6 SCHWEIZER JÄGER 02 | 16 MONATSTHEMA Füchse im Siedlungsraum Stadt Zürich: Integriertes Fuchsprojekt Originaltext: Sandra Gloor, Fabio Bontadina, Daniel Hegglin & Therese Hotz Zusammenfassung: Elisa Mosler Foto: Giuliano Crameri 02 | 16 Ein Fuchs verirrt sich im Zürcher Milchbucktunnel, ein anderer stiehlt mitten in der Innenstadt ein dressiertes Zirkushuhn – seit Mitte der 1980er-Jahre sind Füchse zu einer beinahe alltäglichen Erscheinung in unseren Siedlungen geworden. Wie kommt es dazu? Wie nutzen Füchse den urbanen Lebensraum? Und wie geht die Bevölkerung mit den neuen Mitbewohnern um? 7 8 MONATSTHEMA D ie ehemals scheuen Rotfüchse verbringen heutzutage mitunter ihr ganzes Leben in unseren Siedlungen und dies in nie gekannten Dichten. Im englischen Bristol konnten welche von über 30 erwachsenen Füchsen pro km2 beobachtet werden. Zum Vergleich: Für ländliche Gebiete Mitteleuropas gelten durchschnittliche Dichten von 0.4 bis 1.8 Füchse pro km2. Doch wurden in unseren Städten in den 1980er-Jahren Füchse bemerkt, geschah dies in England schon in den 1930ern. Gleichzeitig nahmen aber auch die Bestände der Landfüchse etwas zu. Weshalb lebt der als scheu bekannte Rotfuchs heute inmitten von Städten? Und weshalb fand diese Entwicklung auf dem europäischen Festland, verglichen mit Grossbritannien, erst ein halbes Jahrhundert später statt? SCHWEIZER JÄGER 02 | 16 Foto: Naturpix.ch/Rolf Giger Tollwut nicht alleine als Regulator Einer der Gründe für die späte Entwicklung von Stadtfuchsbeständen auf dem Festland dürfte mit der Tollwut zusammenhängen. Diese gefürchtete Viruskrankheit, die hauptsächlich durch den Fuchs verbreitet wird, hat die Britischen Inseln bis heute verschont. Die Seuchenwellen der Tollwut liessen die Bestände der Festlandfüchse stark einbrechen. Erst mit der Schweizer Erfindung einer Impfung von Füchsen durch beimpfte Köder im Freiland konnte die Tollwut bekämpft werden. Die Schweiz gilt seit 1999 als tollwutfrei. Die Tollwut könnte demnach die Zunahme der Fuchsbestände auf dem europäischen Festland verzögert haben. Dennoch reicht das nicht aus, um die zeitlich verschobene Eroberung von Städten zu erklären. Denn die ersten 9 Foto: Kurt Gansner Foto: Kurt Gansner Nach Einschätzungen dürften um die 1200 Füchse alleine in der Stadt Zürich leben, einige davon haben wahrscheinlich noch nie einen Wald gesehen. Das Nahrungsangebot in der Stadt ist vielseitig und reicht von Essensresten in Kehrichtsäcken bis hin zum Katzenfutter vor Terrassentüren. «Offenbar bietet die Stadt auf kleiner Fläche alles, was der Fuchs an Nahrung, Schlafplätzen und Orten zur Jungenaufzucht braucht. Die Mehrheit der besenderten Stadtfüchse hielt sich denn auch Tag und Nacht im Siedlungsraum auf – ein Teil von ihnen hat vermutlich noch nie einen Wald gesehen.» Stadtfüchse in England sind doch rund 30 Jahre vor dem Ausbruch der Tollwut auf dem europäischen Festland beobachtet worden. Spannend an der Entwicklung der Schweizer Fuchspopulation ist, dass die heutigen Fuchsbestände bereits höher liegen als noch vor Beginn der Tollwutseuche. Aufgrund der Eidgenössischen Jagdstatistik werden sie aktuell rund doppelt so hoch geschätzt. Dies ist ein weiterer Hinweis dafür, dass die Zunahme der Fuchsbestände und die Eroberung von Siedlungsräumen durch Füchse zusätzlich durch langfristige Veränderungen im Lebensraum der Füchse verantwortlich sein müssen. 02 | 16 Fuchsprojekt in Zürich Erstmals wurde nun die Entwicklung eines Stadtfuchsbestands der Schweiz am Beispiel der Stadt Zürich untersucht («Integriertes Fuchsprojekt»). Als erstes wurde abgeklärt, woher die Stadtfüchse kommen. Mittels Erbgutanalysen von Zürcher Füchsen und Füchsen der angrenzenden ländlichen Umgebung konnte festgestellt werden, dass Stadtfüchse näher untereinander verwandt sind als Landfüchse. Es zeigte sich auch, dass der genetische Austausch zwischen Landfüchsen grösser ist als zwischen Land- und Stadtfüchsen. Diese Resultate weisen darauf hin, dass der heutige Stadtbestand auf nur wenige Gründertiere zurückzuführen ist und die Land- und Stadtbestände keinen regen genetischen Austausch mehr erfahren. Landfüchse bleiben also ihr Leben lang eher Landfüchse und Stadtfüchse eher in der Siedlung. Um die Raumnutzung von Stadtfüchsen zu erforschen, wurden zwanzig Füchse im Stadtzürcher Quartier Wiedikon gefangen und besendert. So konnten die Tiere in ihrem Raumverhalten überwacht werden. Die beobachteten Fähen nutzten Streifgebiete von durchschnittlich 33 ha, die Rüden etwas mehr. Dies ist verhältnismässig klein: Im Schweizer Jura untersuchte Füchse waren in Gebieten von 116 bis 353 ha unterwegs. Die kleinen MONATSTHEMA Foto: Michael Breuer 10 Aktivitätsgebiete der Stadtfüchse deuten somit darauf hin, dass die Stadt für Füchse einen günstigen Lebensraum bildet. Offenbar bietet die Stadt auf kleiner Fläche alles, was der Fuchs an Nahrung, Schlafplätzen und Orten zur Jungenaufzucht braucht. Die Mehrheit der besenderten Stadtfüchse hielt sich denn auch Tag und Nacht im Siedlungsraum auf – ein Teil von ihnen hat vermutlich noch nie einen Wald gesehen. Der Mensch als Nahrungslieferant Füchse gelten allgemein als einzelgängerisch. Wenn sie aber in hoher Dichte vorkommen, müssen sich ihre Reviere überlappen. In Wiedikon überlappten sich nicht nur die Streifgebiete von Fähen und Rüden, sondern auch diejenigen von Füchsen gleichen Geschlechts. Einzelne Beobachtungen ergaben sogar, dass sich Füchse zur Jungenaufzucht in der Stadt zu Familiengruppen zusammenschliessen. Das tun sie auch in ländlichen Gebieten, wenn sie in höheren Dichten vorkommen. Eine Analyse von Mägen geschossener oder tot aufgefundener Füchse ergab, dass rund 75% der gefundenen Nahrung vom Menschen stammten. Dabei handelte es sich zum grössten Teil um Abfälle im weitesten Sinne aus Müll, Gärten und Komposthaufen. Auch Tierfutter konnte in den Mägen gefunden werden. In der Stadt sind die Nahrungsquellen demnach für Füchse vielfältig und reichhaltig und können teilweise die hohen Fuchsbestände in Städten erklären. Neben Nahrung brauchen Füchse aber auch Schlafplätze und Jungenaufzuchtorte. Hier zeigten die Zürcher Stadtfüchse eindrücklich ihre Anpassungsfähigkeit: Die Schlafplätze lagen oft an unerwarteten Orten, beispielsweise auf einem Fabrikdach unter einem Dachvorsprung oder im Gebüsch einer gut besuchten Badeanstalt. Gemeinsam war all diesen Orten, dass sich der Mensch nahe der Schlafplätze – aus Sicht der Füchse – vorhersehbar bewegte. Alle gefundenen Aufzuchtorte für Jungfüchse befanden sich ausschliesslich in geschützten Bauen bzw. mehrheitlich in Gebieten, die in der Nacht für den Menschen nicht zugänglich waren. Im Fall von Aufzuchtorten sind Stadtfüchse demnach etwas anspruchsvoller als bei Nahrungsquellen. SCHWEIZER JÄGER 02 | 16 Ruhige Hinterhöfe, Grünanlagen, aber auch Fabrikhallen werden als Aufzuchtsorte genutzt. Füchse sind nur teilweise willkommen Stadtfüchse bleiben natürlich von der Bevölkerung nicht unbemerkt. Im «Integrierten Fuchsprojekt» wurden verschiedene Bevölkerungsteile zu Stadtfüchsen befragt sowie ein Informationssystem mit Fuchstelefon aufgebaut. Gemäss einer nationalen Befragung sind 60% der Bevölkerung gegenüber Stadtfüchsen negativ eingestellt. Im Stadtquartier Wiedikon, wo 75% der Bewohner/innen zumindest schon einmal einem Fuchs begegnet sind, sind nur 40% der Leute gegen Füchse und eine knappe Mehrheit von 52% sprach sich klar für Stadtfüchse aus. Diese Ergebnisse zeigen, dass die alleinige Anwesenheit von Füchsen in der Nachbarschaft nicht zwangsläufig zu einer negativen Einstellung führen muss. Möglicherweise haben sich schon viele an den neuen Stadtbewohner gewöhnt. Schäden im Garten und Befürchtungen im Zusammenhang mit Krankheiten können jedoch zu einer negativen Haltung führen. Ein weiterer Problembereich sind Füchse, die durch Fütterung zutraulich geworden sind und oft besonders viele Schäden verursachen. Um diesen Problemen frühzeitig zu begegnen, ist eine umfassende und andauernde Information der Bevölkerung unabdingbar. Füchse finden also in Siedlungen hervorragende Lebensräume und scheinen ein echter Kulturfolger geworden zu sein. Alle drei entscheidenden Faktoren wie Nahrung, Schlafplätze und Jungenaufzuchtorte scheinen in den Siedlungen ausreichend bis im Überfluss vorhanden zu sein. Anpassungsfähig wie sie sind, haben Füchse unsere Siedlungen erobert und können in nie dagewesenen Dichten mitten unter uns, aber meist im Verborgenen, leben. Originaltext von Sandra Gloor, Fabio Bontadina, Daniel Hegglin und Therese Hotz (2001) Füchse im Siedlungsraum. WILDBIOLOGIE, Wildbiologie in der Schweiz 6/32, 24 Seiten Kurzfassung von Elisa Mosler im Auftrag von WILDTIER SCHWEIZ. Original mit weiteren Informationen erhältlich auf www.wildtier.ch/shop
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