen mit vier weiteren Männern und fünf
Frauen, dass er angenommen worden ist. Zehn sehr unterschiedliche Charaktere, die wohl im normalen Leben nie
zusammen gefunden hätten, arbeiteten ab diesem Zeitpunkt sehr eng miteinander. „Wir kamen alle mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Einige hatten schon viel
Bühnenerfahrung oder standen regelmäßig vor der Kamera
46
ttern,
t bedeuten
er nicht ausgeht, der brennt.“
Caspars Jahrgang gewann mit
seinem Tanztheater passenderweise den Ensemblepreis.
Neben all der Euphorie hat der
Schauspielberuf natürlich auch seine Schattenseiten. Einstiegsgagen
von 1.750 Euro brutto im Monat,
ein Normadenleben, gebunden an die
Zweijahresverträge der Theater und
allgemeine Einsparungen im kulturellen Bereich sorgen nicht für Zuversicht.
Trotzdem blicken Caspar und seine KommilitonInnen optimistisch in die Zukunft.
Alle zehn möchten sich zunächst an Theatern bewerben, um ein Erstengagement in
einem Ensemble zu bekommen. Was danach
komme, wisse man nicht. Es wird vielleicht
auch einige in Richtung Film verschlagen, doch
dieses freie Arbeiten sei zunächst nichts für Caspar. „Man hat ein sehr ungeregeltes Einkommen.
An zehn Tagen kann man 10.000 Euro verdienen
und danach monatelang nichts.“
Wessen Feuer nicht ausgeht, der brennt.
„Wir sind zu zehnt für zwölf Tage auf eine Scheune auf's Land rausgefahren. Was wir da genau gemacht haben, darf ich nicht verraten, da das
alle Schauspiel-Erstis selbst durchleben sollen, aber es hat mir und uns
als Ensemble sehr viel gebracht. Wir haben dort gelernt, dass es wichtig
ist, Konflikte nicht zu meiden, sondern sie auszuleben. Wir haben im
Jahrgang beschlossen, Entscheidungen nicht demokratisch zu treffen,
sondern absolut. Das bedeutet, dass so lange diskutiert wird, bis sich
alle geeinigt haben. Dadurch gibt es keine Verlierer: Bin ich nicht zu
100 Prozent vom Nein überzeugt, dann stimme ich Ja. Andersherum
kann ich meine Meinung solange verteidigen, bis ich ehrlich das Gegenteil unterstütze. Auf Dauer ist das nachhaltiger und gesünder. Unserem
Jahrgang hat das sehr gut getan. Als wir zum Theatertreffen deutschsprachiger Schauspielstudierender 2015 nach Bochum gefahren sind,
mussten wir uns entscheiden mit welchem Stück wir am Wettbewerb
teilnehmen. Zur Auswahl stand unsere Studioinszenierung Shoppen,
als auch das Tanzstück Ein Stück Bewegung. Wir haben uns nächtelang
die Köpfe heiß diskutiert, bis wir uns schließlich auf letzteres einigten.
Die Aufführung war eines der unbeschreiblichsten Momente meines
Studiums. Wir waren alle zu 100 Prozent dabei, haben gespielt, haben
es gefühlt – ich war klitschnass, denn an mir klebte der Schweiß von mir
und neun weiteren Menschen. Es war der totale Rausch. Nach Ende des
Stückes haben wir geheult vor Adrenalin, alles in uns fühlte gleichzeitig. Was da passierte, das war das romantische Prinzip des Schauspiels:
Es geht alles um den einen Moment, und dieser ist flüchtig, denn jede
Aufführung ist anders. Etwas gemeinsam mit dem Publikum zu erleben,
darum geht es bei diesem Beruf und das ist der Antrieb. Wessen Feu-
Ich bin mein Produkt.
Die Verbindung zur Hochschule sei stärker, als das bei
üblichen Ausbildungswegen der Fall sei. Sie habe es geschafft, den Grundstein für ihre Zukunft zu legen: Nicht nur
technisch, sondern auch in Bezug auf den Umgang mit dem
Beruf, bei dem der Mensch das Produkt der Arbeit sei. Im späteren Berufsalltag stehe der Schauspieler als Person stets in der Kritik
der Öffentlichkeit. Sich von seiner Arbeit distanzieren zu können,
sei Selbstschutz und so ging es im Studium auch darum, sich mit dem
eigenen Ich auseinanderzusetzen und sich zu reflektieren.
Nach dem Diplomvorspiel endet für die zehn Studierenden die gemeinsame Lernzeit an der hmt. Im letzten Jahr ihrer Ausbildung können sie
sich mit eigenen Projekten beschäftigen, haben Zeit, ihre Diplomarbeit
zu schreiben und sich an Theatern zu bewerben. Wir wünschen ihnen
viel Erfolg für die Zukunft.
47
Kultour #vier
Pl at t e
Autor Frit z Beise ist eue
Alles Nix Konkretes //
_ AnnenMayKantereit –
r Reiseleiter.
16)
Universal Music (18.3.20
en sie musikalisch die
zur Mischung. Mal geb
’s kräftige Röhre passt
May
ertoire und das kön g
nin
Rep
ins
Hen
.
n
öre
thin
e geh
5 schlech
bs. Auch die sanften Tön
-Pu
Die Newcomer-Band 201
Irish
s
eine
her
mac
Stimmungs
Kap elle auf See, mal die
beweist .
, wie Bar fuß am Klavier
nen sie besonders gut
rten // Destiny Records
_ Terrorgruppe – Tierga
(15.1.2016)
h
6 wie der da. Ist das noc
36. Geburts tag des SO3
mel und die politiund pünktlich 2014 zum
ram
nt
sch
ren
kge
get
re
Pun
e
Jah
n
isch
Zeh
er.
z, das typ
Totges agte leb en läng
den lang vermissten Wit
Die neuen Songs liefern
Punkro ck? Allerdings.
ten.
hne
zeic
aus
er
imm
on
d sch
schen Inhalte, die die Ban
ul Cr
_ Elton John – Wonderf
rcury (5.
az y Night // Capitol/Me
2.2016)
nigen, die es
sich hören. Einer der We
ren Abs tinenz wie der von
er in den Köpfen
Jah
i
imm
dre
für
h
die
nac
t
n,
läss
iere
s
duz
r zu pro
ischen Pop
en in C-Dur Ohr würme
Der Altmeister des brit
ord
Akk
vier
als
hr
me
auch mit
immer wie der schaffen,
bleiben werden.
Pr oj e k t i o n
.2016)
l // Universal Pic tures (7.1
Gir
h
nis
Da
e
Th
–
er
op
zum
_ Tom Ho
kt und por trätiert , zurück
leider stec
sie ihren Mann in Frauenk
ennt. Eine großar tige Um
h einer Alb ernheit , in der
seine weibliche Seite erk
er
dem
in
,
aos
Eine Malerin gelangt nac
sch
ühl
Gef
s
ere
inn
ein
an
da
von
Erfolg. Für ihn beginnt
rnen Themas.
setzung eines hochmode
nd
_ Brian Helgeland – Lege
)
// Studiocanal (31.12.2015
sche mit der
und Ronald, der choleri
schlagene von beiden,
ver
durcheinan der
aft
d,
rsch
inal
tne
Reg
Par
ge
he
chäftlic
Die Kray-Zwillin
Eine Frau bringt die ges
elt.
London in den 196 0ern:
erw
Unt
die
h
nac
bern nach und
Legende.
psychischen Störung, ero
Inhalt bleibt hoffentlich
englischem Humor. Der
der. Pop corn-K ino mit
_ Jason Zada – The Fores
016)
t // Splendid Film (14.1.2
0 nah als Selbstmordwald. 201
ara -Wald in Japan. Er gilt
afft ,
igah
sch
es
Aok
er
den
Ob
.
in
a
um
Sar
teri
reales Mys
r Schwes ter zieht es
sem Horrors treifen ein
Auf der Suche nach ihre
Zada verarb eitet in die
en.
Leb
das
t
dor
en
men sich 57 Mensch
ten Jahre zu ziehen?
Qualitätssumpf der letz
das Genre wie der aus dem
Pa p i e r
us des Windes // Aufbau
_ Louise Erdrich – Das Ha
(14.1.2016)
t in
es. Der 14-jährige Joe räch
lerliste der New York Tim
gen.
und zum Ekeln zu brin
natelang auf der Bes tsel
hen
mo
r
Lac
Jah
zum
,
ten
letz
nen
im
Wei
r
zum
, abe
uns
ung
es
hein
afft
ersc
sch
Neu
orin
e
Aut
kein
Ja,
tter. Die
Verbre chen an seiner Mu
Nor th Dakota ein übles
ich.
ältl
erh
ch
nbu
che
Tas
Jetz t als
r irdisch
_ Horst Evers – Alles auße
// Rowohlt (22.1.2016)
auf
ter stür zt ein Raumschiff
h wenige Sekunden spä
oist endlich geglück t, doc
eine Ver schwörungsthe
BER
wie
gt
ens
haf
klin
Flug
Was
r
.
hte
line
höhere Mäc
Die Eröffnung des Ber
ürdige Menschen und
rkw
me
he,
disc
erir
die Landebahnen. Auß
an.
herrlich grotesker Rom
rie, ist zum Glück nur ein
.1.2016)
mit Pasha // Rowohlt (22
er
mm
So
r
De
–
ya
ka
ors
_ Yelena Akhti
in der Stadt. Jahre
en. Doch er verlier t sich
besuch
kte Mutter in New York
talgische Geschichte
r Pasha soll seine erk ran
geworden ist. Eine nos
ihm
aus
was
n,
nde
zufi
Der tollpat schige Dichte
aus
her
um
ssa,
Ode
in
hte
e Nic
später besucht ihn sein
nicht aussuchen kann.
s man sich seine Familie
über die Tats ache, das
48
r
e
d
n
e
l
a
k
r
u
o
t
Kul
13.12.15
bis
28.02.16
nsthalle
Rankin – Less is more // Ku
10.
tz // M.A
Terrorgruppe + The Flexfi
12z.
//
Subway To Sally – Neon
26z.
thalle
Gestör t aber Geil // Stad
02. .
.A
Itchy Poopzkid – KID // M
29.
Eure Müt ter // Moya
Feb
Mär
Mär
Apr
Jan
.U.
Nikolaikirche
.U.
11z.
twendigkeit // Stadthalle
No
e
nd
ge
in
Sw
–
e
tk
ar
Bodo W
15z.
// M
Serdar Somuncu & Band
Mär
Mär
28.
Feb
02z.
Mär
06z.
Mär
oya
Iserlohn // Stadthalle
Seawolfes vs. Kangaroos
lstein Kiel // Ostseestadion
Ho
.
vs
k
oc
st
Ro
a
ns
Ha
e:
Derby-Tim
06
C Timmendorfer Strand
EH
.
vs
as
nh
ra
Pi
C
RE
t:
ei
Futterz
Ausstellung
Konzer t
Lustiges
Spor t
49
Rostock in 100 Worten
Autorin Loni Zacher schätzt Skurrilitäten am Wegesrand.
Ein bisschen Ruhrgebiet, ein bisschen Berlin;
Autos, Räder, Passanten – Vorsicht: Bahnsch ien'!
Wandelnd, doch sesshaft zugleich,
irgendw ie arm und trotzdem reich.
Du verbindest Rostocks Places to be,
erstreck st dich vom Saarplat z bis zum Dobi:
Fassaden von zauberhaft bis Griff ins Klo.
Nagelstudio, Versicherungen, Wandtat too,
Angelbedarf und elektrischer Rauch,
ich weiß nicht, was ich seltener brauch'
Tauchen, Modellbau, Rehazentrum?
Du änderst dich, kaum dreht man sich um,
die Mietprei sbezahlu ng – ein geheimes Wunder?
Schon mal im Maya gewesen oder Stralsunder?
Rostocks Vielfalt erlebt man hier
dank Imanma rket, Barber und Kumpir
und siehe da: auch afrikanischer Kram.
Oh Wismarsche, dein besonderer Charme!
Anzeige
50
Zeichnerin: Theresa John
51
ISSN 2363-8109