02 Mittwoch, 17. Februar 2016 Antworten Leser fragen, die Redaktion recherchiert Prozess in Peine. Nach Berichten über Ärger auf der Polizeiwache hieß es allenthalben: Schon wieder diese M-Kurden! Doch der Fall liegt anders. Andre Dolle (links) berichtet vom Prozess. Ärger an der Tankstelle. Fabian Buß geht auf eine automobile Leserfrage ein. Die Tücke des Bürgerkrieges. Alexander Kohnen erläutert die Strategien der Mächte in Syrien. Der Leser-Test: Mehr Benzin, mehr Ärger Eine Expertin erklärt, warum die Herstellerangaben kaum einzuhalten sind. Unser Leser Klaus-Peter Querfurt aus Salzgitter fragt: Warum liegt der reale Benzinverbrauch meines Autos deutlich über dem vom Hersteller angegebenen Soll-Verbrauch? Rund um das Peiner Amtsgericht standen gestern Polizisten, im Gericht gab es eine Sicherheitsschleuse. Die angeklagten Kurden wurden verdächtigt, den beFoto: Henrik Bode rüchtigten Mhallamiye anzugehören, den sogenannten M-Kurden. Fotografieren lassen wollten sich die Angeklagten nicht. Peiner Kurden am Clan-Pranger Eine Großfamilie wurde von der Polizei offenbar zu Unrecht den berüchtigten M-Kurden zugerechnet. Das Gericht erkennt ihre Fehler, rehabilitiert die Familie aber weitgehend. Von Andre Dolle Peine. Vorurteile sind schnell ge- fällt. Sie zu entkräften, ist schwer. Diese Erfahrung musste eine kurdisch-stämmige Familie aus Peine machen. Sie wurde von der Polizei und vom Staatsschutz fälschlicherweise den Mhallamiye, den M-Kurden, zugerechnet. Deren Clans geraten öfter in Konflikt mit dem Gesetz. Einer der beiden Angeklagten, die sich gestern vor dem Amtsgericht Peine wegen Widerstands gegen Polizisten verantworten mussten, distanzierte sich klar von den M-Kurden. Zwar stamme er aus der Provinz Mardin in der Türkei, aus der die Volksgruppe kommt. Das heiße aber noch lange nicht, dass er und seine Familie den M-Kurden angehörig seien. „Ich habe mit den M-Kurden nichts zu tun“, behauptete der 28-Jährige. Der zuständige Richter Hinnerk Wollenweber folgte dieser Sichtweise. Der 28-Jährige muss eine Geldstrafe von 1200 Euro zahlen, seinen 30-jährigen Bruder sprach Wollenweber frei. Einzelne M-Kurden sind im Drogenhandel aktiv Die Verteidigerin Antje Heister meinte mit Blick auf den Krawall auf dem Polizei-Kommissariat und der vorhergehenden Durchsuchung im Peiner Haus der Angeklagten: „Dazu hätte es nie kommen müssen.“ Da schwang Kritik gegenüber der Polizei mit: Hätte diese genauer hingeschaut, hätte sie gemerkt, dass die Familie nicht zu den M-Kurden zählt. Doch wer sind die M-Kurden? Sie sind natürlich nicht per se kriminell, einzelne Sippen sind aber im Drogenhandel aktiv. Die familiäre Bande der ursprünglich aus der Türkei und dem Libanon stammenden Mitglieder reicht von Bremen bis hin nach Niedersachsen, Berlin und den Westen Deutschlands. Ein Schwerpunkt in unserer Region ist Salzgitter – und Peine. Es gibt auch Verbindungen in den Kreis Hildesheim. Dort hatte vor drei Jahren der „Ampelmord-Prozess“ für Aufsehen gesorgt: Weil ein Clan-Mitglied den Liebhaber seiner Frau an einer Ampel erschossen hatte, wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Während des Prozesses setzten Familienmitglieder Zeugen unter Druck, der Richter erhielt Morddrohungen. Experten sprechen längst von einer Parallelgesellschaft, die Clan-Mitglieder lehnen unseren Staat ab. Das Peiner Amtsgericht wurde gestern stark gesichert. Polizisten standen rund um das Gebäude, im Amtsgericht gab es eine Sicherheitsschleuse, die Zeugen und Prozess-Beobachter passieren mussten. Es blieb ruhig, der Gerichtssaal war fast leer, von ClanMitgliedern keine Spur. Die Verhandlung dauerte schon mehr als drei Stunden, erst da fiel der Begriff Mhallamiye zum ersten Mal. Dündar Kelloglu nutzte ihn. Er war der Verteidiger des 30-Jährigen. Kelloglu befragte einen Polizisten als Zeugen. Dem Richter und dem Staatsanwalt war offenbar längst klar, dass die Familie nicht zu den M-Kurden zählt. Der Polizei aber nicht. Das bestätigte der Zeuge. „Das dachten wir lange“, sagte er. Und: „Das sind keine M-Kurden, sie zählen zu kurdischen Clans.“ Was er mit den kurdischen Clans meinte, führte er nicht aus. Er wurde auch nicht danach gefragt. Der Polizei und dem Staatsschutz fiel das große Haus der Familie auf. Sie mochten sich gefragt haben, woher das Geld kommt. Der 30-Jährige ist privatinsolvent, sein Bruder ist Gastronom, verfügt nach eigener Aussage über rund 1000 Euro im Monat. „Der Angeklagte kam mir so nah, dass ich seine Wimpern zählen konnte.“ Ein Polizist während seiner Aussage als Zeuge „Zum Krawall auf dem Polizei-Kommissariat hätte es nie kommen müssen.“ Antje Heister, Verteidigerin einer der Angeklagten Der 28-Jährige wirkte in der Verhandlung frustriert, wollte sich nach dem Plädoyer der Verteidigerin nicht mehr äußern. Er fühlte sich wohl immer noch von der Polizei gegängelt. Das habe vor Jahren angefangen, erzählte er zuvor. Die Polizei habe ihn bei Verkehrskontrollen immer wieder herausgerufen. Reine Schikane. Und warum? Die M-Kurden haben oft Autokennzeichen mit den Nummern „47“. Die habe auch er gehabt, weil er eben aus der Region in der Türkei stamme, erzählte er später auf Anfrage. Als er erkannte, dass es da einen Zusammenhang gebe, habe er das Kennzeichen sofort gewechselt. Außerdem sei die Polizei schuld, dass er seinen Job bei einer Sicherheitsfirma verloren habe. Sein ehemaliger Chef war als Zeuge vorgeladen. Dieser sagte: „Er hat seine Arbeit gut gemacht, war eine Bereicherung, gerade im Umgang mit Migranten.“ Wenn es bei der Arbeit Probleme gegeben habe, sei auf den heute 28-Jährige Verlass gewesen. „Was wir mit fünf, sechs Leuten machen mussten, hat er alleine geregelt.“ Der Kurde ist groß mit breitem Kreuz. Die Polizisten hätten aber Probleme mit ihm gehabt, sagte der Zeuge. Der Richter erwähnte einen Fall von Körperverletzung aus dem Jahr 2012. Ob er von weiteren Vorfällen gehört habe. Das verneinte der Zeuge. Seinen Mitarbeiter entließ er dennoch. Offenbar auf Druck der Polizei. Einzelheiten blieben allerdings unklar. Es blieb auch nebulös, welche Rolle die Polizei bei der Durchsuchung des Hauses spielte. Laut Aussagen des 28-Jährigen und seiner Verteidigerin agierte das Einsatzkommando überzogen. Der Einsatz sei völlig unnötig gewesen. Die Beamten sollen Türen eingetreten, den eingeschüchterten Familienmitgliedern befohlen haben, sich auf den Boden zu legen. Die Mutter der Angeklagten sei schockiert gewesen, hyperventilierte. Den 28-jährigen Verdächtigen fand die Polizei nicht. Auch die Waffe nicht, mit der er angeblich eine räuberische Erpressung verübt haben sollte. Das Verfahren wurde eingestellt. Erregte Rempeleien auf der Peiner Wache Diese Vorgeschichte müsse man berücksichtigen, sagte der Richter während seiner Urteilsbegründung. Der 28-Jährige, der von der Polizei zur Wache bestellt wurde, nahm seine damals schwangere Frau mit. „Wären Sie auf Krawall aus gewesen, hätten Sie das sicher nicht gemacht“, sagte der Richter. Der 28-Jährige habe nicht vorsätzlich gehandelt, sei aufgebracht gewesen. Die Situation schaukelte sich hoch. Der 28-Jährige musste in der Wache warten, regte sich weiter auf. Ein Wort gab das andere. Er verlor die Selbstbeherrschung. Es kam zu Beleidigungen, Rempeleien. Der 28-Jährige stand einem Polizisten Nase an Nase gegenüber, drohte ihm. „Ich konnte seine Wimpern zählen“, sagte der Polizist. Der Neffe, der mit seiner schwangeren Frau dabei war, rief weitere Familienmitglieder per Handy hinzu. Auch weitere Polizisten kamen. Zu Gewalt kam es nicht, die Angeklagten ignorierten aber einen Platzverweis. „Sie haben bei allem Ärger Grenzen überschritten. Die Situation war sehr speziell“, sagte der Richter. „Ganz folgenlos kann das nicht für Sie bleiben.“ Sein Bruder soll gedroht haben, sein Messer zu zücken. Doch vor Gericht wurde klar, dass er es nicht gewesen sein konnte. Auch sonst hielt er sich zurück. Deshalb der Freispruch. Was bleibt, sind viele Fragen. Die Antwort recherchierte Fabian Buß Salzgitter. Unser Leser Klaus-Pe- ter Querfurt ist verärgert. Mehr als ein halbes Jahr lang hat er den Kraftstoffverbrauch seines VW Golf Cabriolet Cup dokumentiert. Er hat Tankquittungen aufgehoben, fein säuberlich den Kilometerstand notiert und so den Verbrauch pro 100 Kilometer Strecke errechnet. Dabei hat er festgestellt, dass sein Spritverbrauch den vom Hersteller angebenden Soll-Verbrauch deutlich übertrifft. Nach VW-Angaben soll sein Golf auf Kurzstrecken 5,7 Liter verbrauchen. Nach eigener Berechnung verbrauchte er jedoch bis zu 8,9 Liter pro 100 Kilometer, eine Abweichung von 56 Prozent. Ähnliche Differenzen ermittelte Querfurth auf Langstrecken. Der tatsächliche Verbrauch lag dort bis zu 55 Prozent höher als der SollWert von 5 Litern. Insgesamt habe er im Untersuchungszeitraum rund 14 Prozent mehr Kraftstoff verbraucht als von VW angeben. „Ich habe den Angaben der Autohersteller noch nie getraut. Aber wenn ich die Zahlen vergleiche, fühle ich mich hinters Licht geführt“, sagt der Braunschweiger, der in Salzgitter wohnt. Kathrien Inderwisch, Wissenschaftliche Geschäftsführerin beim Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) an der TU Braunschweig, überraschen die vom Leser festgestellten Abweichungen nicht. „Der Verbrauch aller Fahrzeuge wird in dem Neuen Europäischen Fahrzyklus, kurz NEFZ, geprüft. Der Verbrauch nach dem NEFZ wird auf einem Rollenprüfstand ermittelt. Das heißt: Es gibt keinerlei Einflüsse von außen wie Gegenwind, Steigungen und eingeschaltete Nebenaggregate wie Heizung oder Radio, die für den höheren Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr mitverantwortlich sind“, erklärt die promovierte Fahrzeugtechnikerin. Der NEFZ wird von unabhängigen Prüfstellen, beispielsweise dem Tüv, durchgeführt und hat fest vorgeschriebene Messvorgaben, damit alle Fahrzeugmodelle unter gleichen Bedingungen getestet werden. Der Zyklus besteht aus zwei Abschnitten. Der erste Teil repräsentiert den innerstädtischen Fahrbetrieb, bei dem das Fahrzeug kalt gestartet und anschließend im Stop-and-Go-Be- Klaus-Peter Querfurt hat monatelang seinen Spritverbrauch dokuFoto: Robin Koppelmann mentiert. trieb mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde gefahren wird. Der zweite Teil repräsentiert den außerstädtischen Fahrbetrieb mit einer Höchstgeschwindigkeit von Tempo 120. Der Zyklus dauert 1180 Sekunden, etwa 20 Minuten. Der Testzyklus habe Vor- und Nachteile, argumentiert Kathrien Inderwisch. „Alle Fahrzeuge, egal ob Klein-, Familien- oder Sportwagen, werden unter gleichen Bedingungen geprüft. Das heißt es handelt sich um einen gut vergleichbaren Wert, beispielsweise vor dem Autokauf“, erläutert sie. Allerdings sei der ermittelte Verbrauch kein verlässlicher Wert. Neben den Außeneinflüssen würde zudem die Fahrweise den Verbrauch massiv beeinflussen. „Wer eine sportliche Fahrweise hat, das heißt durch schnelles Beschleunigen seine WunschGeschwindigkeit erreichen will und im innerstädtischen Verkehr durch die dynamische Fahrweise immer wieder beschleunigen und verzögern muss, der wird die Verbrauchsangabe des Herstellers deutlich übertreffen“, sagt sie. Wer hingegen vorausschauend und fahrzeugschonend fahre, beispielsweise früh hochschaltet und den Wagen ausrollen lässt anstatt zu bremsen, der habe realistische Chancen, den vom Hersteller angebenden Kraftstoffverbrauch zu erreichen oder gar zu unterbieten. Klaus-Peter Querfurt konnte den Soll-Wert nach seinen Berechnungen nur einmal unterbieten. Allerdings betrug die Differenz gerade einmal 0,04 Prozent. Um realistische Herstellerangaben zu bekommen schlägt er vor, den Verbrauch der Autos bei verschiedenen Geschwindigkeiten anzugeben. Laut Kathrien Inderwisch hat diese Angabe allerdings nur wenig Aussagekraft. „Wenn ein Fahrer auf gerader Strecke konstant 50 oder 120 Kilometer pro Stunde ohne Gegenwind fährt, dann wird der Ist-Verbrauch mit dem auf dem Prüfstand ermittelten Soll-Verbrauch weitestgehend übereinstimmen. Allerdings gibt es dieses Szenario im Straßenverkehr kaum. Kraftstoff wird vor allem bei nicht konstanten Phasen, das heißt beim Beschleunigen, verbraucht“, sagt sie.
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