Reise und Kultur BZB März 16 73 KZVB Zu wenig Biss Der Australopithecus sediba war dem Menschen ähnlicher als dem Affen Wer ist überhaupt der Australopithecus sediba (übersetzt: ursprünglicher südlicher Affe)? Er ist eine Art der Gattung des Australopithecus, der vor rund zwei Millionen Jahren in Südafrika lebte. Entdeckt wurden die ersten beiden Skelette 2008 in der Malapa-Höhle bei Johannesburg. Bei den Funden handelt es sich um einen jungen Erwachsenen und eine ältere Frau. Wahrscheinlich gerieten die beiden in einen Erdrutsch, sodass ihre Knochen ungewöhnlich gut erhalten blieben. Auch die Zähne sind gut konserviert. Ein Forscherteam untersuchte Schädel und Skelette und schrieb über seine Entdeckung im Fachmagazin „Nature“. Die Ergebnisse liefern Indizien dafür, dass der Australopithecus bereits weitaus moderner war als die etwa zur gleichen Zeit lebenden Vormenschen Homo habilis und Homo rudolfensis. So sei die Hand ähnlich gut entwickelt wie beim Homo sapiens. Der Vormensch habe auch ein sehr menschenähnliches Becken besessen, berichteten die Forscher. Mit 440 Kubikzentimetern sei sein Gehirn dagegen eher klein gewesen, es hätte aber bereits eine relativ moderne Form gehabt. Ungewöhnliche Essgewohnheiten 2012 erfolgte eine erste Analyse des Zahnsteins. Sie ergab, dass auf dem Speiseplan des Australopithecus sediba neben Gräsern und Früchten auch Holz, Baumrinde und Blätter standen. Versteinerte Überreste dieser Pflanzen im Zahnstein waren für die Wissenschaftler der Beleg. Der Isotopenanalyse nach ernährte sich der Vormensch eher wie ein heute lebender Schimpanse. Auf der Suche nach Nahrung bewegte er sich mehr in Wäldern und kleinen Gehölzen als in der grasbewachsenen Savanne. Unterstrichen wurde das Ergebnis durch die ungewöhnlichen Abnutzungsmuster der Zähne. Zuvor hatten Forscher bereits 81 andere Vor- und Foto: Peter Schmid/Lee Berger, University of the Witwatersrand „Damit Sie auch morgen noch kräftig zubeißen können“ – das galt nach neuesten Erkenntnissen offenbar nicht für den Australopithecus sediba. Denn zum Nüsse knacken, Baumrinde oder harte Blätter kauen waren sein Kiefer und seine Zähne nicht gemacht. Der Australopithecus sediba nutzte seine Hände noch zur Fortbewegung in Bäumen, verfügte aber zugleich bereits über die Fähigkeit des menschlichen Präzisionsgriffs, eine Voraussetzung zur Werkzeugherstellung. Frühmenschen untersucht. Keiner entsprach dem neuen Muster, das sich durch mehr Furchen und Rillen als üblich auszeichnet. „Die meisten Australopithecinen besaßen erstaunliche Anpassungen ihrer Zähne, Kiefer und Gesichter, die es ihnen ermöglichten, auch Nahrung zu essen, die schwer zu kauen oder zu knacken war“, erklärte David Strait von der Washington University in St. Louis. „Unter anderem konnten sie mit enormer Kraft zubeißen.“ So lautete der wissenschaftliche Stand vor vier Jahren. Schwachstelle Kiefer Nun nahmen sich Forscher der University of New England nochmals des Australopithecus sediba an, genauer gesagt: seines Kiefers. Dabei kamen sie zu einem überraschenden Ergebnis. Zwar nahm er Nüsse und Baumrinde zu sich, aber das war wohl 74 BZB März 16 Reise und Kultur Foto: Brett Eloff/Lee Berger, University of the Witwatersrand KZVB Der Schädel eines der in der Malapa-Höhle gefundenen Vormenschen wurde in den vergangenen zwei Millionen Jahren gut konserviert. Das 3-D-Modell zeigt die Belastung während eines Bisses. Foto: Lee Berger, University of the Witwatersrand eher die Ausnahme als die Regel. Denn er war schlicht und ergreifend für diese Art der Ernährung nicht angepasst. Sein Kiefer war recht grazil, sodass er auf Dauer nicht so kraftvoll zubeißen hätte können, wie es für diese Nahrung erforderlich gewesen wäre. Außerdem hatte er im Anthropologe Lee Berger mit seiner Entdeckung, dem Skelett eines Australopithecus sediba Vergleich zu anderen Arten des Australopithecus kleine Molaren und Prämolaren. Zudem waren die Muskelpartien nur schwach ausgeprägt und wiesen nur einige Merkmale auf, die die das Gesicht stützende Hebelwirkung erhöhen würden, so die Einschätzung der Forscher. „Wenn er seine Backenzähne mit der vollen Kraft seiner Kaumuskeln zusammengebissen hätte, dann hätte er sich den Kiefer ausgerenkt“, fasste es der Anthropologe Justin Ledogar zusammen. Ein „Nussknacker“, wie der Australopithecus auch genannt wird, war er wohl eher nicht. Australopithecus sediba ein enger Vorfahr? Die neuen Erkenntnisse könnten ein weiteres Rätsel lösen. Denn bis dato galt der Australopithecus sediba als „rätselhafter Vormensch“. Denn er konnte nicht genau in den Stammbaum des Hominini eingeordnet werden. Folglich wurde er einem Seitenast des modernen Menschen zugeordnet. Das könnte sich nun ändern, denn die begrenzte Beißkraft ist auch ein Charakteristikum des Menschen. Nach Ansicht der Anthropologen könnte das Wissen um den Speiseplan unserer Vorfahren und dessen Änderungen dabei helfen herauszufinden, wie diese Vormenschen begannen, sich zum Frühmenschen zu entwickeln. Fragen bleiben dennoch viele offen: Seit wann existierte die Art? Wie lange existierte sie? Und warum ist sie ausgestorben? Ob diese Fragen beantwortet werden können, ist ungewiss. Denn bisher wurden erst vier Skelette entdeckt. Ilka Helemann
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