Disziplin durch psycho

Disziplin durch psycho
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Text Anne-Marie Iselin und Laura Di Giunta
«Habe ich überreagiert?» – «Hätte ich meinem Kind Hausarrest geben sollen?» –
«Ziehe ich die richtigen Konsequenzen?» Eine der grössten Herausforderungen für
Eltern ist die Disziplin ihrer Kinder. Nicht selten fragen sie sich, ob die gewählte
Disziplinierungsstrategie die richtige ist. Immer wieder stehen Hausarrest oder das
Entziehen von Privilegien im Vordergrund von Diskussionen über Erziehung. Unsere
Forschung hat allerdings gezeigt, dass ein anderes Verhalten von Eltern genauso
bedenklich ist: die psychologische Kontrolle ihrer Kinder.
Was genau ist psychologische Kontrolle? Sie
erfolgt, wenn Eltern den Einfluss ihres Kindes in der Eltern-Kind-Beziehung beschränken, indem sie die Sichtweise des Kindes
übergehen oder ignorieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Eltern glauben,
dass ihr Standpunkt der einzig richtige ist:
Wenn die Meinung ihres Kindes von ihrer
eigenen abweicht, weigern sie sich, das Kind
ausreden zu lassen. Psychologische Kontrolle schliesst das Kind in wichtiger Hinsicht, nämlich emotional, aus der ElternKind-Beziehung aus. So kann sich beispielsweise ein Elternteil gegenüber dem Kind
distanziert verhalten, wenn es etwas falsch
macht. Oder Eltern können in ihrem Kind
Schuldgefühle wecken, wenn es seine Sache
nicht gut macht. Unsere Forschung zur psychologischen Kontrolle lässt den Schluss zu,
dass ein solches elterliches Verhalten für
Kinder schädlich sein kann.
Diese Schlussfolgerung stützt sich auf Daten
von über 450 Familien aus drei verschiedenen Kulturgruppen in den Vereinigten Staaten (Afroamerikaner, Latinos und AmerikaFritz+Fränzi, #1 im Februar 2014
ner europäischer Herkunft) und zwei aus
Italien (Neapel und Rom). Die Familien waren Teil einer umfassenden mehrjährigen
Studie zum Thema Erziehung über Kulturkreise hinweg.
DIE AUTORINNEN
Prof. Dr. Anne-Marie Iselin
unterrichtet an der Universität North Carolina in den
USA. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Verbesserung der Lebensbedingungen und der psychischen
Gesundheit von Heranwachsenden, wobei ein
besonderer Schwerpunkt auf Interventionsmassnahmen liegt, mit denen Aggression und gesetzwidrige
Verhaltensweisen verhindert werden sollen.
Prof. Dr. Laura Di Giunta
lehrt an der Universität La Sapienza in Rom. Sie
erforscht, wie die Einzigartigkeit jedes Menschen,
insbesondere die von Heranwachsenden, das
Wohlergehen fördert oder verhindert. Sie führt
kulturübergreifende Studien über die Entwicklung
der Emotionssteuerung und der sozialen Kompetenz
von Kindern und Heranwachsenden durch.
Forschung
logische Kontrolle?
Fehlende emotionale Kontrolle
Was bedeutet das für Eltern und das Wohl­
ergehen ihrer Kinder? Eltern tun gut daran,
sich darüber Gedanken zu machen, wie sie
mit ihrem Kind umgehen. Wird das Kind
durch ihren Kommunikationsstil aus dem
Gespräch ausgeschlossen? Werden die Vor­
stellungen des Kindes ignoriert oder bei­
seitegewischt? Es ist gleichermassen wich­
tig, darauf zu achten, dass der Erziehungs­
stil mit den kulturellen Standards über­
einstimmt. Wenn Eltern dies beherzigen,
geht es ihrem Kind letztlich besser, und sie
müssen sich möglicherweise weniger Sor­
gen über die Wahl ihrer Disziplinierungs­
strategie machen.
Wie machen es andere Eltern?
Aber das ist noch nicht alles. Die vielleicht
auffälligste Erkenntnis unserer Forschung
ist, dass kulturelle Merkmale einen Einfluss
darauf haben können, wie stark sich psycho­
logische Kontrolle auf die Fähigkeit eines
Kindes auswirkt, Emotionen und somit Ag­
gressions­ und Depressionssymptome zu
steuern. Je weniger verbreitet psychologi­
sche Kontrolle in einem Kulturkreis ist,
desto negativer wirkt sie sich aus.
Dies gilt ungeachtet des Geschlechts des
Kindes oder des Bildungsniveaus der Fami­
lie. Dabei spielt die elterliche Meinung eine
wichtige Rolle: Eltern versuchen einzuschät­
Jacobs Foundation
Die Forschungsprojekte von
Dr. Iselin und Dr. Di Giunta
werden von der Jacobs Foundation gefördert. Als eine der
weltweit führenden gemeinnützigen Stiftungen verpflichtet sich
die Jacobs Foundation seit 25 Jahren der Forschungsförderung
im Bereich der Kinder- und Jugendentwicklung. Die Stiftung
möchte künftige Generationen durch die Verbesserung ihrer
Entwicklungsmöglichkeiten nachhaltig unterstützen, damit sie
produktive und sozial verantwortungsbewusste Mitglieder der
Gesellschaft werden können.
Fritz+Fränzi, #1 im Februar 2014
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Unsere Studie begann, als die Kinder zehn
Jahre alt waren. Dabei zeigten die Kinder
von Eltern, die in grösserem Umfang psycho­
logische Kontrolle ausübten, zwei Jahre spä­
ter im Alter von zwölf Jahren mehr Aggres­
sions­ und Depressionssymptome. Zudem
gab es deutliche Auswirkungen auf die Fä­
higkeit dieser Kinder, ihre Emotionen zu
steuern. Die häufigere psychologische Kon­
trolle durch die Eltern führt dazu, dass Kin­
der ihre Emotionen in unangemessener
Weise zum Ausdruck bringen (z. B. schreien,
weinen) oder sich immer wieder ausführlich
mit negativen Gefühlen befassen, die sie ver­
spüren, insbesondere Wut und Traurigkeit.
Diese fehlende emotionale Kontrolle kann
wiederum dazu führen, dass Kinder Aggres­
sions­ und Depressionssymptome ent­
wickeln.
zen, wie häufig andere Eltern ihres kulturel­
len Umfelds psychologische Kontrolle aus­
üben, um sich mit dem kindlichen Fehlver­
halten auseinanderzusetzen.