"Verletzungen der Wirbelsäule"

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)
Landesverband Südwest, Heidelberg
Begutachtungs-Seminar
für Chefärztinnen und Chefärzte
an den am SAV und VAV beteiligten Kliniken zum Thema
"Verletzungen der Wirbelsäule"
am 08. Juli 2015 in Stuttgart
Heft 36 der Schriftenreihe ÄRZTE
© Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) – Landesverband Südwest
Titel:
Begutachtungs-Seminar für Chefärzte und Chefärztinnen
an den am SAV und VAV beteiligten Kliniken zum Thema
"Verletzungen der Wirbelsäule"
Heft 36 der Schriftenreihe ÄRZTE
Herausgeber:
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
Landesverband Südwest
Anschrift:
Kurfürsten-Anlage 62, 69115 Heidelberg
Postfach 10 14 80, 69004 Heidelberg
Telefon 06221 5108-0, Telefax 06221 5108-15099
© Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) – Landesverband Südwest
Begutachtungs-Seminar
für Chefärzte und Chefärztinnen
an den am SAV und VAV
beteiligten Kliniken
"Verletzungen der Wirbelsäule"
am 08.07.2015 in Stuttgart
Leitung / Moderation:
Frau Claudia Drechsel-Schlund
Geschäftsführerin der Berufsgenossenschaft
für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
Bezirksverwaltung Würzburg
Röntgenring 2
97070 Würzburg
Herr Priv. Doz. Dr. med. Andreas Badke
Stellvertretender Ärztlicher Direktor
Chefarzt der Abteilung Querschnittgelähmte
technische Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Schnarrenbergstr. 95
72076 Tübingen
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Inhaltsverzeichnis
1. Begrüßung / Einführung
Claudia Drechsel-Schlund
2. Programm
3. Vorträge:
Beteiligte bei der Begutachtung und ihre Rolle im Verfahren
Klaus Feddern
S. 1
Begutachtung von Migranten
aus medizinischer Sicht
Dr. Sara Aytac
S. 14
aus rechtlicher Sicht
Philipp Stark
S. 21
Unfallbedingte HWS-Distorsion, begutachtungsrelevante Aspekte
und Einschätzung der MdE
PD Dr. Andreas Badke
S. 29
Begutachtung von Wirbelfrakturen
Dr. Stefan Matschke
S. 49
Fälle der Begutachtung
PD Dr. Andreas Badke
S. 60
4. Rechtsprechung
S. 71
5. Literaturhinweise
S. 72
6. Referenten
S. 73
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"Verletzungen der Wirbelsäule"- Einleitung
Claudia Drechsel-Schlund
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1 Einleitung
Bei dem diesjährigen Begutachtungs-Spezialseminar des Landesverbandes Südwest der DGUV
standen Wirbelsäulenverletzungen auf dem Programm. Diese Begutachtungsmaterie wurde
ausgewählt, weil die Beurteilung traumatischer Wirbelsäulenverletzungen wegen der oft notwendigen Abgrenzung von degenerativen Vorerkrankungen eine besondere Komplexität aufweist. Die Kausalitätsbeurteilung ist unter Berücksichtigung der aktuellen höchstrichterlichen
Rechtsprechung (Urteile des Bundessozialgerichts vom 24.07.2012
- B 2 U9/11 R - und - B 2 U 23/11 R -) im Einzelfall, insbesondere bei fehlenden Strukturverletzungen und bei Hebevorgängen, in rechtlicher und in medizinischer Hinsicht sehr schwierig.
Auf der Agenda standen begutachtungsrelevante Aspekte der unfallbedingten HWS-Distorsion
einschließlich MdE-Einschätzung sowie die Begutachtung von Wirbelfrakturen.
In der aktuellen Begutachtungsveranstaltung waren aber nicht nur medizinische Aspekte von
Wirbelsäulenverletzungen Gegenstand, sondern auch versicherungsrechtliche Fragestellungen.
Beleuchtet wurden das Thema Beteiligte bei der Begutachtung und ihre Rolle im Verfahren sowie das Thema Begutachtung von Personen mit Migrationshintergrund. Die Veranstaltung wurde abgerundet durch Fallbesprechungen. Anhand von praktischen Begutachtungsfällen haben
die Teilnehmer die aufgeworfenen medizinischen Fragen und Kausalitätsprobleme diskutiert
und gemeinsam Lösungsansätze entwickelt.
Die Dokumentation enthält die Power-Point-Präsentationen der Referenten. Hinzu kommen statistische Daten zum Unfallgeschehen und zur Entwicklung der Unfallrenten. Zudem werden
Hinweise auf ausgewählte Entscheidungen der Sozialgerichte und Literaturempfehlungen zu
Begutachtungsfragen von Wirbelsäulenverletzungen gegeben. Dem ärztlichen Moderator PD
Dr. Badke und den Referenten ist für ihre Beiträge und die intensive und lehrreiche Besprechung der Begutachtungsfälle zu danken.
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2 Programm
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1
3 Vorträge
Beteiligte bei der Begutachtung und ihre Rolle im Verfahren
Klaus Feddern
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Beteiligte bei der Begutachtung und ihre Rolle im Verfahren
Neben dem Gutachter und dem Probanden sind am Begutachtungsverfahren häufig weitere Akteure beteiligt. Der Vortrag soll einige praxisbezogene Hinweise zur Rolle der Beteiligten und zu
formaljuristischen Aspekten bei der Begutachtung geben.
In der Begutachtungssituation kommt es zu einem Rollenwechsel von Arzt/Patient zu Gutachter/Proband (Folien 4/5).
Wer Gutachter ist, wird vom Auftraggeber bestimmt. Dies erfolgt durch den Beweisbeschluss eines Gerichtes oder durch den Gutachtensauftrag des Unfallversicherungsträgers, welcher insbesondere die Vorschrift des § 200 Abs. 2 SGB VII (Gutachterauswahlrecht) zu berücksichtigen hat
(Folien 6/7). Während nach § 407 ZPO eine Verpflichtung besteht, ein Gutachten zu erstatten, gilt
dies im Verwaltungsverfahren grundsätzlich nicht. Durchgangsärzte sind freilich nach dem Vertrag Ärzte/Versicherungsverträge verpflichtet, Gutachten zu erstatten (Folie 8).
Bei der Delegation von Aufgaben bei der Erstattung von Gutachten ist zu unterscheiden zwischen
der (zulässigen) Übertragung von Hilfsdiensten an ärztliche und nichtärztliche Hilfspersonen (Folien 9/10) einerseits und Zusatzgutachten andererseits (Folien 11/12). Bei Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet (wohl auch bei der Schmerzbegutachtung) besteht nur eine eingeschränkte
Delegationsmöglichkeit.
Ob Begleitpersonen bei der Begutachtung zuzulassen sind, ist gesetzlich nicht geregelt (Folien
13/14). Es gibt gute Gründe, Begleitpersonen bei der Begutachtung zu akzeptieren (Folien 1517). Hierüber entscheidet der Gutachter nach seinem fachlichen Ermessen als Mediziner.
Entscheidungen der Sozialgerichte (Folien 19-27) betreffen Fälle, in denen für die betroffenen
Kläger eingewandt wird, eine Begleitperson sei nicht beteiligt worden. Es geht meist um Sachverhalte in denen ein Proband die Begutachtung ohne Begleitperson verweigert, so dass der Unfallversicherungsträger Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung nach § 66 SGB I ablehnt.
Wenn eine sprachliche Verständigung notwendig ist, diese aber nicht möglich ist, bedarf es eines
Dolmetschers (Folien 28-30). Gesetzliche Regelungen hierüber gibt es nicht. Es besteht auch
keine Verpflichtung, bei fremdsprachlichen Probanden, einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Wichtig erscheint vor allem der praktische Hinweis, in einem kurzen Satz im Gutachten zu dokumentieren, dass eine sprachliche Verständigung möglich war, so dass darauf verzichtet wurde, einen
Gutachter beizuziehen.
Literaturhinweise
Bieresborn (Hrsg.) Einführung in die medizinische Sachverständigentätigkeit vor den Sozialgerichten, Referenz Verlag Frankfurt, 2015
Feddern/Widder, Die Pflicht des gerichtlichen Gutachters zur persönlichen Untersuchung MedSach 2009, 93-95
Toparkus, Typische Fehler in der Begutachtung - aus sozialrechtlicher Sicht, MedSach 2012,
230-235
Roller, Die rechtliche Bewertung medizinischer Gutachten im Sozialrecht,
WzS 2013, 332-336
Toparkus, Ärztliche Begutachtung im Spannungsfeld von Qualität und Quantität - aus richterlicher
Sicht, MedSach 2015, 120-125
Aktueller Nachtrag:
Interview Lindemann (Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer – BDÜ) in: NJW aktuell
30/2015, 12; ergänzende Informationen auch unter www.bdue.de
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3
Beteiligte bei der Begutachtung und
ihre Rolle im Verfahren
Klaus Feddern
BG Verkehr
Bezirksverwaltung Wiesbaden
Begutachtungs-Seminar
Stuttgart, 08.07.2015
Agenda
Rollenwechsel
Rahmenbedingungen
Mehrzahl von Gutachtern
Hilfspersonen
Familienangehörige
Dolmetscher
Seite 2
Rollenwechsel: Arzt / Patient
Gutachter / Proband
Arzt / Patient
Besonderes Vertrauensverhältnis
Schweigepflicht
Gutachter / Proband
Objektive Beurteilung
Offenbarung von Ergebnissen
Behandelnder Arzt als Gutachter ?
Seite 3
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4
Rollenwechsel: Arzt / Patient
Gutachter / Proband
Arzt / Patient
Dienstvertrag Arzt/Patient
Gutachter / Proband
Werkvertrag Auftraggeber/Patient
Seite 4
Behandelnder Arzt als Gutachter ?
Ende des Vertrauensverhältnisses?
Objektivität?
Eigener Anspruch an das Heilergebnis?
Beste Expertise
Operation
Reha-Verlauf
-
regelmäßig keine Bedenken
Ausnahme Befangenheit
Sonderfall psychiatrische Begutachtung
Seite 5
§ 200 Abs. 2 SGB VII
Vor Erteilung eines Gutachtenauftrages soll der
Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter
zur Auswahl benennen; der Betroffene ist außerdem auf sein
Widerspruchsrecht … hinzuweisen und über den Zweck des
Gutachtens zu informieren.
§ 14 Abs. 5 SGB IX
… Ist für die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein
Gutachten erforderlich, beauftragt der Rehabilitationsträger
unverzüglich einen geeigneten Sachverständigen. Er benennt
den Leistungsberechtigten in der Regel drei möglichst
wohnortnahe Sachverständige …
Seite 6
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5
Der (bestimmte) Gutachter = der vom
Auftraggeber benannte Gutachter
Beweisbeschluss des Gerichtes
Verpflichteter nach § 407 ZPO
§ 200 Abs. 2 SGB VII
Vertragspartner des Auftraggebers
Seite 7
Der (bestimmte) Gutachter im Verwaltungsverfahren
§ 22 Abs. 3 SGB X
Verpflichtung nur, wenn gesetzlich vorgesehen
Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger
DGUV Gutachterverzeichnis
Seite 8
Delegation bei Gutachten
Zulässig
Hilfsdienste (Blutentnahme, Feststellung Körpergröße/gewicht, Pulsfrequenz pp.)
Untersuchung durch ärztliche Mitarbeiter
Anamneseerhebung durch ärztliche Mitarbeiter
Ultraschall durch ärztliche Mitarbeiter/beauftragten Arzt
Röntgen durch anderen Arzt
Aber:
(eigene) Verantwortung des benannten Arztes für
das Gutachten
Seite 9
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6
Delegation bei Gutachten
Sonderfall:
Psychiatrische Anamnese zumindest auch durch den
beauftragten Gutachter
Ebenso bei der Begutachtung chronischer Schmerzen (?)
Auch hier:
(eigene) Verantwortung des benannten Arztes für das
Gutachten
Seite 10
Zusatzgutachten
Abgrenzung
Befunderhebung
Delegation zulässig
ergänzende Begutachtung
Benennung durch Auftraggeber
nicht durch Gutachter
Seite 11
Zusatzgutachten im Verwaltungsverfahren
ergänzende Begutachtung
Gutachterauswahl § 200 Abs. 2 SGB VII
Idealerweise vorab durch Auftraggeber
„Paketgutachter“
ggf. Hinweis durch Gutachter an Auftraggeber
rechtliche Hinweise (§ 200 Abs. 2 SGB VII) durch
Gutachter?
Seite 12
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7
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Leitlinie Allgemeine Grundlagen der medizinischen
Begutachtung (AWMF-Leitlinie 094/001)
schweigt zu den Themen Begleitperson und
Dolmetscher
Seite 13
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Keine gesetzliche Regelung
Rechtlicher Anknüpfungspunkt
Ablehnung von Begleitperson durch Gutachter
keine Mitwirkung des Probanden
Ablehnung von Leistungen durch UV-Träger
(§ 66 SGB I)
Seite 14
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Pro und Contra
-
praktische/logistische Probleme
Störung der Anamneseerhebung / Untersuchung
Seite 15
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8
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Pro und Contra
+ keine grundsätzlichen Bedenken
+ Proband ist einverstanden
+ hilfreich bei körperlichen, sprachlichen oder
kulturellen Barrieren
+ transparentes Verfahren
+ Förderung des weiteren Heilverfahrens
+ Akzeptanz des Gutachtensergebnisses
Seite 16
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Ablehnung von Begleitpersonen seltener
Ausnahmefall
In der Schüler-UV Regelfall (Elternbegleitung)
Ablehnungsgründe z.B.:
- Bedrohung
- Behinderung der Untersuchung
- Beeinflussung des Gutachters, die das
Vertrauensverhältnis beeinträchtigt
Seite 17
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Entscheidung durch den verantwortlichen Gutachter
(fachgerechtes Ermessen)
(grundsätzliches) Anwesenheitsrecht wird z.T.
angenommen
Sachgerechte, ggf. begründete Entscheidung
geboten (wegen möglicher Rechtsfolgen)
Seite 18
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Begleitpersonen bei der Begutachtung
Bei einer gerichtlich veranlassten Untersuchung durch einen
medizinischen Sachverständigen hat der Rentenbewerber
grundsätzlich keinen Anspruch auf die Zulassung einer
Teilnahme von Angehörigen
Denn die fachliche Durchführung der Untersuchung ist
zunächst Sache des Sachverständigen.
Wenn es ein Sachverständiger für erforderlich hält, die
Untersuchung in Abwesenheit dritter Personen
vorzunehmen, weil er die Verfälschung des Ergebnisses der
Exploration befürchtet, bewegt er sich … im Bereich seiner
Fachkompetenz
LSG Baden-Württemberg v. 24.10.2011 – L 11 R 4243/10
Seite 19
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Es besteht kein wissenschaftlicher Standard, der die
Anwesenheit Dritter bei Gutachten der vorliegenden Art
vorsieht. Gerade bei der Erhebung und Bewertung
entsprechender psychischer Begleitumstände ist es aber von
besonderer Bedeutung, dass sich der Sachverständige einen
möglichst unmittelbaren und ungestörten Eindruck z.B. von
den Schmerzerfahrungen des Probanden und von seinem
Umgang mit den Schmerzen verschaffen kann
LSG Baden-Württemberg v. 24.10.2011 – L 11 R 4243/10
Seite 20
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Besondere Umstände, die hier die Anwesenheit der
Lebensgefährtin des Klägers zwingend erforderlich machten,
liegen hier nicht vor. … Der der Gutachter (war) auch ohne
Anwesenheit der Lebensgefährtin in der Lage …, die
vorhandenen Erkrankungen und Leistungseinschränkungen
auf dem von ihm zu begutachtenden Fachgebiet
festzustellen.
LSG Baden-Württemberg v. 24.10.2011 – L 11 R 4243/10
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Seite 21
10
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Der Kläger kann die Anwesenheit eines Dritten bei der
psychiatrischen Exploration dann nicht verlangen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch die Anwesenheit des Dritten
Angaben verfälscht werden und so die Verwertbarkeit des
Gutachtens in Frage gestellt wird.
LSG Berlin-Brandenburg v. 17.02.2010 – L 31 R 1292/08
Seite 22
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Der Grundsatz des Anspruchs auf ein faires Verfahren und
rechtliches Gehör verpflichtet den Richter wie den
Sachverständigen zur Rücksichtnahme gegenüber den
Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation.
LSG Berlin-Brandenburg v. 17.02.2010 – L 31 R 1292/08
Seite 23
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Deshalb dürfte ein genereller Ausschluss von
Vertrauenspersonen des zu Untersuchenden, hier des
Ehepartners, weder mit dem Grundsatz der
Parteiöffentlichkeit noch mit dem eines fairen Verfahrens in
Einklang zu bringen sein. Denn angesichts der in die
Persönlichkeit eingreifenden Beweisaufnahme durch einen
gerichtlichen Sachverständigen kann eine Begleitung durch
eine Vertrauensperson bei der Untersuchung gerechtfertigt
sein.
LSG Berlin-Brandenburg v. 17.02.2010 – L 31 R 1292/08
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Seite 24
11
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Bei der Entscheidung des Sachverständigen, die
Anwesenheit eines Ehegatten während der Untersuchung
nicht zu gestatten, handelt es sich um eine Abwägung des
Sachverständigen, die in seinem fachlichen Ermessen steht.
Die Entscheidung stellt eine medizinisch fachliche Frage dar,
die allein kein Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit
rechtfertigt.
Bayerisches LSG v. 20.11.2013 – L 2 SF 155/12 B
Seite 25
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Im Übrigen haben die gerichtlichen Sachverständigen bei
verfahrensrechtlichen Problemen immer die Möglichkeit, das
beauftragende Gericht nach § 404a ZPO um entsprechende
Weisung zu bitten.
Anmerkung Keller zu Bayerisches LSG aaO., jurisPR-SozR 6/14, Anm. 5
Dies sollte entsprechend bei Gutachten im
Verwaltungsverfahren beachtet werden.
Seite 26
Begleitpersonen bei der Begutachtung
Der generelle Ausschluss eines Rechtsanwalts von der
Untersuchung eines Klägers durch einen vom Gericht
bestellten ärztlichen Sachverständigen ist mit den
Grundsätzen der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme
und des fairen Verfahrens unvereinbar, wenn der Kläger die
Anwesenheit seines Anwalts oder einer anderen
Vertrauensperson wünscht.
D8as Gericht hatte die mögliche Befangenheit eines Richters wegen
dessen Hinweis nach § 404a ZPO zu prüfen9
LSG Rheinland-Pfalz v. 23.02.2006 – L 4 B 33/06 SB
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Seite 27
12
Dolmetscher
Wenn eine sprachliche Verständigung notwendig
ist, diese aber nicht möglich ist, bedarf es eines
Dolmetschers
Seite 28
Dolmetscher
§ 19 Abs. 1 SGB X
Die Amtssprache ist deutsch. Hörbehinderte Menschen
haben das Recht, zur Verständigung in der Amtssprache
Gebärdensprache zu verwenden; Aufwendungen für
Dolmetscher sind von der Behörde oder dem für die
Sozialleistung zuständigen Leistungsträger zu tragen.
Seite 29
Dolmetscher
Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit
chronischen Schmerzen (AWMF-Leitlinie 030/102)
Da bei der Begutachtung von Schmerzen der
Anamneseerhebung besondere Bedeutung zukommt, soll
bei fremdsprachigen Personen bereits vor der Begutachtung
geklärt werden, ob hierzu ein Dolmetscher erforderlich ist.
Sofern dies der Fall ist, sollte beim Auftraggeber die
Heranziehung eines Dolmetschers beantragt werden.
Familienangehörige, Freunde oder Bekannte sind i.d.R.
aufgrund der Interessensverknüpfung mit dem zu
Begutachtenden als Dolmetscher nicht geeignet.
Seite 30
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Take home
Rollenwechsel Arzt / Patient
Gutachter /
Proband beachten
Formelle Gesichtspunkte berücksichtigen, um
Fehler zu vermeiden
Transparentes Verfahren sichert Akzeptanz
Begleitpersonen: im Regelfall ja, sachgerechte
Ablehnung im Einzelfall
Dolmetscher wenn nötig einschalten
Seite 31
Danke für Ihre Aufmerksamkeit
[email protected]
Seite 32
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Begutachtung von Migranten
aus medizinischer Sicht
Dr. Sara Aytac
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Universität Heidelberg
Begutachtung von Migranten aus
medizinischer Sicht
Sâra D. Aytaç [eye touch]
Begutachtungsseminar für Chefärzte und
Chefärztinnen- DGUV Landesverband Südwest
Universität Heidelberg
Die Medizin (von lateinisch ars
medicinae, „ärztliche Kunst“ die
„Heilkunde“) ist die Lehre von der
Vorbeugung, Erkennung und
Behandlung von Krankheiten und
Verletzungen bei Menschen und Tieren.
Begutachtung von Migranten aus ärztlicher Sicht:
Zwischenmenschliche Kommunikation
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
Seite 1
Universität Heidelberg
Das interessante 1. RGA
57 Jahre, männlich
seit >20 J bei Lufthansa Cargo,
Versorgungscontainer (15kg) stürzt aus ca 1,5m Höhe fast axial auf
Schädel:
initial benommen und schwindelig (<10min), kleine Prellmarke auf der
Stirn.
AU < 5 Tage.
Persistierende Symptome wie Kopfschmerzen, Konzentrationsstörung,
Tinnitus.
MRT?
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
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Seite 3
16
Universität Heidelberg
Demo Neurochirurgie:
(Ohne Kenntnis der Symtome!)
Glianarbe im Bereich olfaktorischer und
akustischer Cortex!
Aufgrund Unfallmechanismus am ehesten in
Kombination mit Abscherung Nervenfaser bei
Eintritt in Frontalhirn!
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
Seite 4
Universität Heidelberg
Zum Vergleich:
Vorher MdE auf UCHI Gebiet 0%, keine weiteren Fachrichtungen involviert, Gesamt
MdE 0%.
Jetzt: UCHI unverändert 0%, aber: 10% auf HNO Gebiet.
(Bei besonderer beruflicher Betroffenheit: 20%!)
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
Seite 5
Universität Heidelberg
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
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Seite 6
17
Universität Heidelberg
Bloss ein Missverständnis?
Das Wort „verstehen“ gibt es auf fünf Ebenen:
•Der Empfänger hat die Nachricht akustisch richtig wahrgenommen.
•Der Empfänger fasst einen Sachverhalt so auf, wie er vom Sender auch gemeint war.
•Sender und Empfänger sind gleicher Meinung.
•Für jemanden oder eine Situation Verständnis haben.
•Durch Übung Gelerntes („sich auf etwas verstehen“).
aus: Hermann Paul/Georg Objartel/Helmut Hänne/Heidrun Kämper, a.a.O., S.1106
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
Seite 7
Universität Heidelberg
Lösung ?
Idiolektische Gesprächsführung ist eine Gesprächsform mit Augenmerk auf
der Eigensprache, dem sogenannten Idiolekt des Gesprächspartners. Unter
dem Idiolekt versteht man das individuelle Sprachmuster eines Sprechenden
mit all seinen phonetischen, grammatikalischen und die Wortwahl
betreffenden Vorlieben. Der Zuhörende fokussiert sich voll auf den
Sprechenden.
Anwendungsbereiche
Die idiolektische Gesprächsführung kann in erkenntnis- und
forschungsorientierten Settings Anwendung finden. Daneben auch in
angespannten Alltagssituationen, da die idiolektische Gesprächsführung stark
deeskalierend wirkt.
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
Seite 8
Universität Heidelberg
Aber:
Idiolektische Gesprächsführung: gilt nur für gemeinsame Sprache!
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Seite 9
18
Universität Heidelberg
Problem der interkulturellen Kommunikation ?
Non verbale Kommunikation!
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Seite 10
Universität Heidelberg
Werte und Tradition
Rollenverteilung
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
Seite 11
Universität Heidelberg
Sprachbarriere
Schmerz {m}
ızdırap {Subst.} (eher: Pein, Qual)
Schmerz {m}
ağrı {Subst.} (eher Schmerz im
„herkömmlichen“ Sinne, auch Weh)
Schmerz {m}
keder {Subst.} (eher: Kummer, Sorge)
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Seite 12
19
Universität Heidelberg
Lösung:
Dolmetscher!!!
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Seite 13
Universität Heidelberg
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Seite 14
Universität Heidelberg
Begutachtungsseminar - DGUV Landesverband Südwest
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Seite 15
20
Universität Heidelberg
Dikkatiniz için çok teşekkür ederim,
sorularınızı cevaplamakta büyük mutluluk duyarım.
Herkese emniyetli bir eve dönüş diliyorum.
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Begutachtung von Migranten
aus rechtlicher Sicht
Philipp Stark
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22
08.07.2015
Stuttgart
Vizepräsident des SG Karlsruhe Philipp Stark
§ 373 ZPO i.V.m. § 402 ZPO
Der Zeugenbeweis wird durch die Benennung
der Zeugen und die Bezeichnung der
Tatsachen, über welche die Vernehmung der
Zeugen stattfinden soll, angetreten.
Sachverhaltsermittlung hat Vorrang.
Feststehende Tatsachen sind von Spekulation
und Werturteilen deutlich abzugrenzen.
Juristische Wertungen sind zu vermeiden.
VPrSG Philipp Stark
2
§ 407a Abs. 2 ZPO
Der Sachverständige ist nicht befugt, den
Auftrag auf einen anderen zu übertragen.
Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen
Person bedient, hat er diese namhaft zu machen
und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls
es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter
Bedeutung handelt.
Die wesentliche Erforschung und Feststellung
des Sachverhalts muss durch den Gutachter
selbst erfolgen.
Dolmetscher und andere Hilfspersonen sowie
der Umfang ihrer Mitwirkung sind zu benennen.
VPrSG Philipp Stark
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3
23
§ 406 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 60 Abs. 1 SGG,
§§ 41 ff. ZPO
Ein Sachverständiger kann aus denselben
Gründen, die zur Ablehnung eines Richters
berechtigen, abgelehnt werden, insbesondere
also bei begründetem Verdacht auf
Befangenheit.
Der Sachverständige hat daher die Neutralität
zu wahren.
VPrSG Philipp Stark
4
BVerfG vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 –
zu Gutachten im Familienrecht:
Neutralität
Beantwortung der gestellten Beweisfragen
Ausreichend umfangreiche Begründung, auch im
Verhältnis zur Bedeutung der Sache
VPrSG Philipp Stark
5
BSG vom 06. Februar 2008 – B 6 KA 40/06 R - zur
Versagung eines Anspruchs auf Ermächtigung eines
Psychotherapeuten wegen ausländischer
Sprachkenntnisse:
ethnopsychiatrische Kenntnisse sind wichtiger als
einschlägige Sprachkenntnisse
Arztversorgung durch Muttersprachler gehört nicht
zum erforderlichen Umfang der GKV
Das Diskriminierungsverbot (des AGG) verpflichtet
nicht zum Ausgleich sprachbedingter Erschwernisse,
die im Tatsächlichen auftreten.
VPrSG Philipp Stark
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6
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BSG vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 25/89:
Bei der Prüfung von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit
kann sich ein Versicherter nicht darauf berufen,
dass eine andere Sprache als Deutsch seine
Muttersprache ist und er für eine im Übrigen
zumutbare Verweisungstätigkeit keine
ausreichenden Kenntnisse der deutschen
Sprache habe.
Keine sozialrechtliche Benachteiligung von
Deutschsprachigen (auch Ausländern bzw.
Migranten).
VPrSG Philipp Stark
7
Grundsätzliche Aussagen anderer Gerichte:
Migrationshintergrund und Sprachkenntnisse sind
strikt zu trennen, da ein Zusammenhang nicht
zwingend ist.
(LG Düsseldorf, Urteil vom 02. September 2011 – 20
S 73/11)
die fehlende Unterscheidung indiziert eine
Ungenauigkeit der Beurteilung.
VPrSG Philipp Stark
8
Aus der landsmannschaftlichen Verbundenheit
des Gutachters oder aus deren Fehlen allein lässt
sich ein Anhaltspunkt für eine Befangenheit nicht
entnehmen.
(vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.
Dezember 2014 – L 16 R 504/12)
Keine verfahrensrechtliche Benachteiligung von
Nicht-Deutschsprachigen oder NichtMuttersprachlern; das gilt auch für Dolmetscher.
VPrSG Philipp Stark
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9
25
Die Behauptung von Verständigungsproblemen
erstmals in zweiter Instanz kann prozessual
verspätet sein.
(OLG Koblenz, Beschluss vom 21. März 2012 – 5 U
1011/11)
Die Kommunikation zwischen Proband und Kläger
muss gewährleistet sein, was zeitnah dokumentiert
werden sollte, wenn es sich nicht bereits aus den
Umständen ergibt.
Die Rüge einer Verletzung dieses Grundsatzes
kann auch ohne Dokumentation verspätet sein.
VPrSG Philipp Stark
10
Nicht jede Reaktion auf bestehende
Vorprägungen durch die Verhältnisse im jeweiligen
Heimatland muss den Charakter einer
Diskriminierung haben. Daraus resultierende
Konflikte müssen und dürfen nicht ausgeblendet oder
verharmlost werden.
(OVG Lüneburg, Urteil vom 02. Juli 2014 – 2 LB
376/12)
Kulturelle Unterschiede von Relevanz dürfen und
müssen ggf. benannt werden, wobei die Sachlichkeit zu wahren ist. Diese kann aber auch bei einer
an sich sachlichen Äußerung bei fehlender Relevanz
fraglich sein.
VPrSG Philipp Stark
11
(…) liegen beim Antragsteller eine kombinierte
Entwicklungsstörung (…) und ein Zustand nach
deprivatorischen Lebensumständen mit
Migrationshintergrund vor. (…) wären auf Grund
des Zeitablaufes Entwicklungschancen der
Frühförderung unwiederbringlich verloren.
(Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom
29. Januar 2014 – L 8 SO 243/13 B ER)
Ein Migrationshintergrund kann Defizite erklären
bzw. plausibel machen und damit zur Erfüllung von
Anspruchsvoraussetzungen beitragen.
VPrSG Philipp Stark
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12
26
Dr. P. setzt sich bei der Bejahung des
Kausalzusammenhangs nicht damit auseinander, ob
unfallunabhängige seelische Belastungen wie
Verlust des Arbeitsplatzes, Migrationshintergrund,
(…) rechtlich wesentlich zum weiteren Verlauf der
psychischen Erkrankung beigetragen haben.
(SG Duisburg, Urteil vom 06. Juli 2012 – S 4 KN
470/10 U)
In der GUV stellt der Migrationshintergrund zwar
ein mögliches Erklärungsmuster für die Entstehung
oder Verstärkung von Krankheitsmustern dar, im
Regelfall handelt es sich jedoch hierbei um eine
versicherungsfremde Konkurrenzursache.
VPrSG Philipp Stark
13
Konkretes Beispiel hierzu:
Hinzu kommt, was die Entwicklung einer depressiven
Störung angeht, nach heutigem Kenntnisstand
wahrscheinlich auch noch eine individuelle
Disposition. Auch werden die hier nicht näher zu
erörternden Lebensumstände von Menschen mit
Migrationshintergrund in der Literatur immer
wieder für die Entstehung von Depressionen
verantwortlich gemacht. Im konkreten Fall sei z.B.
darauf verwiesen, dass der Kläger berichtete, sein
Haus in Kroatien aus finanziellen Gründen nur
zweimal im Jahr aufsuchen zu können.
(Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 07.
Dezember 2010 – L 3 U 145/09)
VPrSG Philipp Stark
14
Schlussfolgerungen für die Begutachtung von
Migranten aus rechtlicher Sicht
I.Sachverhaltsermittlung
1.Berücksichtigung von möglichen Sprachproblemen
oder kulturellen Unterschieden
2.Abwägung der konkreten Bedeutung von Migration
im Einzelfall
3.Grad der Integration
4.Ausreichend Zeit für die Begutachtung!
VPrSG Philipp Stark
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15
27
Schlussfolgerungen für die Begutachtung von
Migranten aus rechtlicher Sicht
II.
Hilfspersonen
1.Dolmetscher
- im Zweifel hinzuzuziehen, Klärung vorab
- möglichst selber Kulturkreis und selbes
Geschlecht wie Proband
- Gespräch mit Probanden, nicht mit
Dolmetscher
- möglichst wortgleiche Übersetzung
VPrSG Philipp Stark
16
Schlussfolgerungen für die Begutachtung von
Migranten aus rechtlicher Sicht
2.
Familienmitglieder
- als Dolmetscher nicht neutral
- für Fremdanamnese eher geeignet, vor allem
bei schweigsamen Probanden
3.Dolmetschende Praxisangehörige
- nur als Notbehelf
VPrSG Philipp Stark
17
Schlussfolgerungen für die Begutachtung von
Migranten aus rechtlicher Sicht
III.
Beantwortung der Beweisfragen
1.Ausreichende Würdigung der Migrationssituation im
Gutachten
2.Hierbei: Besondere Beachtung der Anamnese und
der tatsächlichen Integration
VPrSG Philipp Stark
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18
28
Schlussfolgerungen für die Begutachtung von
Migranten aus rechtlicher Sicht
IV. Neutralität
- Offenheit gegenüber Prägungen und Einflüssen
einer anderen Kultur
- kritische und angemessene Berücksichtigung dieser
Einflüsse
- zurückhaltende, vor allem nicht herablassende
Ausdrucksweise
- Trennung von Beschwerden, Befunden, Diagnosen,
und Schlussfolgerungen
- Fehlen von negativen Bewertungen oder nicht
veranlassten Rechtsausführungen
VPrSG Philipp Stark
19
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
VPrSG Philipp Stark
20
Fundstellen und Literaturhinweise
Elling: Medizinische Sachverständigengutachten in
der sozialgerichtlichen Praxis - Qualitätssicherung
bei Auftraggeber und Auftragnehmer,
NZS 2005, 121
Hausotter/Schouler-Ocak, Begutachtung bei
Menschen mit Migrationshintergrund, 2. Aufl. 2013
Hausotter, Begutachtungen bei Migrationshintergrund, MedSach 2010, 110
Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung,
5. Aufl. 2009
VPrSG Philipp Stark
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21
29
Unfallbedingte HWS-Distorsion, begutachtungsrelevante Aspekte
und Einschätzung der MdE
PD Dr. Andreas Badke
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30
HWS - Distorsion
PD Dr. med. A.Badke
Chefarzt der Abteilung für Querschnittgelähmte, Technische
Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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14.08.2015
The never ending story
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Historisches:
1928 Crowe
„Whiplash Injury“
1953 Gay Abbott
Psychoneurotische Reaktion
1966 Hauptthema der 83. Tagung der DGCH
1995 Publikation der QTF
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31
Zur Klinik:
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Unfall mit Krafteinleitung auf die Halswirbelsäule
Unfallopfer beklagt:
Nackenbeschwerden
Kopfschmerzen
Übelkeit
Schwindel
Tinnitus
Paräesthesien obere Extremitäten
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Klinischer Befund:
Die klinische Untersuchung umfasst immer:
• Palpationsbefund
• Feststellung der Beweglichkeit
• Neurologische Untersuchung.
Der sorgfältigen Dokumentation des klinischen Erstbefundes
kommt für die spätere gutachterliche Aufarbeitung der Unfallfolgen
entscheidende Bedeutung zu.
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Erdmann - Klassifikation
Grad 1
Schmerzen nach freiem Intervall > 6 h
Grad 2
Schmerzen unmittelbar nach dem Trauma
Grad 3
Schmerzen und pathologischer
Untersuchungsbefund
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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QTF - Klassifikation
Grad 1
Nackenschmerz, Verspannung
Grad 2
zusätzlich somatische Befunde
( z.B Bewegungseinschränkung, Druckschmerz )
Grad 3
zusätzlich neurologische Symptome
Grad 4
Fraktur oder Luxation
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Radiologische Befunde
„Zahnradphä
Zahnradphänomen“
nomen“
B.S., weibl., 15 J.
Funktionsaufnahmen im Beisein des Gutachters
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B.S., weibl., 15 J.
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Merke:
Instabilitätskriterien untere HWS:
• Translation der Hinterkanten > 3 mm
• Angulation der Wirbelkörper > 11°
• Facettenartikulation < 50 %
Zusätzliche Hinweise auf instabile Verletzungen:
• Knöcherner Ausriss der vorderen unteren WK – Kante „teardrop“
• Prävertebraler Weichteilschatten verbreitert
• Distanzvergrößerung der Processus spinosi
• Unterbrechung der spinolaminären Linie
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MRT
Indikation:
Absolute Indikation bei neurologischen Ausfällen
ohne nativradiologisch oder computertomographisch
nachgewiesenes Korrelat.
Bei Beschleunigungsverletzungen spätestens bei nach
4 Wochen noch bestehenden Beschwerden.
Bei Patienten, die nach einer Beschleunigungsverletzung
stationär behandelt werden.
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Rate der Patienten mit Beschwerden nach 6 Monaten:
Galasko
Radanov
Claussen
Spitzner
Eigene
48
%
30
%
15 - 20 %
13
%
15,5
%
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„Yellow Flags“
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Hohe initiale Schmerzintensität
Persistierende Schlafstörungen
Persistierende vegetative Symptome
Persistierender Tinnitus oder Schwindel
Vorbestehende degenerative Veränderungen
Prätraumatischer Kopf- oder Nackenschmerz
Depressivität
Belastende Arbeitssituation
Streitigkeiten mit der Versicherung
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35
Zur Begutachtung
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Arbeitsunfall –
Prüfschema Bundessozialgericht
Zusammenhangsgutachten
Arbeitsunfall
Unfall
UE
VT
VP
GS
GS
1
Vers. Person +
grds. vers.
Tätigkeit
Verrichtung
zur Unfallzeit
Unfall-
2-x
Weitere
Gesundheitsschäden
Gesundheits-
Unfallereignis
erstschaden
haftungsbegründende
haftungsausfüllende
Kausalität
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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„Dem
medizinischen
Sachverständigen
obliegt
es,
den
Gesundheitserstschaden und die Unfallfolge im Vollbeweis, d.h.
mit
an
Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit,
und
die
haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität im
Wege
der
Beweiserleichterung
mit
Wahrscheinlichkeit zu sichern.
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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hinreichender
36
Vollbeweis für alle Kausalfaktoren
anspruchsbegründende
Tatsachen
z. B.
- Richtung der Gewalteinwirkung
- Intensität der Gewalteinwirkung
- zeitlicher Zusammenhang
- „Brückensymptome“
anspruchshindernde
Tatsachen
insbes.
- Schadensanlage und deren Ausmaß
- Vorerkrankung und deren Ausmaß
Merksatz: Lässt sich ein Kausalfaktor (Unfallereignis / Vorschaden) nicht
zweifelsfrei beweisen, stellt sich gar nicht die Frage, ob er Ursache im
Rechtssinn sein könnte (vgl. z. B. BSG-Urteil v. 20.01.1987)!
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Zum Unfallmechanismus
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37
Kollisionsdynamisches Gutachten
Sinnvoll, wenn Unfallmechanismus und behaupteter
Körperschäden diskrepant sind.
Erlaubt Abschätzung des Gefährdungspotentials
Definiert die Anknüpfungstatsachen
Die Abschätzung von Krafteinwirkungen aus Photos,
Unfallschilderungen etc. ist nicht Aufgabe des Mediziners.
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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„Harmlosigkeitsgrenze“
Geringe Krafteinleitungen schließen schwere,
strukturelle Verletzungen aus.
Da die Ätiologie einer Störung QTF I und II nicht bekannt ist,
kann eine Grenze für die Krafteinleitung, unter der diese Störung
nicht auftreten kann, nur schwer begründet werden.
Im Einzelfall sind Kopfstellung bei Krafteinleitung,
Kopfanprall Ja/Nein, ggf. Trainingszustand der Muskulatur,
anlagebedingte Hyper-/Hypomobilität mit zu berücksichtigen.
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Vulnerabilität
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Zum Erstkörperschaden
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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„Die Funktionsstörung des Bewegungssegmentes,
die unabhängig von zufälligen degenerativen Veränderungen
auftritt, kann durch zahlreiche Noxen ausgelöst werden.
Akute oder chronische Überlastungen, Sport, Arbeitsstereotypien,
Unterkühlungen, Infekte und andere sind in der Lage,
die segmentalen Regelkreise zu überfordern und radikuläre
oder pseudoradikuläre akute bis chronische
Schmerzsyndrome auszulösen.“
(Eder / Tilscher 1988)
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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39
„Indizienbeweis“ für den Erstkörperschaden
Keine Symptomatik im Zeitraum vor dem Unfallgeschehen
Verletzungsmöglichkeit unfallmechanisch plausibel
Beschwerdearmes Intervall längstens bis zum Morgen des Unfallfolgetages
Passendes subjektives Beschwerdebild
Beschwerdeprovokation an den Weichteilen durch Druck- und Bewegung
Beschwerdemaximum im engen zeitlichen Verhältnis zur Unfalleinwirkung
Abklingen der Beschwerden in einem überschaubaren Zeitraum von Tagen
bis längstens 2 bis 3 Wochen
Nach Schröter F. (2015): Distorsion der Halswirbelsäule – neue gutachterliche Aspekte.
Trauma Berufskr 2015 online
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Erstkörperschaden
Es besteht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen
Ereignis und Beginn der Beschwerden.
Zeitnah zum Ereignis wurde ein qualifizierter
Untersuchungsbefund der Halswirbelsäule dokumentiert.
In diesem Befund werden Funktionsstörungen
(Muskelverhärtungen, Druckschmerzen,
Bewegungseinschränkungen) niedergelegt.
Das klinische Bild und die angegebenen Beschwerden
sind vereinbar.
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Verhalten nach dem Unfall !!
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40
Das „beschwerdefreie Intervall“
„Wenn verbreitet wird, ein beschwerdefreies Intervall sei für Verletzungen im Bereich
der Halswirbelsäule typisch, so ist dies falsch.“ (Ludolph 1995)
Ein „beschwerdefreies Intervall“ zwischen angeschuldigtem
Ereignis und dem Auftreten erster Beschwerden schließt
gravierende strukturelle Verletzungen der HWS aus.
Ein freies Intervall kann ein Indiz dafür sein,
dass der Betroffene keine Verletzung erlitten hat.
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Bewertung morphologischer Befunde an der HWS
„Steilstellung der HWS“ ist nicht pathologisch.
Keine Begriffe wie „Gefügestörung“, „segmentale Lockerung“
verwenden, da diese Begriffe nicht definiert sind und Wertungen
enthalten, die nicht belegt werden können.
Zum Nachweis unfallbedingter Schäden sind
weder eine
Funktions – MRT
noch
PET, Szintigraphie
erforderlich.
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Zum „Dauerschaden“
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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41
Hypothesen zur Pathophysiologie:
1. Manualtherapeutisch
2. Neurophysiologisch
3. Schädigung der Muskulatur
4. Zellbiologisch
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Zu 1. Manualtherapeutisch
Blockierung
Atlastherapie
Abb. aus Spiegel Wissen
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Zu 1. Manualtherapeutisch
Die kraniomandibuläre Dysfunktion
Hülse M,, Klosert-Bruggner B. (2009): Die kraniomandibuläre Dysfunktion –
Eine nicht hat beachtete Pathologie des sog. HWS – Schleudertraumas. Manuelle Medizin 47: 7 – 15
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42
Zu 2. „Neurootologisch“
„Multisensorische Konvergenz“
„Dysfunktionelle Störung“
„ (…) eigene Kreationen, die in keinem medizinischen
Fachbuch zu finden sind
und einer ernstzunehmenden
Grundlage entbehren (…)“ (Noth 1997)
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Das cervico-cephale Syndrom
Funktionsstörung der Kopfgelenke Ja
oder
Nein
Differenzierte Untersuchungstechnik
Sorgfältige Palpation der occipito-cervicalen Muskulatur
Eingehende Beweglichkeitsprüfung in allen Ebenen
(Neutralstellung, Inklination und Reklination)
Untersuchung der Kiefergelenke und der Proc. mastoidei
Es obliegt dem Neurologen bzw. dem HNO-Arzt,
auf der Grundlage des orthopädisch-traumatologischen Befundes
die Zusammenhangsfragen auf seinem Fachgebiet
bezüglich der Funktionsstörungen, die nicht traumatologisch
erklärbar sind, zu beantworten.
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Zu 3. Schädigung der Muskulatur
Hypothese zur Erklärung
chronifizierter Beschwerden
durch regressive
Muskelveränderungen
Kügelgen B, Kügelgen C ,·Baumgaertel F. (2002): HWS-Schleudertrauma Muskuläre Funktionsstörungen und Therapiekonzepte. Manuelle Medizin
40: 159–168
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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43
---„(…) Folgen diverser mitochondrialer Funktionsstörungen (…)“ -- ----
Zu 4. Zellbiologisch
Kuklinski B (2006): Das HWS – Trauma. Aurum in Kamphausen, Bielefeld
n
sin
n
U
-------PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Ligamenta alaria
Für die Annahme einer isolierten Verletzung der Ligamenta alaria
findet sich in der wissenschaftlichen Literatur keine Bestätigung.
Die Protagonisten dieser angeblichen Verletzung stützen sich
insbesondere auf Befunde der funktionellen Kernspintomographie.
Die von einem Autor beschriebenen isolierten Verletzungen der
Flügelbänder konnten weder anatomisch noch kernspintomographisch
bestätigt werden.
K.-D. Thomann, · C. Schomerus · T. Sebestény · M. Rauschmann (2010) :„Isolierte Verletzung“
der Ligamenta alaria Kernspintomographische Diagnostik und operative Therapie.
Orthopäde 2010 · 39:285–298
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Merke::
Die Interpretation morphologischer Befunde im MRT
sowohl hinsichtlich ihrer therapeutischen Konsequenzen
als auch hinsichtlich der Beurteilung des Unfallzusammenhangs
sollte durch den Gutachter anhand der Originalaufnahmen
erfolgen!
In Zweifelsfällen kann ein radiologisches Zusatzgutachten sinnvoll
sein.
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44
Eine durchgeführte Therapie darf nicht als Begründung für die
Annahme eines schweren Schadens angeführt werden. Vielmehr ist
gutachtlich zu begründen, warum der zur Therapie führende klinische
Befund als Unfallfolge aufzufassen ist.
aber
„Zu berücksichtigen sind dabei auch eingetretene Komplikationen
oder Fehlbehandlungen, die – wenn die Behandlung auf Unfallfolgen
ausgerichtet war – mit ihren Folgeerscheinungen auch dem Unfall
zuzurechnen sind.“
Nach Schröter F. (2015): Distorsion der Halswirbelsäule – neue gutachterliche Aspekte.
Trauma Berufskr 2015 online
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Der Problemfall
Konstellation:
Niederenergetisches Trauma (klassischer Auffahrunfall)
WAD QTF I oder II
Multiple Therapieformen
Langanhaltende Beschwerden, ggf. mit gravierenden
Konsequenzen für die Lebensführung
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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K.,M., weibl., 32 J.
Klassischer Heckanprall,
Sofort Beschwerden,
Schwindel, Tinnitus
Nackenschmerzen,
„HWS verspannt, endgradige
Bewegungseinschränkung“
Vorerkrankungsverzeichnis leer,
MRT 3 Wochen nach Unfall
Deg. Veränderungen
C5/6 und 6/7
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Prüfschema nach
Schröter
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Fazit:
Begutachtung nach einheitlichem Schema
(Prüfschema, Standardfragen)
Im Zweifel kollisionsdynamisches GA
Pro und Contras der Kausalitätsbegründung auflisten
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Fazit:
Ohne Erstschaden keine Chronifizierung!!
Wenn Erstschaden als „Weichteilzerrung“ / QTF 1 und 2,
dann ist kein Dauerschaden begründbar!
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
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Literatur
H. Schrader · L.J. Stovner · T. Sand (2007): Studien zum Halswirbelsäulenschleudertrauma kritisch
hinterfragt; Der Orthopäde 36:379–380.
Spitzer WO, Skovron ML, Salmi LR, et al. (1995);: Scientific monograph of the Quebec Task Force
on Whiplash-Associated Disorders: redefining "whiplash" and its management.
Spine.1995;20(suppl):1S-73S.
Schrader H, Obelieniene D, Bovim G, et al. (1995): Natural evolution of late whiplash syndrome
outside the medicolegal context.Lancet 347:1207-1211.
Castro WHM, Schilgen M, Meyer S, Meyer S, Weber M, Peuker C, Wörtler K, Wörtler K (1997):
Do „whi plash injuries“ occur in low speed rear impacts? Eur Spine J 6:366–375
Kügelgen et al.(2002): HWS – Schleudertrauma – Beriffsbestimmunen und ätiologische Aspekte.
Manuelle Medizin 40 101-110
K.-D. Thomann, · C. Schomerus · T. Sebestény · M. Rauschmann (2010) :„Isolierte Verletzung“
der Ligamenta alaria Kernspintomographische Diagnostik und operative Therapie.
Orthopäde 2010 · 39:285–298
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Eberhard Karls Universität Tübingen
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Literatur
Schröter F. (2015): Distorsion der Halswirbelsäule – neue gutachterliche Aspekte.
Trauma Berufskr 2015 online
Schröter F.. (2010): „HWS – Schleudertrauma nach geringfügigen Unfällen Konstrukt
oder ernstzunehmende Verletzung? Orthopäde 39 276-284
Hülse M,, Klosert-Bruggner B. (2009): Die kraniomandibuläre Dysfunktion –
Eine nicht hat beachtete Pathologie des sog. HWS – Schleudertraumas. Manuelle Medizin 47: 7 – 15
Thomann KD, Hollo DJ, Gaidzik PW (2014): Sonderfall einer Zusammenhangsbegutachtung:
HWS – Distorsion nach Verkehrsunfällen („Schleudertrauma“). In: Hollo p, Schilternwolf (Hrsg):
Begutachtung der Thieme ..
Castro WH, Meyer SJ, Becke ME et al. (2001) No Stress – No Whiplash?
Prevalence of „Whiplash“ Symptoms following Exposure to a Placebao Rear-End-Collision.
Int J Legal Med 114: 316-322
Lamb SE, Gates S, Williams MA et al. (2013): Emergency Departement Treatments and
Physiotherapy for acute Whipilash: a pragmatic, Twostep, randomisis controlled Trail.
Lancet 9 866: 546-556
PD Dr. med. Andreas Badke, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Eberhard Karls Universität Tübingen
Literatur
Weber M. (2010): Unfallanalyse und Biomechanik - Zur Bedeutung unfallanalytischer
Gutachten für die medizinische Einschätzung der Schwere von Wirbelsäulenverletzungen.
Orthopäde 2010 · 39:264–275
Magin M, ·Auer C (2014): Begutachtung der Halswirbelsäulendistorsion Interdisziplinärer unfallchirurgischorthopädischer und biomechanischer Ansatz. Unfallchirurg · 117:263–273
Lang CJG, Badke A, Grifka J et al. (2008): Leitlinie Begutachtung der Halswirbeldistorsion.
Akt Neurolog 35: 131 – 137
Weber M, Badke A., Haushotter W. (2004): Anhaltspunkte für die Begutachtung von H
Halswirbelverletzungen. DGU Mitteilungen und Nachrichten Suppl 12 - 242
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Begutachtung von Wirbelfrakturen
Dr. Stefan Matschke
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Fälle Begutachtung Wirbelsäule
PD Dr. Andreas Badke
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Fälle Begutachtung Wirbelsäule
PD Dr. Andreas Badke
Chefarzt der Abteilung für Querschnittgelähmte,
Technische Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie
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14.08.2015
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MdE Bewertung
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Orientierung an Wirbelkörperform:
Gut verheilte VK – Absprengung
5%
Deckplattenimpression
5%
1/3 VK - Höhenminderung
10 %
2/3 VK – Höhenminderung
15 %
Grober WK – Verformung
20 %
Degeneration ein angrenzender BSR
Degeneration zwei angrenzende BSR
Op bedingter Weichteilschaden
Verbliebendes Metall
+5 %
+10 %
+5 %
+5 %
Nach Rompe 2003
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Segmentprinzip:
Nach Weber 1992
Segment
Grad
%
C0/1
C1/2
C2/3
C3/4
C4/5
C5/6
C6/7
C7/ T1
T1/2
T2/3
T3/4
T4/5
T5/6
T6/7
T7/8
T8/9
T 9 / 10
T 10 / 11
T 11 / 12
T 12 / L1
L1/2
L2/3
L3/4
L4/5
L5/S1
50
46
37
39
46
42
39
32
14
14
14
14
14
16
12
12
12
14
12
23
21
23
29
36
30
7,8
7,2
5,8
6,1
7,2
6,6
6,1
5,0
2,2
2,2
2,2
2,2
2,2
2,5
1,8
1,8
1,8
2,2
1,8
3,6
3,3
3,6
4,5
5,6
4,7
Segmentwert
x 1 Bandscheibenbeteiligung
x 2 Fehlform / Skoliose
x 3 Ankylose
x 4 Instabilität Grad I
x 5 Instabilität Grad II
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Bewertung:
VK Höhenminderung 1 / 3
10
Degeneration einer Bandscheibe
+5
Weichteilschaden nach Op
+5
__
20 %
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Bewertung:
Segment T 12 / L1
Wert 3,6
X 2 (Fehlform) = 7,2 %
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Bewertung:
a)
T12 / L1
L1 / 2
3,6 x 3 = 10,8
3,3 x 3 = 9,9
-------20,7
b)
Grober Verformung WK
Op bed. Weichteilschaden
Deg. ein angr. BSR
20
+5
+5
-----30
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Bewertung:
a)
T11 / 12
1,8 x 3 = 5,4
-------5,4
b)
„Deckplattenimpression“
Op bed. Weichteilschaden
5
+5
-----10
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Fall G.H.: 68 J.
Subluxation HWK 6 / 7, ventrale Spondylodese mit BK - Span
GA 18 Monate nach Unfall:
Subjekt. Ausgeprägte Schmerzen Nacken, Neurostatus oB
Befund: HWS vor / rück 20 - 0 - 30, rot re. / li. 40 - 0 - 40, diff. DS gesamte
Nackenmuskulatur
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Fall G.H.: 68 J.
MdE 10
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Ereignis:
Sturz von der Leiter, ca. 2,5 m Höhe
Aufprall auf das Gesäß
Klinik:
Akute Rückenbeschwerden
ohne Ausstrahlung in die Beine, zunächst
keine Neurologie
Am Folgetag Ischialgie, Pelzigkeit S1 li.
Vorzustand:
Gesund, Vorerkrankungsverzeichnis leer.
S.J. , 32 J.
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MRT 3 Wo. nach Unfall
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Bewertung:
Trauma geeignet
Unmittelbare Lumbalgie
Kein klinisch relevanter
Vorschaden
Trauma ist rechtlich wesentliche
Ursache des BSV
Postop. rasche Erholung,
keine Neurologie
Endgradige Funktionsminderung
MdE 10
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Ereignis:
Auf der Baustelle einen schweren
Betonring von einem LKW abgeladen
Klinik:
Stechender Schmerz im Rücken
mit Ausstrahlung in beide OS, keine
Ausfälle
Vorzustand:
Lt. Vorerkr.Verzeichnis 2 und 5 J. vor dem
Ereignis kurze AU Zeiten wg. Lumbago
S.E. , 62 J.
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Bewertung:
Vorschaden ausgeprägt
Kein Überraschungsmoment
Morphologisch keine frische Verletzung
Ereignis als Gelegenheitsursache
eingestuft
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Ereignis:
Sturz auf der Treppe, prallt
mit dem Rücken auf die
Treppenstufe
Klinik:
Prellmarke am Rücken, starke
Lumbago, keine radikuläre
Symptomatik
Vorzustand:
Beschwerdefrei, lt. Vorerkr.-verz.
Keine Behandlungen wg. WS
dokumentiert, Leistungssportler
(Tennis)
Spondylolyse seit Wehrdienst bekannt
S.N. , 34 J.
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Bewertung:
Ereignis führt zu einer
Richtunggebenden Verschlimmerung
des anlagebedingten Leidens
Behandlung wird bg-lich geführt
Derzeitiger Funktionszustand
Entspricht einer MdE von 20%
S.N. , 34 J.
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F, M, 52 Jahre
Unfall 13.07.1983
GA 17.10.2012:
Knöchern verheilte Fraktur mit Verblockung TH1 bis L3
Buckelbildung von 20° und S-förmige Verkrümmung
Narbenbildung am Rücken mit eingezogener Narbe am oberen Pol
Konzentrische Bewegungseinschränkung
Anschlußarthrose Th 11/12, Th10 / 11 und L 3/ 4
Unfallunabhängig Leicht Spondylolisthesis L 5 / S1
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03.07.2014
Op bei BSV L4 / 5 mit nach caudal umgeschlagenem Sequester
und Kompression der Wurzel L 5 rechts und intraforaminaler
Cyste
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Frage:
Ist der BSV und die
Arthrose L4 / 5 als Folge des
Unfalls zu werten?
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Pro:
Contra:
Vorbestehende Listhese L5 / S1
Unfallbedingte Fehlstellung
mit Mehrbelastung des Segmentes
rechtsbetont
Zeitverlauf 30 Jahre (?)
Arthrose L3 7 4 mit Retrolisthese
anerkannt
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P, D, 46 Jahre
Unfall 05.05.1990
Atlasfraktur Magerlsche Verschraubung
ME der Schrauben 08 / 90
2. RG 1990: Bewegungseinschränkung der Kopfgelenke MdE 20
Ab 2000 zunehmende Schmerzen Nacken, Hinterkopf
Radiologisch progrediente Spangenbildung C2 / 3
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Radiologischer Verlauf:
HWS Funktionsaufnahmen von 2004:
Spange 2/3, Verkalkungen Längsband 4/5 und 5/6
HWS in 2 Ebenen 2006:
Spange 2/3, Verkalkungen unverändert,
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Frage:
Welche Segmente sind unfallabhängig betroffen?
Rheumatologische Abklärung negativ (HLA B-27, RF)
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4 Rechtsprechung
Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 01. Juni 2011 – L 2 U 416/09 –
Kriterien für das Einschätzen der MdE nach Wirbelsäulenverletzung sind insbesondere stabile oder instabile Ausheilung und Achsenabweichung
Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Januar 2012 – L 2 U 358/10 –
MdE-Einschätzung bei Wirbelsäulenverletzungen, insbesondere bei Vorerkrankungen:
Die Regelsätze enthalten nur Anhaltspunkte für den Normalfall und dürfen nicht
schematisch angewandt werden. Ein Vorschaden kann auch eine geringe MdE
bewirken.
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14. März 2012 – L 6 U 7/11 –
Kausalität bei einer Lendenwirbelsäulenverletzung: Hat sich im Zusammenhang
mit einem Unfallereignis eine bereits zuvor angelegte Gesundheitsbeeinträchtigung manifestiert, so fehlt jedenfalls dann ein für die Annahme eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlicher Gesundheitsschaden, wenn der anlagebedingten Gesundheitsbeeinträchtigung (hier: Schädigung der Wirbelsäule) gegenüber dem Unfallereignis (hier: Verheben) für das
nach dem Unfall gegebene Schadensbild überragende Bedeutung zukommt.
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. April 2015 – L 3 U 191/13 –
Kausalität bei einem Wirbelbruch: Bei der Abgrenzung eines von außen auf den
Körper einwirkenden Ereignisses im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII von einem (nicht versicherten) willensgesteuerten Ereignis ist die Handlungstendenz
des Versicherten maßgeblich. Treten durch willensgesteuerte Handlungen unbeabsichtigte Folgen auf (etwa ein Wirbelbruch bei dem Versuch ein auf der Seite
liegendes Motorrad aufzuheben), kann ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (etwa in Form der Krafteinwirkung beim Anheben eines schweren
Gegenstands) vorliegen.
Weitere Hinweise auf Rechtsprechung bei den einzelnen Referaten
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5 Literaturhinweise
W. Hausotter
Begutachtung von Personen mit Migrationshintergrund;
Forum C, Beitrag C1-2015 unter www.reha-recht.de; 05.03.2015 (LINK)
Carstens, C.
Was ist eigentlich ein "statisch wirksamer Achsenknick"?
Der Medizinische Sachverständige 110 (2014) Nr. 5, S. 210-211
Marx, P.
Begutachtung von Beschleunigungsverletzungen der Halswirbelsäule
Der Nervenarzt (2011) Nr. 12, S. 1525-1532
Schröter, F.
HWS-"Schleudertrauma" - faktenorientierte rationale Begutachtung
Der Medizinische Sachverständige 107 (2011) Nr. 2, S. 69-75
Weise K. / Schiltenwolf M.:
Grundkurs orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, Kapitel 18. Wirbelsäulenschäden (Verfasser: Schröter F.), 2. Auflage 2014
Carstens, C.:
Was ist eigentlich ein "statisch wirksamer Achsenknick"? Der Medizinische
Sachverständige 110 (2014) Nr. 5, S. 210-211
Schittig, P.:
Neue Gesichtspunkte in der Begutachtung der Wirbelsäulenfrakturen, Trauma
und Berufskrankheit 2 (2000), Supplement 2, S. S264-S267
Thomann K.-D., Grosser V., Rauschmann M.:
Begutachtung von Wirbelsäulenverletzungen, Orthopäde (2000). 39 S. 312-328
Weitere Literatur-Hinweise bei den einzelnen Referaten bzw. durch Anfrage bei den
Referenten
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6 Referenten
Leitung/Moderation
Claudia Drechsel-Schlund
Geschäftsführerin der Berufsgenossenschaft
für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
Bezirksverwaltung Würzburg
Röntgenring 2
97070 Würzburg
Priv.Doz. Dr. med. Andreas Badke
Stellvertretender Ärztlicher Direktor
Chefarzt der Abteilung für Querschnittgelähmte, techn. Orthopädie und
Wirbelsäulenchirurgie
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik
Schnarrenbergstraße 95
72076 Tübingen
Referenten
Dr. med. Sara Aytac
Fachärztin der Klinik für
Unfallchirurgie und Orthopädie
BG Unfallklinik Ludwigshafen
Ludwig-Guttmann-Straße 13
67071 Ludwigshafen
Klaus Feddern
Geschäftsführer der Berufsgenossenschaft
für Transport und Verkehrswirtschaft
Bezirksverwaltung Wiesbaden
Wiesbadener Straße 70
65197 Wiesbaden
Dr. med. Stefan Matschke
Leiter der Sektion Wirbelsäulenchirurgie
der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie
BG Unfallklinik Ludwigshafen
Ludwig-Guttmann-Straße 13
67071 Ludwigshafen
Philipp Stark
Vizepräsident des Sozialgerichts
Karl-Friedrich-Straße 13
76133 Karlsruhe
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