Freunde der Finsternis

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LEBENSART
Samstag/Sonntag, 24./25. Oktober 2015
Rhein-Neckar-Zeitung / RNZ Magazin / Nr. 246
N
achdem wir telefonisch einen Treffpunkt für unser
Gespräch verabredet haben, verabschiedet
sich
Mari mit den Worten: „Sie werden mich auf keinen Fall
nicht erkennen.“ Damit behält er Recht.
Noire Mari ist pünktlich. Einige Minuten vor der vereinbarten Zeit trifft er
am Café in der Heidelberger Altstadt ein
– nicht unbemerkt. Mit Zylinder und
Gehstock, schwarzem Brokatgehrock und
seitlich geschnürten Hosen, die in schweren Stiefeln stecken, ist er nicht gerade eine unauffällige Erscheinung.
Sein Händedruck ist fest, sein Auftreten freundlich. „Wir können uns bei
dem schönen Wetter gerne nach draußen
setzten“, antwortet er auf meine Frage
und entkräftet so gleich ein Vorurteil:
„Goths“ – so werden die Anhänger der
Gothic Kultur genannt – halten sich offensichtlich doch bei Tageslicht im Freien auf. „Ich bin gerne in der Natur“, bestätigt Mari und bestellt eine Weißweinschorle. Ein eher ungewöhnliches
Getränk für einen Goth, wie er zugibt,
normalerweise bevorzugt man in der Szene Rotwein oder Met.
„Wir grenzen den Tod...
Während wir auf unsere Getränke
warten, begutachte ich seine Aufmachung – ein Gesamtkunstwerk. Sein
dunkles Outfit wird durch reichlich
Spitznieten an Hals und Handgelenken,
Ohrringe und einen Nasenring ergänzt.
Unter dem Zylinder kommt ein kompromissloser Undercut zum Vorschein,
die rasierten Augenbrauen hat Mari mit
schwarzem Stift nachgezogen und mit
Schnörkeln versehen. Seine Fingernägel
sind schwarz lackiert, die Hände üppig
beringt und mit Netzstoff betont.
Bevor er abends ausgehe, verbringe er
schon mal zwei Stunden vor dem Spiegel, so der 33-Jährige, der in seiner Freizeit auch als Model im schwarzen Bereich tätig ist. In der Optik sehe er vor allem einen künstlerischen Aspekt, sein
Äußeres sei ihm eben sehr wichtig, ergänzt er. Er wolle Menschen durch seine
Kleidung weder auf Distanz halten noch
provozieren – im Gegenteil: er freue sich,
wenn er über sein Aussehen mit anderen
ins Gespräch komme. „Ich bin anders und
das drückt auch meine Aufmachung aus“,
sagt Mari und formuliert damit ein
Grundprinzip des Gothic: Individualismus. Das Schwarz als Farbe der Nachdenklichkeit und Ernsthaftigkeit verbinde zwar die Anhänger der Szene, Ausdruck und Stil seien jedoch – wie die Menschen selber – sehr verschieden.
...nicht aus“
Gothic ist für Mari eine ganzheitliche
Philosophie, die sein Leben verändert hat.
Aber was genau macht Gothic aus? Diese
Frage ist nicht so leicht zu beantworten,
denn die Subkultur setzt sich aus diversen Splittergruppen zusammen. Sie ist
keine homogene Bewegung mit allgemeingültigen philosophischen, religiösen, politischen oder ethischen Anschauungen. „Gewaltlosigkeit und Toleranz“, das betont Mari des Öfteren, seien jedoch ein starkes, verbindendes Element. Friedlich, aber auch unnahbar und
H
at sie mich jetzt ein zweites Mal angeschaut? Galt
das Lächeln mir? Soll ich
sie ansprechen? Wird sie
darauf einsteigen, oder
mich als Macho abkanzeln? Fragen, die
sich wohl so ziemlich jeder Mann schon
mal gestellt hat – und oft genug auch nicht
gehandelt hat. Sei es die Emanzipation,
sei es mangelndes Selbstbewusstsein, sei
es die überbordende politische Korrektheit – schon so mancher ersprießliche Flirt
wurde viel zu früh aufgegeben.
Doch dem Mann kann geholfen werden. Zum Beispiel via youtube: Lola
Sparks, ein langhaariges Mädchen mit einer etwas piepsigen Stimme, hat auf youtube mit ihren Ratgebern wie „Was Frauen wollen / So schnappst du dir jede Frau“
immerhin schon eine halbe Million Klicks.
„Beobachte die Frau im Gespräch,
„lest“ euer Gegenüber. Macht euch nicht
klein!“ sind die Tipps der 23-jährigen
Frankfurterin, die sie im Ton eines Ratschlags für einen guten Freund auf ihrem grauen Sofa sitzend vorträgt. Dass
ihre Ratschläge Wellen schlagen, ist auch
daraus abzulesen, dass sie auf das Feedback eingeht, das sie auf ihre Videos erhält. „Mädels wollen nicht gut behandelt
werden, sie nehmen doch immer die Typen, die sie schlecht behandeln“, schreibt
ihr ein Zuschauer. Ihre Antwort darauf
ist diplomatisch – Datingratschläge können bisweilen eine brisante Angelegenheit für das weibliche Geschlecht sein.
Mit der vollmundigen Ankündigung,
dass er europaweit als „Nummer 1-Experte“ in Sachen weiblicher Psychologie
bekannt sei, damit startet Estefano
Freunde der
Finsternis
Noire Mari und das schwarze Lebensgefühl / Was hat es
mit der Gothic-Szene auf sich? / Von Cordula Meffert
wirklichkeitsfremd – so werden Mitglieder der Szene häufig von außen wahrgenommen. Gleichgültigkeit und Todessehnsucht sind ebenfalls Eigenschaften, die mit Gothic assoziiert werden. Das streitet Mari jedoch ab. „Die
Szene hat keinen missionarischen Charakter“, sagt er. Möglich, dass das mit
Gleichgültigkeit verwechselt werde. „Jeder soll doch tun und lassen können, was
er will, solange er sich und anderen nicht
schadet.“
Er selbst sei durch seine Zugehörigkeit zur Szene toleranter geworden. Das
gelte zum einen für Lebensentwürfe, zum
anderen aber auch für die „wahre Kommunikation“, die in seinem Freundeskreis praktiziert und geschätzt werde.
„Wir reflektieren uns, positiv wie negativ, geben Feedback – ohne beleidigt zu
sein. Außerdem sprechen wir ehrlich über
unsere Befindlichkeiten.“ Letzteres sei
vielleicht auch ein Grund, aus dem oft
vermutet wird, dass viele Goths depressiv veranlagt seien: „Wir reden halt offen darüber, wenn es uns nicht gut geht.“
Und Todessehnsucht? Die empfindet
Mari ebenfalls nicht. „Aber: wir grenzen
den Tod nicht aus, sondern machen uns
Gedanken über ihn“.
Wie so viele ist Mari über die Musik
zur Szene gekommen: die Lieder der Band
„Wolfsheim“ waren der Impuls, sich näher mit Gothic zu befassen. Für Mari als
„schwarzen Romantiker“ muss Musik
Tiefgang haben, ihm gefallen verträumte
Klänge und Texte mit Substanz. Aber
auch „Suicide Commando“ mag er: harter Sound und drastische Worte über
Mord, Nekrophilie und Kannibalismus.
Die Faszination an Grausamkeit und Abgründen der menschlichen Seele, das Interesse an der Psychologie – des Bösen? –
scheint ein weiterer verbindender Aspekt des Gothic zu sein.
Dabei ist das, was Mari bei seinen
schwarzen Freunden findet vor allem Zusammenhalt, Unterstützung und natürlich gemeinsame Interessen. Viele Goths
sind künstlerisch tätig; das erklärt auch
die häufige Verwendung von Künstlernamen in der Szene – wie eben auch Noi-
Bevor er abends ausgehe, verbringe er schon mal zwei Stunden vor dem Spiegel, sagt Noire Mari, der auch als Model im schwarzen Bereich tätig ist. Fotos: snakeshooting/ bz s.t. fotographie
re Mari, dessen bürgerlicher Name hier
unerwähnt bleiben soll. Mari selber
schreibt und spielt Theater, engagiert sich
im Naturschutz und gegen Rassismus. Im
Freundeskreis liest man, diskutiert über
Philosophie, Mythologie und Musik. Auch
geht man gemeinsam auf Friedhöfe, um
dort „schweigend zu sitzen“. Zur Ruhe
kommen, nennt er es, an einem Ort mit romantischer, mystischer Ausstrahlung, an
dem man die Ästhetik alter Gräber bewundere.
Altersmäßig ist in der Szene, laut Mari, von 18 bis 80 alles dabei. Gerade diese
Vielfalt sei toll: verschiedenste Altersund Berufsgruppen feierten zusammen
und kämen dabei miteinander ins Gespräch. Apropos feiern: wo und wie feiern die Goths? Hauptstadt der Gothic
Szene ist Leipzig, ein Höhepunkt das
jährlich dort stattfindende Wave-GotikTreffen, das auch Mari regelmäßig besucht. In Heidelberg ist der Schwimmbadclub der Szenetreff, der aber Ende des
Jahres geschlossen wird. Ab 2016 wird
dann im Karlstorbahnhof weitergefeiert.
Schau mir in die Augen, Kleines
Dating kann für Männer eine schwierige Kiste sein / Von Dirk Engelhardt
d‘Elano. Er betreibt die Webseite
www.dating-psychologie.com. Die Titel
seiner Videos sind äußerst reißerisch getextet: „Dieses Kompliment macht Frauen verrückt nach dir...“ D‘Elano referiert
erst darüber, dass Komplimente über ihr
Aussehen Frauen langweilen würden, sie
sich meist höflich bedanken, der Mann
aber „keinen Schritt weiter“ sei. Das erfolgreiche Kompliment sei vielmehr eines, dass der Frau zeigt, das man sie nett
findet, sie sich aber anstrengen muss, um
ihn zu erobern. Etwa: „Dein Lächeln ist
das zweitsüßeste Lächeln, das ich heute
gesehen habe“. Ein Spruch dieser Art wäre wesentlich erfolgversprechender, so
der youtube-Coach.
Ihr Alter bringt dagegen Flirt-Expertin Gitta Schweitzer ins Spiel, die auf
youtube für sich mit den Worten wirbt:
„Wer kann Ihnen besser erklären, wie
Frauen wirklich ticken, an welchen Hürden Sie bisher gescheitert sind, als eine
erfahrene Frau?“ Oder soll man sich Tipps
vielleicht von lässigen Typen holen, wie
man sie aus der TV-Serie „How I met your
mother“ kennt? Die Autoren haben – geschäftstüchtig – gleich ein passendes Buch
herausgegeben, das „Playbook“. .
Substanzieller geht es im Werk „Das
Gesetz der Eroberung“ von Maximilian
Pütz zu. Auf immerhin 319 Seiten werden „perfekte Strategien, wie Sie jede
gibt der Frau einen Einblick in deine Persönlichkeit,“ weiß der Autor.
Für diese Präparation, die auf acht Seiten
geschildert wird, sollte
der Mann mindestens einen Urlaubstag vor dem
Date einplanen. Die Frage ist nur: wie bekomme
ich die Auserwählte
überhaupt so weit, ihre
Füße über die Schwelle
meiner Wohnung zu setMänner haben Angst davor, eine Frau anzusprechen, die at- zen? Hier versprechen die
traktiv ist. Foto: dpa
sogenannten „Pick-Up
Artists“ Hilfe. Die AufFrau erobern“, dargelegt. Das Buch ist für reißkünstler haben in Deutschland nach
absolute Anfänger konzipiert – allein drei dem Erscheinen des Buches „Die perSeiten werden Hinweise beschrieben, wie fekte Masche“ von Neil Strauss großen
man merkt, ob eine Frau interessiert ist.
Zulauf. Im Internet gibt es Gruppen in jeGenaue Beobachtungsgabe scheint der Stadt und auch schon viele Nachahdabei wichtig: „Sie steht bei der Unter- mer. Ihre Techniken sind zweifelsohne
haltung mit dir so, dass ihre Waden leicht wirksam, wenn auch umstritten.
nach außen gedreht und die Zehen auf„Diese Pick-Up Artists sind mir naeinander gerichtet sind, womit sie be- türlich bekannt, das sind ganz fähige junsonders harmlos und schutzbedürftig er- ge Männer“, entfährt es Annett Gaida (46),
scheint“, lautet ein Hinweis. Hilfreicher die als Single-Coach in Berlin arbeitet.
sind da die Erklärungen, wie aus einem „Es fehlt mir jedoch die Wertschätzung
Telefongespräch ein Date wird. Doch der Frau bei ihnen“. Gaida konstatiert,
Vorsicht! Erst muss die Wohnung ent- dass es den Aufreißern eher um Selbstsprechend präpariert werden, denn „sie bestätigung als darum geht, eine Frau
In Mannheim steigen schwarze Partys im
MS Connexion, in Karlsruhe im Nachtwerk. Eher langsames Tanzen ist hier angesagt, der Blick nach unten und innen
gerichtet, Paar- oder Gruppentänze gibt
es nicht. Auch Flirten wird eher negativ
bewertet – Tiefsinnigkeit als Partylaune.
Beruflich macht Noire Mari gerade eine Umschulung zum Jugend- und Heimerzieher, sein Look, den er zur Arbeit
schlichter hält, ist dabei kein Problem:
„Die Leute aus dem Sozialbereich sind
toleranter als andere.“ Aus Maris Familie und dem früheren Freundeskreis seien leider nicht alle so zugänglich – manche hätten seinen Lebensstil bis heute
nicht akzeptiert. Interesse oder sogar Bestätigung würden jedoch überwiegen.
„Ich habe nach wie vor auch bunte Freunde“ betont Mari. Es gehe bei Freundschaften um Gemeinsamkeiten und Sympathie und die verbinde ihn weiterhin mit
vielen Bekannten aus alten Zeiten. „Das
Wichtigste ist: ich muss mich nicht mehr
verstellen und habe ein glückliches, erfülltes Leben.“
wirklich kennenzulernen und vor allem
eine innige Beziehung aufzubauen. Die
Männer, die zu ihr zum Coaching kommen, haben oft eine gescheiterte Beziehung hinter sich und wissen nicht recht,
wie sie den Kontakt zum anderen Geschlecht aufbauen sollen. „Die Männer
haben vor allem Befürchtungen, jemand
anzusprechen, wenn diejenige attraktiv
ist“, ist ihre Erfahrung. Männer suchen
ihrer Erfahrung nach eher Hilfe im Internet, während Frauen ihre Freundin
oder Bekannte um Rat fragen. Sie rät, immer authentisch zu bleiben. Man könne
zwar hilfreiche Tipps aus Ratgebern herausziehen, aber damit würde lediglich
der Verstand gefüttert.
„Wichtig ist, dass etwas auf der emotionalen Ebene passiert“, so Gaida. Der
Coach arbeite mit Emotionen, und nur
damit würde beim Mann etwas bewegt.
Blockaden könnten schon durch ein
Kurzzeitcoaching (die Stunde bei Gaida
kostet 100 Euro) gelöst werden. Gaida betont, dass vor allem das Training wichtig
sei – beim Flirten genauso wie beim Fahrradfahren. Und noch ein letzter Tipp an
die Männer: „Ohne Erwartungshaltung
ist alles viel einfacher – wer nicht viel erwartet, wird weniger enttäuscht“.
F
i Info: Buchtipps: Das Gesetz der Eroberung. Maximilian Pütz, Heyne
Verlag, 2014, 8,99 Euro. Frauenheld,
5 Schritte zum erfüllten Sex- und Liebesleben, auch als Hörbuch. Mathew
Lovel, Advanced Personality Coaching Deutschland, 2013, 27 Euro. Suche Frau, biete mich. Regina Swoboda, Kösel-Verlag, 2014, 17,99 Euro.