2 Silvio Z. Verurteilt Ungewöhnlicher Gerichtsfall 3 Umschlaggestaltung: Silvio Zimmermann Gedruckt auf FSC-Zertifiziertem Papier 2. Auflage © 2015 Silvio Z., nacherzählt von unbekannt. Druck epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Printed in Germany 4 VERURTEILT Ein Gerichtssaal. Die Stimmung ist zum Zerreissen angespannt. Der Henker ist bereit, das Urteil zu vollstrecken. 5 6 Beim Henker In ruhigen, gleichmässigen Zügen, als trage er die ganze Ewigkeit in den Händen, strich der Henker seinen Wetzstein über den blanken Stahl des Schwerts. Das Schwert des Todes. Er mochte dieses stille Ritual vor dem grossen Augenblick. Dieses Gefühl der Gelassenheit, welches sich mit jedem Strich über die Klinge in seinem Körper wohlig warm ausbreitete. In diesen Momenten wurde der enge, feuchte Raum, in dem er sass und auf das Urteil wartete, weit und hell. Und manchmal, für einen kurzen Augenblick, sah er dann die Sonne. Der Henker schloss die Augen, atmete tief ein und trat in Gedanken hinaus auf den Platz, wo der Tod für das Volk tanzen sollte. Er ging die Stufen hinauf zum Podest, sah den Holzblock, das getrocknete Blut, den Korb auf dem Boden. Er hörte das Raunen des Volkes, spürte die Ungeduld der Menschen, die Gerechtigkeit bei ihrer Arbeit sehen zu dürfen und sah in ihren Augen diese stille Erleichterung, dass ein anderer und nicht man selbst, dem Tod in die Augen sah. Wenn er am Tag durch die Strassen ging, war er einer von vielen. Doch wenn er die schwarze Kapuze über sein Gesicht streifte, das Schwert über die Schultern 7 hob und mit ganzer Kraft in den Holzblock rammte, war er für einen Augenblick den Göttern unendlich nah. So lange, bis der Kopf in den Korb fiel, und sich das Schweigen der Menge in donnernden Jubel verwandelte. Der Henker lächelte sanft. Es war so einfach, Menschen glücklich zu machen. Er betrachtete prüfend die Klinge und kramte unter seinem speckigen Lederumhang eine Vogelfeder hervor. Der Henker warf die Feder in die Luft, liess sie in der feuchten Luft des düsteren Raumes tanzen und wartete geduldig, bis sie sich fast schwerelos auf die Klinge legte, um dort gnadenlos in zwei Hälften geteilt zu werden. Das Schwert war bereit und zufrieden. Schwere Schritte vor seiner Kammer schreckten ihn auf. Es war so weit! Angespannt, wie die Sehne eines Bogens, lauschte er dem Klappern der Kerkerschlüssel. Die Zeit drängte. Der Henker schlich zur Tür. Er wollte die Angeklagte sehen, einen kurzen Blick erhaschen, bevor die Helfer der Gerechtigkeit sie dem Gericht überstellten und damit den Lauf der Dinge in Bewegung setzten. 8 Er kam zu spät. Niemand war zu sehen, und trotzdem war der schmale Gang von einem sanften Zauber erfüllt, der den Henker schwindlig machte. Was geschah mit ihm? Es dauerte eine Zeit, bis er wieder zu sich kam, und weil er nicht wusste, wohin er mit diesem Gefühl sollte, dass ihn bis in die Haarspitzen überflutete, nahm er den Wetzstein und setzte seine Arbeit fort. Er wollte wieder in seiner eigenen Welt versinken, seinen Träumen, jenen Notausgängen des Lebens, die das Leben oft erst möglich und erträglich machen. Doch seine Gedanken verweigerten sich seinen Wünschen. Sein Blick wanderte zögernd die Steinmauer entlang nach oben, zu einem kleinen, vergitterten Fenster. Er wusste, von dort konnte man in den Gerichtssaal sehen. Aber das Fenster war blosse Versuchung. Es war ihm als Henker auf das Strengste verboten, die Verhandlung zu beobachten. Doch der Wunsch, die Angeklagte zu sehen, wurde übermächtig, so unabwendbar wie sein Schwert, wenn es sich in den Holzblock rammte. Nur ein Blick, bevor das Urteil sie verwandelte, sich die Zuversicht aus ihren Augen stahl und ein 9 reissender Fluss aus Angst den Lebensmut mit sich fortriss. Seit im Land verfügt worden war, dass sie vor Gericht gestellt würde, war ein Sturm der Gefühle losgebrochen, der jeden, ob er es wollte oder nicht, mit sich fortriss. Alle hatten Wichtiges zu berichten, und doch wusste niemand was wirklich war. Sie war ein Geheimnis, das jeder zu kennen glaubte und in Wahrheit keiner kannte. Noch zögerte der Henker. Aber der Kampf dauerte nicht lange, die Versuchung war zu gross, allein ihm selbst kam es wie eine Ewigkeit vor. Das Gefühl wurde zur Gewissheit und er spürte, wenn er sie nicht sah, würden seine Träume nie wieder das sein, was sie waren. Leise, vorsichtig und zugleich von einer inneren Hast getrieben, legte er sein Schwert beiseite und zog den Schemel unter das Fenster. Den rechten Fuss auf den Schemel zu setzen, ging rasch und einfach. Allein das linke Bein zögerte, wollte den Kontakt zum Boden nicht aufgeben. Plötzlich hatte er das Gefühl, eine weiche, warme Hand lege sich in seine und führte ihn auf diesem letzten Stück Weg. Er wagte den Schritt. 10 Sein hastiger Blick huschte im Gerichtssaal umher. 11 Im Gerichtssaal Sie sassen dichtgedrängt, leise miteinander tuschelnd auf den schmalen Bänken. Männer mit ernsten Gesichtern, viele in der Kluft des Tageswerks, einige im feinen Gewand. Frauen mit besorgtem Blick, Taschentücher in der Hand, ihre Kinder fest an sich gepresst. Da war auch das Portal aus dunklem Ebenholz. Zwei Löwenköpfe zierten die Türen. Zähnefletschend hielten sie jeden Unbefugten davon ab, ihnen zu nahe zu kommen. Hinter dem Portal warteten die Zeugen der Anklage. Nicht weit davon entfernt sassen die sieben Geschworenen. Auserwählte, mit alltäglichen Gesichtern, Gedanken und Gefühlen. Der Henker erschrak, erkannte sich selbst in einem der Gesichter und wusste zugleich, dass ein jeder im Saal, auf der Strasse, in der Stadt, im ganzen Land, sich in einem der Geschworenen wiederfand. Einzig aus diesem Grund waren sie die Auserwählten. Vor den Reihen der Schaulustigen sah er den Tisch des Klägers. Ein wichtig dreinblickender Mann hatte dahinter Platz genommen. Daneben der Tisch des Verteidigers, an dem keine Menschenseele sass. 12 Ende der Leseprobe von: Verurteilt! Die Liebe vor Gericht. - Basierend auf dem Gedicht von Erich Fried: "Was es ist." Ein Gerichtsfall der anderen Art. Silvio Z. Hat Ihnen die Leseprobe gefallen? Das komplette Buch können Sie bestellen unter: http://epub.li/1UFJLpV
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