Astronomische Weiten im Labor einfangen Physikerteam untersucht

URL: http://www.uni-jena.de/Forschungsmeldungen/FM151221_Raumkruemmung.pdf
Astronomische Weiten im Labor einfangen
Physikerteam untersucht das Wechselspiel von Raumkrümmung und
Licht
Foto: Vincent Schultheiß
Die Abbildung zeigt, wie sich ein Laserstrahl im Experiment entlang der zweidimensionalen
Oberfläche einer sanduhrförmigen Glasfigur ausbreitet und sich dabei einmal um die Figurentaille
windet. Diese Figur ist ein Beispiel für eine negativ gekrümmte Oberfläche (vergleichbar z. B. mit
einem Sattel), im Gegensatz zu einer positiv gekrümmten Oberfläche, wie die einer Kugel.
Um den Einfluss von Gravitation auf die Ausbreitung von Licht zu untersuchen, sind
Wissenschaftler typischerweise auf astronomische Längenskalen und die Beteiligung enormer
Massen angewiesen. Dass es auch anders geht, zeigen Physiker der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und der Friedrich-Schiller-Universität
Jena (FSU): In der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature Photonics
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beantworten sie Fragen von astronomischer Tragweite in der Enge ihres Labors und lenken dabei
den Fokus auf eine unterschätzte Materialeigenschaft - die Krümmung von Oberflächen (doi:
10.1038/nphoton.2015.244).
Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit
Gemäß Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie lässt sich Gravitation als Krümmung der
vierdimensionalen Raumzeit beschreiben. Himmelskörper und auch Licht bewegen sich in diesem
gekrümmten Raum entlang von Geodäten, die die lokal kürzeste Verbindung zwischen zwei
Punkten darstellen, aber von außen betrachtet oft alles andere als gerade erscheinen.
Um die Lichtausbreitung in solch gekrümmten Räumen im Labor zu untersuchen, bedienen sich
die Wissenschaftler um Prof. Dr. Ulf Peschel von Universität Jena eines Tricks: Statt alle vier
Dimensionen der Raumzeit zu verändern, reduzieren sie das Problem auf zwei Dimensionen und
untersuchen die Lichtausbreitung entlang gekrümmter Oberflächen. Krümmung ist jedoch nicht
gleich Krümmung. "Während man zum Beispiel einen Zylinder oder Kegel leicht zu einem flachen
Stück Papier auffalten kann, ist es nicht möglich, die Oberfläche einer Kugel flach auf dem Tisch
auszubreiten, ohne dabei die Fläche zu zerreißen oder zumindest stark zu verzerren", sagt Vincent
Schultheiß, Doktorand an der FAU und Erstautor der Studie. "Das kennt man im Alltag von
Weltkarten, die die Erdoberfläche immer verfälscht darstellen müssen. Die Krümmung der
Kugeloberfläche ist eine intrinsische Eigenschaft, die sich nicht verändern lässt und Auswirkungen
auf Geometrie und Physik innerhalb dieser zweidimensionalen Fläche hat."
Auswirkungen der intrinsischen Krümmung des Raumes auf die Lichtausbreitung
Im Experiment wurden die Auswirkungen genau dieser intrinsischen Krümmung des Raumes auf
die Lichtausbreitung untersucht. Dazu wurde das Licht in einem schmalen Bereich nahe der
Oberfläche eines maßgefertigten Körpers gefangen und so gezwungen, dem Verlauf der
Oberfläche zu folgen. Dabei verhielt es sich während der Ausbreitung so, wie es der Ablenkung
durch gewaltige Massen entspräche. Durch eine Variation der Krümmung der Oberfläche kann
man die Lichtausbreitung sogar steuern. Umgekehrt ist es aber auch möglich, durch eine Analyse
der Lichtausbreitung etwas über die Krümmung der Oberfläche selbst zu lernen. Übertragen auf
astronomische Beobachtungen heißt das, dass dem uns von weit entfernten Sternen erreichenden
Licht wertvolle Informationen über den durchquerten Raum aufgeprägt sind.
In ihrer Arbeit untersuchten das Forscherteam hierzu die nach den beiden englischen Physikern
Robert Hanbury Brown und Richard Twiss benannte Intensitätsinterferometrie, die zur Bestimmung
der Größe sonnennaher Sterne verwendet wird. Bei diesem Messverfahren werden zwei
Teleskope mit variablem Abstand auf den zu untersuchenden Stern ausgerichtet und die jeweils
von beiden Standpunkten aus sichtbaren Helligkeitsschwankungen miteinander verglichen. Die
Helligkeitsunterschiede sind eine Folge der Interferenz unabhängig voneinander auf der
Sternoberfläche emittierten Lichts - in der Beobachtungsebene sichtbar als ein körniges
Helligkeitsmuster - und erlauben es, Aussagen über die Größe des beobachteten Objektes zu
machen.
Die allgemeine Krümmung des Universums genauer vermessen
Da die Lichtwege in einem gekrümmten Raum im Vergleich zum flachen Fall viel stärker dazu
neigen zu konvergieren bzw. zu divergieren, ändert sich auch die Korngröße des
Helligkeitsmusters in Abhängigkeit von der Raumkrümmung. Die Wissenschaftler konnten zeigen,
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dass die Kenntnis der Raumkrümmung entscheidend für die Interpretation der Ergebnisse ist, aber
auch, wie sich derartige interferometrische Experimente dazu eignen, die allgemeine Krümmung
des Universums genauer zu vermessen.
Ob die Forschungsergebnisse jedoch tatsächlich zu einem besseren Verständnis unseres
Universums beitragen, steht bis jetzt noch in den Sternen. "Ziel unserer Forschung ist es zunächst,
Erkenntnisse der Allgemeinen Relativitätstheorie durch die bewusste Modulierung von Oberflächen
von Objekten in die Materialwissenschaften zu übertragen", sagt Peschel. Dabei entstehen
Verknüpfungspunkte zwischen diesen beiden auf den ersten Blick völlig verschiedenen
Wissenschaftsdisziplinen. "Vom Fabrikationsstandpunkt her sind flache Designs oft sehr viel
leichter zu bewerkstelligen. Aber gekrümmte Oberflächen bergen ein bisher ungenutztes Potenzial
zum Beispiel zur Steuerung von Lichtwegen in optischen Systemen. Durch lokale Variationen der
Oberflächenkrümmung kann man oft das gleiche bewirken, wie durch eine Veränderung des
Volumenmaterials selbst. Die Zahl nötiger Arbeitsschritte und verwendeter Materialien bei der
Herstellung integrierter optischer Schaltkreise oder mikrooptischer Komponenten kann so eventuell
reduziert werden."
Kontakt (an der FSU):
Prof. Dr. Ulf Peschel
Institut für Festkörpertheorie und -optik der Universität Jena
Fröbelstieg 1
07743 Jena
Tel.: 03641 / 947170
E-Mail: [email protected]
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