Disziplin durch psycho 62 Text Anne-Marie Iselin und Laura Di Giunta «Habe ich überreagiert?» – «Hätte ich meinem Kind Hausarrest geben sollen?» – «Ziehe ich die richtigen Konsequenzen?» Eine der grössten Herausforderungen für Eltern ist die Disziplin ihrer Kinder. Nicht selten fragen sie sich, ob die gewählte Disziplinierungsstrategie die richtige ist. Immer wieder stehen Hausarrest oder das Entziehen von Privilegien im Vordergrund von Diskussionen über Erziehung. Unsere Forschung hat allerdings gezeigt, dass ein anderes Verhalten von Eltern genauso bedenklich ist: die psychologische Kontrolle ihrer Kinder. Was genau ist psychologische Kontrolle? Sie erfolgt, wenn Eltern den Einfluss ihres Kindes in der Eltern-Kind-Beziehung beschränken, indem sie die Sichtweise des Kindes übergehen oder ignorieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Eltern glauben, dass ihr Standpunkt der einzig richtige ist: Wenn die Meinung ihres Kindes von ihrer eigenen abweicht, weigern sie sich, das Kind ausreden zu lassen. Psychologische Kontrolle schliesst das Kind in wichtiger Hinsicht, nämlich emotional, aus der ElternKind-Beziehung aus. So kann sich beispielsweise ein Elternteil gegenüber dem Kind distanziert verhalten, wenn es etwas falsch macht. Oder Eltern können in ihrem Kind Schuldgefühle wecken, wenn es seine Sache nicht gut macht. Unsere Forschung zur psychologischen Kontrolle lässt den Schluss zu, dass ein solches elterliches Verhalten für Kinder schädlich sein kann. Diese Schlussfolgerung stützt sich auf Daten von über 450 Familien aus drei verschiedenen Kulturgruppen in den Vereinigten Staaten (Afroamerikaner, Latinos und AmerikaFritz+Fränzi, #1 im Februar 2014 ner europäischer Herkunft) und zwei aus Italien (Neapel und Rom). Die Familien waren Teil einer umfassenden mehrjährigen Studie zum Thema Erziehung über Kulturkreise hinweg. DIE AUTORINNEN Prof. Dr. Anne-Marie Iselin unterrichtet an der Universität North Carolina in den USA. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Verbesserung der Lebensbedingungen und der psychischen Gesundheit von Heranwachsenden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf Interventionsmassnahmen liegt, mit denen Aggression und gesetzwidrige Verhaltensweisen verhindert werden sollen. Prof. Dr. Laura Di Giunta lehrt an der Universität La Sapienza in Rom. Sie erforscht, wie die Einzigartigkeit jedes Menschen, insbesondere die von Heranwachsenden, das Wohlergehen fördert oder verhindert. Sie führt kulturübergreifende Studien über die Entwicklung der Emotionssteuerung und der sozialen Kompetenz von Kindern und Heranwachsenden durch. Forschung logische Kontrolle? Fehlende emotionale Kontrolle Was bedeutet das für Eltern und das Wohl ergehen ihrer Kinder? Eltern tun gut daran, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie mit ihrem Kind umgehen. Wird das Kind durch ihren Kommunikationsstil aus dem Gespräch ausgeschlossen? Werden die Vor stellungen des Kindes ignoriert oder bei seitegewischt? Es ist gleichermassen wich tig, darauf zu achten, dass der Erziehungs stil mit den kulturellen Standards über einstimmt. Wenn Eltern dies beherzigen, geht es ihrem Kind letztlich besser, und sie müssen sich möglicherweise weniger Sor gen über die Wahl ihrer Disziplinierungs strategie machen. Wie machen es andere Eltern? Aber das ist noch nicht alles. Die vielleicht auffälligste Erkenntnis unserer Forschung ist, dass kulturelle Merkmale einen Einfluss darauf haben können, wie stark sich psycho logische Kontrolle auf die Fähigkeit eines Kindes auswirkt, Emotionen und somit Ag gressions und Depressionssymptome zu steuern. Je weniger verbreitet psychologi sche Kontrolle in einem Kulturkreis ist, desto negativer wirkt sie sich aus. Dies gilt ungeachtet des Geschlechts des Kindes oder des Bildungsniveaus der Fami lie. Dabei spielt die elterliche Meinung eine wichtige Rolle: Eltern versuchen einzuschät Jacobs Foundation Die Forschungsprojekte von Dr. Iselin und Dr. Di Giunta werden von der Jacobs Foundation gefördert. Als eine der weltweit führenden gemeinnützigen Stiftungen verpflichtet sich die Jacobs Foundation seit 25 Jahren der Forschungsförderung im Bereich der Kinder- und Jugendentwicklung. Die Stiftung möchte künftige Generationen durch die Verbesserung ihrer Entwicklungsmöglichkeiten nachhaltig unterstützen, damit sie produktive und sozial verantwortungsbewusste Mitglieder der Gesellschaft werden können. Fritz+Fränzi, #1 im Februar 2014 63 Unsere Studie begann, als die Kinder zehn Jahre alt waren. Dabei zeigten die Kinder von Eltern, die in grösserem Umfang psycho logische Kontrolle ausübten, zwei Jahre spä ter im Alter von zwölf Jahren mehr Aggres sions und Depressionssymptome. Zudem gab es deutliche Auswirkungen auf die Fä higkeit dieser Kinder, ihre Emotionen zu steuern. Die häufigere psychologische Kon trolle durch die Eltern führt dazu, dass Kin der ihre Emotionen in unangemessener Weise zum Ausdruck bringen (z. B. schreien, weinen) oder sich immer wieder ausführlich mit negativen Gefühlen befassen, die sie ver spüren, insbesondere Wut und Traurigkeit. Diese fehlende emotionale Kontrolle kann wiederum dazu führen, dass Kinder Aggres sions und Depressionssymptome ent wickeln. zen, wie häufig andere Eltern ihres kulturel len Umfelds psychologische Kontrolle aus üben, um sich mit dem kindlichen Fehlver halten auseinanderzusetzen.
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